Immer wieder unternahm der Bürgermeister neue Anläufe, um steuerzahlendes Gewerbe ins Dorf zu holen. So klammerte er sich an jeden Strohhalm. Das zeigte sich in der Sitzung am 9. November 1951. Da informierte Allmendinger den Gemeinderat über einen Vorstoß das Landesplanungsamtes via Landratsamt Vaihingen. Der westlich von Stuttgart liegende Landkreis Vaihingen solle Gelände fürs Wohnen, aber auch fürs Arbeiten suchen. Diese Behörde des damaligen Landes Württemberg-Baden bot an, Möglichkeiten mit den einzelnen Kommunen zu sondieren und sie in puncto Erschließung zu beraten. Lienzingen erhoffte sich davon wertvolle, für die Kommune förderliche Maßnahmen. Denn der Schultes verwies auf die Schwierigkeiten bei der Standortsuche, aber auch bei der Planung insbesondere eines Industriegebietes, das Ortsbild nicht zu stören. Geprägt werde dieses Ortsbild von der unter Denkmalschutz stehenden Frauenkirche und durch gleichermaßen geschützte alte Fachwerkhäuser, die ein Ensemble bilden. Hier eine Lösung zu finden, sei nicht einfach (STAM Li B 324, S. 103).
Lienzinger Geschichte(n), aus der Zeit, als das Dorf noch selbstständig war (und auch mal daüber hinaus). Heute wüber eine Kommune, die auf ansiedlungswillige Betriebe setzte. Ein Schultes, der um die Konflikte mit dem historischen Ortsbild wusste. Und die Landwirtschschaft? Sie wollten partout keine Flurbereinigung. Und dann bringt sie ein bayerischer Käfer um mehrere Hektar. In Protokollen des Gemeinderats von Lienzingen geblättert. Fortsetzungsgeschichten.
Bei einer Ortsbesichtigung legten Vertreter des Landesplanungsamtes ihre Ideen für eine Industrieansiedlung vor. Am 4. August 1952 informierte darüber der Schultes in der Ratssitzung die acht Bürgervertreter. Der Inhalt der Vorschläge wird in der achtzeiligen Protokollnotiz nicht erwähnt. Sie endet mit dem lapidaren Satz: Diese Vorschläge fanden allerdings nicht die
Zustimmmung des Gemeinderates (STAM, Li B 324, S. 130). In den Gemeindeakten findet sich ein Schreiben des Landratsamtes Vaihingen an das Bürgermeisteramt Lienzingen. Streng auf dem Dienstweg übermittelte das Landesplanungsamt in einem Aktenvermerk seine Vorschläge am 14. Juli und somit eine Woche nach dem Lokaltermin. Zu teuer in der Erschließung und deshalb nicht mehr weiterzuverfolgen sei die Idee des Bürgermeisters, zwischen Brühl und Dauerwiesen beidseits der Bundesstraße 35 ein Industriegebiet zu schaffen. Statt im Westen der Gemeinde empfehle des Landesplanungsamt einen Standort im Südosten, und zwar in den neuen Wiesen auf einem Areal, das die Kommune schon für Festveranstaltungen gepachtet habe. Dort würden sich die Gebäude gut in die Landschaft eingliedern, während dies beim westlichen Standort nicht der Fall wäre. In den neuen Wiesen wurde tatsächlich gebaut - mehr als 20 Jahre später, jedoch Wohnhäuser (STAM, Li A 72).
- Lienzingen schaltet Werbeanzeige in Stuttgart
Schon im Herbst 1948 warb die Gemeinde um ansiedlungswillige Betriebe. Sie schaltete deshalb eine Annoce in den Stuttgarter Nachrichten. Tatsächlich meldete sich eine größere Anzahl von Interessenten, wie der Bürgermeister in der Ratssitzung am 2. Februar 1948 berichtete. Zusammen mit den sechs anwesenden Ratsmitgliedern sortierte er die Offerten und erhielt den Auftrag, mit den ausgewählten Firmen zunächst unverbindliche Fühlung aufzunehmen. (STAM, Li B 323, S. 60).
Der große Wurf gelang zunächst nicht. Lienzingens gewerbliche Entwicklung ging nur in kleinen Schritten voran. Am 12. August 1949 stimmten die Bürgervertreter zu, dem Gärtner Mannhardt aus Illingen neben der gerade errichteten Gemeindewohnbaracke eine Fläche für zwei Mark pro Aar zunächst zu verpachten, um darauf ein Gewächshaus zu erstellen. Später entwickelte sich dort, zwischen Schelmenwaldstraße und Ortsrandweg an der Wette, ein solider Gartenbaubetrieb. Ein Glücksfall! (STAM, Li B 323, S. 182).
- Gewinn in doppelter Hinsicht für Lienzingen: Firma Wilhem Geissel ließ sich 1960 im hinteren Brühl nieder
Immerhin dauerte es noch gut zehn Jahre, bis sich die Mühlacker Firma Wilhelm Geissel mit ihrem Filialwerk an der Ecke Brühlstraße/Schelmenwaldstraße baute. Es war die erste Ansiedlung, die über einen Handwerksbetrieb hinausging. Die Metallwarenfabrik erwarb für Industriezwecke auf den Parzellen Nummern 194 und 195 im hinteren Brühl von der Gemeinde ein Grundstück von zusammen 35 Ar und 82 Quadratmetern um den Kaufpreis von 10.700 Mark, protokollierte Bürgermeister Richard Allmendinger nach der Ratssitzung vom 26. Februar 1960. Ausschlaggebend für die Ansiedlung sei gewesen, dass es in Lienzingen wohl leichter sei, Arbeitskräfte zu gewinnen, nachdem sich in Mühlacker ein größerer Industriebetrieb niederlassen wollte (vermutlich war damit Behr gemeint). Im wirtschaftlichen Sinne bedeute die Entscheidung der Firma Geissel für Lienzingen einen doppelten Erfolg für die Kommune. Einmal mache sie mit den Grundstücken zwischen Auf- und Verkauf einen Gewinn von 5000 Mark, andererseits bringe die Firma einen nicht unbedeutenden Gewerbesteuerertrag. Es sei also wieder einmal erwiesen, dass die Gemeinde stets darnach trachte, ein genügend großes Bauland zu halten. Der Gemeinderat stimmte dem Grundstücksgeschäft zu. Das Unternehmen wolle möglicherweise noch im selben Jahr die Fabrikation in dem Werk Lienzingen aufnehmen, ist dem Protokoll weiter zu entnehmen (STAM Li B 326, S. 10).
Vollauf einverstanden zeigte sich der Gemeinderat bei seiner Zusammenkunft am 6. Mai 1960 im Rathaus mit den Plänen für den Bau
einer Werkhalle. Allerdings zeichnete sich da schon ab, dass der Bau etwas teuerer wird wegen erhöhter Erschließungskosten Diesen Mehrpreis glich die Kommune dadurch aus, so die Zusage, dass Geissel bei einem späteren Erwerb eines Grundstücks zur Erweiterung einen entsprechenden Nachlass gewährt werden sollte, wie die Räte beschlossen (STAM Li B 326, S. 34 f). Das 1920 gegründete Unternehmen verlegte 1980 seine ganze Produktion und die Verwaltung von der Industriestraße in Mühlacker in einen Neubau in Lienzingen mit einer Produktionsfläche von über 7500 Quadratmeter und bezog hier die schon stehende Werkhalle ein.
Kleinere Betriebe waren es, die sich im Gewerbegebiet Westlicher Brühl ansiedelten. So erwarb der Lienzinger Industriemeister Hans Lepple ein Grundstück von 800 Quadrameter Fläche. Feucht sei der Baugrund, steht im Protokoll der Ratssitzung vom 15. Februar 1974, weshalb die Ratsmitglieder ihrem (befangenen) Kollegen zehn Mark pro Quadratmeter berechneten. Eingekauft hatte die Kommune die Fläche für 11 beziehungsweise 15 Mark je Quadratmeter. Das Baugesuch war erst wenige Tage zuvor genehmigt worden (STAM, Li B Li B 328, S. 282).
425.572 Mark Etatvolumen 1958
Dass Lienzingen zusätzliche Gewerbesteuer gut gebrauchen konnte, zeigten die jährlichen Budgetvolumen. Nicht nur in diesem einen Jahr verabschiedete das Lienzinger Ortsparlament erst neun Monate nach Beginn des Haushaltsjahres 1958 den Etat just für dieses Jahr. Heutzutage unvorstellbar, denn das Budget soll eigentlich vor Beginn des Haushaltsjahres den Rat passiert haben. Das seinerzeitige Volumen betrug 425.572 Mark (1952: 124.300 Mark), davon 196.572 Mark im so genannten ordentlichen Haushaltsplan, in dem die laufenden Einnahmen gelistet waren. Die Steuersätze (in Klammern die aktuellen von Mühlacker): Grundsteuer für landwirtschaftliche Grundstücke A 160 Prozent (340), Grundsteuer B für andere Grundstücke 150 (390) und Gewerbesteuer 300 Prozent (370) (STAM, Li B 325, S. 222).
- Holzverkauf brachte mehr als die eigene Gewerbesteuer
Welche Geldquellen sprudelten? Beantworten lässt sich dies beispielhaft an den Haushaltsplänen von 1955 und 1960. 1960 bringen die Grundsteuer A für landwirtschaftliche Grundstücke 20.075 Mark, Grundsteuer B für andere Grundstücke 7741 Mark sowie die Gewerbesteuer der örtlichen Betriebe und der Gewerbesteuerausgleich vom Land zusammen 24.565 Mark. Aber der Gemeindewald scheffelte 22.000 Mark Überschuss in die Gemeindekasse. Die Zahlen von 1955: Grundsteuer A 16.157 Mark, Grundsteuer B 4589 Mark, Gewerbesteuer 4000 Mark und Gewerbesteuerausgleich 8800 Mark. Das Plus beim Wald: 17.000 Mark. Damit wird deutlich, weshalb die örtliche Kommunalpolitik auf Betriebsansiedlungen setzte und gleichzeitig den Gemeindewald verteidigte, weil er die grüne Sparkasse von Lienzingen war.
"Sie blieben der Traum des Lienzinger Schultes: Industriegebiet und Flurbereinigung " vollständig lesen