Mein Onkel, der Orden und der Erste Weltkrieg

Ordensurkunde mit Anmerkungen.

Ahnenforschung. Im Hauptstaatsarchiv Stuttgart liegen Akten (HStA Stuttgart M 477 Bd. 28), die einen meiner Vorfahren betreffen und auf die ich schon vor längerer Zeit stieß: Kriegsstammrollen des (württembergischen) Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 120 / 1914-1918., genauer die Kriegsstammrolle der 8. Kompanie.

Unter der laufenden Nummer findet sich der Eintrag: Res[ervist] Gotthilf Ernst Schrodt, ev. [= evangelisch], Schützingen O.A. [= Oberamt] Maulbronn / 26.10.[18]87, Gipsermeister / Schützingen, Ehefrau Maria geb. Bahnmeier, Schützingen, 1 Kind, Vater: + [= verstorben] / Christine geb. Fritz, Schützingen. Vom 15.11. – 18.11.[19]15 im Revier [?] an Bronchitis.

Am 15.9.[19]16 gefallen südwestlich Peronne. Die Richtigkeit beglaubigt. Recelaire, den 10. Oktober 1916 [eigenhändige Unterschrift] Leutnant u[nd] Komp[anie] Führer.

Zu seinem militärischen Dienst im damaligen Königreich Württemberg finden sich wenige Zeilen: [= 8. Kompanie. Res[erve] Inf[anterie] Regts. [= Regiment] Nr. 120 . Frühere Dienstverhältnisse: 12.10.[19]07 als Rekr[ut] 8. Komp[anie] I[nfanterie] R[egiment] 121 Entl[assung ?]: 20.9.[19]09 zur Res[erve] nach Schützingen, 25.8. bis 21.9.[19]11 ..bg. [?] b 5./ I[nfanterie] R[egiment] 121. Mit der Mobilmachung rückte Gotthilf Schrodt am 5.8.[19]14 ein.

Er fiel gut einen Monat, nachdem seine Tochter Emilie (1916-1998) geboren war, in Péronne - einer französische Gemeinde mit heute 7652 Einwohnern im Département Somme in der Region Hauts-de-France. Der Ort wurde im Ersten und Zweiten Weltkrieg zerstört. In seinem Historial de la Grande Guerre ist dieses traurige Kapitel der Geschichte aufgearbeitet mit einem Menüpunkt Die Schlachtfelder der Somme, ein Rundgang. Als der Schützinger Schrodt an der Somme kämpfte, lag dort auch Wilhelm Bächle in den Schützengräben. Ob sie sich begegnet sind, wird nie jemand wissen. Aber so kreuzen sich Linien in zwei Familiengeschichten. Gotthilf Schrodt war mein Großvater, Wilhelm der Bruder meines Vaters. Der Württemberger und der Badener.

Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben Sich unter dem 15. Dezember d.J. (1917) gnädigst bewogen gefunden, die Silberne Verdienstmedaille am Bande der  Militärischen Karl-Friedrich-Verdienstmedaille zu verleihen. Hiervon setzte die Großherzogliche Ordens-Kanzlei in Karlsruhe am 16. Dezember 1917 die 52. Infanterie-Division  im Felde unter Bezug auf deren mit Schreiben vom 24. Oktober 1917 an den Generaladjutanten eingereichten Vorschlagsliste  in Kenntnis - gegen Empfangsbestätigung.

Aber schon am 21. November 1917 hatte der Generaladjutant Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs von Baden in einem Vermerk beklagt, dass es auffallend und nicht voll gerechtfertigt sei, dass die Regimenter in einer Eingabe so zahlreiche Nichtbadener namhaft gemacht hätten, dass die Zahlen beim Infanterie-Regiment 111 selbst nach Abzug der in den letzten Kämpfen gefallenen und vermissten Mannschaften noch 20,5 Prozent betragen, bei Infanterie-Regiment 169 sogar 36,5 Prozent und bei Infanterie-Regiment 170 noch 31 Prozent. Er habe deshalb verschiedene Nichtbadener heute nicht befürwortet, deren Dekorierung evenetuell einem späteren Zeitpunkt, wenn sie wieder eingegeben werden, überlassen werden müsse, steht in dem Dokument, gerichtet an das Großherzoglich geheime Kabinett in Karlsruhe i.B.. Schriftstücke, die heute im Generallandesarchiv Karlsruhe lagern. (GLA Karlsruhe  456 C Nr. 1984)

Der skuril wirkenden Statistik über die Nationalität von Soldaten, die Seite an Seite in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges lagen, oft in Totesängsten. Immerhin: Die laufende Nummer 39 erhielt die Badische silberne Verdienstmedaille am Bande der  Militärischen Karl-Friedrich-Verdienstmedaille. Es war der Gefreite im Infanterie-Regiment 170, Wilhelm Bächle, wohlgemerkt ein Badener, geboren am 9. Mai 1891 im Ortsteil Langenordach in  Neustadt/Baden, dem heutigen Titisee-Neustadt.

Verdienstmedaille für Wilhelm Bächle

Wilhelm, Fabrikarbeiter, ledig, katholisch. Vater: Dyonis, Mutter: Berta Bächle. Mein Onkel, von dem ich nicht einmal ein Bild habe. In den Beständen der Personalverwaltung des XIV. Badischen Armeekorps findet sich eine Beschreibung: Grösse 1 m 65, Gestalt mittel, Kinn gew[öhnlich], Nase gew[öhnlich], Mund gew[öhnlich], Haar blond, kl[einer] Schnurrbart, Tätowierung beide Arme. War von Oktober 1911 bis September 1913 Reservist. Vom Kriegsausbruch im August 1914 bis 1918 auf vielen Schlachtfeldern im Westen, zuerst als Gefreiter, dann in den beiden letzten Kriegsjahren Unteroffizier, seit 25. Juni 1918 Sergeant.  Und weiter:


Am 10.11.[19]15 im Gefecht bei Essarts verwandet. „ 7.12.[19]15 zur Komp[anie] zurück. „ 30.3.[19]17 krank ins Kriegslaz[arett] Abt. II Brombach b[ei] Lörrach / Baden. „ 6.7.[19]17 zur Gen. [?] Abt. 3 Freiburg.


Unterdessen tat die Verwaltung seit 1914 eben das,  wa eine Verwaltung am liebsten tut:  Sie listet auf. Im Fall des Wilhelm Bächle in Rubrik 12 - mitgemachte Gefechte - dessen Einsatzorte im Ersten Weltkrieg. Einem Mann, der offensichtlich mit Begeisterung Soldat war und dem Tode lange von der Schippe sprang:  9.-10.8.[19]14 Gefecht bei Sonnheim / Mühlhausen. 20-22.8.[19]14 Schlacht [?] in Lothringen. 23.8. – 14.9.[1914] Schlacht vor Nancy-Epinal. / 16.-30.9.[19]14  Kämpfe bei Flirey. / 2.-12.10.[19]14  Schlacht bei Arras. / 15.-28.10.[19]14 Schlacht bei Lille. / 14.-24.12.[19]14 Dezemberschlacht in franz. Flandern. / 31.12.[19]14 – 12.1.[19]15  Gefecht bei Cuinchy [?] (Prellbockstellung) / 25.-30.1.[19]15, 6.-8.2.[19]15 Gefecht bei Auchy lez [?] La Bassee (Ziegelhaufenstellung) / 3.10.[19]14 – 8.3.[19]15  Stellungskämpfe in Franz.Flandern u. in Artois.  / 25.3.-6.6.[19]15, 14.6.-10.11.[19]15, 7.12.[19]15 – 24.6.[19]16  Stellungskämpfe in Artois westlich Bapaume / 24.6.-26.11.[19]16 Schlacht an der Somme. 11.1.-31.3.[19]17 Stellungskämpfe im Oberelsass [?] / 10-9.- 22.11.[19]17  Stellungskämpfe am Chemin des Dames  / 23.10.[19]17  Gefecht bei …grimon [?]. 24.-31.10.[19]17 / (Stellm) Nachhutgefechte an u. südlich der Ailette / 3.11.[19]17  Stellungskämpfe in der Champagne.

Einträge auf engstem Raum bei Wilhelm Bächle - wären nicht die Spalte mit seinen Kriegseinsätzen so arg voll geschrieben wäre und das in engster und kleinster Schrift, man täte sich leichter mit dem Studieren. Die Kriegsrollen sind inzwischen online gestellt. Allerdings bestand beim Transkriptieren die  Schwierigkeit, alle französischen Orte zu identifizieren. Nicht alle ließen sich bei der Übertragung der Texte ausfindig machen (Wort schwierig lesbar und dann vielleicht noch ein Ort/Platz, der nicht auf jeder Karte eingezeichnet ist).  Auch vor einigen Abkürzungen muss man kapitulieren.

Der einzige Bruder meines Vaters Johann (1899-1964) war am 15. Dezember 1917  mit dem Eisernen Kreuz (EK) II ausgezeichnet worden, dann im Dezember 1917 mit der Badischen Silbernen Verdienstmedaille am Bande,  am 10. Juli 1918 folgte das Verwundeten-Abzeichen schwarz für 1 x mutige Verwundung. Als ich 1950 zur Welt kam, war es meinem Vater wichtig, dass ich den Vornamen Wilhelm erhielt, wenn schließlich  sozusagen dem Rufnamen Günter nur nachgeordnet, was meine Mutter Emilie (1916-1998) durchsetzte.

Wenige Wochen vor dem Ende des Ersten Weltkriegs fiel Wilhelm Bächle. In den Akten steht:


Am 4.10.[19]18 bei Sommerance durch a.g. [?] Kopf gefallen. Wegen der Gefechtslage konnte Beerdigung nicht erfolgen. Anerkannt: Im Felde, den 17. Oktober 1918 Leutnant u[nd] Komp[anie] Führer.


Mit 27 Jahren.

Wenn bei Wilhelm Bächle nicht die Spalte mit seinen Kriegseinsätzen so arg voll geschrieben wäre …. und das in engster und kleinster Schrift.

Deutsch-Französische Kriegsschlachten, die überwunden zu haben, wir uns heute glücklich schätzen sollten. Das europäische Einigungswerk als Friedensprojekt. Lassen wir uns das nicht von den neuen Nationalisten stehlen.

Ein Schnitt: 102 Jahre später. Wieder einen Orden für einen Bächle. Das Bundesverdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, das mir Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verlieh - für ehrenamtliche Arbeit. Im April 2018 unterschrieb das Staatsoberhaupt die Urkunde für eine Auszeichnung, an die immer strengere Maßstäbe angelegt wird. Ende Januar 2019 folgte die offizielle Feier in Mühlacker.

Ehrenamt gedeiht im Frieden. Unabhängig von der Nationalität. Ob Badner oder Nichtbadner interessiert niemand mehr.

Zur Verleihung gratulierte mir ein Bürger, der über eine andere Statistik erstaunt war, die der OB in seine Glückwunschrede einbaute: etwa 700 Anfragen außerhalb von Sitzungen in zehn Jahren. Das nötigte dem Enzberger Respekt ab: Über 700 schriftliche Anfragen, einfach gut. Hat mir auch geholfen.

Dazu auch: bk_9.pdf

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Kommentare

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Erhardt Stiefel am :

Hallo Herr Bächle, heute habe ich ihre Kategorien durchgeklickt und die meisten der sehr interessanten Beiträge studiert. Ihr Blog ist sehr aufschlussreich und informativ. Nun bin ich bei Z=Zur Person gelandet, habe die Story über ihre Vorfahren gelesen und bin gespannt, wann sie ihre Familiengeschichte in Geneanet veröffentlichen. An meiner habe ich vor eineinhalb Jahren zuletzt gearbeitet. Nun bin ich durch sie ganz neu motiviert worden daran weiter zu arbeiten. Danke!
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