Das vergessene Buch

1979 erschienen

Nacht und Nebel - Die Geschichte von Floris B. Bakels (1915-2000), der durch die Hölle der KZ ging. Wobei ihm sein christlicher Glaube half. So Jesus Worte: Er hat mich gesandt, zu predigen den Gefangenen, dass sie los sein sollen.

Mit drei Geschwistern in der Geborgenheit einer großbürgerlichen Familie in Den Haag aufgewachsen, studiert Floris in Leiden, wird 1939 wie der Vater Jurist, tritt in eine Kanzlei ein. Der Vater wendet sich später der Malerei zu, die Mutter organisiert den Familienbetrieb, stammt aus einer angesehenen und wohlhabenden Familie. Die Bakels sind, wie viele andere auch, deutsch orientiert: literarisch mit Goethe, Schiller, musikalisch mit Beethoven, Mozart und Brahms. Man nahm Gesangsunterricht in Leipzig und Dresden. Man fuhr in die Ferien nach Wiesbaden und Heidelberg. Man kleidete sich in Hannover ein und tanzte in Bentheim.

Später verwendet er häufig das Schimpfwort für die Deutschen: Mof und in der Mehrzahl Moffen. Es wird zu seinem Wort-Repertoire. Bakels macht aus seinen Überzeugungen und Empfindungen kein Hehl. Er kann nicht vergessen, Unverzeihliches nicht verzeihen. Er zeigt schonungslos, was von deutschen Besetzern dem niederländischen Volk angetan wurde und wie problematisch der niederländische Widerstand war, er hat ihm angehört. Über Leben, Unleben und Tod, viele Tode in den Konzentrationslagern gibt er genauen Bericht: auch über den Kampf ums Überleben, den grausamen biologischen Ausleseprozess, nicht zuletzt aber über die rettende Kraft des Glaubens.

Wir haben eine gewisse Grenze überschritten, kamen in ein Reich, das ein Mensch eigentlich nicht betreten darf, und wir sind dort Emotionen begegnet, die nur sehr schwer zu ertragen sind. Wir sind aus diesem Reich zurückgekehrt. Wir haben wieder zu und selbst gefunden – so gut wie möglich. Wir haben unser Leben wieder zu leben begonnen. Diesseits.

Am 10. Mai 1940 marschiert die deutsche Wehrmacht in den Niederlanden ein, fünf Tage lang hält die kleine Armee des Königsreichs dem Ansturm Stand, Königin Wilhelmina und die Regierung fliehen nach London.  Vier Tage darauf steht Rotterdam in Flammen. Eine ihm sich bietende Möglichkeit, mit einem Boot auch nach Großbritannien zu fliehen, lehnt Floris B. Bakels ab, schließt sich der holländischen Widerstandsgruppe Leeuwengard (Löwengharde) an. Am 9. April 1942 wird er morgens um 6.30 Uhr in seinem Haus durch einen billigen Hin-zu-und-Her-Gong geweckt, sein Bruder Hans öffnet die Tür, zwei Herren von der deutschen Polizei durchwühlen Schränke und Koffer, behalten ihre Hüte auf. Ihr Mann kommt mal mit. Vielleicht ist er heute Abend schon zurück, sagt einer zu seiner Frau. Der Mercedes, in der er einsteigen muss, hat das Kennzeichen POL-1A 9807. Aber heimkehren wird er nicht am selben Abend, sondern erst im Mai 1945 und somit drei Jahre später.  Mit der Festnahme durch die beiden Gestapo-Männer beginnt für den niederländischen Patrioten, Rechtsanwalt und Christ eine Zeit des Martyriums.

Sie verhören ihn im Deutschen Gefängnis in Scheveningen. Gangster nennt Bakels sie später in seinem Buch über die folgenden Jahre. Danach bringt man ihn ins Polizeiliche Durchgangslager Amersfoort, das Kriegswehrmachtgefängnis Utrecht, es folgen die Konzentrationslager Natzweiler und Dachau, die Außenkommandos Dautmergen und Vaihingen/ Enz des Lagers Natzweiler und, kurz vor Kriegsende, am 5. April 1945 noch einmal das KZ Dachau.

Floris Bertold Bakels

In den drei Jahren seiner Leidenszeit gehört Bakels zu denjenigen, die heimlich Tagebuch schreiben. Nein, niemals darf die Welt vergessen, wir alle werden uns dafür einsetzen, wir werden schreiben, notiert er in sein Tagebuch, und: Es ist sinnlos, etwas zu erleben, ohne darüber zu schreiben. Er schreibt heimlich auf von Zementsäcken abgerissenen Papierfetzen und versteckt die Zettel bei Durchsuchungen an seinem Körper. An die dreitausend Eintragungen können so – auch mit Unterstützung von Helfern und Helfershelfern – gerettet werden, ein Teil geht verloren. Die Ehefrau eines Arztes tippt die Aufzeichnungen nach seiner glücklichen Heimkehr ab, während Bakels in einer Klinik in seiner Heimat behandelt wird – er leidet zeitweise unter 40 Grad Celsius Fieber. Allein sein Utrechters Tagebuch umfasst etwa 1000 Blatt Toilettenpapier.

Bakels schreibt selbst, der Leser solle einen wahrheitsgetreuen Eindruck erhalten, eine sachliche Auseinandersetzung mit der KZ-Existenz. 1947 erscheint Bakels’ Tagebuch aus dem Konzentrationslager unter dem Titel Verbeelding als Wapen (Phantasie als Waffe). Nacht und Nebel folgt unter diesem Titel 1977 als erste Auflage der niederländischen Ausgabe. Für die deutsche Ausgabe fand sich 1977 einzig der Verlag S. Fischer in Frankfurt. Neun Verlage antworten auf Bakels Anfrage gar nicht oder lehnen ab.

Keine einzige – wirklich nicht eine einzige – Sekunde des Tages und der Nacht sei ein Häftling seines Lebens sicher gewesen. Ein KZ sei nicht beschreibbar. Es gehöre einer anderen Welt an, es sei ein fremder Planet, schreibt Bakels.  Immer konnte alles geschehen, und man konnte es sich nicht schrecklich genug vorstellen, denn die Wirklichkeit übertraf jede Vorstellung. Wir wurden mit vollster Absicht und dauernd von der Lagerleitung terrorisiert. Vollzogen worden sei dieser Terror durch Leute, die reine Verbrecher gewesen seien – Verbrecher, entsprungen aus Alpträumen. Zusammen hätten sie eine satanische Macht geformt. Jedes Schamgefühl sei abhandengekommen. Durchfall, immer und überall an der Tages- und Nachtordnung.

Seine Beschreibungen lassen den Gefangenen ihre Würde, ohne die Wahrheit auszugrenzen. Hungersnot, Krankheit, Elend, trotzdem harte Arbeit in Steinbrüchen und an Straßen, Schleppen von Steinen, Balken, Zementsäcken und Schmalspurgleisen. Wer sich bei der Arbeit nicht wunschgemäß benimmt, riskiert eine Meldung und wird, zurück im Lager, mit 25 oder mehr Peitschenhieben bestraft. Ohne Freundschaften hätte man, wie Bakels schreibt, ein Moffenlager nicht überleben können. Sind SS-Leute Teufel? Auf diese Frage eines Mit-Häftlings in Natzweiler gibt Bakels eine überraschende Antwort: Nein, sie sind Besessene. Sie seien vom Satan besessen, von Dämonen.  Und auf die Gegenfrage, ob denn auch in den SS-Leuten der Teufel sei:  Ja. Der Schöpfer ist in allen Kreaturen. Man könne ja manchmal feststellen, dass sogar in den SS-Leuten noch ein Rest Gutes stecke, eine Erinnerung an das Gute. Wir beten um ihre Erlösung von dem Bösen. Wir dürfen sie nicht hassen – es kostet uns unendliche Mühe, diese Mitmenschen nicht zu hassen.

Dann Station sieben von acht, vom 21. November 1944 bis 2. April 1945, Vaihingen an der Enz, Außenkommando von Natzweiler. 46 Seiten dazu in Nacht und Nebel. Bei einem Besuch Jahre nach dem Krieg nennt Bakels Vaihingen eine Villenstadt.

Ursprünglich befinden sich in dem Lager dort nur polnische Juden aus Radom und Krakau. Aus verschiedenen Lagern werden Krankentransporte nach Vaihingen geschickt, dreiviertel der Lagerinsassen sind ständig krank, schreibt Bakels.  Die Läuseplage habe geradezu unbeschreibliche Formen angenommen. In Vaihingen sei ein großer Teil der Häftlinge, darunter fast alle Holländer, zugrunde gegangen. Zunehmende Zahl der Luftangriffe, die Front kommt näher – und die Befreiung durch die Amerikaner?   Am 2. Januar 1945 schreibt Blakes in sein Tagebuch: Heute bin ich seit tausend Tagen in Gefangenschaft. Wie gut, dass ich es nicht früher gewusst habe.

Ende Februar greift der Tod in Vaihingen wieder einmal nach Blakes, wie er schreibt. Im Lager sei die Zahl der Kleiderläuse, die die Übertragung des Fleckfiebers oder Flecktyphus sind, auf einige Trillionen angestiegen. Die Läuse sind allgegenwärtig, auch auf der Brotrinde, die man gerade isst. Die grauen Pferdedecken total verlaust. Hunderte von Häftlingen liegen dort in allen Stadien des Fleckfiebers krepierend, schreiend, stöhnend, phantasierend, kackend, pissend, quer durch die drei übereinander angeordneten Pritschenreihen.  Er hat 40,8 Grad Fieber.

Dann schildert der Autor eine Nacht, die die furchtbarste für ihn werden sollte, wie er empfindet. Am Abend starben noch viele Fleckfieberkranke (oder eher: verreckt). Sie werden zum Mittelgang der Baracke geschleift, nicht weiter, denn die Leichenträger dürfen im Dunklen nicht ausrücken. Während dieser Nacht muss Blakes wieder ganz dringend nach draußen. Da mir die Kraft fehlte, auf eine normale Weise aus der Pritsche nach unten zu gelangen, ließ ich mich mehr oder minder rollend und mich festklammernd fallen. Ich tastete mich an den Pritschen mit den Sterbenden vorbei, fand die Tür zum Gang. An Ende des Ganges sah ich einen – gelblich – leuchtenden Schein, dort wo die Türen zum Kübel sein musste.

 Doch unter seinen Füßen spürt er eine große, eisige, schlüpfrige Masse. Der Holzboden scheint ihm wie eingeseift, so glatt ist er. Als er nach einem festen Halt greift, vernimmt  er das klatschende Geräusch von Armen und Beinen, die von dem Berg herunter gleiten. Er stolpert und fällt mit seinem gelben, glühenden, gespaltenen Schädel zwischen die Gliedmaßen. Doch schließlich erreichte ich den Scheißkübel, und in der eisigen Kälte klatschte wieder ein Stück Leben aus mir neben der Tonne in den Dreck.

Der Eintrag am 8. März 1945: Zum Schreiben zu krank. Jetzt 38, 37,6 Grad, das ist gut, Krise hinter mir. Aber grausiger Durchfall mit Dreck im Bett. Auch Kotzen. Und bodenlose Niedergeschlagenheit.

6. März: Also vor 2 Jahren haben sie mich geholt. Ich bin Gott sei Dank wieder aus Block 4 heraus und wieder in 2 - welch eine Anstrengung! Erst nur kotzen wegen des Gestanks. Dann Suppe, aber gleichzeitig Riesenhunger auf alles und Ekel vor allem Lageressen. Jetzt, ein ergreifender Triumphzug durchs Frühjahr. Heulte um Steinerweichen. Verschont!

Glück, Gottvertrauen, Robustheit?

KZ Vaihingen bei der Befreiung Ende April 1945 durch die Franzosen

Von Vaihingen nach Dachau, seine letzte Station als Häftling der NS-Schergen.

Am 29. April 1945 wird das Konzentrationslager Dachau von amerikanischen Truppen befreit. Zehn Tage später setzt sich Floris Bertold Bakels ab und gelangt nach einer zweiwöchigen Irrfahrt wieder in seine niederländische Heimat, wo er mehrere Monate im Krankenhaus verbringt und anschließend ein halbes Jahr zur Erholung in die Schweiz geht.

Seit zwanzig Jahren steht Nacht und Nebel von Floris B. Bakels (1915-2000) in meinem Bücherschrank. 387 Seiten ungelesen! Immer wieder schob ich die Lektüre auf. Denn diese Geschichte ist nicht einfach zu verarbeiten. Bakels' Erfahrungen in deutschen Gefängnissen und Konzentrationslagern während des Zweiten Weltkriegs, so der Untertitel.

Jetzt legte ich das Buch endlich ganz oben auf den Stapel.  Bakels' authentische Dokumentation von Not, Glaube und Rettung erschüttert. Es ist der Bericht eines Überlebenden des sadistischen und mörderischen Nazi-Systems, ein direkter Einblick in die Hölle, der über den Kampf ums Überleben und schreckliche Momente sachlich und gut beschreibt – eine schwer zu verkraftende Lektüre. Das Buch belastet einen auch emotional, der Leser erlebt Momente, in denen er es beiseitelegen möchte. Aber dies käme einer Flucht vor der Realität gleich. Solche Zeugnisse sind besonders in der aktuellen politischen Diskussion über die Stärkung und Sicherung von Demokratie, Freiheit und Frieden unverzichtbar. Nie wieder ist jetzt.

Floris B. Bakels: Nacht und Nebel, Der Bericht eines holländischen Christen aus deutschen Gefängnissen und Konzentrationslagern. Aus dem Niederländischen übersetzt von Suzanne Koranyi. 387 S., 23 cm. S. Fischer Verlag. 1979: 3-10-004706-0. 2016: ISBN 978-3-10-561357-3. Taschenbuch, 1982.  ISBN: 3596234689

Ludwigsburger Kreiszeitung, 13. April 2003: Vaihingen hält das Gedenken an die NS-Mordopfer wach

Mein Lese-Tipp: Die spannende Lebensgeschichte des W.S.C.

Abenteurer, Militär, Autor, Abgeordneter, Minister, Maler, Journalist, Kriegsführer, Staatsmann – all dies war Winston Spencer Churchill (1874 bis 1965). Er lebte diese Rollen. Und die Klammer, die sich um alle legt?  Der Journalist und Churchill-Biograf Thomas Kielinger findet hier das Wort von Perikles passend: Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, das Geheimnis der Freiheit aber der Mut. An dem mangelte es ihm nicht.  Er war kein Mann der Political Correctness. Seine Markenzeichen: Zylinder, Havanna, Gehstock und das Victory-Zeichen. Sein Motto findet sich in seinen Memoiren:  Im Krieg: Entschlossenheit. In der Niederlage: Trotz. Im Sieg: Großmut.

Als Winston Churchill 25 Jahre alt war, hatte er Kriege auf drei Kontinenten erlebt, fünf Bücher geschrieben und einen Sitz im britischen Unterhaus gewonnen. Als er 60 war, galt er politisch als gescheiterter Mann. Doch dann kam mit dem Zweiten Weltkrieg Churchills größte Stunde.

An Selbstbewusstsein mangelte es ihm nicht. Wir sind doch alle Würmer. Aber ich glaube, ich bin ein Glühwurm. Der Ausspruch des damals 32-jährigen verrät, wie der spätere britische Premierminister sich selbst sah: Ein ungeheurer Anspruch, nicht frei von Arroganz, schreibt Kielinger in seiner Churchill-Biografie Der späte Held.

Winston – sein Vater war Lord Randolph Churchill, dritter Sohn des siebenten Herzogs von Marlborough. Weil aber nur der älteste Sohn eines Herzogs den Titel erbt, galt Winston als bürgerlich. Von nun an war ich Herr meiner Geschicke, zitiert ihn Sebastian Haffner in seiner 1967 erschienen Monografie Winston Churchill. Zwischen Haffners biografischem Essay und Kielingers Sachbuch liegen rund 50 Jahre – letzterer konnte sich auf erst inzwischen verfügbare, weit umfangreichere Quellen stützen. Beide zu lesen, lohnt sich trotzdem. Garantiert ein Lese-Vergnügen: Zuerst Haffners 200 Seiten, dann Kielingers 400. Keine Chance für Langeweile.

In beiden Büchern wird Churchills schwierige Kindheit geschildert – geprägt durch die emotionale Vernachlässigung durch seine Eltern, insbesondere durch seine Mutter Jennie Jerome und den ehrgeizigen, oft abwesenden Vater Lord Randolph Churchill. Schon früh sei sein Eigenwille, sein Ehrgeiz und sein Hang zur Selbstbehauptung deutlich. Der junge Winston, stets auf Anerkennung bedacht, entwickelte früh eine kämpferische Haltung, die sein gesamtes späteres Leben prägen sollte, sowie ein Gespür für Machtpolitik und Inszenierung.

Hoffnungsloser Schulversager

Der Journalist Sebastian Haffner, beibehaltenes Pseudonym des Juristen Raimund Pretzel, der 1938 ins Exil nach London ging und 1954 wieder nach Berlin zurückkehrte, schildert den jungen Winston als hoffnungsloser Schulversager, der nicht einmal das Abitur schaffte, der aber einer der bedeutendsten Staatsmänner des 20. Jahrhundert wurde. Berufsoffizier, Husarenleutnant, begnadeter Schriftsteller, Politiker, im reifen Alter Premierminister des Königreichs. Zweimal wechselte er die Partei, zuerst von den Tories zu den Liberalen und dann wieder zurück – nicht aus Opportunismus, wie er schrieb, sondern weil sich deren Programm jeweils gewandelt hatte. Im Februar 2014 zitierte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in einer Rede vor beiden Häusern des britischen Parlaments den Staatsmann: Leben heißt sich ändern, und vollendet sein heißt sich oft geändert zu haben.

Eine spannende Lebensgeschichte

Der heute 84-jährige Autor Kielinger, jahrelang Korrespondent der WELT in London, bringt es auf den Punkt:  Seine Laufbahn begann im Glorienschein des Kriegers und Abenteurers. Churchill sammelte Erfahrungen als Soldat und dann auch als Kriegsreporter in den Kolonialkriegen - in Indien, Südafrika, mit seiner Flucht aus dem Gefangenenlager der Buren: Churchill, ein Held des Empires, schlüpfte nicht selten auch in beide Rollen gleichzeitig. Soldat und Reporter. Er schrieb Zeitungsberichte, recycelte diese in Büchern, finanzierte aus den Honoraren wesentliche Teile seines Lebensunterhalts.

Eine erste Kandidatur fürs Unterhaus ging anno 1900 schief. Doch just die Geschichte vom tapferen Winston, der den Buren entschlüpfte, verbreitete sich aus von Gazette zu Gazette, schaffte zusätzlichen Bekanntheitsgrad, die Engländer applaudierten, was wiederum seiner nun zweiten Kandidatur fürs Unterhaus höchst förderlich war. Somit holte er sich 1901 sein erstes Mandat im Westminster-Palast noch zu Zeiten der legendären Königin Victoria, nach der eine ganze Ära benannt worden war - er blieb Member of Parlament mit kurzen Unterbrechungen bis 1964 und damit bis zur Ära der Königin Elisabeth II. Zweimal Premierminister, mit 66 und mit 77 Jahren, als andere schon an den Ruhestand denken. Vor allem aber Nationalheld: Anführer der Briten im Krieg gegen Hitler-Deutschland.

Es kam wie von Churchill prophezeit

Die von Churchill gegeißelte Appeasement-Politik seines Vorgängers Chamberlain war gescheitert. Es kam, wie der in großen Linien denkende Stratege Churchill es prophezeit hatte. Dem deutschen Diktator war nicht zu trauen. Als Hitler im September 1939 Polen überfiel, erklärte Großbritannien Deutschland den Krieg. Dass er Polens Freiheit nicht retten konnte, weil der russische Bär und damit die Kommunisten sich des Landes nach 1945 bemächtigten, empfand der britische Regierungschef als Niederlage.  Seine Gegenstrategie, von Süden her Europa vom Nazi-Terror zu befreien, stieß bei US-Präsident Franklin D. Roosevelt nicht gerade auf Gegenliebe.  Roosevelt wollte Stalin nicht verprellen, Churchill dagegen möglichst viele Gebiete für Briten, Franzosen und Amerikaner unter Kontrolle bringen. Eine solche Taktik umzusetzen, dauerte den Amerikanern zu lange, sie wollten den kürzeren Weg durch die Landung an den Küsten der Normandie (1944: D-Day). Churchill beklagt in dem sechsten und letzten Band seiner 1953 vorgelegten Kriegsmemoiren: Den Krieg gewonnen, den Frieden verspielt. Letztlich hatten die beiden Großen ihre jeweiligen Einflusssphären schon abgesteckt

Der Aufstieg zur politischen Führung

Churchills Weg in die Politik und sein rastloses Engagement in unterschiedlichsten Regierungsämtern – von Kolonialminister über Kriegsminister bis hin zum Premier – werden von Sebastian Haffner als Ausdruck eines unbändigen Willens zur Gestaltung interpretiert. Er beschreibt, wie Churchill häufig gegen den Mainstream schwamm, Risiken einging und auch Niederlagen und Skandale in Kauf nahm, ohne sich entmutigen zu lassen. Diese Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden und unerwünschte Wahrheiten auszusprechen, hebt Haffner als wesentliches Element von Churchills Führungspersönlichkeit hervor.

Churchill als Kriegspremier – Der einsame Rufer

Der wohl wichtigste Teil der Bände gilt Churchills Rolle während des Zweiten Weltkriegs. Haffner stellt heraus, wie Churchill in den entscheidenden Wochen des Jahres 1940, nach dem Zusammenbruch Frankreichs, als Premierminister zum Inbegriff des britischen Widerstands gegen Nazi-Deutschland wurde. Er beschreibt eindrucksvoll, wie Churchill, oft einsam in seinem Widerstandswillen, die britische Nation mit seinen Reden, seinem Mut und seinem unerschütterlichen Optimismus durch die dunkelste Stunde führte. Vor dem Unterhaus rief er am 13. Mai 1940 aus: Er habe nichts anzubieten außer Blut, Schweiß und Tränen.  Seine rhetorische Brillanz, der Glaube an die Gerechtigkeit der eigenen Sache und die Bereitschaft, notfalls allein gegen Hitler-Deutschland zu stehen, werden als Schlüssel für den britischen Durchhaltewillen und letztlich für den Sieg über den Faschismus herausgearbeitet.

Kielinger analysiert die berühmten Reden Churchills und dessen politisches Geschick, aber auch die psychologischen Aspekte seines Führungsstils. Die Zweifel, Ängste und der immense Druck, dem der Regierungschef ausgesetzt war, werden eindrücklich geschildert: Einerseits der unbeirrbare Optimist, der Großbritannien in finsterster Stunde Hoffnung gab, andererseits der Realpolitiker, der auch harte Entscheidungen traf und nicht frei von Fehlern war. Das Buch beleuchtet Churchills Verhältnis zu Roosevelt und Stalin, zeigt die diplomatischen Herausforderungen und die persönlichen Belastungen, die mit der Rolle als Retter Europas verbunden waren.

Hobby eine äußerst wichtige Strategie

Mit dem Nobelpreis für Literatur 1952 wurden seine schriftstellerischen Leistungen gewürdigt. Er schrieb die Geschichte des Ersten und des Zweiten Weltkrieges – sie ergaben genauso mehrteilige Bände genauso wie Geschichte, vier Bände mit der Invasion Cäsars in Britannien beginnend und mit dem Ende des Victorianischen Zeitalters schließend sowie seine eigenen Lebenserinnerungen und die Familiensaga des Herzogs Marlborough. 34 Bücher brachte er auf den Markt, allesamt Bestseller. Und allesamt Mitarbeitenden diktiert, was ein höheres Tempo erlaubte, als wenn er alles hätte zu selbst zu Papier bringen müssen - Aber auch Essays wie den mit dem unpolitischen Titel Zum Zeitvertreib, in dem er sich feinsinnig und humorvoll mit dem Lesen und Malen beschäftigt auf 60 kleinformatigen Seiten. Abwechslung ist der Schlüssel schlechthin. (…)  Ein Hobby und neue Interessen zu pflegen ist daher für jemanden, der im öffentlichen Leben steht, eine äußerst wichtige Strategie.

Der Mensch Churchill – Genie und Exzentriker

Haffner zeichnet Churchill nicht als makellosen Helden, sondern als komplexe Persönlichkeit mit Licht und Schatten. Er beschreibt seine Eitelkeit, seinen Hang zu theatralischen Gesten, seine emotionale Unberechenbarkeit, aber auch seinen Charme und Humor. Churchill erscheint als ein Genie, das gerade aus seinen Fehlern und Niederlagen eine fast übermenschliche Resilienz zog. Die Ambivalenz seines Charakters – zwischen Hybris und Selbstironie, zwischen Übermut und Verzweiflung – macht ihn zu einer außergewöhnlichen, faszinierenden Figur.

Ein weiterer wichtiger Teil des Buches ist der Blick auf Churchills Nachkriegszeit. Kielinger beschreibt, wie Churchill nach dem Krieg politisch und persönlich mit der neuen Weltordnung ringt, sich als Architekt Europas zu profilieren sucht und schließlich aus dem Amt scheidet. Auch Churchills künstlerische Seite, seine Leidenschaft für das Malen und Schreiben, aber auch seine Schwächen, wie der Hang zu Zigarren und Alkohol, werden beleuchtet und tragen dazu bei, ein menschliches und authentisches Bild zu zeichnen. Ich kann mich nicht damit abfinden, den Rest meines Lebens müßigzugehen.

Legendenbildung um den Ex-Premier

Nicht zuletzt geht Kielinger auf das Nachleben Churchills ein – wie sein Bild bis heute weltweit nachwirkt, welche Verehrung und Kritik ihm zuteilwurde und wie sich die Bewertung seiner Leistungen im Laufe der Jahrzehnte wandelte. Auch der Mythos und die Legendenbildung um Churchill werden nüchtern betrachtet.

Kritische Würdigung

Kielinger gelingt mit Der späte Held das Kunststück, Churchill weder zu glorifizieren noch zu entzaubern. Stattdessen zeigt er einen Menschen mit Ecken und Kanten. Haffner betont, dass Churchill, anders als viele andere Kriegspremiers, auch nach dem Ende der Kampfhandlungen eine gewichtige Stimme blieb. Er warnte früh vor den Gefahren des Kommunismus und der sowjetischen Expansion, prägte Begriffe wie Eiserner Vorhang und setzte sich unermüdlich für ein vereintes Europa ein so in seiner bekannten Züricher Rede 1946. Haffners Resümee: Doch auch hier bleibt Churchill der Außenseiter – sein Einfluss auf die konkrete Entwicklung Europas blieb begrenzt, und viele seiner Visionen wurden erst Jahrzehnte später realisiert.

Sebastian Haffner: Churchill. Verlag Rowohlt. Verlag: Rowohlt. Erscheinungstermin: 01.10.2017. ISBN: 978-3-644-51721-9. 160 Seiten. Taschenbuch. 14 Euro

Thomas Kielinger: Winston Churchill. Verlag C.H.Beck.  ISBN 78-3-406-71377-4. Erschienen am 29. August 2017, 3. Auflage, 2022. 400 S., mit 43 Abbildungen. 16,95 Euro

Winston Churchill: Zum Zeitvertreib. Vom Lesen und Malen. Hoffmann und Campe, 11,5 x 18,5 cm, 64 S., geb. 15 Euro

Geschichte von Cäsar bis Victoria - Winston Churchills Monumentalwerke erschienen meist mehrbändig. Insgesmt schrieb er 34 Bücher, eines dicker als das andere.llesamt sorgten sie für kräftige Einnahmen.

 

 

 

 

Was das neue Sanierungsgebiet Lienzingen II so einmalig macht

Fachwerkparade in der Herzenbühlstraße (Fotos: Günter Bächle)

Jetzt ist der Weg frei. Die vom Land Baden-Württemberg genehmigte Neuauflage des Sanierungsgebiets in Lienzingen kann anlaufen. Der Gemeinderat stimmte der Sanierungssatzung, der Abgrenzung und den Förderrichtlinien zu.  Erfreulich ist, dass die maximalen Fördersätze gegenüber 2018 um zehn Prozent erhöht wurden. Den Anstoß dazu gab dazu in der jüngsten Ratssitzung ein CDU-Antrag. Unsere Begründung: In den vergangenen sieben Jahren liefen die Baukosten den Sanierungsgeldern davon. Wir wollten wertmäßig auf das Niveau von 2018, die Verwaltung wollte gar keine Anhebung, doch der Gemeinderat verständigte sich, zehn Prozent draufzulegen. Manchmal ist der Spatz in der Hand mehr als die Taube auf dem Dach.

Im Sanierungsgebiet Ortskern II Lienzingen wohnen zirka 258 Einwohner auf einer Fläche von rund 10,3 Hektar. Das neue Sanierungsprogramm (aus dem Bund-Länder-Programm Sozialer Zusammenhalt) läuft bis 2033. Zunächst liegen 1,6 Millionen Euro im Fördertopf (60 Prozent vom Land und 40 Prozent von der Stadt). Doch schon jetzt rechnet die Kommunalentwicklung Baden-Württemberg (KE), von der Stadt beauftragter Sanierungsträger, im 93-seitigen Ergebnisbericht der vorbereitenden Untersuchungen vor: 4,4 Millionen Euro werden in den nächsten sieben Jahren notwendig sein. Wenn der Topf leer ist, wird vom Land auf Antrag der Kommune aufgestockt, was meist in Ein-Millionen-Schritten geschieht. Zudem laufen die Sanierungsgebiete länger als zunächst formal festgelegt (Ortskern I Lienzingen, von 2006 bis 2022, ursprünglich bis 2014).

Was dieses Sanierungsgebiet so einmalig macht: Lienzingen verfügt über eine Vielzahl von sehenswerten Fachwerkbauten aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Der historische Ortskern ist umrahmt von Hausgärten, die eine ortsnahe Grünzone bilden. Zusammen mit dem Scherbentalbach und dem Schmiebach stellen sie eine Zäsur zu der südlich und östlich angrenzenden neueren Bebauung dar. Mit 40 Prozent ist der Anteil der Kulturdenkmale außergewöhnlich hoch, gilt als Markenzeichen des Dorfkerns, der als Etterdorf unter Schutz steht. 

Um die Mitwirkungsbereitschaft sowie Wünsche und Anregungen der Gebäudeeigentümer im Untersuchungsgebiet zu erfragen, wurden im August 2024 insgesamt 119 Fragebögen an die Eigentümer verschickt. Außerdem durfte auch online an der Befragung teilgenommen werden. 42 konnten ausgewertet werden.

"Was das neue Sanierungsgebiet Lienzingen II so einmalig macht" vollständig lesen

Anno 1948: Baulinie am Brühlsträßchen - Doch die Bauwollenden wollten mehr als dem Bürgermeister notwendig erschien

(Thema Wohnungsbau 2/2)

Flächenverbrauch, Flächenfraß - die Worte waren den Menschen in den Jahren nach der Befreiung 1945 fremd. Wohnungsnot - das war das höchst aktuelle Wort der damaligen Zeit. Und das größte Problem, das es zu lösen galt. So findet sich in den, im Stadtarchiv Mühlacker liegenden Akten der selbstständigen Gemeinde Lienzingen ein Protokoll der Ratssitzung vom 30. November 1948 mit der Signatur Li B 323, Seite 125.

Ortsbauplan für Lienzingen aus 1939 von der Beratungsstelle des Innenministeriums Württemberg in Stuttgart im Entwurf 1:500. Zentraler Vorschlag: Ein Wohngebiet Brühl und die Bebauung des Gebiets nach dem jetzigen Ortsrand beidseits der heutigen Knittlinger Straße. Der Krieg verhinderte die Umsetzung der Planung, auf die die Württembergische Heimstätte schon spekulierte (Quelle: STAM, Li A 72)

Der erste Punkt der Tagesordnung: Bereitstellung von Baugelände. Bürgermeister Richard Allmendinger berichtete den acht Ratsmitgliedern von einer Bürgerversammlung fünf Tage zuvor über die Zukunftsaufgaben der Kommune, insbesondere über die Möglichkeiten und Aussichten bezüglich der Planung und Schaffung von Bauplätzen. Nach einer regen Aussprache sei von der versammelten Bürgerschaft eine Art Resolution gefasst worden, in der die Ausdehnung des Baugeländes an der Brühlstraße bis zum Grundstück Ott und von dort in westlicher Richtung bis zur Umgehungsstraße und Kohlplatte gefordert werde. 

Bei genauer und sachgemäßer Prüfung der vorliegenden Verhältnisse erscheine die Forderung ihre volle Berechtigung zu haben, sagte Allmendinger, seit einem Jahr im Amt. Aber er hielt es für fraglich, dass die zuständigen Stellen die Ausweitung des Baugeländes in solchem Ausmaß genehmigen. Dabei verfügte die knapp 1000 Einwohner zählende Kommune zumindest schon über ein Instrument, auf das sie nun zurückgreifen konnte und um das andere sie beneideten:  Der Baulinienplan, am 21. Januar 1930 vom Oberamt in Maulbronn besiegelt und damit in Kraft gesetzt, war zuvor in Lienzingens Gemeinderat diskutiert und beraten worden. In der öffentlichen Bekanntmachung vom 19. November 1929 - angeschlagen & durch Ausruf - steht, dass der Entwurf zur Einsichtnahme eine Woche lang auf dem Rathaus öffentlich ausliege. Bürgermeister Karl Brodbeck (im Amt 1920 bis 1945) verwies auf die Zustimmung des Gemeinderats vom 12. November 1929 zur Baulinie am Brühlsträßchen.

Ein Ausschnitt aus dem Ortslinienplan von 1930 für das so genannte Brühlsträßchen (Quelle: STAM, Li A 72)

Als ein größeres Projekt erwies sich dann Jahre später der Ortsbauplan. Die zuständige Beratungsstelle beim Württembergischen Innenministerium legte einen Entwurf im Maßstab 1:500 vor, für den sie der Kommune 120 Reichsmark berechnete, und sandte diesen am 7. August 1939 dem Bürgermeister der Gemeinde Lienzingen. Es handelte sich um das Gebiet westlich des Ortsweges Nummer 1 und südlich des Feldweges Nummer 171. Das Ministerium riet dazu, diesen Plan nur abschnittsweise jeweils entsprechend dem tatsächlich vorhandenen Baubedürfnis in dem dortigen Gebiet festzustellen und den vom Landmesser zu fertigenden Teilplan vor seiner Fertigstellung uns noch einmal zur Begutachtung vorzulegen.

Eine Lichtpause, so die Beratungsstelle an Bürgermeister Brodbeck, erhalte die Württembergische Heimstätte, die unseres Wissens eine Siedlung in diesem Gebiet plane.

"Anno 1948: Baulinie am Brühlsträßchen - Doch die Bauwollenden wollten mehr als dem Bürgermeister notwendig erschien" vollständig lesen

Turbo-Tempo im Lienzingen von 1868: Baugenehmigung nach nur zwei Wochen für Pfullingers Schnapsbrennerei, und das noch gebührenfrei

Lienzingen, Spindelgasse 1: Einst wurde darin Schnaps gebrannt. Unbekannt ist, ob es um 1868 die einzige Anlage in dem 900-Einwohner-Ort war (Foto: Günter Bächle)

Ein virtueller Streifzug durch die Bestände des Landesarchivs Baden-Würtemberg fördert immer wieder kleine lokalgeschichtliche Raritäten ans Licht der Öffentlichkeit. So findet sich im Fundus des dem Landesarchivs nachgeordneten Staatarchivs Ludwigsburg, dort in den Bauakten aus den Jahren 1834 bis 1938, Nachakten sogar bis 1965, des Oberamtes Maulbronn, das 1938 im Landkreis Vaihingen an der Enz aufging,  eine höchst interessantes Stück aus Lienzingen. In dem Büschel 434 mit der Signatur F 183 III verbirgt sich ein Bauantrag aus den Jahren 1868/69 des Bauers Gottlob Pfullinger, der sein Waschhaus mit Holzremise zur Schnapsbrennerei umwandeln wollte. Das Gebäude steht heute noch, jedoch die Destillationsanlage mitsamt Brennrechten sind längst Geschichte.

Heute mutet das Fachwerkhäusle, das an der Einmündung der Spindelgasse in die Knittlinger Straße steht, leicht marode an. Ein Fall für das Sanierungsprogramm Ortskern Lienzingen von Stadt und Land. Ein beträchtlicher Teil der Außenwände versteckt sich hinter prächtigen Efeu-Teppichen. Der Abstand zu dem Nachbarhaus – jetzt Knittlinger Straße 15 – ist minimal, hat dorthin keine Fenster oder sonstige Öffnungen, somit besteht eine geschlossene Front, die die Helligkeit für die Angrenzer mindert. Ihr Blick endet am durchgängigen Mauerwerk. Durchaus zu vermuten wäre, dass der in der Form eines Kuchenstückes verlaufende und noch nicht sanierte Schuppen zur „15“ gehört. Ein Irrtum. Eigentümer ist Reinhard Pfullinger, Chef von Hotel und Restaurant zum Nachtwächter, Landwirt, Wengerter und Jagdpächter. Sein stattliches Anwesen schließt, durch die Gasse getrennt, nach Westen an.

"Turbo-Tempo im Lienzingen von 1868: Baugenehmigung nach nur zwei Wochen für Pfullingers Schnapsbrennerei, und das noch gebührenfrei" vollständig lesen

Volkstrauertag 2024 - was zu sagen war

Vor 80 Jahren, im Jahr 1944, kam es zu drei zentralen Ereignissen im Zweiten Weltkrieg: zur Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni, zum Warschauer Aufstand am 1. August - der bewaffnete Widerstand der Polnischen Heimatarmee gegen die deutschen Besatzer - zum gescheiterten Attentat der Widerstandsgruppe um Oberst Graf Schenk von Stauffenberg am 20. Juli 1944. Diese Ereignisse markieren entscheidende Wendepunkte, die die bevorstehende Niederlage des nationalsozialistischen Terrorregimes ankündigten. Gleichzeitig erinnern wir in diesem Jahr an den 110. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges. Diese Jahrestage bieten uns die Gelegenheit, unser Bewusstsein und Verständnis für die Auswirkungen dieser Ereignisse auf unsere heutige Zeit zu vertiefen und uns zu sensibilisieren.

Deutschland hat im Zuge beider Weltkriege unermessliches Leid über Europa und die Welt gebracht, insbesondere durch die systematische Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden – ein Verbrechen, das nicht nur niemals vergessen, sondern auch niemals wieder geschehen darf. Umso entsetzlicher ist das Anwachsen antisemitischer Umtriebe in unserem Land. Am 3. Januar 1996 proklamierte Bundespräsident Roman Herzog den 27. Januar zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus (der 2005 von den Vereinten Nationen zum offiziellen Holocaust-Gedenktag erklärt wurde). Bei seiner Proklamation führte der Bundespräsident aus: Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.

Aus meiner Rede zum heutigen Volkstrauertag vor dem Ehrenmal auf dem Lienzinnger Friedhof. Hier in der gesamten Länge: Volkstrauertag_2024_Lie.pdf

Sie wackeln nicht, sie zittern nicht

Unter den Augen der Dichterfürsten Goethe und Schiller. (Foto: Günter Bächle)

Allein das Programm wiegt schwerer als viele andere. 200 Seiten mit Geschichten, Portraits, Hintergründe, Termine, auf Deutsch und Englisch.  Ein who is who der Kulturwelt, gilt das Kunstfest Weimar doch als eines der renommiertesten und vielfältigsten Kulturfestivals in Deutschland, organisiert von einem nur knapp zehnköpfigen Team unter dem Dach des Deutschen Nationaltheaters und der Staatskapelle Thüringen in Weimar. Welch eine Leistung! 

Das Festival - laut Veranstaltern größte zeitgenössische Kunstschau in Ostdeutschland - dauert diesmal vom 20. August bis 8. September 2024. Mehr als 140 (oder 160?) Veranstaltungen aus zehn Sparten stehen auf dem Programm - darunter 22 Ur- und Erstaufführungen. Allein das Eröffnungsprogramm am ersten Tag ist nicht stressfrei. Ach so, da war ja auch noch das …

Für die Demokratie plakatiert (Foto: Thomas Müller)

Ich erlaube mir zwei Tage Festival. Zum ersten Mal. Bedaure, dass es danach schon heimwärts geht. Aber zwei Tage lassen einen beeindruckt sein, auch vom Mut der Festival-Macher. Sie wackeln nicht, sie zittern nicht! Es ist nicht die Zeit der Leisetreter, klare Kante ist gefragt. Unter dem Eindruck der bevorstehenden Landtagswahl in Thüringen begann das Kunstfest, das in diesem Jahr einen besonders starken politischen Anspruch hat. Wir versuchen, mit unserem Programm die Narrative von der extremen Rechten zu konterkarieren und wollen die Vielfalt feiern, die wir bedroht sehen, sagte Festival-Leiter Rolf C. Hemke auch im ZDF-Morgenmagazin. Hemke: Es geht um die Verfasstheit unserer Zivilgesellschaft und die Fragen danach, ob wir weiter eine lebendige Erinnerungskultur haben, ob wir den Feminismus weiterbefördern, wie wir zur Zuwanderung und zur Inklusion von Menschen mit Handicaps stehen. Der 52-jährige gebürtige Kölner ist seit 2018 Chef des Kunstfestes.

Tanz, Konzert, Schauspiel, Kunst, Diskurs, Musiktheater, Performance, Literatur und Film ein buntes, bildungsakzentuiertes und künstlerisch hochambitioniertes Programm. Die Eröffnung fand mit vielen Gästen aus Politik, Wissenschaft und Kultur statt – im Bauhaus Museum, in der Herderkirche, auf dem Theaterplatz mit dem Schiller-/Goethe-Denkmal und in der Redoute des Deutschen Nationaltheaters. 

"Sie wackeln nicht, sie zittern nicht" vollständig lesen