Einen Einundzwanziger beim Onkel Gustav

Einer seiner vielen Stationen in Maulbronn. Im Jahr 1923, in sonnigen Herbsttagen, hielt sich ein 39-jähriger Redakteur und Dozent an der Hochschule für Politik in Berlin wieder einmal in dem Oberamtsstädtchen auf. Maulbronn war ihm ans Herz gewachsen, dem liberalen Politiker Theodor Heuss. Ein Jahr später rückte der Politiker in den Deutschen Reichstag ein.

Der Mann aus dem Zabergäu, in Brackenheim groß geworden, verband die Lust an der Politik mit der Lust an der Poesie. Er schaffte ein enormes Redner-Pensum pro Tag, hielt seine Eindrücke auf dem Papier fest, schuf so literarische Genussstücke. Eines davon fiel mir vor mehr als einem halben Jahrhundert in die Hände. Seinerzeit entstand daraus ein Beitrag für das Württembergische Abendblatt, erschienen in der Ausgabe vom 27. August 1970. Er ist das Kernstück der heutigen Geschichte.

Für Maulbronn hatte er viel übrig. Das zeigen seine Aufzeichnungen über die Spaziergänge im Städtle, am Elfingerberg, auf der Reichshalde. Beides auch Lagen, auf denen – welch Glück nicht nur für ihn! - Reben wachsen, Trauben gedeihen. Der Politiker und Poet rühmte diese Produkte aus den Weinbergen. Er wusste um die guten Tropfen. Der spätere Bundespräsident widmete sich bei seinem Besuch in den Herbsttagen 1923 dem Kloster, im zwölften Jahrhundert von Zisterzienser-Mönchen gegründet.  In seinen Erinnerungen, mit Herbsttagen in Maulbronn betitelt, führte er über den Wein in die Landschaft ein.

In einer milden Sonne zum See hinab

Theodor Heuss’ Herbsttage erschienen im Jahr 1959 im Tübinger Rainer Wunderlich Verlag Hermann Leins im Rahmen des 309-seitigen Bandes Von Ort zu Ort, Wanderungen mit Stift und Feder.  Einfühlsam sein Stil, keiner der versucht, auf der Glatze noch Locken zu drehen. So schildert Theodor Heuss zuerst die wein- und wasserspendende Umgebung von Maulbronn.

Aber den Eilfinger Berg stiegen wir in einer milden Sonne zum See hinab, zwischen den Rebstöcken, in einiger Sorge, dass Regen und Sonne an den Trauben noch ihr gutes Werk tun.

Theodor Heuss 1924 - Foto aus dem Abgeordnetenausweises des Reichstags

Ein paar Hundert Meter weiter liegt die Reichshälde. Und wir grüßten sie dankbar; sie ist nicht ganz so berühmt, und von ihrem Gewächs gab’s in der behaglichen Wirtsstube beim Onkel Gustav einen Einundzwanziger. Der Eilfinger aus diesem gesegneten Jahr ist weggetrunken. oder, schnöde genug, da einer göttlichen Gabe dies geschehen darf, zur Kapitalanlage verwandelt: in ein paar Häusern und Kellern bewahrt man ihn noch als feierliche Familienlegende. Über den Reichshäldener haben sie keine Gedichte gemacht, er wird auch nicht etikettiert; deshalb blieb einiges für uns davon übrig.

Seltsame Geister

Der Redakteur schreibt von seltsamen Geistern, die sich in dieser Ecke Württembergs, die zum nördlichen Schwarzwald guckt und in den badischen Kraichgau ihre Hügel laufen lässt, nach Bretten und Bruchsal begegnen. Theodor Heuss zeigt sich als ein profunder Weinkenner, der die Maulbronner Gegend richtig einstuft: Sie ist dem eigentlichen Weinland schon etwas entrückt; aber mit einer letzten Anstrengung haben es die schwäbischen Weine hier erreicht, flaschenreif zu werden und ihre Spitze zu finden. Die wichtigste Weinlage sei Krongut mit pfleglichster Behandlung gewesen: In einer liebenswürdigen Bewegung habe die junge Republik sie dem letzten König bei der Finanzauseinandersetzung zum Familiengut geschlagen. Also der heutigen Hofkammer.

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Mein Onkel, der Orden und der Erste Weltkrieg

Ordensurkunde mit Anmerkungen.

Ahnenforschung. Im Hauptstaatsarchiv Stuttgart liegen Akten (HStA Stuttgart M 477 Bd. 28), die einen meiner Vorfahren betreffen und auf die ich schon vor längerer Zeit stieß: Kriegsstammrollen des (württembergischen) Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 120 / 1914-1918., genauer die Kriegsstammrolle der 8. Kompanie.

Unter der laufenden Nummer findet sich der Eintrag: Res[ervist] Gotthilf Ernst Schrodt, ev. [= evangelisch], Schützingen O.A. [= Oberamt] Maulbronn / 26.10.[18]87, Gipsermeister / Schützingen, Ehefrau Maria geb. Bahnmeier, Schützingen, 1 Kind, Vater: + [= verstorben] / Christine geb. Fritz, Schützingen. Vom 15.11. – 18.11.[19]15 im Revier [?] an Bronchitis.

Am 15.9.[19]16 gefallen südwestlich Peronne. Die Richtigkeit beglaubigt. Recelaire, den 10. Oktober 1916 [eigenhändige Unterschrift] Leutnant u[nd] Komp[anie] Führer.

Zu seinem militärischen Dienst im damaligen Königreich Württemberg finden sich wenige Zeilen: [= 8. Kompanie. Res[erve] Inf[anterie] Regts. [= Regiment] Nr. 120 . Frühere Dienstverhältnisse: 12.10.[19]07 als Rekr[ut] 8. Komp[anie] I[nfanterie] R[egiment] 121 Entl[assung ?]: 20.9.[19]09 zur Res[erve] nach Schützingen, 25.8. bis 21.9.[19]11 ..bg. [?] b 5./ I[nfanterie] R[egiment] 121. Mit der Mobilmachung rückte Gotthilf Schrodt am 5.8.[19]14 ein.

Er fiel gut einen Monat, nachdem seine Tochter Emilie (1916-1998) geboren war, in Péronne - einer französische Gemeinde mit heute 7652 Einwohnern im Département Somme in der Region Hauts-de-France. Der Ort wurde im Ersten und Zweiten Weltkrieg zerstört. In seinem Historial de la Grande Guerre ist dieses traurige Kapitel der Geschichte aufgearbeitet mit einem Menüpunkt Die Schlachtfelder der Somme, ein Rundgang. Als der Schützinger Schrodt an der Somme kämpfte, lag dort auch Wilhelm Bächle in den Schützengräben. Ob sie sich begegnet sind, wird nie jemand wissen. Aber so kreuzen sich Linien in zwei Familiengeschichten. Gotthilf Schrodt war mein Großvater, Wilhelm der Bruder meines Vaters. Der Württemberger und der Badener.

Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben Sich unter dem 15. Dezember d.J. (1917) gnädigst bewogen gefunden, die Silberne Verdienstmedaille am Bande der  Militärischen Karl-Friedrich-Verdienstmedaille zu verleihen. Hiervon setzte die Großherzogliche Ordens-Kanzlei in Karlsruhe am 16. Dezember 1917 die 52. Infanterie-Division  im Felde unter Bezug auf deren mit Schreiben vom 24. Oktober 1917 an den Generaladjutanten eingereichten Vorschlagsliste  in Kenntnis - gegen Empfangsbestätigung.

Aber schon am 21. November 1917 hatte der Generaladjutant Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs von Baden in einem Vermerk beklagt, dass es auffallend und nicht voll gerechtfertigt sei, dass die Regimenter in einer Eingabe so zahlreiche Nichtbadener namhaft gemacht hätten, dass die Zahlen beim Infanterie-Regiment 111 selbst nach Abzug der in den letzten Kämpfen gefallenen und vermissten Mannschaften noch 20,5 Prozent betragen, bei Infanterie-Regiment 169 sogar 36,5 Prozent und bei Infanterie-Regiment 170 noch 31 Prozent. Er habe deshalb verschiedene Nichtbadener heute nicht befürwortet, deren Dekorierung evenetuell einem späteren Zeitpunkt, wenn sie wieder eingegeben werden, überlassen werden müsse, steht in dem Dokument, gerichtet an das Großherzoglich geheime Kabinett in Karlsruhe i.B.. Schriftstücke, die heute im Generallandesarchiv Karlsruhe lagern. (GLA Karlsruhe  456 C Nr. 1984)

Der skuril wirkenden Statistik über die Nationalität von Soldaten, die Seite an Seite in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges lagen, oft in Totesängsten. Immerhin: Die laufende Nummer 39 erhielt die Badische silberne Verdienstmedaille am Bande der  Militärischen Karl-Friedrich-Verdienstmedaille. Es war der Gefreite im Infanterie-Regiment 170, Wilhelm Bächle, wohlgemerkt ein Badener, geboren am 9. Mai 1891 im Ortsteil Langenordach in  Neustadt/Baden, dem heutigen Titisee-Neustadt. "Mein Onkel, der Orden und der Erste Weltkrieg" vollständig lesen

Wulff, Bild und die Lust am (Hoch-)Kochen

Das Wulffen geht (vorerst) weiter. Von Anfang an hatte die Sache einen schalen Beigeschmack: die Bild-Zeitung als Hort der Pressefreiheit? Bild-Chefredakteur Kai Diekmann als Gralshüter des journalistischen Auftrages zur Aufklärung? Die Entwicklung der letzten Tage zeigt: Der Beigeschmack war nicht nur eingebildet, meint Brigitte Baetz im Deutschlandfunk.


Dazu ihr Kommentar zur Lust am (Hoch-)Kochen.



An den Gedanken könnte ich mich gewöhnen

Ausschnitt aus dem Cover des Buches JOACHIM GAUCK - Winter im Sommer – Frühling im Herbst, Erinnerungen, erschienen im Verlag Siedler. Aus diesem Band las Gauck kürzlich in der Kelter in Mühlacker

Heute Mittag, am Katz-Verkaufsstand bei Schramml in Mühlacker-Enzberg, flackerte plötzlich ein Gespräch über die Bundespräsidentenwahl auf. Ganz kurz zwar, aber immerhin so lange, dass gegenseitig die Sympathie für Joachim Gauck klar wurde. Die Menschen beschäftigt, wer ihr Staatsoberhaupt werden soll. Ich stimme dem SPD-Vorsitzenden Siegmar Gabriel höchst selten zu, aber diesmal traf er ins Schwarze: Gauck bringe ein ganzes Leben ins Amt, Wulff eine politische Karriere. Die bürgerlichen Medien wie WELT und FAZ sympathisieren unverhohlen für den Pfarrer und früheren Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde: Der Überraschungskandidat der SPD und der Grünen für das Amt des Bundespräsidenten verkörpert die Werte, die in der Zukunft zählen werden. So die FAZ. Und in der WELT steht: Es war sein erster Auftritt nach der Kandidatur – und Gauck überzeugte. Er sprach über die Politik, wie er sie sich vorstellt. Die WELT kommentierte ganz klar, warum Gauck ihrer Meinung nach die bessere Wahl wäre. Inzwischen findet sich auf YouTube die Berliner Rede Gaucks zur Freiheit am 21. April 2009 vor dem Brandenburger Tor.

CDU, CSU und FDP hatten sich schnell auf Christian Wulff festgelegt. Ich habe dazu gebloggt. Und wer auf die Internetseiten der CDU Niedersachsen klickt, reibt sich verwundert die Augen und überlegt, ob die Präsidentenwahl womöglich schon war und man das selbst gar nicht gemerkt hatte. Denn die Landes-Union kürte schon den Nachfolger von Wulff als Ministerpräsident. So wenig Respekt vor der Entscheidung der Bundesversammlung gibt es selten, denn diese tagt wirklich erst am 30. Juni. Das Fell des Bären sollte erst verteilt werden, wenn dieser erlegt ist. Ein Grundsatz, den auch Parteien beherzigen sollen.

Zwar geht Wulff mit besseren Chancen ins Rennen, weil CDU, CSU und FDP über eine deutliche Mehrheit in der Bundesversammlung verfügen. Doch schon gibt es erste Stimmen vor allem aus dem freidemokratischen Lager, die sich auch Gauck gut als Präsident vorstellen können. Gauck, der das bürgerliche Lager spaltet?

Mit Thomas Bareiß schmückt sich ein baden-württembergischer CDU-Bundestagsabgeordneter auf seiner Internetseite mit Joachim Gauck.

Stimmen zur Präsidentenwahl sammelt die Merkel-Biografin Margaret Heckel ("So regiert die Kanzlerin") auf ihrer Twitter-Seite. Dass die Linken den früheren DDR-Bürgerrechtler nicht wählen wollen, ehrt diesen - und zeigt wieder einmal ganz klar, welch Geistes Kind und politische Nachfahren die Linken sind. Die direkte Linie wird deutlich: SED, dann PDS, die in der Partei Die Linke aufging.

Am 30. Juni fällt die Entscheidung, wer neuer Präsident wird. Im Vorfeld ist nicht mit offenen Karten gespielt worden, selbst mögliche Kandidaten in der Union litten unter dem Mangel an Transparenz.

Ob sich die CDU Niedersachsen zu früh freute? Ist zum Glück nicht auszuschließen. Und mit Gauck bekämen wir zwar wieder einen Seiteneinsteiger mit allen Risiken für die Berliner Polit-Macht-Zentralen, aber vor allem eine Schlüsselfigur der jüngsten deutschen Geschichte. Ich könnte mich an diesen Gedanken gewöhnen. Schließlich müssen wir CDU-Mitglieder nicht immer so denken, wie es die da oben in Berlin vorgeben. Und einen exzellenten Bundespräsidenten würde Gauck auch abgeben.