Wie aus der Lienzinger Mangelwirtschaft doch eine Erfolgsgeschichte wurde

Lienzingen und seine nach 1945 entwickelten Wohnbaugebiete. (Foto: Ulrich Straub, 2016)

(Thema Wohnungsbau 1/2)

Häuslesbauern keine Steine in den Weg zu legen, sondern solche wegzuräumen, das war die Leitlinie von Lienzingens  Bürgermeister Richard Allmendinger und seinen Gemeinderäten.  Als  paradiesischer Zustand muss das für manche wirken, die sich heutzutage mit Baurechtsämtern herumschlagen und diese als Verhinderungsämter wahrnehmen. Allmendinger, seit November 1947 im Amt, verwies auf die seinerzeitige Wohnungsnot durch den Zuzug von Vertriebenen und Flüchtlingen und handelte. Er habe sich damals oft Gedanken gemacht, wie diese Not am schnellsten gelöst werden könnte, schrieb Allmendinger im Jahr 1970 rückblickend in seinem Beitrag zum Ortsbuch. Dabei bin ich zu dem Entschluss gekommen, jeden  nur einigermaßen fähigen und willigen Bewerber ein eigenes Heim bauen zu lassen. Aber woher die dazu notwendigen Bauplätze nehmen? (in: Friedrich Wißmann, Ortsbuch Lienzingen, 1970, Walter-Verlag, S. 324)


Lienzinger Geschichte(n) heute vom großen Herz für Häuslesbauer bei Bürgermeister und Gemeinderat, von Baudarlehen, günstigen  Bodenpreisen und der Klage: Man weiß bald nicht, welcher Fall der dringendste ist und man kommt bald in die größten Schwierigkeiten, aber auch von fünf Gaststätten für 1000 Einwohner und dem Antrag für eine sechste. Dazu in Akten und Ratsprotokollen geblättert (Serie in meinem Blog)


Eine erste Zwischenbilanz zog der Schultes bei der Sitzung am 15. Februar 1951, als er die am 28. Januar 1951 gewählten neuen Gemeinderäte verpflichtete: Die Landwirte Adolf Brüstle (261 Stimmen) und Eberhard Pfullinger (248) sowie Schlosser Erwin Schmollinger (168)  und Maurer Karl Straub (217 Stimmen) durften seine Worte als Richtschnur für ihre bevorstehende sechsjährige Amtszeit ansehen. Für die ausgeschiedenen Räte Christian Benzenhöfer, Gottlob Hermle, Rudolf Rommel und Robert Seethaler sollte der Rückblick gleichzeitig Anerkennung für die geleistete ehrenamtliche Tätigkeit sein.

Richard Allmendinger erinnerte an die Lage im Jahr 1948. Die Gemeinde stand bei der Währungsumstellung zunächst vor leeren Kassen, die Wohnungsverhältnisse durch den starken Zustrom der Flüchtlinge waren katastrophal und zu allem Übel die Gemeinde noch ohne eigenes Baugelände. Niemand wollte bebaubares Gelände abtreten und doch sollte man helfen, klagte der 41-Jährige an diesem Abend. Nach mühsamen Verhandlungen sei es dann endlich gelungen, die für die potenziellen Häuslesbauer notwendige Fläche zu erhalten. Die Gemeinde stellte den ersten Bebauungsplan auf, gewährte selbst den Bauherren Darlehen (bis dato insgesamt 21.000 Mark) und zusammen mit staatlichen Hilfsgeldern entstanden bis Februar 1951 genau 18 Wohnungen, einschließlich derjenigen, die die Kommune selbst errichtete (STAM, Li B 324, S. 58 f).

Beispiele dafür, wie aus der Mangelwirtschaft doch eine Erfolgsgeschichte wurde: In der Sitzung am 28. Oktober 1948 genehmigte der Gemeinderat den Kauf von knapp fünf Ar von drei Eigentümern, die pro Quadratmeter eine beziehungsweise zwei Mark erhielten. Einen Tagesordnungspunkt später bewilligte das Gremium drei Bauherren jeweils 4000 Mark Darlehen zu vier Prozent Zinsen auf die erste Hypothek (STAM, Li B 323, S. 197). Weitere Unterstützung erhielten Bauende, indem die Kommune für sie für Kredite von Banken und Sparkassen bürgte (STAM, Li B 324, S. 150). Wie kam es dazu? Weil der Schultes mit der Idee scheiterte, an Bauwillige kommunale Flächen in Erbpacht abzugeben. Allmendinger hatte extra das Gespräch mit Direktor Bitzer von der Kreissparkasse in Mühlacker gesucht, wie er dem Ortsparlament am 4. August 1952 mitteilte. Bitzer verwies darauf, die Sparkasse sei nicht berechtigt, Erbpachtflächen zu beleihen. Der Bürgermeister sagte, im Allgemeinen fehlten den Bauenden noch 3000 Mark Eigenkapital. Die Lücke könne nur geschlossen werden, wenn die Gemeinde entweder eine zweitrangige Hypothek übernehme oder eine Bürgschaft für Darlehen, die die Sparkasse gewährte. Anschließend beschloss der Gemeinderat, dass die Kommune für Kredite als Bürge geradestehe (STAM, Li B 324, S. 129).

Der Willen der Kommunalpolitik war jedenfalls klar erkennbar, den Menschen konkret zu helfen. So genehmigte der Gemeinderat am 7. März 1952, dem Bauwollenden W.O. 4000 Mark als erste Hypothek zu 4,5 Prozent Zinsen zu gewähren - als Überbrückung bis zur Zuteilung seines Bausparvertrags durch die Leonberger Bausparkasse  im Jahr drauf (STAM, Li B 324, S. 116). Das Instrument wendete die Kommune über viele Jahre an. Ein Beispiel:  Allein in seiner Sitzung am 2. Februar 1973 stimmte der Gemeinderat fünf Bürgschaften zu. 

In seinem Rückblick schrieb Allmendinger 1970: Das Siedlungsgebiet wurde mit Gemeindemitteln erschlossen. Ja selbst die Gemeinde gab anfangs erststellige Hypothekendarlehen zu günstigen Bedingungen. Sie konnte sich das leisten, weil sie in den Nachkriegsjahren sehr gute Holzerlöse aus ihren Wäldern erzielte (Richard Allmendinger, Die Gemeinde holt ihren Rückstand rasch auf, in: Friedrich Wißmann, Ortsbuch Lienzingen, 1970, Walter-Verlag, S. 324).

Der Verwaltungschef nannte am 19. Dezember 1950 den Gemeinderäten konkret fünf Familien, die auf eine ausreichende Unterkunft hofften. Die neu  gegründete Baugemeinschaft der Neubürger brachte wohl nicht den erwünschten Erfolg, sie sei finanziell noch schwach, könne gerade ein Wohnhaus errichten, dies aber auch nur mit Unterstützung der Gemeinde. Diese wiederum wurde zudem noch mit anderen Forderungen konfrontiert - Allmendinger nannte den Wunsch nach dem Bau einer Kleinkinderschule (STAM, Li B 324, S. 53).

Die Kommune war auch sonst gefordert. Bei einer Sitzung am 13. April 1953 wies die Verwaltung darauf hin, dass die Gemeinde seit 1949 aus einem Kahlschlag in der Hart etwa 70 Ar als Gartenland den Neubürgern zur Verfügung stelle. Bis dato kostenlos, der Rat beschloss nun, erstmals Zahlung auf Martini 1953, eine Pacht von 1,25 Mark pro Jahr, für Gartenland 2,50 Mark zu verlangen (STAM, Li B 324, S. 163).

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Von der Kohlplatte bis zum Hamberg – Lienzingen, seine Gruben und der Beginn der Müllabfuhr 1967 - Immer Ärger mit den Behörden - Quälende Suche nach Alternativen

Die Lienzinger taten sich schwer, mussten auf Fallstricke achten - bei der langwierigen Suche nach einer Antwort auf die immer drängender werdende Frage: Wohin mit dem Hausmüll?  Denn mehr als zehn Jahre lang beschäftigte das ihren Gemeinderat. Letztlich nahm ihm ein Zweckverband der Kommunen, dann der Enzkreis die Aufgabe ab. Aber zunächst war jede Gemeinde und jede Stadt bis 1972 für sich selbst verantwortlich. Ein Problem, das in den ersten Nachkriegsjahren noch keines war. Umweltschutz, das war vor allem auf dem Land noch ein Fremdwort. Zumindest auf dem Dorf regelte sich zunächst alles von allein. Müll landete auf dem Misthaufen, im Ofen oder auf dem Kompost.

Heute Waldstück, bis Mitte der sechziger Jahre eine offene Müllgrube der Gemeinde Lienzingen an der B35: die Kohlplatte. (Foto: G. Bächle)

So gab es 1949 in dem damals 940 Einwohner zählenden Dorf 145 landwirtschaftliche Betriebe, elf Jahre später noch 101, im Jahr 1971 immerhin 49. Abfälle, die sich nicht kompostieren oder verbrennen ließen, gab es nur wenige und was doch anfiel, wurde in einer Müllgrube deponiert, schreibt der Historiker Konrad Dussel in dem, 2016 erschienenen Ortsbuch von Lienzingen (S. 202). Heutzutage wird sortiert auf Teufel komm raus, getrennt, verwertet - und trotzdem produzierte 2021 jeder Einwohner des Enzkreises durchschnittlich 130,9 Kilogramm Restmüll (aus: Abfallbilanz des Landes)

So ähnlich sah es in der Kohlplatte aus. Aufnahme einer illegalen Müllhalde. (Foto: ZDF)

Das Thema nahmen die Kommunen in den ersten Jahren nach Kriegsende nicht sonderlich ernst. Doch das Landratsamt Vaihingen an der Enz regte schon 1956 eine staubfreie Müllabfuhr an. Landrat Dr. Friedrich Kuhnle schrieb am 1. Februar 1956 an die Bürgermeisterämter im Landkreis, geplant sei die Gründung eines Zweckverbandes. Ein Anschluss werde wohl nur für größere Gemeinden und für Kommunen, in denen die Landwirtschaft nur eine untergeordnete Bedeutung habe, in Betracht kommen. Dem vorausgegangen war eine Dienstbesprechung mit den Rathauschefs am 19. Januar 1956.

Lienzinger Geschichte(n) heute zu einem leicht anrüchigen Thema: Müll. In Deutschland gilt es als nahezu selbstverständlich, dass Abfälle gesammelt und entsorgt werden. Diese Selbstverständlichkeit steht aber am Ende eines langen Entwicklungsprozesses der Abfallwirtschaft, der Abfalltechnik und des Abfallrechts in Deutschland, heißt es beim Umweltbundesamt. Lienzingen, das Dorf, eignet sich als Musterfall für das Stück: Von den Müllkippen bis zu den Deponien oder Von der Beseitigung zum Kreislauf. Ratsprotokolle und Akten der früher selbstständigen Gemeinde Lienzingen sind durchaus ergiebig. Der neue Beitrag zu meiner digitalen Serie.

 

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Kommunale kämpften für Tempo 15 auf der Ortsdurchfahrt und mit vergiftetem Hafer gegen Feldmäuse in den Kleeäckern

Gemeinderat Geissler erhielt 1931 einen wichtigen Posten in dem seinerzeitigen Bauerndorf - als Schweinezähler. So bunt, vielfältig, aber auch skurril waren Themen, über die in dem dicken Buch geschrieben steht und die die Lienzinger Gemeinderäte in den vermeintlich Goldenen Zwanzigern und zu Beginn der 19-dreißiger Jahren beschäftigte: Pumpen und Leitungen für die Wasserversorgung, die Zucht-Stiere, das Vergiften von Feldmäusen in den Kleeäckern - für eine Abwechslung, wenn auch keine gewollte, sorgte 1930 der Blitz, denn er schlug in den Dachreiter der in kommunalem Eigentum stehenden Frauenkirche ein. Ein besonders kritischer Punkt schafft es aber auch heute noch garantiert auf die Tagesordnungen in den Ratssälen - die Verkehrsbelastung, denn die Motorisierung blieb auf Wachstumskurs. Zudem begann zum Ende dieser demokratisch legitimierten Ratsarbeit eine Ära: Im Frühjahr 1933 pachtete der Mühlacker Fabrikant Friedrich Münch die Gemeindejagd - sie blieb bis 2018 in der Familie Münch.

Zehn Mitglieder zählte der Lienzinger Gemeinderat im Jahr 1925 – dem Jahr, als das neue Protokollbuch beschafft wurde, sechs Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs und der Ausrufung der deutschen Republik. Bis einschließlich 1943 – und damit vier Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges - finden sich darin alle Beschlüsse und Beratungen des Ortsparlaments der bis 1975 selbstständigen Kommune.  Immer eingetragen, fast durchweg handschriftlich, von einem Einzigen: Bürgermeister Karl Brodbeck. Als Element der Kontinuität bezeichnet ihn der Historiker Konrad Dussel (Ortsbuch Lienzingen, 2016. S. 172 f).

Handgeschrieben vom Schultes: Ratsprotokoll hier mit der Forderung nach Tempolimit 15 km/h auf der Ortsdurchfahrt
1925 bis 1943: Die Einträge des fleißigen Bürgermeisters, der nicht nur die Ratssitzungen und die Verwaltung leitete, sondern auch das Protokollbuch immer aktuell hielt (Foto: Sandra Schuster)

Was die Lienzinger damals beschäftigte, lässt sich noch heute nachlesen im Stadtarchiv Mühlacker (STAM, Li B 322). Denn die akribische Fleißarbeit des Mannes, der von 1920 bis 1945 Schultes war in dem Bauerndorf mit nicht einmal tausend Einwohnern, ist gleichzeitig Nachschlagewerk über die großen und kleinen Probleme, über den Alltag von Bauern, Händlern und Arbeitern in Krisen- und Kriegsjahren, aber auch freudiger Anlässe in dem zum Oberamt Maulbronn und von 1938 an zum Kreis Vaihingen gehörenden Gemeinwesen.

Immer wieder standen damals schon Verkehrsthemen auf der Tagesordnung. Kein Wunder, zweigeteilt durch die große Überlandverbindung von Stuttgart in die Rheinebene nach Speyer, der damaligen Reichs- und heutigen Bundesstraße 35, litt Lienzingen unter Lärm und Abgasen, zog aber auch wirtschaftliche Vorteile daraus...

Erst seit 1951/52 entlastet die Umgehungsstraße. Weil durch den Ort, am Adler-Eck (heute Bäckerei Schmid) und damit einem Unfallschwerpunkt vorbei, für jene Zeit viele Fahrzeuge über die gepflasterten Straßen donnerten, lohnten sich auch zwei Tankstellen, 1928 und 1929 montiert in der heutigen Friedensstraße, obwohl in Lienzingen nur zwei Kraftfahrzeuge amtlich gemeldet waren.

Lienzinger Geschichte(n) in Serie. Kurt Brodbeck, von 1920 bis 1945 Bürgermeister (zuvor in Schützingen). Zeitweise versah er den Chefposten im Lienzinger Rathaus mit dem in Zaisersweiher. Seine Ratsprotokolle als Tagebuch des Lebens in einem schwäbischen Dorf von 1925 bis 1943

Autos brauchen Sprit. Zwei erkannten darin eine Chanche auf zusätzliche Einnahmen. Beiden Anträgen stimmte der Gemeinderat zu: Den ersten reichte Albert Schnabel - Gemischtwarenhändler - für den Standort nahe Rathaus ein  (Hauptstraße 60, heute Friedenstraße 12), den zweiten dann für einen Platz vor dem jetzigen Anwesen Link, seinerzeit Lehr Witwe (Hauptstraße 111, jetzt Friedenstraße 26).

So steht im Protokoll der Ratssitzung vom 6. Juli 1929:

 Nr. 3 Friederike Lehr hier beabsichtigt durch die Deutsch=Amerikanische Petroleum Gesellschaft Mannheim auf ihrem Hofraum vor dem Geb. No. 7-111 eine Dapolin=Pumpanlage errichten zu lassen. Der Gemeinderat hat hiergegen nichts einzuwenden  (STAM, Li B 322, S. 170). (Dapolin war ein Kraftstoff).

Bürgermeister Karl Brodbeck, aufgenommen etwa 1934. Geboren 9. Juli 1886 in Vellberg, bei Schwäbisch Hall, gestorben 8. Juli 1967 in Lienzingen. Bürgermeister in Lienzingen 1922-1945. (Smlg. Kuno Brodbeck)

Doch die Lienzinger sahen ihre gute Verkehrsanbindung auch kritisch, weshalb sie Tempo 15 auf der Ortsdurchfahrt forderten und dies beim württembergischen Innenministerium  auch beantragten. Heutzutage dagegen wird das Tempolimit eher bei 30 Stundenkilometern gesehen. Die aktuelle Frage im Jahr 2022: Muss weiterhin nur auf einem Teilstück der Durchgangsstraßen Friedenstraße und Zaisersweiherstraße Tempo 30  eingehalten werden oder wird diese Geschwindigkeitsbremse auch für die restlichen Teile noch angeordnet, wie es im Lärmaktionsplan für die Stadt Mühlacker verlangt wird. Wie sich die Probleme ähneln, auch wenn rund 90 Jahre dazwischen liegen.

So heißt es im Protokoll der Ratssitzung vom 12. Februar 1929 (S. 150 f):

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Drei Händler und 50 Landwirte: Der Lienzinger Milchvertrag von 1929 - Geschichten rund ums Milchhäusle

Amtsbote Wilhelm Scheck und sein Kuh-Gespann. (Foto: Gerhard Schwab)

Immer die gleiche Zeremonie: Die Kunden reichten das Traggefäß über die Verkaufstheke, eine der Frauen enteilte und füllte es mit dem weißen nahrhaften Produkt der knapp 400 Lienzinger Kühe, kassierte. Der große, gekachelte Raum roch permanent nach Frische, temperaturmäßig kam es einem aber auch sehr frisch vor. Fließend kaltes Wasser, mit dem immer etwas gereinigt wurde, trug zu diesem subjektiven Gefühl bei. Das Milchhäusle in Lienzingen.

Die Zahl der Anlieferer blieb bis Anfang der 1960er Jahre weitgehend stabil mit knapp 80, die jährlich um die 393.000 Liter Milch anlieferten – also mehr als tausend Liter am Tag (Schmollinger, Reiner: Die Milchverwertungsgenossenschaft und das Milchhäusle, in: Dussel, Konrad; Ortsbuch Lienzingen, Verlag Regionalkultur, 2016, S. 185).


Lienzinger Geschichte(n) - heute ein weiterer Beitrag zu meiner Internetserie. Milchhäusle, Milchkannen, Milchbauern und der Mühlacker Boykott gegen Lienzinger Milch. In Akten und Ratsprotokollen der einst selbstständigen Gemeinde Lienzingen gestöbert.

Milchkännle und Milchhäusle gehörten zusammen, bilden noch in der Erinnerung von mehr als einer Generation Lienzinger eine feste Einheit. Auch meine Eltern schickten mich in den frühen Abendstunden mit dem Kännchen los, in dem Gebäude neben der Kelter zwei oder drei Liter frischer Milch zu erstehen. Wir wohnten seinerzeit in dem Fachwerkhaus der Familie Kontzi gleich unterhalb des Gasthauses zum Lamm (heute Knittlinger Straße 8-). Lediglich 200 bis 300 Meter bis zur Milchsammelstelle Lienzingen, aber trotz kurzer Wegstrecke eine Gelegenheit zum Trödeln. Die Gefahr, mit Inhaltsverlust heimzukommen, bestand maximal durch heftiges Schwingen mit der Milchkanne, die zum Glück von einem festsitzenden Deckel verschlossen war, der meist hielt. Doch es konnte passieren … Eine Gefahr drohte bei mir nicht: ein Schluck  (oder mehr) zu nehmen. Noch heute bin ich allergisch gegen Milch.

Lienzingen: Rechts Kelter und angebaute Turnhalle (1926-2015) links Milchhäusle, Zaisersweiherstrasse (Luftbild 1969 von ErichTschoepe, Bremerhaven, im Fundus STAM)

Mit meinen fünf oder acht Lebensjahren bewunderte ich die „älteren“ Dorfjugendlichen, die selbstbewusst und fröhlich auf dem Geländer an der Milchhäusle-Treppe saßen wie Vögel auf den Stromleitungen. Sie zwitscherten, brachten den neuesten Klatsch und Tratsch mit oder kommentierten Passanten. Es war während der Öffnungszeiten einer der beiden Treffpunkte der Dorfjugend, der andere lag ganz in der Nähe am Adler-Eck (damals Gasthaus zum Adler und Metzgerei, heute Bäckerei Schmid).

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Lienzinger Premiere anno 1928: Erste Tankstelle im Dorf, zweite folgte im Jahr drauf - Durchgangsverkehr brachte den Umsatz

Ein lang gesuchtes Foto, im Januar 2022 von Lore Rieger, Neuwiesenstraße, in ihrer Bildersammlung entdeckt. Aufgenommen 1930. Stolz auf die neue Technik im Dienste der Mobilität stehen um die Benzin-Nachfüll-Station Gottlob und Luise Common, die den Gemischtwarenladen und die Poststelle im rückwärtigen Gebäude betrieben unter der Adresse Hauptstraße 60, heute Friedenstraße 12. Es war die erste Tankstelle im Dorf, 1928 gebaut. 1929 entstand vor dem Hause Lehr, Hauptstraße 111 (heute Friedenstraße 26) eine zweite Zapfsäule, die der Milchhändlerin und Witwe Friederike Lehr gehörte, die im Haus dahinter lebte. (Smlg. Lore Rieger)

Zwei Tankstellen, und das bei zwei Kraftfahrzeugen im Ort? Kein Witz, keine Satire, sondern Realität.  Eine Milchhändlerin, die auch Benzin anbietet. Was wie diese Kombination skurril wirkt, gehört zu einer Momentaufnahme von Lienzingen anno 1937. Und ist ein Stück weitgehend unbekannter Ortsgeschichte: Das landwirtschaftlich geprägte 700-Einwohner-Dorf, die Motorisierungswelle und ihre Auswirkungen im Alltag. Antworten auf Fragen nach diesen ungewöhnlichen Folgen finden sich in einem Aktenbündel im Staatsarchiv Ludwigsburg, das Überraschendes zutage fördert. Ein halbes Jahrhundert lokaler Historie, dokumentiert durch Anträge auf Genehmigung von Zapfsäulen, Pläne, Schriftwechsel zwischen Mineralölkonzernen, Gemeinde, Oberamt und Behörden, alles beginnend 1926. Eher durch Zufall entdeckt – bei meiner Online-Suche auf der Webseite des Landesarchivs Baden-Württemberg (StAL FL 20--18_Bü 214).


Lienzinger Geschichte(n) – die Fortsetzung mit einem weitgehend unbekannten Kapitel: Das Dorf und seine Tankstellen. Folgen der Motorisierung - Erfolgreich im Fundus des Staatsarchivs Ludwigsburg und im Stadtarchiv Mühlacker gestöbert.

Das Oberamt Maulbronn genehmigte 1926 die Aufstellung eines Benzin-Fasses im Hause von Emil Ölschläger, Fahrradhändler in Lienzingen (wenn nichts anderes vermerkt: Repro aus dem Fundus des Staatsarchivs Ludwigsburg, Signatur StAL FL 20--18_Bü 214).

Genau genommen begann das Kapitel vom Bauerndorf und dem Kraftstoff schon am 17. Juli 1926 – mit einem Benzinfass. Ein Sekretär des württembergischen Oberamtes Maulbronn legte eine neue Akte an unter der Nummer 3999/1. Benzinlagerung bei Emil Oelschläger, Lienzingen, stand auf dem Deckblatt. Der Fahrradhändler Oelschläger hatte am 17. Juni 1926 im Rathaus den Wunsch vorgebracht, ein Fass mit 190 bis 200 Liter Benzin der Marke Strax von Olex aufstellen zu dürfen. Aber offensichtlich nicht für eine Tankstelle, sondern als Betriebsstoff für das eigene Geschäft im Haus seiner Mutter (heute Schützinger Straße/Ecke Zaisersweiherstraße).

Das Schultheißenamt reichte den Antrag an das Oberamt weiter, das wiederum Oberamtsbaumeister Aeckerle in Mühlacker um eine Stellungnahme bat. Bereits einen Monat später traf bei dem Antragsteller via Gemeinde nicht nur ein Merkblatt ein mit der Überschrift Vorschriften betreffend Lagerung von Benzinmengen unter 600 Kilogramm, sondern auch die Erlaubnis zur Lagerung von 200 Liter Benzin-Betriebsstoff. Laut Punkt 8 durften in Wohnräumen, Küchen und den anschließenden Vorratsräumen, Geschäftsräumen und Werkstätten nicht mehr als 2 kg in dichten Gefäßen aufbewahrt werden.

Im Jahr 1928 erlebte Lienzingen eine Premiere: die erste Zapfsäule, ein Jahr später die zweite, beide an der damaligen Hauptstraße, Nummer 16 und 111 (heute Friedensstraße 12 und 26). Pläne, diese zweite Anlage 1937/38 zu erweitern, scheiterten am Nein des Generalinspekteurs für das deutsche Straßenwesen. Die beiden Sprit-Ladestationen überdauerten das Kriegsende von 1945 nicht.  In den Akten finden sich keine Hinweise darauf, wann genau der letzte Liter Benzin verkauft wurde. Nach einer längeren Pause in den ersten Nachkriegsjahren folgte das zweite Kapital: 1959 an der Zaisersweiherstraße. Es endete 1980. Pläne, an der Bundesstraße 35 eine Tankstelle einzurichten, scheiterten. Nach 52 Jahren war alles vorbei. Das Dorf hatte endgültig keine Zapfstelle mehr. Was blieb, sind Akten im Staatsarchiv Ludwigsburg, teilweise auch im Stadtarchiv Mühlacker

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Zuerst abrechnen, dann Antrag stellen: Zweites Sanierungsgebiet für den historischen Ortskern

Auch ein Vorzeigeprojekt des auslaufenden Sanierungsprogrammes für den Ortskern Lienzingen: Kelter saniert, Vorplatz und damit Treffpunkt geschaffen. (Foto: G. Bächle)

Bevor ein neues und damit zweites Sanierungsgebiet für den historischen Ortskern von Lienzingen genehmigt wird, muss zuerst das bisherige abgerechnet werden, so Regierungspräsidentin Sylvia M. Felder auf meine Nachfrage als Vorsitzender der CDU-Fraktion im Mühlacker Gemeinderat. Ein nahtloser Übergang von einem zum anderen Sanierungsprogramm noch 2022 sei fraglich, so die Chefin der staatlichen Mittelbehörde. Das bisherige Gebiet soll bis April 2022 abgerechnet sein. Ich hatte die Möglichkeit der Überlappung ventiliert, freue mich jedenfalls über das von Felder bekräftigte klare Signale aus dem Karlsruher Regierungspräsidium für ein neues Sanierungsgebiet, auch wenn nicht überlappt wird.

Regierungspräsidentin Sylvia M. Felder antwortet zum Sanierungsgebiet Lienzingen

Die Städtebauförderung unterliege wie alle Förderungen bestimmten Regeln. Die jährliche Programmausschreibung durch das Ministerium enthalte Vorgaben für die antragstellenden Kommunen, die auch Geltung für die Bewilligungsstellen hätten, wozu ihre Behörde zähle, so die Präsidentin. Sie zitiert dabei aus den Richtlinien, wonach Gebietsteile, die bereits Gegenstand eines Sanierungsverfahrens gewesen seien, nur dann in ein neues Sanierungsgebiet einbezogen werden könnten, wenn die alte Maßnahme vorher mit Schlussbescheid abgerechnet und die frühere Sanierungssatzung aufgehoben worden sei, aber weiterhin städtebauliche Missstände vorliegen. Maßgeblich für ein neues Sanierungsgebiet sei zunächst das Vorliegen städtebaulicher Missstände, welche auch bei einem Etterdorf vorhanden sein müssten.

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Wir in Lienzingen - Flyer zu schade, um ihn nur einmal durchzublättern

Flyer-Präsentation: Oberbürgermeister Frank Schneider sowie von der Herzenssache Günter Poetsch, Günter Bächle und Reiner Schmollinger (von links): Foto: Irene Schmollinger

Unser Dorf auf 75 Seiten. Handlich, informativ, übersichtlich, aber auch länglich, praktisch, gut: Wir in Lienzingen. Das bunte Heft ist das jüngste, nach nun drei Jahren abgeschlossene Projekt von Herzenssache Lienzingen, einer losen Gruppe, entstanden aus der Zukunftswerkstätte der Stadt Mühlacker. Corona sorgte für immer neue Verzögerungen. Doch jetzt ist auch der Lockdown überstanden.

Herzenssache - das etwas andere Beispiel bürgerschaftlichen Engagements, kein Verein, ganz ohne Vorstand, Mitgliedsbeiträge, Satzung, Jahreshauptversammlung. Wer will, kann sich für ein einzelnes Vorhaben engagieren und, wenn dieses abgeschlossen ist, auf ein neues warten, das ihn/sie begeistert, aber auch aussetzen, wenn es gerade nicht passt. Bestes und gelungenes Beispiel: Die Organisation des 1250-Jahr-Jubiläums von Lienzingen im Jahr 2016. Und an das Heft mit dem Jubiläumsprogramm sowie an das mit dem Titel Auf Lienzinger Wegen mit den 2019 präsentierten drei Lienzinger Wanderwegen erinnert auch das neue Produkt, wieder hergestellt von der Mühlacker Druckerei Elser und gestaltet von der Designerin Simone Jensen.

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