Wie aus der Lienzinger Mangelwirtschaft doch eine Erfolgsgeschichte wurde

Lienzingen und seine nach 1945 entwickelten Wohnbaugebiete. (Foto: Ulrich Straub, 2016)

(Thema Wohnungsbau 1/2)

Häuslesbauern keine Steine in den Weg zu legen, sondern solche wegzuräumen, das war die Leitlinie von Lienzingens  Bürgermeister Richard Allmendinger und seinen Gemeinderäten.  Als  paradiesischer Zustand muss das für manche wirken, die sich heutzutage mit Baurechtsämtern herumschlagen und diese als Verhinderungsämter wahrnehmen. Allmendinger, seit November 1947 im Amt, verwies auf die seinerzeitige Wohnungsnot durch den Zuzug von Vertriebenen und Flüchtlingen und handelte. Er habe sich damals oft Gedanken gemacht, wie diese Not am schnellsten gelöst werden könnte, schrieb Allmendinger im Jahr 1970 rückblickend in seinem Beitrag zum Ortsbuch. Dabei bin ich zu dem Entschluss gekommen, jeden  nur einigermaßen fähigen und willigen Bewerber ein eigenes Heim bauen zu lassen. Aber woher die dazu notwendigen Bauplätze nehmen? (in: Friedrich Wißmann, Ortsbuch Lienzingen, 1970, Walter-Verlag, S. 324)


Lienzinger Geschichte(n) heute vom großen Herz für Häuslesbauer bei Bürgermeister und Gemeinderat, von Baudarlehen, günstigen  Bodenpreisen und der Klage: Man weiß bald nicht, welcher Fall der dringendste ist und man kommt bald in die größten Schwierigkeiten, aber auch von fünf Gaststätten für 1000 Einwohner und dem Antrag für eine sechste. Dazu in Akten und Ratsprotokollen geblättert (Serie in meinem Blog)


Eine erste Zwischenbilanz zog der Schultes bei der Sitzung am 15. Februar 1951, als er die am 28. Januar 1951 gewählten neuen Gemeinderäte verpflichtete: Die Landwirte Adolf Brüstle (261 Stimmen) und Eberhard Pfullinger (248) sowie Schlosser Erwin Schmollinger (168)  und Maurer Karl Straub (217 Stimmen) durften seine Worte als Richtschnur für ihre bevorstehende sechsjährige Amtszeit ansehen. Für die ausgeschiedenen Räte Christian Benzenhöfer, Gottlob Hermle, Rudolf Rommel und Robert Seethaler sollte der Rückblick gleichzeitig Anerkennung für die geleistete ehrenamtliche Tätigkeit sein.

Richard Allmendinger erinnerte an die Lage im Jahr 1948. Die Gemeinde stand bei der Währungsumstellung zunächst vor leeren Kassen, die Wohnungsverhältnisse durch den starken Zustrom der Flüchtlinge waren katastrophal und zu allem Übel die Gemeinde noch ohne eigenes Baugelände. Niemand wollte bebaubares Gelände abtreten und doch sollte man helfen, klagte der 41-Jährige an diesem Abend. Nach mühsamen Verhandlungen sei es dann endlich gelungen, die für die potenziellen Häuslesbauer notwendige Fläche zu erhalten. Die Gemeinde stellte den ersten Bebauungsplan auf, gewährte selbst den Bauherren Darlehen (bis dato insgesamt 21.000 Mark) und zusammen mit staatlichen Hilfsgeldern entstanden bis Februar 1951 genau 18 Wohnungen, einschließlich derjenigen, die die Kommune selbst errichtete (STAM, Li B 324, S. 58 f).

Beispiele dafür, wie aus der Mangelwirtschaft doch eine Erfolgsgeschichte wurde: In der Sitzung am 28. Oktober 1948 genehmigte der Gemeinderat den Kauf von knapp fünf Ar von drei Eigentümern, die pro Quadratmeter eine beziehungsweise zwei Mark erhielten. Einen Tagesordnungspunkt später bewilligte das Gremium drei Bauherren jeweils 4000 Mark Darlehen zu vier Prozent Zinsen auf die erste Hypothek (STAM, Li B 323, S. 197). Weitere Unterstützung erhielten Bauende, indem die Kommune für sie für Kredite von Banken und Sparkassen bürgte (STAM, Li B 324, S. 150). Wie kam es dazu? Weil der Schultes mit der Idee scheiterte, an Bauwillige kommunale Flächen in Erbpacht abzugeben. Allmendinger hatte extra das Gespräch mit Direktor Bitzer von der Kreissparkasse in Mühlacker gesucht, wie er dem Ortsparlament am 4. August 1952 mitteilte. Bitzer verwies darauf, die Sparkasse sei nicht berechtigt, Erbpachtflächen zu beleihen. Der Bürgermeister sagte, im Allgemeinen fehlten den Bauenden noch 3000 Mark Eigenkapital. Die Lücke könne nur geschlossen werden, wenn die Gemeinde entweder eine zweitrangige Hypothek übernehme oder eine Bürgschaft für Darlehen, die die Sparkasse gewährte. Anschließend beschloss der Gemeinderat, dass die Kommune für Kredite als Bürge geradestehe (STAM, Li B 324, S. 129).

Der Willen der Kommunalpolitik war jedenfalls klar erkennbar, den Menschen konkret zu helfen. So genehmigte der Gemeinderat am 7. März 1952, dem Bauwollenden W.O. 4000 Mark als erste Hypothek zu 4,5 Prozent Zinsen zu gewähren - als Überbrückung bis zur Zuteilung seines Bausparvertrags durch die Leonberger Bausparkasse  im Jahr drauf (STAM, Li B 324, S. 116). Das Instrument wendete die Kommune über viele Jahre an. Ein Beispiel:  Allein in seiner Sitzung am 2. Februar 1973 stimmte der Gemeinderat fünf Bürgschaften zu. 

In seinem Rückblick schrieb Allmendinger 1970: Das Siedlungsgebiet wurde mit Gemeindemitteln erschlossen. Ja selbst die Gemeinde gab anfangs erststellige Hypothekendarlehen zu günstigen Bedingungen. Sie konnte sich das leisten, weil sie in den Nachkriegsjahren sehr gute Holzerlöse aus ihren Wäldern erzielte (Richard Allmendinger, Die Gemeinde holt ihren Rückstand rasch auf, in: Friedrich Wißmann, Ortsbuch Lienzingen, 1970, Walter-Verlag, S. 324).

Der Verwaltungschef nannte am 19. Dezember 1950 den Gemeinderäten konkret fünf Familien, die auf eine ausreichende Unterkunft hofften. Die neu  gegründete Baugemeinschaft der Neubürger brachte wohl nicht den erwünschten Erfolg, sie sei finanziell noch schwach, könne gerade ein Wohnhaus errichten, dies aber auch nur mit Unterstützung der Gemeinde. Diese wiederum wurde zudem noch mit anderen Forderungen konfrontiert - Allmendinger nannte den Wunsch nach dem Bau einer Kleinkinderschule (STAM, Li B 324, S. 53).

Die Kommune war auch sonst gefordert. Bei einer Sitzung am 13. April 1953 wies die Verwaltung darauf hin, dass die Gemeinde seit 1949 aus einem Kahlschlag in der Hart etwa 70 Ar als Gartenland den Neubürgern zur Verfügung stelle. Bis dato kostenlos, der Rat beschloss nun, erstmals Zahlung auf Martini 1953, eine Pacht von 1,25 Mark pro Jahr, für Gartenland 2,50 Mark zu verlangen (STAM, Li B 324, S. 163).

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Turbo-Tempo im Lienzingen von 1868: Baugenehmigung nach nur zwei Wochen für Pfullingers Schnapsbrennerei, und das noch gebührenfrei

Lienzingen, Spindelgasse 1: Einst wurde darin Schnaps gebrannt. Unbekannt ist, ob es um 1868 die einzige Anlage in dem 900-Einwohner-Ort war (Foto: Günter Bächle)

Ein virtueller Streifzug durch die Bestände des Landesarchivs Baden-Würtemberg fördert immer wieder kleine lokalgeschichtliche Raritäten ans Licht der Öffentlichkeit. So findet sich im Fundus des dem Landesarchivs nachgeordneten Staatarchivs Ludwigsburg, dort in den Bauakten aus den Jahren 1834 bis 1938, Nachakten sogar bis 1965, des Oberamtes Maulbronn, das 1938 im Landkreis Vaihingen an der Enz aufging,  eine höchst interessantes Stück aus Lienzingen. In dem Büschel 434 mit der Signatur F 183 III verbirgt sich ein Bauantrag aus den Jahren 1868/69 des Bauers Gottlob Pfullinger, der sein Waschhaus mit Holzremise zur Schnapsbrennerei umwandeln wollte. Das Gebäude steht heute noch, jedoch die Destillationsanlage mitsamt Brennrechten sind längst Geschichte.

Heute mutet das Fachwerkhäusle, das an der Einmündung der Spindelgasse in die Knittlinger Straße steht, leicht marode an. Ein Fall für das Sanierungsprogramm Ortskern Lienzingen von Stadt und Land. Ein beträchtlicher Teil der Außenwände versteckt sich hinter prächtigen Efeu-Teppichen. Der Abstand zu dem Nachbarhaus – jetzt Knittlinger Straße 15 – ist minimal, hat dorthin keine Fenster oder sonstige Öffnungen, somit besteht eine geschlossene Front, die die Helligkeit für die Angrenzer mindert. Ihr Blick endet am durchgängigen Mauerwerk. Durchaus zu vermuten wäre, dass der in der Form eines Kuchenstückes verlaufende und noch nicht sanierte Schuppen zur „15“ gehört. Ein Irrtum. Eigentümer ist Reinhard Pfullinger, Chef von Hotel und Restaurant zum Nachtwächter, Landwirt, Wengerter und Jagdpächter. Sein stattliches Anwesen schließt, durch die Gasse getrennt, nach Westen an.

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Zaun- und Mauereidechsen sind denn schon mal umgezogen

Was gibt es Neues von den Pferchäckern, Lienzingens künftigem Wohngebiet, Dauerbrenner und Hoffnung potenzieller Bauherren-/-frauen seit 2016 in einem? Steigende Zinsen, steigende Preise – durchs lange Warten zahlen die Bauwilligen drauf. 

Pferchäcker links, Amphibienschutzzaun rechts. Fotos: Günter Bächle

Immerhin, die Reptilien sind schon mal umgezogen. Lässt auf Fortschritte hoffen. Die Stadt hat einen Zaun zum Schutz von Reptilien auf zirka 100 Meter Länge entlang des Schützinger Weges auf Höhe des zukünftigen Baugebietes aufstellen lassen, der auch nach mehr als acht Wochen noch vorhanden und mindestens fünf Jahre lang stehen bleiben wird.

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Neues von den Pferchäckern

Die Stadtverwaltung legt sich noch nicht fest, wann mit der Offenlage für die Öffentlichkeit der nächste Schritt im Bebauungsplanverfahren für das Wohngebiet Pferchäcker in Lienzingen getan wird. Das hänge von der Einigung mit den Grundstückseigentümern ab, so Oberbürgermeister Frank Schneider in einer Antwort auf meine Anfrage im Gemeinderat. In einer früheren Antwort nannte die Verwaltung den Herbst 2023 als Beginn der Erschließungsarbeiten.
Zu einer Verzögerung kam es durch Kritik zweier Eigentümer an der unterschiedlichen Ausrichtung von Baufenstern auf dem Grundstück. Hier gebe es kein pauschales richtig oder falsch, so die Verwaltung. Insbesondere gebe es aber keinen wie auch immer gearteten Anspruch darauf, dass alle Baufenster eines Baugebiets in eine Himmelsrichtung angeordnet sind. Der OB: Im Rahmen der kommunalen Planungshoheit gibt es keinen Anspruch auf Gleichbehandlung in dem Sinne, dass auf jedem Grundstück eines Baugebiets dieselben Rahmenbedingungen gelten müsste.

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Der Sündenfall vom Juli 1971: Nach zwei Wochen platzte in der dritten Lesung doch noch der Traum vom Großkreis Pforzheim/Vaihingen

Der Enzkreis feiert Geburtstag. Steht heute in der Zeitung. Den Fünfzigsten. Die Kreisverwaltung kündigt 52 Fest-Wochen im Jahr 2023 an unter dem originellen Motto Der Kreis mit schönen Ecken. In petto Serien von Podcasts, Videos, Texten – und ein Actionfilm! Was genau lässt sich nur raten, erahnen, vermuten … Jedenfalls fiel mir beim Lesen mein persönliches Jubiläumsstück ein: etwa 12 auf 18 auf 5 Zentimeter,  Schatulle, Deckel ganz abzunehmen, aus Keramik, lasiert, im Laufe der Jahre leicht an Glanz verloren. Darauf eingebrannt: Das Wappen des Landkreises Vaihingen/Enz, im oberen Teil der rote Vaihinger Löwe, unten das Mühlrad aus dem Mühlacker Wappen, dazwischen der Maulbronner Schachbalken.

Zum Abschied vor 50 Jahren: Keramik-Schatulle mit dem Wappen des am 31. Dezember 1972 aufgelösten Landkreises Vaihingen

Da steckt Symbolik, aber auch die Tragik dieses Kreises drin.   Denn die Rivalität zwischen Mühlacker und Vaihingen erleichterte der Landespolitik, diesen Landkreis 1971 zu zerschlagen, zwischen Pforzheim und Ludwigsburg (und ein bisschen Karlsruhe) aufzuteilen. Das dazu beschlossene Gesetz wirkt seit dem 1. Januar 1973.

Die Schatulle, über deren Schönheit sich streiten lässt, besitzt zumindest einen ideellen Wert. Es war das offizielle Abschiedsgeschenk des Landkreises Vaihingen. Landrat Erich Fuchslocher überließ mir dieses Exemplar. Trotz einer leichten Macke steht das gute Stück seit einem halben Jahrhundert bei mir in Lienzingen hinterm Glas. So gesehen lässt sich daraus eine Lienzinger Geschichte stricken, zumal die Kommune auch am Verfahren beteiligt war. Die Story sprengt jedoch den lokalen, umfasst auch den regionalen Rahmen – bis nach Ergenzingen und Stuttgart. Bringt viel Landespolitik und die Frage, wie sich zum Beispiel die Lienzinger dazu stellten. Denn ich war in den Phasen der Kreisreform journalistisch und politisch aktiv, schrieb über Wirren und Verwirrung beim Ziehen neuer Land- und Stadtkreis-Grenzen. Ein, nein, der Lienzinger Zeitzeugenbericht mit viel persönlichen Ein- und Dreinblicken.

Der letzte Landrat von Vaihingen: Erich Fuchslocher (1921-1982): 1966/1972 Landrat, 1951/66 Bürgermeister in Mühlacker, zuvor  Kirchheim/Neckar. Um Landrat zu werden, musste 1966 die Landesregierung die "Lex Fuchslocher" beschließen, denn eigentlich durften eine solche Position  nur Beamte des höheren Dienstes einnehmen, doch Fuchslocher kam aus dem gehobenen Dienst. Hürden, die bald darauf ganz gestrichen wurden. Nach seiner Landratszeit wurde der FDP-Mann Direktor beim größten Unternehmen von Oberderdingen (aus Fotosammlung Stadtarchiv Mühlacker)

Wie war das eigentlich vor 50 Jahren, als die Großkoalitionäre von CDU und SPD in Baden-Württemberg auf der Landkarte neue Grenzen der Stadt- und Landkreise zogen? Der Kreis Vaihingen war einmal, der Kreis Leonberg auch, trotz des eingängigen Slogans LEO muss bleiben. Eines der dabei entstandenen Konstrukte hieß Enzkreis. Der legt sich wie ein Kragen um den Stadtkreis Pforzheim. Zeit zum Jubiläumsjubel? Was Kreisräte bisher nicht wussten: Das Volk zwischen Neuenbürg und Illingen erwartet 2023 eine Rundum-Fünfziger-Feier. Zwölf Monate ohne Langeweile. Überrascht las ich heute eine Mitteilung aus dem Landratsamt in Pforzheim, dass jetzt die Geburtstagsmaschinerie angeworfen wird und dazu eine Extra-Internetadresse ans Netz geht.

Internet, Mail, soziale Medien – vor 50 Jahren unbekannt.  Möglicherweise blieb manche Information 1970/71 deshalb eher in der internen Runde, in den Beratungszirkeln der Fraktionen. Einflussreiche Politiker in Land und Kreis zurrten das Gesamtpaket fest, ungeplantes Öffnen ward nicht erwünscht. Der Landtag hatte einen Sonderausschuss gebildet, der Vaihinger Kreistag eine achtköpfige Sonderkommission. Just die Kommission sollte dem Sonderausschuss in Stuttgart ein Schnippchen schlagen und dessen Teilungspläne für den Landkreis Vaihingen durchkreuzen. Fast hätte es die VAI-Task Force geschafft! Fast? 

Lienzinger Geschichte(n) heute in einem größeren Zusammenhang. Denn die Lienzinger mussten vom 1. Januar 1973 an, wenn sie zum Beispiel einen Bauantrag stellten, nicht mehr nach Vaihingen, sondern nach Pforzheim. Wie nahmen sie die Kreisreform auf? Nebenbei Frage in der Blog-Serie: Was hatte unser Ort mit Ergenzingen zu tun? Persönliches verwebt mit Politischem der lokalen und regionalen sowie landespolitischen Ebene. Zusammenhänge werden hoffentlich deutlich

Das Fazit vorab: Zeitweise zweifelte seinerzeit der Betrachter doch heftig an der Fähigkeit mancher Menschen zum fairen und sachlichen Disput.  Demokratie geht anders, selbst bei einem so kontroversen Fall wie einer Kreisgebietsreform. Die Realitäten damals: Beleidigungen, Geschmacklosigkeiten, Diskussionsverweigerung, persönliche Herabsetzung vor Ort - besonders zwischen der zweiten und dritten Lesung des Gesetzes im Landtag und dem Streit darüber, ob der ganze Kreis Vaihingen zu Pforzheim geschlagen wird.  Ein politischer Prozess, bei dem nicht wenige der lokalen Meinungsführer gerade im Bereich Vaihingen versagten, sonst hätte es die politische Entgleisung mit dem Aufbau eines Galgen vor dem Landratsamt in der Vaihinger Franckstraße nicht geben dürfen. Das muss offen gesagt werden. Auch nach mehr als einem halben Jahrhundert.

Grenzen des Anstandes wurden mit der Aufstellung des Galgen gegenüber dem Landratsamt verletzt.
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Der langsame Abschied? Neuen Bäumen stehen Paragraphen im Weg

Lässt sich verhindern, dass immer mehr Bäume an Kreis- und Landesstraßen abgesägt und nicht wieder ersetzt werden? Ein langsamer und allmählicher Abschied?  Einst Alleen ähnlich, werden etwa die Lücken im Baumbestand an der Kreisstraße zwischen Bundesstraße 35 und Ortseingang Lienzingen oder an der Landesstraße 1134 auf der Höhe von Lienzingen in Richtung Zaisersweiher mehr und mehr breiter, schrieb ich in einer Kreistagsanfrage.
Aktuell: Immer mehr Lücken – vom Schützinger Sträßle aus aufgenommen. Im Blickfeld die Landesstraße auf der Lienzinger Höhe in Richtung Zaisersweiher. (Foto: Günter Bächle, Juni 2022)

Den Anstoß dazu gaben mit Kommentare in den sozialen Netzwerken zu diesem Foto:

  • Das ist mir auch schon aufgefallen. Letztlich spiegelt dies den landesweiten Rückgang an Streuobstbeständen.  Es wäre allerdings ein schönes Ankommen in Lienzingen, wenn rechts und links der Straße prächtige Obstbäume stünden.
  • Wir hören täglich von CO2,  aber einen Baum kriegen wir nicht gepflanzt.

Paragraphen stehen manchen Bäumen im Weg, zeigt die Antwort von Landrat Bastian Rosenau. Und 
höhere Unfallgefahren.  Trotzdem legt er ein Bekenntnis ab:

  • Das Landratsamt Enzkreis bemüht sich grundsätzlich sehr, vorhandene Bäume an Straßen zu erhalten.

Er verweist auf die enge Abstimmung von Landwirtschaftsamt und Straßenmeisterei des Amtes für Nachhaltige Mobilität bei der Pflege von – wie es amtlich heißt - Straßenbegleitgrün. So würden Bäume entlang der klassifizierten Straßen regelmäßig begutachtet, bei Bedarf durch geschulte Baumpflege-Firmen Maßnahmen zur Herstellung der Verkehrssicherheit sowie zur Verbesserung der Vitalität ergriffen. Nur im äußersten Notfall würden Bäume gefällt.

Und die vorhandenen Lücken? Zu Baumneupflanzungen schreibt Rosenau, die Bundesanstalt für Straßenwesen (bast) untersuche unter anderem die Auswirkungen von Bäumen an Straßen auf das Unfallgeschehen. Eine Erkenntnis aus dem Jahr 2021 sei beispielsweise, dass die Unfallschwere bei Fahrunfällen mit Abkommen von der Fahrbahn und Aufprall auf einen Baum achtmal höher sei, als bei einem Unfall ohne Aufprall. Selbst bei einer Kollision mit einer Schutzplanke sei die Unfallschwere im Durchschnitt noch dreimal höher. 

Eine weitere Bestätigung gab es, so der Landrat weiter, für die Tatsache, dass die Unfallhäufigkeit mit 
dem Anteil der Bepflanzungen im Seitenraum der Straße steige. Er verweist auf weitere interessante 
Erkenntnisse
 im Bericht Bäume und Verkehrssicherheit an Landstraßen bei der 
Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV).

  • Bäume beleben das Landschaftsbild, erfüllen vielfältige Aufgaben im Landschaftshaushalt und dienen der Erhaltung der biologischen Vielfalt

So im Rosenau-Text weiter. Außerdem habe Straßenbepflanzung eine positive Auswirkung auf die Straßenraumgestaltung und die Stabilität des Straßenkörpers.

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Politisches Sittengemälde eines schwäbischen Dorfes in der NS-Zeit: Die wieder gewonnene Ehre des Karl B. aus L.

Lienzingen 1930 von Norden vom Spottenberg: Mit geschlossenem Scheunengürtel. Postkarte aus dem Nachlass Schneider (STAM)

Das Büschel 1056 mit der vorangestellten Signatur EL 902—23 hat es in sich: Unter dieser Nummer liegt im Staatsarchiv Ludwigsburg eine mehr als 100 Seite dicke Akte der Spruchkammer Vaihingen/Enz in Mühlacker, Uhlandbau. Sie selbst trägt das Aktenzeichen 48/20/633, ist so etwas wie das politische Sittengemälde eines schwäbischen Dorfes in der NS-Zeit. Lienzingen, Karl Brodbeck und das 1946 ersonnene System des frühen Täter-Opfer-Ausgleichs. Brodbeck, eine kleine lokale NS-Größe, der Schickle von der Schmie oder nur ein großer Opportunist, ein Angsthase gar? Einer, der darauf bedacht war, sich abzusichern und sich mit den Schurken nur soweit einließ, quasi als Mindeststandard, bis diese zufrieden sind? Vielleicht von allem ein bisschen. Rund zwei Jahre Suche nach Fakten, die be- oder entlasten.

Lienzinger Geschichte(n):   Letzter Teil der Serie-in-der Serie über den Lienzinger Bürgermeister Karl Brodbeck. Im Spruchkammer-Verfahren kein Beweis dafür, dass er als zeitweise gleichzeitiger NS-Ortsgruppenleiter von Lienzingen zwei Menschen ins KZ brachte (4/4)
In seinem Geburtsort Vellberg 1934: Lienzingens Bürgermeister Karl Brodbeck. Foto: Smlg. Kuno Brodbeck (Stadtarchiv Mühlacker STAM)

Der Grundsatz klingt gut: Sühne statt Strafe. Opfer des NS-Regimes für ihr erlittenes Unrecht entschädigen mit Geld, das vorher den Tätern abgenommen wird. Die Instrumente dazu zwischen 1946 und 1948 waren in der US-Zone die Spruchkammern. Ihre Basis: Das Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946 mit der Absicht, die Entnazifizierung teilweise in deutsche Hände zu geben. Exemplarisch dargestellt an dem Verfahren gegen Karl Brodbeck, einst Bürgermeister und NS-Ortsgruppenleiter in Lienzingen.  Der Ertrag für den Wiedergutmachungstopf: 500 Reichsmark.

Der erste Augenschein sprach erst einmal gegen den alten Beamten, schreibt Konrad Dussel, Historiker und Autor des Bandes 8 der Geschichte der Stadt Mühlacker, 2016 zum 1250-Jahr-Jubiläum herausgegeben vom Stadtarchiv Mühlacker (STAM). Sein späteres Fazit: Die langwierige Bestandsaufnahme förderte eigentlich kein belastendes Material gegen Brodbeck zu Tage (Dussel, S. 181). Tatsächlich stufte ihn die Kammer in die unterste Stufe der Schuld ein.

Ganz im Gegensatz zu seinem früheren Kollegen Adolf Schickle, Bürgermeister und „Führer“ von Enzberg, wie ihn Dussel nennt. Zwar sah der Öffentliche Ankläger der Kammer, die ansonsten noch einen Vorsitzenden und Beisitzer hatte, in dem führenden Kopf des nationalsozialistischen Enzberg einen Hauptschuldigen, die Jury schwächte dies aber ab und entschied sich in ihrem Spruch für die  Bezeichnung Belasteter – weniger als der Hauptschuldige, mehr als der Minderbelastete. (Ortsbuch Enzberg, Band 4 der Schriftenreihe der Stadt Mühlacker. Verlag Regionalkultur. Erschienen 2000. S. 265 ff).

Mindestens ein Hobby hatten Karl Brodbeck und Adolf Schickle: Sie besuchten gemeinsam gerne das Dampfbad in Pforzheim.

Spruchkammer Kreis Vaihingen/Enz, Mühlacker, Uhlandbau (Repros: Landesarchiv, Staatsarchiv Ludwigsburg EL 902—23) 

Natürlich fühlten sich die Betroffenen zumeist bestraft und nicht versöhnt, wenn ein Teil ihres Vermögens eingezogen wurde - welchen Grades der persönlichen Schuld die Kammer auch immer sah. Eine Umverteilung vom Täter zum Opfer. Den Versöhnungsprozess beförderte es in einer kaum feststellbaren Größe.  Wer jetzt rund 70 Jahre nach dieser Zeit die Akten liest, wundert sich: Den einen war die Aufarbeitung der eventuellen persönlichen Schuld ein wichtiges Thema, andere wiederum nutzten diese gerichtsähnliche Einrichtung zum Anschwärzen ihnen unliebsamer Leute oder schlicht zum Waschen dreckiger Wäsche.  Persilscheine machten die Runde. Exemplarisch für die Aufarbeitung von Schuld und Sühne in der NS-Zeit hier der Papierstoß Nummer EL 902—23, öffentlich zugänglich im Staatsarchiv Ludwigsburg, Außenstelle des Landesarchives.

So begann seine Arbeit in Lienzingen: 1920. Insgesamt 25 Jahre  lang blöieb er an Ort und Stelle Rathaus-Chef. Von der Bewerbung von Karl Brodbeck angenehm berührt, waren Kreise der Bürgerschaft. Blumiger Vierzeiler mit Vorschusslorbeeren bei der ersten Bewerbung im November 1920 (Quelle: Bürgerfreund, Zeitung für das Oberamt Maulbronn, / STAM, Zeitungsausschnitt).
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