Wahrscheinlich war, daß er dißmahl nicht besoffen, so wurde er ehrlich beerdigt den 19. Januar 1762
„7 Kinder, davon noch 2 lebend“, heißt es bei David Görzner aus Lienzingen und Anna Maria, geborene Schleitshafter, aus Schorndorf stammend, Heirat in Lienzingen 1662. „6 Kinder, davon noch drei lebend“ steht bei Abraham Grieß und seiner Frau Anna Dorothea Hafner aus Bad Liebenzell, Heirat 1675 in Lienzingen. Nebenbei: Der Vater von Abraham Grieß, der den gleichen Vornamen trug, wanderte aus Mosenrieth im Berner Land ein.
Die hohe Kindersterblichkeit wird deutlich bei der Lektüre des ersten Ortsfamilienbuches, um das sich Ruth Schneider, unsere Stadtarchivarin Marlis Lippik und Kreisarchivar Huber verdient gemacht haben. Als Lienzinger sage ich herzlich danke schön – auch dem Oberbürgermeister unserer Stadt, Frank Schneider, für seine Begrüßung.
Freud und Leid sind hier eng beieinander. Wer sich für Krankheiten und Todesursachen interessiert, ist hier genau richtig. Aber auch Ahnenforscher, Lokalhistoriker und ganz normale Leute, die sich dafür interessieren, wie ihre Vorfahren lebten. Geschichte reich an Details.
Mit Verlaub - zu Beginn kurze Nachrichten aus dem Ortsfamilienbuch als Text-Probe und zur Einstimmung. So ist zu lesen von
- So ist zu lesen von Louise Margarethe Arnold, Tochter des verstorbenen N. Arnold, gewesener Stallknecht, bei S[einer] Durchlaucht Herzog Carl, eine ledige, 36jährige Dienstmagd, die seit 14 Tagen zu Besuch war bei Johannes Straubens Weib in Lienzingen. Am 4. Juli 1809 raffte sie der Tod hinweg. Die Ursache Brand, also hohes Fieber; Gewebezerfall; Nesselsucht.
2. Vorzüglich, liebreich und gewissenhaft wird der Müller Michael Barth aus Ötisheim beschrieben. Sein errechnetes Geburtsdatum war November 1734, er starb am 16. Mai 1763 in Lienzingen an hitziger Stechkrankheit- also an einer Brustfellentzündung oder Pleuritis. Sie wurde 1729 erstmals diagnostiziert.
3. Aber auch Radfahr-Unfälle gab es schon. So wurde Johann Friedrich Göhring am 18. August 1892 in Lienzingen „von einem Radfahrer nachmittags vorwärts überfahren, niedergeworfen und tötlich verletzt“ (0666).
Aber der Reihe nach:
Vorstellung des Ortsfamilienbuches Lienzingen, 22. November 2023, Mühlacker-Lienzingen, Evangelisches Gemeindehaus – Mein Vortrag
Wir wissen nun, dass wir bisher vieles nicht wussten. Bewusst macht dies eine umfangreiche Datensammlung: das Ortsfamilienbuch. Ein großes lokales Who is Who. Ein Personenlexikon mit vielen Details. Lassen sie es im heutigen Jargon sagen: mit Facts, Sex, Crime und Klatsch.
Beginnen wir mit A wie Aichelberger.
Stellvertretend für andere Sippen. Auf sechs Seiten, jeweils zweispaltig, werden ganze Generationen der Sippe Aichelberger inklusive der Querverbindungen zu anderen Familien sowie den von Aichelberger abzweigenden Linien Knapper und Hahnle gelistet (von der laufenden Nummer 0012 bis 0041).
Die Aichelberger (noch mit E geschrieben) waren Zugezogene – wenn auch nur aus Schmie, kirchlich gesehen bis 1845 ein Filialort von Lienzingen, auf dessen Friedhof die Toten aus Schmie bis um 1870 beigesetzt wurden – ihr letzter Weg führte sie den heutigen Rennweg herunter. Holperig war’s und traurig.
Der Name des Zugezogenen steht im Ortsfamilienbuch Lienzingen fast ganz vorne: Hans Michael Aichelberger. Der Umzugsgrund hieß Regina Klemm, sie heirateten 1708 in Lienzingen. Beide Jahrgang 1695. Sie starb mit 35 Jahren, der Witwer ehelichte zwei Jahre später, also 1722, Maria Barbara Schneider, 22. Sie überlebte ihren Mann um drei Jahre, erlag 1762 dem Schlagfluß. Vier Kinder aus erster und drei aus zweiter Ehe. Insgesamt drei ihrer Kinder wurden höchstens drei Monate alt. Aber manchen bescherte der Herrgott doch ein langes Leben. Zum Beispiel Sohn Hans Jakob erblickte 1715 das Licht der Welt, machte erst 1790 seinen letzten Schnaufer. Also mit 75 Jahren - wegen Auszehrung. Hans Jakobs Ehefrau Regina war eine geborene Bez – heute als Familienname noch genauso geläufig und im Dorf vertreten wie Heinzmann, Kontzi und Straub. Denn Hans Jacobs Schwester Anna Katharina heiratete 1739 Johann David Kontzi, Anna-Maria einen Johann Georg Straub, Sohn Jacob eine Jacobina Heinzmann. Jetzt haben wir schon auf der ersten Seite des Teiles „Familien in Lienzingen 1693 – 1910“ einen bunten Strauß von Familiennamen, die so gesehen auch nach gut 200 Jahren bis jetzt nicht verblüht sind.
Apropos Jacob (1745 bis 1822): Dieser machte steile Karriere. Der Bauer verschaffte sich gewaltigen kommunalpolitischen Einfluss im Dorf, amtierte von 1774 bis 1789 nacheinander als Mitglied des Rates, als Ratsverwandter (also Ratsherr), Bürgermeister und Richter. Das Gericht wiederum war das, was bei uns heute der Gemeinderat ist, ergänzt durch lokale juristische Zuständigkeiten. Er war nicht der einzige Kommunalpolitiker der Familie. Jacobs Sohn Michael (1792 bis 1865) heiratete Maria Magdalena Walter aus Schmie, deren Vater dort Bauer und Gemeinderat war. Deren Viertgeborener, Johann Michael, bandelte mit Eva Carolina Weißschuh, Tochter des Bauern und Gemeinderats Johann Gottfried Weißschuh aus Häfnerhaslach an, wo sie 1857 die Ehe schlossen. Er 23, sie 28.
Aichelberger und die Schweizer Linie. Schauen wir genauer hin, finden sich auch Spuren zu Deeglers, begründet durch die Ehe von Schmiedmeister Johann Simon Aichelberger mit Jacobina Deegler. Eine Ehe, die traurig endete: Johann Simon erhängte sich 68-jährig im Jahr 1837 und „ist den 31.1. nach Ludwigsburg abgeführt worden“. Nicht zu verwechseln mit seinem Neffen Johann Jacob. Der Eintrag bei ihm: Tod durch Erhängen in seiner Scheune. Geschehen 1882, er war 70 Jahre alt.
Züricher Linie der Aichelbergers
Ob es an diesem schrecklichen Ende des Vaters 1837 lag, dass es Johann Simons Sohn Johann Jacob Aichelberger (geboren 1799) in die große weite Welt trieb? Jedenfalls heiratete er 1837 in Tuttlingen die 28-jährige Eva Maria Woernle, zog mit ihr an den Züricher See. Nach dem Tod seiner Frau – das Jahr bleibt offen – ehelichte er 1844, ebenfalls in Zürich die Küferstochter Catharina Bratsch aus Ehrenstetten. Der Schmiedmeister lebte mit seiner Familie in Außersihl am Zürichsee. Das war auch der Geburtsort von Johann Benjamin (1843), des ersten Kindes aus dieser Verbindung, bei zwei der weiteren vier Kinder wird Karlsruhe angegeben. 1865 wanderte die Familie nach Amerika aus. Da war der jüngste – Carl Adolph Aichelberger – gerade zehn Jahre jung. Nach den Daten muss der Vater 56 gewesen sein bei der Geburt des Jüngsten und 66 bei der Auswanderung – leichte Zweifel steigen in mir hoch. Da frag ich dann Kreisarchivar Konstantin Huber und der nimmt mir den Zweifel: Letztes Kind mit 56 sei bei Männern häufig, Auswanderung mit 66 in der Tat eher selten.
Namen, Orte, Daten: Spätestens jetzt droht der geneigte Leser die Übersicht zu verlieren vor lauter Jakob, Johann, Simon, Dorothea, Anna, Katarina - Namen, die die damalige Hitliste der Vornamen anführten. Ich will das Publikum damit auch nicht in die Irre treiben. Zur richtigen Zuordnung und zur Orientierung helfen im Ortsfamilienbuch in Klammern gesetzte und in fetter Schrift gehaltene Querverweise, also in unserem Fall die Nummer 0024. Man behält so den Überblick.
Mir fiel auf Seite 20 der Name Gratwohl auf. Rosa Karoline (1888 in Lienzingen geboren) heiratete hier 1909 Otto Johann Gratwohl, 27-jähriger Bauwerkmeister aus Unterschlechtbach, der in Dürrmenz wohnte. Die Eltern der Braut waren Johann Gottfried Aichelberger, Bauer und Gemeinderat in Lienzingen, und Christiane, geborene Härlin, Tochter des Nagelschmieds in Renningen. Ihr Bruder Gottfried Adolf fiel im Ersten Weltkrieg am 12. Juni 1915 im Alter von 25 Jahren in Russisch-Polen. Diejenigen von Ihnen, die in meinem Alter sind, erinnern sich vielleicht noch sie, an Rosa Karoline (gerne von vielen liebevoll Oma genannt) Gratwohl, gute Seele der ihrer Tochter Else Händle gehörenden Buchhandlung mit Schreibwarengeschäft in der Mühlacker Bahnhofstraße. Der jetzige Verleger des Mühlacker Tagblatts, Hans-Ulrich Wetzel, ist der Urenkel, seine Mutter Brigitte die Enkelin von Rosa Karoline.
Insgesamt 2332 Familiennummern finden sich in dem Ortsbuch auf mehr als 280 Seiten.
Von A bis Z:
Von Abel, Hans Michael, 40 Jahre lang Klosterknecht in Maulbronn, errechnetes Geburtsjahr 1629, beerdigt 1715 in Lienzingen, der sich etliche Jahre bei seinem Tochtermann Hans Jerg Grieß in Lienzingen aufhielt.
bis Z wie
Zwiselin, Anna Maria, etwa 1728 in Lienzingen geboren, 1796 an Katarrhfieber hier gestorben. Sie hatte ein uneheliches Kind: Regina Catharina.
So gesehen, sind – beispielhaft – die fünf Seiten Aichelberger “am Stück“ nur ein kleiner Teil, durch Querverweise taucht der Name aber auch auf anderen Seiten auf. Insgesamt 107 Einträge, die schon erste Rückschlüsse zulassen:
- Beständig und sesshaft sind die Lienzinger: Uns heute noch vertraute Familiennamen hielten sich mehr als 200 Jahre: Aichelberger, Heinzmann, Kontzi, Straub, Deegler, Walter. Und es werden bis auf den heutzutage im Dorf nicht mehr vorhandenen Familiennamen Zwiselin im Verlauf der Seiten des Buches immer mehr. Zum – wie ich gerne sage - Lienzinger „Ortsadel“ zählen auch Brüstle, Geiger, Geißler, Knodel, Benzenhöfer, Lindauer, Maier, Münzinger, Scheck, Stahl, Pfullinger. Im Namensindex nimmt Straub 13 Zeilen ein, so viel wie sonst kein anderer Name. Ist also die Nummer eins. Zweitplatzierte sind mit je neun Zeilen Brüstle und Geißler. Jede Zeile listet jeweils rund 15 Erwähnungen auf. Je mehr Zeilen im Index, je häufiger die Erwähnung im Buch. Nur einen Namen werden sie nicht finden: Bächle. Meine Mutter kam erst 1934 nach Lienzingen, mein Vater 1950. Bei genauerem Hinschauen…
Straub, das ist Verwandtschaft. So hängen die Dinge zusammen. Nun hat auch mein Vetter Dieter Straub die genauen Daten seines Großvaters, des Ulanen-Karl, der mit seiner Familie im Erdgeschoss des Gebäudes wohnte, in dem sich heute Restaurant und Hotel zum Nachtwächter in der Knittlinger Straße befinden. Unter der Nummer 2091 gelistet: Karl Johannes Straub, Steinhauer, geboren am 24. Juni 1880 in Lienzingen. Am 9. August 1907 heiratete er die 1884 geborene (Vorsicht, nicht irritieren lassen) gebürtige Straub – Louise Pauline. Eines der drei gemeinsamen Kinder - Elise Friederike - überlebte 1908 nur ein halbes Jahr, starb an Masern-Epidemie. Ihre Geschwister hießen Marie Pauline (1909) und Gustav Adolf (1910). Hier verknüpften sich zwei Straub-Linien.
- Springen wir zur Nummer 2089, dem Eintrag Luise Pauline Straub, also der Ehefrau von Karl Johannes, dem Opa meines Vetters. Die Überraschung: Louise Pauline hatte ein uneheliches Kind in die Ehe mitgebracht, der hieß Friedrich Karl, und hatte der am 27. Dezember 1906 das Licht der Welt erblickt. also der Vater meines Vetters, der wiederum Frida Straub ehelichte, geborene Schrodt aus Schützingen, 1934 mit ihrer Mutter, der Kriegerwitwe Marie Schrodt und den drei Geschwistern nach Lienzingen umgezogen. Eines der Geschwister hieß Emilie Gertrud, sie war wiederum meine Mutter. Also doch: Verwandt!
- Klicken wir nun die Nummer 2064 an, erfahren wir: Louise Pauline stammte aus der zweiten Ehe von Christian Friedrich Straub aus Sternenfels. Seine erste Frau, Gottliebin Maier, Tochter von Johannes Maier, Gemeinderat in Sternenfels, geboren 1838 in Sternenfels, starb 1867 in Lienzingen an Schleimfieber. Christian Friedrich Straub hatte aus der 1868 geschlossenen zweiten Ehe mit der Schreinermeistertochter Maria Katharina Schmid aus Lomersheim (1848 geboren, 1911 in Lienzingen gestorben) fünf Kinder, darunter Louise Pauline.
- Die Straubs waren – gefühlt - wohl mit dem halben Dorf verwandt. Auf jeden Fall waren es verschiedene Linien. Mit Pfullinger, Heinzmann, Brüstle, Geiger, Däubler, Deegler, Lindauer.
Zu einer dieser Linien gehörte Hans Jerg Straub ( * 19.08.1692 in Li, † 16.01.1762 in Lienzingen), über dessen Ableben sich folgender Eintrag unter der Nummer 2017 findet:
Er stirbt in der nacht da er von Vayhing wieder hierher nachhauß wolte auf dem Feld zwischen Illing und hier, ehemaliger richter allhier, er war zuvor ein starker Trunckenbold, das aber aller untersuchung nach, wahrscheinlich war daß er dißmahl nicht besoffen, so wurde er ehrlich beerdigt den 19. Jan. - Hans Jerg Straub war Bauer, verheiratet seit 10. November 1716 in Lienzingen mit Eva Magdalena. Sein gleichnamiger Vater amtierte als Ratsverwandter und Heiligenpfleger in Lienzingen.
Nach Aichelberger und Straub eine weitere Familiengeschichte, nämlich die von Karl Adolf Deubler (Däubler) findet sich unter der Nummer 0325 von dort zurückgehend auf die laufende Nummer 0318 (S. 34 bis 37). Deublers heute in Lienzingen? Fehlanzeige, unabhängig von der Schreibweise des Namens – mit „e“ oder „ä“. Wohl seit 1904 wohnt niemand mehr mit diesem Familiennamen im Dorf. Karl Adolfs Oma Dorothea Jacobina starb 1904. Sie war die letzte Deubler im Ort. Da lebte die Familie schon in Stuttgart. Vom beginnenden 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts war die Familie fest verwurzelt im Dorf. Der erste aus der Sippe Däubler (auch Täubler), der sich in Lienzingen niederließ, war der Leineweber Johann Leonhard, 1671 in Diefenbach geboren, 1739 in Lienzingen verstorben, der 1701 in Lienzingen Anna Maria Gegel (1683-1740) heiratete. Das Paar hatte neun Kinder, allesamt hier geboren. Bis ins 19. Jahrhundert hinein verdiente sich die Sippe der Däublers ihren Lebensunterhalt vor allem als Weber, vereinzelt auch als Schuster.
Der, der erfolgreich diversifizierte, sich also wirtschaftlich breiter aufstellte, war Karl Adolfs Großvater Christian Zacharias: am 16. Januar 1829 in Lienzingen geboren, ehelichte er am 6. November 1855 Dorothea Jacobina Pfullinger. Eine gute Partie, denn die 23-Jährige entstammte einer der Familien, die dazu gehörten - zum augenzwinkernd so genannten dörflichen Bauern-Adel. Pfullinger findet sich erstmals 1511 im Lagebuch von Lienzingen – und das gleich 60-mal. Dorothea Jacobina erlag 1904 im Alter von 72 Jahren in Lienzingen der Brechruhr. Von ihren acht Nachkommen starben vier im Kindesalter. Die Diagnosen: Scharlachfieber, Gichter, Hirnentzündung. Zur dörflichen Hautevolee zählte bald Christian Zacharias Däubler: Bäcker und Wirt - 1860 Bäckermeister, 1886 Speisewirt und Gemeinderat, 1904 Privatier. Das lässt auf ein finanziell gutes Fundament schließen. Von den acht Kindern war Christian Jakob der Zweitgeborene.
Und warum erwähne ich ausgerechnet Karl Adolf? Das Rätsel wird gleich aufgelöst. Zunächst seine Stationen: Elementarschule Lienzingen, Realschule Dürrmenz, 1906 Abitur an der Oberrealschule Stuttgart, Nachreifeprüfung am Oberrealgymnasium Tübingen, Jura-Studium in Tübingen und Leipzig, erstes juristisches Staatsexamen, Gerichtsreferendar. Nach Beendigung des Studiums und des Kriegsdienstes ließ sich Deubler in Stuttgart als Rechtsanwalt und Syndikus nieder. 1931 zog der Jurist berufsbedingt nach Bad Honnef, 1950 nach Köln, wo er 1961 starb.
Was ihn interessant macht: Karl Adolf Däubler war von 1923 bis 1931 Präsident des VfB Stuttgart. Mit seiner achtjährigen Amtszeit liegt der gebürtige Lienzinger in der gut 110-jährigen VfB-Geschichte auf Rang 3 der VfB-Präsidenten. Welches Dorf kann das schon bieten.
Zufällig entdeckte ich im Staatsarchiv Ludwigsburg jüngst ein Baugesuch von Christian Däubler für einen Stallanbau aus dem Jahr 1879. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Däublers an der heutigen Friedenstraße ihren Hof umtrieben: im Gebäude, das bis vor kurzem Dieter Bäzner und seinem Bruder gehörte. Das nur nebenbei.
Eine wenig bekannte Geschichte, die lückenhaft geblieben wäre, würde es nicht das Ortsfamilienbuch Lienzingen geben.
Und wie ist das mit Aschinger? Da schauen wir zunächst nach Schützingen. Der Ort war im Dreißigjährigen Krieg durch Krieg, Hunger und Pest fast ausgestorben. Nur der Bürgermeister, gleichzeitig Heiligenpfleger blieb am Leben. Unter den aus Oberösterreich nach 1650 eingewanderte Protestanten gehörten auch Maria, Matthias und Georg, Kinder des Bernhard Aschinger. Zumindest Teile der Familie zogen später nach Oberderdingen. Als ausgesprochen geschäftstüchtig erwiesen sich August und Carl Aschinger. Sie gründeten in der Reichshauptstadt 1892 sogenannte Bierquellen. Stehbierhallen und später auch Restaurants, in denen schnell, gut und billig gegessen und getrunken werden konnte. Und was hat das mit Lienzingen zu tun? In Nummer 0060 wird ein Johann Michael Aschinger genannt, Bauer in Schützingen, der 1791 in Lienzingen Catharina Dorothea Deegler heiratete. Die Lienzinger Linie.
Wir lernen auch alte, für uns neue Krankheiten kennen. Allein bei Aichelbergers finden sich 133-mal Angaben zur Todesursache. An der Spitze stand die Gicht mit 24-mal, Wassersucht mit 16-mal, Brechruhr mit 11-mal, Auszehrung mit zehn Mal. Als da noch wären Schlagfuß – eine plötzliche, teilweise oder vollständige Lähmung, Gallenfieber, Magenleiden, blauer Husten, Schwindsucht …
Wie stand es um Sitte und Moral? Durchwachsen!
So erfahren wir über Friederika Späth, Tochter des Speisemeisters in Maulbronn, verheiratet mit Christian Kälber, Bäcker und gewesener Soldat: „Ist nicht bürgerlich hier, lebt schon seit 18 Jahren nicht mehr mit ihrem Mann, war geschieden von G. Wagner, Balingen? von welchem sie einen Sohn und eine Tochter hat“. Oder über den Kuhhirten, Knecht und Tagelöhner Hans Adam Kühnlin aus Öschelbronn, der 1708 Anna Margareta Rößler in Lienzingen ehelichte, „diese sind frühe Beischläfer“. Unumwunden steht bei einem Eintrag „die Dirne weiß keinen Vater anzugeben“. Über bei Johann Franziskus Sinn, Fuhrknecht und seit 1736 Ehemann der Lienzingerin Eva Rosina Meißler, wird zur besseren Orientierung angegeben: „Der damals im Hirsch neben der Dirne diente.“
Wie ordnen wir das Wort Dirne ein? Das allwissende Wikipedia sagt: Dirne bezeichnet im moderneren deutschen Sprachgebrauch eine Prostituierte, verkürzt aus dem älteren Wort „Lustdirne“. Im Althochdeutschen war es noch eine allgemeine Bezeichnung für Mädchen und ist es noch heute regional, insbesondere in der Form Dirn oder Deern.
Reumütig muss ich gestehen:
Als ich erstmals von einem Ortsfamilienbuch las, hatte ich Zweifel an der Notwendigkeit. Spaltenweise Namen, Geburt- und Sterbedaten, die jeweilige Kinderzahl. Mag sein, dass der unmittelbare Bezug fehlte – in jenem Fall zu Dürrmenz und seinen Familien. Doch dann entdeckte ich, wie nützlich, interessant, ja sogar spannend ein solches Ortsfamilienbuch ist. Plötzlich begeisterte mich das für Lienzingen, dessen Manuskript mir die Leiterin unseres Stadtarchivs, Marlis Lippik, für eine Recherche zur Geschichte des Hauses Herzenbühlstraße 25 (jetzt 5) überließ.
Hinter den Namen stecken Geschichten, ganz persönliche. Keine Spur von dörflicher Idylle. Im Gegenteil: Mangelnde Hygiene, Krankheiten, beengte Verhältnisse, Schmutz und damit der Nährboden für Bakterien sorgten für eine hohe Kindersterblichkeit. Ein Beispiel: Hans Jerg Grieß, Bauer, und seine Frau Anna Katharina, geborene Abel, hatten 15 Kinder, elf überlebten ihr erstes Lebensjahr nicht. Ähnlich bei Ulrich und Maria Jacobina (1688-1759): Nur jedes zweite der zehn Kinder überstand die ersten Lebensmonate. An einer Stelle steht: Johanna, die Mutter ist gleich 7 Stund, nachdem sie diße kinder gebohren, hernach ge- storben.
Traurig, traurig.
Zum Schluss noch ein paar Todesursachen der skurrileren Art:
Johannes ~ 03.07.1762 in Li, † 12.11.1786 in Li <von des Hirschwirths Ernst Schmidgallen Metzgerknecht Schaible in der Kirchweihnacht vor dem Adler mit einem 13 Zoll langen Messer durch die Därme gestochen, da er Frieden stiften wollte.>
Gottlieb Friedrich * 11.10.1809 in Li † 25.07.1847 Hospice in Montbeliard <wurde von einer Reise aus Afrika zurück durch die Diligence nach Montbelliard in Frankreich gebracht u. starb bald nach seiner Ankunft daselbst
Dörner, Christoph, <S. d. Christian D., Hintersaß in Pinache>, Fleckenschäfer. * errech. 1662, † 31.10.1760 in Lienzingen <vieljähriger Fleckenschäfer der abends um die Betglockzeit, nachdem er den 28. zuvor da er in der nacht berauscht heimgehen wollte in den Fellergraben auf den Kopf u. das Gesicht gestürzt u. verstickt>.
Heinzmann, Johann Christian, Bauer und Acciser, Gemeinderat, Pfarrgemeinderat>. * 07.12.1823 in Lienzingen † 02.08.1879 in Li <Auf dem Heimweg vom Weinberg im Scherbenthal vom Schlag überrascht, beschloß er sein Leben ehe er nach Haus gebracht werden konnte. Die Bestürzung war allgemein.>:
Da lässt sich noch mehr finden
Ich wage die Prognose, bei der Lektüre des Buches bricht nicht nur bei Ahnenforschern das Such-Fieber aus. Mein Rat: Decken Sie sich mit genügend Ortsfamilienbücher von Lienzingen ein und nutzen Sie die angebrochene dunkle Jahreszeit zur fröhlichen Verwandten- und Vorfahrenssuche. Sie lohnt sich!
Ach ja, zum Schluss noch dies im Original:
GRANDJEAN, Claude <von Luneville aus Lothringen>. * ca. 1731, † 13.05.1771 in Li 44 Jahr, da er nach Ungarn ziehen wollte. Er hatte allzuschwer getragen und so eine Ader auf der Brust gesprenget, Blut ausgespiehen, dabei aber doch noch 9 Tage marschiert, bis er hieherkommen u. gestorben. Er war ein Catholik>.
Das Buch „Familien in Lienzingen 1693 bis 1910“ ist Band 5 der Mühlacker Geschichtshefte und Nummer 16 der Schriftenreihe des Enzkreises. Autorin Ruth Schneider. Das Lienzinger Buch kostet 20 Euro, es hat die ISBN-Nummer 978-3-941475-05-2 und ist im Stadtarchiv (Rathaus Mühlacker), Rathaus Lienzingen und im örtlichen Buchhandel erhältlich.
Dazu auch Mühlacker Tagblatt und Pforzheimer Zeitung
Kommentare
Martin Walter am :
vielen Dank, dass du dein Rede veröffentlicht hast. Sie gefällt mir sehr gut und ist spanndend und abwechslungsreich.