Aufschwung am Eichelberg: Wie die Wengerter und der Schultes den Weinbau retteten - Der rote Lienzinger aus Diefenbach
Ist und Soll klafften weit auseinander. War er nun bedeutend oder ohne jegliches Gewicht, der Weinbau in Lienzingen? Nur noch wenige betreiben intensiven Weinbau, viele Grundstücke lägen brach, würden als Wiese genutzt oder als Baumstück. Der Ertrag hieraus sei meist gering. Die Bestandsaufnahme im Lienzinger Gemeinderat am 13. April 1954 fiel wirklich nicht ermutigend aus. Doch den Weinbau abzuschreiben, das wollten die sieben anwesenden Ratsmitglieder und Bürgermeister Richard Allmendinger nicht. Das Zauberwort hieß Rebenaufbauplan, der im Januar 1956 endlich vorlag. Seitdem wuchs nicht nur die Zahl der Wengerter und die der Rebflächen, sondern auch die Qualität des Rebensaftes von den Südhängen des Eichelbergs. Doch der Weg dahin war steinig.
Lienzinger Geschichte(n) – Neue werden hier erzählt. Über den Weinbau im Dorf, einen Rebenaufbauplan und einen Bürgermeister, der den Rebenanbau aus Gründen der kommunalen Steuereinnahmen forcierte. Quellen sind wiederum die Protokolle des Rates der bis 5. Juli 1975 selbstständigen Gemeinde sowie aus Akten und amtlichen Berichten. Aus all den Daten lässt sich auch eine Bild des Lienzingens von vor mehr als 65 Jahren gewinnen.
Am Anfang stand eine Bekanntmachung: Auf Grund höherer Weisung wird bekanntgegeben, dass jedes beabsichtigte Aushauen von Rebstöcken in reblausverseuchten Gemeinden vor Beginn der Ausführung dem Bürgermeisteramt anzuzeigen ist. Näheres ist am Rathaus angeschlagen. Lienzingen, den 15.11.1949. Allmendinger.
Lienzingens Weinberge jedenfalls litten unter dem Angriff einer Reblausherde im Jahr 1951 so sehr, dass der Oberleiter des Staatlichen Reblausbekämpfungsdienstes in Weinsberg, Raab, am 16. Juni 1952 in einem Brief per Einschreiben dem Bürgermeisteramt zwei Gutscheine für den kostenlosen Bezug von Pfropfreben zusandte, auszuteilen an die Bezugsberechtigten gegen Empfangsbescheinigung (STAM, Li A 134).
Die Kommune wickelte allgemein die Bestellung von Reben ab. So orderte der Schultes am 13. Februar 1950 bei Diplom-Landwirt K. Gemmrich in Pleidelsheim Pfropfreben der verschiedenen Sorten: 250 Stück Trollinger, 160 Limberger, 75 Schwarzriesling, 355 Portugieser, 50 Weißriesling, 40 Sylvaner grün, 25 Müller-Thurgau und zehn Stück Gutedel rot. Allein aus dieser Liste ergibt sich, welche Sorten die Viertelesschlotzer vor 70 Jahren liebten. Die kommunale Sammelbestellung blieb die Praxis über Jahre. So finden sich im Fundus des Stadtarchivs Mühlacker (STAM, Li A 134) auch fünf Anträge auf Beihilfen für Neuanpflanzungen, die der Bürgermeister im Frühjahr 1957 ans Regierungspräsidium Nordwürttemberg schickte.
Jedenfalls schlug der Schultes in jener denkwürdigen Sitzung vom 13. April 1954 vor, trotzdem ein Weinbaugebiet festzulegen. Aber aus höchst eigennützigen Gründen der Kommune. Weil auf Baumstücke oder Wiesen weniger Grundsteuer bezahlt werden musste als auf mit Reben bestockten Flächen, ließen sich die Stücklesbesitzer jedes Jahr im Rathaus bescheinigen, dass sie in den Weinbergen keine Reben angebaut haben. Allmendinger sah die Folgen ausschließlich monetär. Die Kommune kassiere dadurch weniger Grundsteuer, ihre Steuerkraft sinke somit. In einem Jahr gab die Gemeinde mehr Geld für die Weinberghut aus als sie aus demselben Gebiet Grundsteuer kassierte, beklagte der Bürgermeister. Zudem ist die Unterhaltung von Weinbergwegen kostspieliger als von Feldwegen in der Ebene.
Sperrig der Tagesordnungspunkt Nummer 2 der Gemeinderatssitzung vom 24. März 1955: Aufstellung eines Rebenaufbauplanes – Beihilfe für die Umstellung im Weinbau auf reblauswiderstandsfähige Pfropfreben. Ufff! Das Thema hatte es in sich, zumindest worttechnisch. Aber auch inhaltlich. Alle Gemeinden mit Weinbau seien über die vom Regierungspräsidium Nordwürttemberg aufgestellten Richtlinien informiert worden, steht in der Niederschrift über die Beratungen. Der Staat lockte mit Zuschüssen, verlangte aber zunächst einen Plan: Mit einer Bestandsaufnahme der allgemeinen Verhältnisse des Weinbauortes, einem Konzept zur Erleichterung der Bewirtschaftung, um Menge und Güte zu steigern und die Kosten zu senken. Das Land gab eines vor: Von 1955 an bezahle es nur noch Beihilfen für Pfropfreben, die im Rebenaufbauplan abgesichert sein müssten.
Allerdings waren sich die Gemeinderäte unsicher, ob ausreichend Interesse in Lienzingen bestehe, denn der Rebenanbau habe an Bedeutung in der Kommune verloren. Wegen dieser vielseitigen Vorschriften dürfte es nach Meinung der Ratsmitglieder schwierig werden, mit dem Anliegen durchzudringen – zumal die im Ertrag stehende Rebfläche im Verhältnis zum ganzen Weinbaugebiete gering sei. Damit war wohl nicht das Anbaugebiet Württemberg gemeint, sondern das ganze Areal von Eichelberg & Co.
Eine geringe Zahl Grundeigentümer betreibe intensiv Weinbau, doch meist nur für den eigenen Bedarf. Für die wenigen Wengerter solle allerdings erreicht werden, dass sie im Bedarfsfall in den Genuss der Beihilfe gelangen können. Um Klarheit über das Interesse zu erhalten, beschloss das Gremium, zu einer Bürgerversammlung einzuladen. Nicht allein jene mit Weinbergen, sondern alle Grundstückseigentümer im gesamten Anbaugebiet sollten dabei ihre Meinung sagen. Die Ratsentscheidung erfolge nicht ohne vorherige Anhörung der maßgeblichen Kreise, formulierte der Bürgermeister in der Niederschrift über die Sitzung (STAM, Li B 325, S. 14 f). Und schrieb dies einen Tag danach der Abteilung III B – Landwirtschaft – des Regierungspräsidiums Nordwürttemberg in Stuttgart in einem Zehn-Zeiler: Über die Notwendigkeit der Aufstellung eines Rebenaufbauplanes (…) besteht hier eine starke Meinungsverschiedenheit. Vorsorglich meldete er die Aufstellung eines solchen Planes an. Er werde bald wieder berichten.
Weingärtnerversammlung einstimmig für Rebenaufbauplan
Leider war die Beteiligung nicht gerade rege, stand in der Lokalpresse über die Weingärtnerversammlung zu lesen. Genau 27 hörten sich am 21. April 1955 im Rathaussaal Weinbauberater Schumacher an, der vehement für einen solchen Plan warb. Ein Blick in dieTeilnehmerliste zeigt: Die meisten waren zwar Landwirte, aber auch Arbeiter und Angestellte fanden Gefallen am Weinbau – alle plädierten für einen Rebenaufbauplan. Die Runde bestimmte eine achtköpfige Kommission, die die Vorarbeiten übernahm, sobald die Aufbaukarte vom Katasteramt vorlag. Erstmals am 30. September 1955 tagte das Gremium abends 8 Uhr im Rathaus.
Die Weingärtner sahen die Chance der Südlage pur. Sie wollten den Aufbauplan, und zwar einstimmig, weshalb der Ratsbeschluss am 6. Mai 1955 dafür nur noch Formsache war. Sieben Monate später, am 10. Januar 1956, beschäftigte sich das Ortsparlament erneut mit dem Rebenanbau. Denn der Gemeinderat hatte die besonders bevorzugten Weinberglagen zu benennen - ein Vorschlag gehörte zum Entwurf des Aufbauplanes, dem die Ratsmitglieder auch zustimmten, freilich findet sich im Ratsprotokoll kein Hinweis auf die auserkorenen Flächen. Der ist jedoch den umfangreichen Akten zu entnehmen: Der Eichelberg, Kerngebiet der Rebenanbauflächen, erhielt diesen Status.
Mit einer Bestandsaufnahme – interessante Daten zum Lienzingen des Jahres 1955 – hatte alles begonnen. An jenem 10. Januar 1956 lag der Umstellungsplan auf dem Ratstisch: Bestehend aus zehn Teilen. Herzstück: die Karten mit Grenzen, Eigentümernamen, Sorten grob und en Detail. Lienzingens Lagen: Neben dem Eichelberg noch der Hamberg mehr nördlich, das Gebiet Bei der Kelter am südwestlichen unteren Ausläufer des Hangs (nahe der jetzigen Steinhütte) und der Riegen am südöstlichen Ende. Extra ausgewiesen in den Karten ist – mit grüner Linie – der Eichelberg als besonders bevorzugte Lage sowie - mit braunem Rand - die frostgefährdeten Bereiche. Brikett- und Ölöfen werden ausdrücklich genannt für den Einsatz in Frostnächten zur Abwehr der Minus-Grade (STAM, Li A 990).
Differenzen zwischen den Plänen von Lienzingen und Zaisersweiher
Weinbau, das ist ein regulierter Sektor. Schon damals. Fast ein halbes Jahr später meldete sich das Regierungspräsidium Nordwürttemberg – Aktenzeichen III B 7-2473/5564 – beim Bürgermeisteramt, denn das Landwirtschaftsamt Ludwigsburg hatte entdeckt, dass die Rebenaufbaupläne von Lienzingen und Zaisersweiher bei Abgrenzung und Sortenplan voneinander abwichen. Die Korrektur brauchte bis März 1959. Ein Teil der Grundstücke am Bergfuß in den Gewannen Rümelin und Hinter Riegen, wurden als Rebgelände gestrichen, die Grenze zwischen Hamberg und Eichelberg leicht verschoben, für die Gewanne Bei der Kelter sowie Vorderer Riegen und Hinterer Riegen neue Sortenpläne aufgestellt. Auf Antrag der Wengerter durfte nun auf den, für späte rote Sorten reservierten Abschnitten auch der weiße Riesling angebaut werden. Eine weiteren Änderung 1964 – seither hat auch der Helfensteiner den Segen des Regierungspräsidiums nach einem Antrag, den der Gemeinderat am 21. Februar 1964 beschlossen hatte (STAM, Li B 326, S. 250).
Alle Theorie wird von Mal zu Mal konkreter. Der Zustand einiger Wege sei sehr schlecht, weshalb die Bürgervertreter eine Dringlichkeitsliste verabschiedeten. Die drei Hauptstrecken, weil am stärksten befahren, sollten als erste hergerichtet werden: Von der alten Kelter bis zum Hambergerweg, vom Hinteren Riegen bis zum Weg Nummer 42, zudem der Weg Nummer 45 durchgehend bis zum Hambergerweg (STAM, Li B 325, S. 66).
Gutnachbarschaftliche Verhältnis nicht trüben wegen 1000 Mark
Erneut über die Weinberge und ihre Wege debattierte der Gemeinderat am 10. Juli 1959. Denn die Nachbarkommune Zaisersweiher brachte Lienzingen in Zugzwang. Sie wollte den oberen Weinbergweg ausbauen. Dort, auf dem Kamm des Eichelbergs, ist nicht nur der höchst gelegene Punkt von Lienzingen mit rund 367 Metern über Meereshöhe, dort verläuft die Markungsgrenze zwischen beiden Gemeinden. Die oberen Lagen, wiewohl zu Lienzingen gehörend, wurden und werden überwiegend von Wengertern aus Zaisersweiher bewirtschaftet. Damit wog das Interesse an einer ordentlichen Zufahrt in Zaisersweiher schwerer als in Lienzingen. Der Nachbar wollte 1000 Mark Zuschuss. Das Motto im Rat fiel typisch für die Lienzinger Ortspolitiker aus: Mir gäbet nix, wenn es aber sein muss, bezahlen wir des guten Willens wegen doch. So sei im Haushaltsplan 1960 ein angemessener Beitrag in Aussicht zu stellen, lautete der Beschluss.
Im Protokoll der Sitzung heißt es zu dem Ansuchen auch, Lienzingen habe in seinem Weinbaugebiet mindestens so schlechte Fahrwege, die aber in absehbarer Zeit nicht ausgebaut werden könnten. Denn der Kommune stünden große Aufgaben bevor wie der Bau von Straßen, Schule, Kindergarten und Kanalisation, so dass sie im Augenblick keinen Beitrag für die von Zaisersweiher geplanten Instandsetzungsarbeiten aufbringen könne. Doch wolle man das gutnachbarschaftliche Verhältnis nicht trüben, komme der Bitte somit nach, obwohl Lienzingen erst vor kurzem für den Ausbau dieses Weges 200 Mark aufgebracht habe (STAM, Li B 325, S. 277).
Ganz nach Allmendingers Geschmack fiel aus, was elf Wochen später den Lienzinger Gemeinderat beschäftigte. Inzwischen war bekannt geworden, dass die Nachbarkommune Zaisersweiher alle Eigentümer, die vom Ausbau des oberen Weinbergweges profitierten, mit einer Mark je Ar ihres Grundstücks zur Kasse bittet. Diesem Beispiel zu folgen, ließ sich der Lienzinger Bürgermeister nicht zweimal sagen. Die Lienzinger Weingärtner sollten dem Beispiel folgen. Also beschloss der Gemeinderat am 25. September 1959, den Schultes mit der Durchführung der Sammlung zu ermächtigen. Das Ergebnis in Mark sollte an die Nachbargemeinde überwiesen werden (STAM, Li B 325, S. 293).
Angemessene Rendite lässt sich jedoch damit für die Gemeinde nicht erreichen
Kostendeckungsgrad – ein Dauerthema kommunaler Gremien zu allen Zeiten. Heutzutage immer noch, genauso wie beispielsweise an jenem 1. Dezember 1961, als neun Ratsmitglieder und der Bürgermeister die Einnahmen- und Ausgabenrechnung des Kelterbetriebes unter die Lupe nahmen. Die Einnahmen aus Gebühren von 1800 Mark reichten nicht aus, um die Betriebskosten voll abzudecken, rechnete Allmendinger vor. Um wenigstens die Selbstkosten zu erwirtschaften, beantragte er, die Tarife um zehn bis 15 Prozent anzuheben. Eine angemessene Rendite lasse sich jedoch damit nicht erreichen.
Der Gemeinderat folgte dem Schultes mit seiner neuen Preisliste, die heutzutage einem Schnäppchen-Angebot gleichkäme: ein Zentner mahlen fünfzig Pfennige, die Benutzung der älteren hydraulischen Presse bei Most 2,50 Mark, bei Trauben das Doppelte, Mahlen und Pressen an der neuen Packpresse pro Zentner 1,20 Mark, das Pressen von Wein auf der neuen Packpresse pro Packung drei Euro sowie die Verwertung von Weintrester zu Most pro Packung 2,50 Mark. Die beiden Keltermeister durften 35 Prozent der Roheinnahmen als Belohnung behalten (STAM, Li B 326, S. 117).
Bis der Ausbau des Mittleren Weinbergweges tatsächlich in Angriff genommen wurde, zogen fast zehn Jahre übers Land. Ende Mai 1964 gab es einen Lokaltermin, erneut mit Räten und Bürgermeister. Doch dann hieß es wieder: Warten! Bei ihrer Begehung im Mai sagen die Bürgervertreter, zuerst müssten Anliegern Auflagen erteilt und von ihnen umgesetzt werden. Das sei die Voraussetzung für die Investition der Kommune, hieß es bei der Ratssitzung am 21. August 1964. Über Details der Auflagen ist dem Protokoll nichts zu entnehmen, allerdings sprach das Ortsoberhaupt von Pflichten der Anlieger (STAM, Li B 326, S. 284).
Bei einem weiteren Treffen in den Weinbergen – am 18. März 1965 – gab es eine große Runde, die das Rebgelände in Augenschein nahm: allerhand Behördenvertreter, die Bürgermeister von Lienzingen und Zaisersweiher, einige Weinbauern. Dabei kündigten Vertreter des Flurbereinigungsamtes Besigheim an, staatliche Gelder aus dem Grünen Plan flössen nur dann für den Ausbau des Mittleren Weinbergweges, wenn eine Rebflurbereinigung erfolge. Das Gelände sei topographisch sehr gut für eine Umstellung geeignet, gab das Flurbereinigungsamt Besigheim in einem Brief vom 2. April 1965 der Kommune schriftlich STAM, Li A 1009). Allmendinger berichtete in der Zusammenkunft des Gemeinderats am 23. April 1965 über die Gründe des Neins - die Traubenernte würde fünf Jahre lang ausfallen. Die Wengerter hätten also zunächst nichts im Fass, also Durststrecke, dabei produzierten sie nur für den eigenen Bedarf (STAM, Li B 327, S. 17).
Überhaupt verstärkte das Land den Druck auf Kommunen und Wengerter, damit Rebfluren neu zugeschnitten werden. So kündigte das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Weinbau und Forsten in seinen Erlässen vom 12. Mai und 16. Oktober 1964 an, vom 1. Januar 1965 an die finanziellen Hilfen bei der Umstellung auf Pfropfreben für einzelne Maßnahmen einzuschränken, wenn keine Rebflurbereinigung erfolge – die Bürgermeister im Kreis Vaihingen erfuhren dies durch ein Rundschreiben des Landwirtschaftsamtes Ludwigsburg vom 26. Januar 1965.
Schon im Jahr zuvor legte das Ortsparlament fest, den mittleren Weg dann in eigener Regie auszubauen. Allerdings mache dies nur Sinn, wenn der Weg eine Breite für zwei Fahrspuren erhalte. Das setze jedoch die Errichtung von Stützmauern voraus, legte sich das Gremium am 19. Juni 1964 fest. Die oberen Anlieger müssten einen halben Meter abtreten für eine durchgängige Betonmauer, wiederum die Kommune übernehme 75 Prozent der Kosten der Mauern. Trotzdem gebe es hartnäckige Anlieger, die den Bau ablehnten, so der Bürgermeister (STAM, Li B 326, S. 276).
Modell Stuttgarter Stutzmauern vom Ingenieur empfohlen
Das Projekt schob sich und schob sich. Gut ein Jahr vor der Zwangseingemeindung nach Mühlacker erfüllten sich doch noch die Wünsche – als Teil einer Paketlösung. 1974 wurde es ernst. Der Enzberger Bauingenieur Bernhard Erlenmaier legte die bei ihm von der Kommune bestellte Kostenrechnung am 5. April 1974 vor. Für insgesamt 570.000 Mark sollten verschiedene Strecken ausgebaut werden: der Feldlesweg - von der Bundesstraße 35 bis zum Waldrand – und der Scherbentalweg vom Ortsende bis zum Riegenwald. Dazu noch das Schützinger Sträßle von der alten Steige bis zur Wasenwaldecke, der Riegenwaldweg von der Zaisersweiherstraße her, schließlich auch der mittlere Weinbergweg. Ohne Stützmauern würde Letzterer sehr schmal ausfallen, sagte Erlenmaier. An Engpässen seien unbedingt Stützmauern notwendig. Er regte an, die Wengerter zu animieren, selbst Stützmauern zu erstellen oder durch die Gemeinde auf ihre Kosten hochziehen zu lassen. Sein Vorschlag: das Modell Stuttgarter Stützmauern, wobei sich dem Leser der Aufzeichnungen nicht weiter erschließt, worin sich dieser Stützmauer-Typ von anderen unterschied.
Jedenfalls stellte der Gemeinderat das Licht auf Grün: Erlenmaier durfte die Bauarbeiten für sämtliche der genannten Feldwege ausschreiben Der Auftrag für den mittleren Weinbergweg gab Erlenmaier im April 1975 frei - rund drei Monate vor dem Verlust der kommunalen Selbstständigkeit (STAM, Li B 328, S. 288). Für den Bürgermeister hatte dies noch ein Nachspiel, denn er musste bei der Kommunalaufsicht des Landratsamtes Enzkreis in Pforzheim vorreiten, da er diese für Lienzinger Verhältnisse gewaltige Ausgabe unterschrieben hatte, ohne sich mit der Stadt Mühlacker vorher abzustimmen, was er angesichts der drohenden Eingemeindung hätte machen müssen. Er nahm die Einbestellung in die Kreisverwaltung wohl eher gelassen hin, berichtete der damalige Fronmeister Dieter Straub, der seinen Chef nach Pforzheim gefahren hatte und dort auf ihn wartete, bis dem Schultes amtlicherseits die Leviten gelesen worden waren. Wenn ich nicht mehr kommen, haben sie mich eingesperrt, meinte der Bürgermeister mit einem Augenzwinkern (Gespräch mit dem Autor am 24. Juni 2021).
Das großangelegte Programm von 1974 für den Feldwegausbau stand schon im Schatten der befürchteten Eingemeindung. Die inzwischen gut situierte Kommune Lienzingen wollte nicht ihre dicken Sparbücher nach Mühlacker mitbringen müssen, sondern möglichst Schulden. Für den Weinbau in Lienzingen hatte so gesehen die Verwaltungsreform einen Vorteil.
Immer wieder ein Thema: der Ausbau des oberen Weinbergweges. Daran hatte auch die Nachbargemeinde Zaisersweiher ein großes Interesse. Im Juli 1962 ließ die Gemeinde den Weg planieren. In einer Bekanntmachung, die vom Amtsboten Wilhelm Scheck beim Rundgang durch den Flecken ausgerufen und dann am Rathaus aufgehängt wurde, schrieb Bürgermeister Allmendinger, ein Ausbau sei nicht geplant, weil die Kommune keine Gelder aus dem Grünen Plan erhalte und sie selbst die Kosten nicht tragen könne. Deshalb solle der Weg nur bei trockenem Wetter befahren werden (STAM, Li A 1009. In einer Sitzung am 13. September 1963 stimmte die Bürgervertretung dem Antrag des Schultes zu, soweit erforderlich an der oberen Grenze eine durchgängige Betonmauer zu errichten (STAM, Li B 325, S. 224).
Rund vier Monate vor der Eingemeindung stand die Vergabe der Ausbauarbeiten am oberen Weg auf der Tagesordnung des Gemeinderats (21. März 1975, STAM Li B 327, S. 347 f). Dieser Feldweg - auch mit der Nummer 47 - war von Erlenmaier ausgeschrieben worden. Acht Angebote lagen bei der Ratssitzung auf dem Tisch, die zwischen 186.000 und 216.000 Mark schwankten. Doch der Gemeinderat hatte mit maximal 150.000 Mark gerechnet. Nach kontroverser Diskussion beschloss das Gremium, den Auftrag an die Gebrüder Ezel in Vaihingen unter der Auflage zu vergeben, dass das vom Rat gesetzte Limit nicht wesentlich überschritten werde. Die Breite: 3,10 Meter. Das erforderte, dass einige Anlieger ihre Weinberghäuschen vom Weg abrücken.
Wenn diese Maßnahme von der Gemeinde durchgeführt werden kann, hat der Eichelberg nicht nur ein grundlegend erneuertes Wegenetz für den Neubau, sondern auch in dieser schönen Südlage für die zahlreich anzutreffenden Wanderer und Spaziergänger auch bei schlechtem Wetter einige Kilometer gute Weg, berichtete das Mühlacker Tagblatt (STAM, Li A 1009).
Doch immer wieder blitzten Konflikte auf. Die Ratsmitglieder warfen ihrem Zaisersweiher Kollegen Frick vor, bis zur letzten Stunde den Ausbau des oberen Weinbergweges verhindern zu wollen, weil er für das Gebiet eine Rebflurbereinigung anstrebe, damit aber von zahlreichen Zaisersweiher Wengertern nicht unterstützt werde. Schon im Juni 1971 beklagte sich der Zaisersweiher Bürgermeister Walter Barth in einem Schreiben an seinen Kollegen Allmendinger über eine Politik des zweierlei Maß: Nur jene Wege würden auf der Lienzinger Markung ausgebaut, an die Grundstücke der Lienzinger Weinbauern angrenzen. Den Vorwurf wollte Allmendinger nicht auf seinem Gemeinderat sitzen lassen. Drei Tage später antwortete er mit einem Vorwurf: Ein Zaisersweiher Bürger weigere sich wiederholt, den auf seinem Grundstück stehenden Birnbaum am mittleren Weinbergweg zu entfernen, obwohl dieser den Wegebau behindere (STAM, Li A 986).
Lienzingen hatte nie eine Weinbaugenossenschaft, stand damit nicht allein. Einen genossenschaftlichen Zusammenschluss der Weingärtner im Kreis Vaihingen sollte am Himmelfahrtstag 1950 im Gasthof Klosterpost in Maulbronn besprochen werden. Eingeladen hatte der Württembergische Landesverband landwirtschaftlicher Genossenschaften – Raiffeisen – in Stuttgart. Doch der Versuch verpuffte genauso wie das Bemühen, in örtlichen Versammlungen dafür zu werben. Die Lienzinger Wengerter waren auf den 25. Mai 1950 in den Ratssaal eingeladen worden (STAM, Li A 133).
Eine Augenblicksaufnahme vom Weinbau am Eichelberg im Jahr 1967 erlaubt die von der Kommune ausgestellte Abrechnung über die Abgabe zum Stabilisierungsfonds, einer Anstalt des öffentlichen Rechts in Mainz. Für 19,94 Hektar Weinbaufläche überwies die Gemeinde für 91 Abgabepflichtige 503 Mark und 70 Pfennige. Angefügt war eine Liste der Neuanpflanzungen und Rodungen. Auf 25 Ar brachten die Wengerter Setzlinge in den Boden: Kerner, Trollinger, Lemberger, Helfensteiner, Sylvaner, Herold. Demgegenüber fielen auf 15 Ar Trollinger, Lemberger, Müller-Thurgau, Silvaner und Portugieser der Hacke zum Opfer (STAM, Li A 991).
Weinbau und Statistik gehören im Land zusammen. So meldeten örtliche Berichterstatter den jeweiligen Wachstumsstand an das Statistische Landesamt in Stuttgart. Doch am 14. Juli 1953 ließ der Bürgermeister das Stala wissen, der bisherige Berichterstatter aus Lienzingen lehne eine weitere Mitarbeit ab. Er selbst, Allmendinger, sei nicht in der Lage, auch noch diese Aufgabe zu übernehmen, was ihm einen Rüffel der Behörde einbrachte. In einem Schreiben ans Landratsamt Vaihingen forderten die Statistiker am 23. Juli 1953, den renitenten Schultes dazu zu bringen, eine geeignete und für die Übernahme des Ehrenamtes bereite Persönlichkeit ausfindig zu machen. In jedem modernen Staat sei die Statistik nicht zu entbehren, eine Statistik über Wachstumstand und Ernte bei Reben bestehe schon seit mehr als hundert Jahren (STAM, Li A 133).
Überhaupt: Allmendinger pflegte einem Streit nicht aus dem Weg zu gehen. Dazu ein Beispiel beim Ausbau des unteren Weinbergweges: Der Schadensfall Wilhelm Wolf, Wagner, hier, Birnbaum durch Fahrzeug vernichtet – so meldete der Bürgermeister am 11. Oktober 1966 der Kreisobstbaustelle beim Landratsamt Vaihingen. Es geschah am 23. September 1966. Der Wagen einer Baufirma rutschte ab, beschädigte den Baum, worauf der Chef der Firma ihn entfernte. Wolf hing sehr an diesem Birnbaum, schrieb wenige Tage später der Mühlacker Rechtsanwalt Dr. Erhard Morgenstern dem Schultes, zumal er diesen Obstbaum vor einigen Jahren veredelt und heuer nun ein bis eineinhalb Zentner Früchte erwartet habe.
Dem Bürgermeister war klar, dass Schadensersatz fällig war, und er stellte sich auch nicht strittig. Aber ihn ärgerte mächtig, dass Wolf nicht ins Rathaus kam, um die Modalitäten zu besprechen, sondern gleich zum Anwalt ging, weil Allmendinger den Rentenantrag von Wolf überaus lange habe liegen lassen, was dieser bestritt. Ich finde es wirklich töricht, wenn ein Mensch wegen einer so geringfügigen Sache zum Rechtsanwalt geht, schrieb der Verwaltungschef dem Anwalt, der daraufhin antwortete: Ihnen, sehr geehrter Bürgermeister, steht eine Kritik nicht zu.
Niemand hätte in den fünfzigert und sechziger Jahre daran gedacht, dass Lienzingen einmal an an einer Württemberger Weinstraße liegen wird. Und an der Weinstraße Kraichgau-Stromberg, deren offizielle Eröffnung 1995 in der Knittlinger Straße gefeiert wurde. Sie verbindet 47 Weinbauorte. Der Eichelberg gehört zum Gebiet des Strombergs.
Weinbau bis 1840 auch an Spottenberg und Katzenberg
Die Prägung des Ortes durch den Acker- und Weinbau ist durch die vielen Keller und typischen Weingärtnerhäuser ablesbar (Historische Ortsanalyse, 2011). Ein Blick in die Beschreibung des Oberamtes Maulbronn von 1870 lohnt, herausgegeben vom Königlichen statistisch-topographischen Bureau. Lienzingen sei eine Gemeinde dritter Klasse mit 902 Einwohnern, darunter ein Katholik. Haupterwerbsquellen der fleißigen und geordneten Einwohner seien die gut und umsichtig betriebene Landwirtschaft und der Weinbau, der nur auf 60 Morgen (gut 24 Hektar am Aichelberg) betrieben werde, die überdies nicht alle im Ertrag stünden. Man pflanzt 3000 Stöcke auf den Morgen (meist Sylvaner, rote und weiße Elblinge, Drollinger, Veltliner und Gutedel) und bezieht sie den Winter über. Der Wein gehört zu den mittelmäßigen (…) Der Wein wird in dem Ort verbraucht. Vor etwa 30 Jahren (also etwa bis 1840, d.A.) wurde auch in dem Spottenberg und Katzenberg Wein gebaut (S. 256 f).
Auch wenn beim Text in der Oberamtsbeschreibung der Eindruck entstehen mag: Von Bilderbuch-Romantik konnte keine Rede sein. Die Lebens- und Arbeitsverhältnisse waren bescheiden und beschwerlich, sagte der Hauptautor des Ortsbuches Lienzingen, Professor Dr. Konrad Dussel, 2016 im Rahmen der Veranstaltungsreihe zur 1250-Jahrfeier des Dorfes.
Diese Wengerter-Tradition schrieb die Gemeinde nach 1945 nicht einfach ab. Überhaupt: Der Weinbau spielte im damaligen Landkreis Vaihingen eine große Rolle. Die Rebfläche am Stock betrug in den 28 Weinbaugemeinden etwa 600 Hektar, allein 400 davon in Oberderdingen, Hohenhaslach, Horrheim, Roßwag und Knittlingen, schreibt Oberlandwirtschaftsrat Rudolf Ellinger in einem Buchbeitrag (Ellinger, Rudolf: Die Landwirtschaft muss sich behaupten, in: Der Kreis Vaihingen, Verlag Heimat und Wirtschaft, Aalen und Stuttgart. 1962. S. 155 f). Lienzingen ist mit 16 Hektar dabei.
Und dabei sein ist bekanntlich alles. Zumal Lienzingen im Sommer 1971 in die Weinbergrolle beim Regierungspräsidium Stuttgart eingetragen worden war: Die ganze Lage heißt seitdem Eichelberg. Sie zählt zur Großlage Stromberg. Im Gemeinderat wünschte sich einzig Ratsmitglied Albert Bäzner die Bezeichnung Spiegel, weil diese günstiger sei. Doch das Gremium stimmte dem Vorschlag Eichelberg zu (STAM, Li B 327, S. 107). Knapp zehn Hektar waren mit Reben bestockt. Dabei handelte es sich durchweg um kleine Parzellen von vier bis zwölf Ar, hatte im Juni 1971 der Bürgermeister dem Regierungspräsidium in Stuttgart geschrieben. Nur etwa 15 Wengerter würden Erwerbsbau treiben (STAM, Li A 986).
Der rote Lienzinger
Lemberger mit Spätburgunder
Cuvée mit Aromen von Beeren und einem nachhaltigen Abgang.
Jahrgang 2017
Rebsorte Lemberger und Spätburgunder
Lienzinger Eichelberg
Trinktemperatur 18 – 20° C Alkoholgehalt 12,0 %
Allergene enthält Sulfite
Bestandsaufnahme 2021: Rund 50 Wengerter (die meisten aus Lienzingen, eine größere Anzahl aus Zaisersweiher und einige aus Schmie) betreiben meist nebenberuflich Weinbau. Sie liefern den größten Teil ihrer Lese ab; Abnehmer sind die Weingärtnergenossenschaft Diefenbach eG, die auch Wein vom Lienzinger Eichelberg anbietet, sowie die Amthof 12 Weingärtner Oberderdingen Knittlingen eG, Lembergerland Kellerei Roßwag eG, Heuchelberg Weingärtner Schwaigern eG. Auch auswärtige Weinbaubetriebe, zum Beispiel in Zaisersweiher: Dieter Binder (Kuckuck), Wilfried Conradt (Schmiede) und Stefan Schmid (Oechsle-Lazerta) sowie in Horrheim: Frank Allmendinger (Sommerbesen), verarbeiten Wein von Flächen des Lienzinger Eichelbergs. Und da ist Weinbau Huber in Lienzingen mit Hauptsitz in Rheinhessen, aber ein Lienzinger Eigengewächs. Uwe Hubers Hauptrebsorten sind Trollinger und Lemberger. Sonderfüllungen mit Etikett Etterdorf Lienzingen für Riesling trocken und Sekt Cuvee trocken gab es zur 1250-Jahr-Feier von Lienzingen 2016. Die WG Diefenbach sorgte für den roten Jubiläumswein (Quelle: "Wir in Lienzingen"; Infoheft 2021, Herzenssache Lienzingen).
Nicht zu vergessen: Lienzingen war vor allem in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine Hochburg der Besenwirtschaften. Konrad Dussel kommt im Ortsbuch von 2016 auf bis zu acht. Vor allem die Familien Stahl, Kicherer, Geißler, Rieger, Link, Straub, Huber räumten die gute Stube aus, schenkten eigenen Wein aus und boten Hausmannskost den Gästen. Und jedes Mal saßen die Menschen gedrängt an den Tischen. Doch allmählich ging die Zahl der Besenwirtschaften zurück, inzwischen ist diese Tradition in Lienzingen eingeschlafen. Wohl kaum für alle Zeiten.
Der weiße Lienzinger
Weingut Huber: Lienzinger Sonderetikett
Beim Riesling handelt es sich um einen 2018er, trocken ausgebaut mit 12 Prozent vol Alkohol. Ein frischer und spritziger Weißwein. Der Sekt ist eine Cuvee aus Weißen Burgundern, ebenfalls trocken mit 12 Prozent vol Alkohol. Ein blumiger und prikelnder Sekt. Beide sollten gekühlt getrunken werden.
Kommentare
Karlheinz Kohler am :
Viele sind ja dem professionellen Weinbau zum Opfer gefallen.
Gruss aus Bissingen
Karlheinz
Günter Bächle am :