Anno 1948: Baulinie am Brühlsträßchen - Doch die Bauwollenden wollten mehr als dem Bürgermeister notwendig erschien

(Thema Wohnungsbau 2/2)

Flächenverbrauch, Flächenfraß - die Worte waren den Menschen in den Jahren nach der Befreiung 1945 fremd. Wohnungsnot - das war das höchst aktuelle Wort der damaligen Zeit. Und das größte Problem, das es zu lösen galt. So findet sich in den, im Stadtarchiv Mühlacker liegenden Akten der selbstständigen Gemeinde Lienzingen ein Protokoll der Ratssitzung vom 30. November 1948 mit der Signatur Li B 323, Seite 125.

Ortsbauplan für Lienzingen aus 1939 von der Beratungsstelle des Innenministeriums Württemberg in Stuttgart im Entwurf 1:500. Zentraler Vorschlag: Ein Wohngebiet Brühl und die Bebauung des Gebiets nach dem jetzigen Ortsrand beidseits der heutigen Knittlinger Straße. Der Krieg verhinderte die Umsetzung der Planung, auf die die Württembergische Heimstätte schon spekulierte (Quelle: STAM, Li A 72)

Der erste Punkt der Tagesordnung: Bereitstellung von Baugelände. Bürgermeister Richard Allmendinger berichtete den acht Ratsmitgliedern von einer Bürgerversammlung fünf Tage zuvor über die Zukunftsaufgaben der Kommune, insbesondere über die Möglichkeiten und Aussichten bezüglich der Planung und Schaffung von Bauplätzen. Nach einer regen Aussprache sei von der versammelten Bürgerschaft eine Art Resolution gefasst worden, in der die Ausdehnung des Baugeländes an der Brühlstraße bis zum Grundstück Ott und von dort in westlicher Richtung bis zur Umgehungsstraße und Kohlplatte gefordert werde. 

Bei genauer und sachgemäßer Prüfung der vorliegenden Verhältnisse erscheine die Forderung ihre volle Berechtigung zu haben, sagte Allmendinger, seit einem Jahr im Amt. Aber er hielt es für fraglich, dass die zuständigen Stellen die Ausweitung des Baugeländes in solchem Ausmaß genehmigen. Dabei verfügte die knapp 1000 Einwohner zählende Kommune zumindest schon über ein Instrument, auf das sie nun zurückgreifen konnte und um das andere sie beneideten:  Der Baulinienplan, am 21. Januar 1930 vom Oberamt in Maulbronn besiegelt und damit in Kraft gesetzt, war zuvor in Lienzingens Gemeinderat diskutiert und beraten worden. In der öffentlichen Bekanntmachung vom 19. November 1929 - angeschlagen & durch Ausruf - steht, dass der Entwurf zur Einsichtnahme eine Woche lang auf dem Rathaus öffentlich ausliege. Bürgermeister Karl Brodbeck (im Amt 1920 bis 1945) verwies auf die Zustimmung des Gemeinderats vom 12. November 1929 zur Baulinie am Brühlsträßchen.

Ein Ausschnitt aus dem Ortslinienplan von 1930 für das so genannte Brühlsträßchen (Quelle: STAM, Li A 72)

Als ein größeres Projekt erwies sich dann Jahre später der Ortsbauplan. Die zuständige Beratungsstelle beim Württembergischen Innenministerium legte einen Entwurf im Maßstab 1:500 vor, für den sie der Kommune 120 Reichsmark berechnete, und sandte diesen am 7. August 1939 dem Bürgermeister der Gemeinde Lienzingen. Es handelte sich um das Gebiet westlich des Ortsweges Nummer 1 und südlich des Feldweges Nummer 171. Das Ministerium riet dazu, diesen Plan nur abschnittsweise jeweils entsprechend dem tatsächlich vorhandenen Baubedürfnis in dem dortigen Gebiet festzustellen und den vom Landmesser zu fertigenden Teilplan vor seiner Fertigstellung uns noch einmal zur Begutachtung vorzulegen.

Eine Lichtpause, so die Beratungsstelle an Bürgermeister Brodbeck, erhalte die Württembergische Heimstätte, die unseres Wissens eine Siedlung in diesem Gebiet plane.

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Wie aus der Lienzinger Mangelwirtschaft doch eine Erfolgsgeschichte wurde

Lienzingen und seine nach 1945 entwickelten Wohnbaugebiete. (Foto: Ulrich Straub, 2016)

(Thema Wohnungsbau 1/2)

Häuslesbauern keine Steine in den Weg zu legen, sondern solche wegzuräumen, das war die Leitlinie von Lienzingens  Bürgermeister Richard Allmendinger und seinen Gemeinderäten.  Als  paradiesischer Zustand muss das für manche wirken, die sich heutzutage mit Baurechtsämtern herumschlagen und diese als Verhinderungsämter wahrnehmen. Allmendinger, seit November 1947 im Amt, verwies auf die seinerzeitige Wohnungsnot durch den Zuzug von Vertriebenen und Flüchtlingen und handelte. Er habe sich damals oft Gedanken gemacht, wie diese Not am schnellsten gelöst werden könnte, schrieb Allmendinger im Jahr 1970 rückblickend in seinem Beitrag zum Ortsbuch. Dabei bin ich zu dem Entschluss gekommen, jeden  nur einigermaßen fähigen und willigen Bewerber ein eigenes Heim bauen zu lassen. Aber woher die dazu notwendigen Bauplätze nehmen? (in: Friedrich Wißmann, Ortsbuch Lienzingen, 1970, Walter-Verlag, S. 324)


Lienzinger Geschichte(n) heute vom großen Herz für Häuslesbauer bei Bürgermeister und Gemeinderat, von Baudarlehen, günstigen  Bodenpreisen und der Klage: Man weiß bald nicht, welcher Fall der dringendste ist und man kommt bald in die größten Schwierigkeiten, aber auch von fünf Gaststätten für 1000 Einwohner und dem Antrag für eine sechste. Dazu in Akten und Ratsprotokollen geblättert (Serie in meinem Blog)


Eine erste Zwischenbilanz zog der Schultes bei der Sitzung am 15. Februar 1951, als er die am 28. Januar 1951 gewählten neuen Gemeinderäte verpflichtete: Die Landwirte Adolf Brüstle (261 Stimmen) und Eberhard Pfullinger (248) sowie Schlosser Erwin Schmollinger (168)  und Maurer Karl Straub (217 Stimmen) durften seine Worte als Richtschnur für ihre bevorstehende sechsjährige Amtszeit ansehen. Für die ausgeschiedenen Räte Christian Benzenhöfer, Gottlob Hermle, Rudolf Rommel und Robert Seethaler sollte der Rückblick gleichzeitig Anerkennung für die geleistete ehrenamtliche Tätigkeit sein.

Richard Allmendinger erinnerte an die Lage im Jahr 1948. Die Gemeinde stand bei der Währungsumstellung zunächst vor leeren Kassen, die Wohnungsverhältnisse durch den starken Zustrom der Flüchtlinge waren katastrophal und zu allem Übel die Gemeinde noch ohne eigenes Baugelände. Niemand wollte bebaubares Gelände abtreten und doch sollte man helfen, klagte der 41-Jährige an diesem Abend. Nach mühsamen Verhandlungen sei es dann endlich gelungen, die für die potenziellen Häuslesbauer notwendige Fläche zu erhalten. Die Gemeinde stellte den ersten Bebauungsplan auf, gewährte selbst den Bauherren Darlehen (bis dato insgesamt 21.000 Mark) und zusammen mit staatlichen Hilfsgeldern entstanden bis Februar 1951 genau 18 Wohnungen, einschließlich derjenigen, die die Kommune selbst errichtete (STAM, Li B 324, S. 58 f).

Beispiele dafür, wie aus der Mangelwirtschaft doch eine Erfolgsgeschichte wurde: In der Sitzung am 28. Oktober 1948 genehmigte der Gemeinderat den Kauf von knapp fünf Ar von drei Eigentümern, die pro Quadratmeter eine beziehungsweise zwei Mark erhielten. Einen Tagesordnungspunkt später bewilligte das Gremium drei Bauherren jeweils 4000 Mark Darlehen zu vier Prozent Zinsen auf die erste Hypothek (STAM, Li B 323, S. 197). Weitere Unterstützung erhielten Bauende, indem die Kommune für sie für Kredite von Banken und Sparkassen bürgte (STAM, Li B 324, S. 150). Wie kam es dazu? Weil der Schultes mit der Idee scheiterte, an Bauwillige kommunale Flächen in Erbpacht abzugeben. Allmendinger hatte extra das Gespräch mit Direktor Bitzer von der Kreissparkasse in Mühlacker gesucht, wie er dem Ortsparlament am 4. August 1952 mitteilte. Bitzer verwies darauf, die Sparkasse sei nicht berechtigt, Erbpachtflächen zu beleihen. Der Bürgermeister sagte, im Allgemeinen fehlten den Bauenden noch 3000 Mark Eigenkapital. Die Lücke könne nur geschlossen werden, wenn die Gemeinde entweder eine zweitrangige Hypothek übernehme oder eine Bürgschaft für Darlehen, die die Sparkasse gewährte. Anschließend beschloss der Gemeinderat, dass die Kommune für Kredite als Bürge geradestehe (STAM, Li B 324, S. 129).

Der Willen der Kommunalpolitik war jedenfalls klar erkennbar, den Menschen konkret zu helfen. So genehmigte der Gemeinderat am 7. März 1952, dem Bauwollenden W.O. 4000 Mark als erste Hypothek zu 4,5 Prozent Zinsen zu gewähren - als Überbrückung bis zur Zuteilung seines Bausparvertrags durch die Leonberger Bausparkasse  im Jahr drauf (STAM, Li B 324, S. 116). Das Instrument wendete die Kommune über viele Jahre an. Ein Beispiel:  Allein in seiner Sitzung am 2. Februar 1973 stimmte der Gemeinderat fünf Bürgschaften zu. 

In seinem Rückblick schrieb Allmendinger 1970: Das Siedlungsgebiet wurde mit Gemeindemitteln erschlossen. Ja selbst die Gemeinde gab anfangs erststellige Hypothekendarlehen zu günstigen Bedingungen. Sie konnte sich das leisten, weil sie in den Nachkriegsjahren sehr gute Holzerlöse aus ihren Wäldern erzielte (Richard Allmendinger, Die Gemeinde holt ihren Rückstand rasch auf, in: Friedrich Wißmann, Ortsbuch Lienzingen, 1970, Walter-Verlag, S. 324).

Der Verwaltungschef nannte am 19. Dezember 1950 den Gemeinderäten konkret fünf Familien, die auf eine ausreichende Unterkunft hofften. Die neu  gegründete Baugemeinschaft der Neubürger brachte wohl nicht den erwünschten Erfolg, sie sei finanziell noch schwach, könne gerade ein Wohnhaus errichten, dies aber auch nur mit Unterstützung der Gemeinde. Diese wiederum wurde zudem noch mit anderen Forderungen konfrontiert - Allmendinger nannte den Wunsch nach dem Bau einer Kleinkinderschule (STAM, Li B 324, S. 53).

Die Kommune war auch sonst gefordert. Bei einer Sitzung am 13. April 1953 wies die Verwaltung darauf hin, dass die Gemeinde seit 1949 aus einem Kahlschlag in der Hart etwa 70 Ar als Gartenland den Neubürgern zur Verfügung stelle. Bis dato kostenlos, der Rat beschloss nun, erstmals Zahlung auf Martini 1953, eine Pacht von 1,25 Mark pro Jahr, für Gartenland 2,50 Mark zu verlangen (STAM, Li B 324, S. 163).

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Enkel Walter löst das Rätsel: Mühlacker Firma Friedrich Schuler in den Fünfzigern beim Gastspiel im Lienzinger Hirsch-Saal

Das Rätsel ist gelöst, somit die Frage beantwortet, die ich am Ende meines Textes über das altehrwürdige Lienzinger Gasthaus Hirsch den geneigten Leserinnen und Leser mit auf den Weg gab: Wer kennt wen auf den Fotos?  

Walter Schuler bei der Schau historischer Bilder (Foto: Caroline Becker)

Schwarz-weiß-Bilder, aufgenommen bei einer Feier in offensichtlich ausgelassener Stimmung im beliebten Hirsch-Saal, der bis zur Einweihung der Gemeindehalle 1967 deren Zweck miterfüllte. Zwar ist dieser Saal längstens für Wohnzwecke umgebaut, doch die Aufnahmen finden sich im Familienbesitz von Hans und Martina Geißler, den jetzigen Eigentümern. Aber auch sie mussten die Antwort schuldig bleiben auf die Frage nach dem Anlass für diese Fotosession in dem beliebten Lienzinger Treffpunkt.

Ein Versuch, Antworten zu finden. Die Fotos hochladen für diesen Beitrag zu meiner Blog-Serie Lienzinger Geschichte(n) in der Hoffnung, dass irgend jemand irgend einen – oder eine – aus der flotten Gesellschaft im Saal kennt. Bei zwei war ich selbst auf der richtigen Spur mit dem Mühlacker Bürgermeister Erich Fuchslocher und Lina Ehrenreich, die bediente.

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Von der Kohlplatte bis zum Hamberg – Lienzingen, seine Gruben und der Beginn der Müllabfuhr 1967 - Immer Ärger mit den Behörden - Quälende Suche nach Alternativen

Die Lienzinger taten sich schwer, mussten auf Fallstricke achten - bei der langwierigen Suche nach einer Antwort auf die immer drängender werdende Frage: Wohin mit dem Hausmüll?  Denn mehr als zehn Jahre lang beschäftigte das ihren Gemeinderat. Letztlich nahm ihm ein Zweckverband der Kommunen, dann der Enzkreis die Aufgabe ab. Aber zunächst war jede Gemeinde und jede Stadt bis 1972 für sich selbst verantwortlich. Ein Problem, das in den ersten Nachkriegsjahren noch keines war. Umweltschutz, das war vor allem auf dem Land noch ein Fremdwort. Zumindest auf dem Dorf regelte sich zunächst alles von allein. Müll landete auf dem Misthaufen, im Ofen oder auf dem Kompost.

Heute Waldstück, bis Mitte der sechziger Jahre eine offene Müllgrube der Gemeinde Lienzingen an der B35: die Kohlplatte. (Foto: G. Bächle)

So gab es 1949 in dem damals 940 Einwohner zählenden Dorf 145 landwirtschaftliche Betriebe, elf Jahre später noch 101, im Jahr 1971 immerhin 49. Abfälle, die sich nicht kompostieren oder verbrennen ließen, gab es nur wenige und was doch anfiel, wurde in einer Müllgrube deponiert, schreibt der Historiker Konrad Dussel in dem, 2016 erschienenen Ortsbuch von Lienzingen (S. 202). Heutzutage wird sortiert auf Teufel komm raus, getrennt, verwertet - und trotzdem produzierte 2021 jeder Einwohner des Enzkreises durchschnittlich 130,9 Kilogramm Restmüll (aus: Abfallbilanz des Landes)

So ähnlich sah es in der Kohlplatte aus. Aufnahme einer illegalen Müllhalde. (Foto: ZDF)

Das Thema nahmen die Kommunen in den ersten Jahren nach Kriegsende nicht sonderlich ernst. Doch das Landratsamt Vaihingen an der Enz regte schon 1956 eine staubfreie Müllabfuhr an. Landrat Dr. Friedrich Kuhnle schrieb am 1. Februar 1956 an die Bürgermeisterämter im Landkreis, geplant sei die Gründung eines Zweckverbandes. Ein Anschluss werde wohl nur für größere Gemeinden und für Kommunen, in denen die Landwirtschaft nur eine untergeordnete Bedeutung habe, in Betracht kommen. Dem vorausgegangen war eine Dienstbesprechung mit den Rathauschefs am 19. Januar 1956.

Lienzinger Geschichte(n) heute zu einem leicht anrüchigen Thema: Müll. In Deutschland gilt es als nahezu selbstverständlich, dass Abfälle gesammelt und entsorgt werden. Diese Selbstverständlichkeit steht aber am Ende eines langen Entwicklungsprozesses der Abfallwirtschaft, der Abfalltechnik und des Abfallrechts in Deutschland, heißt es beim Umweltbundesamt. Lienzingen, das Dorf, eignet sich als Musterfall für das Stück: Von den Müllkippen bis zu den Deponien oder Von der Beseitigung zum Kreislauf. Ratsprotokolle und Akten der früher selbstständigen Gemeinde Lienzingen sind durchaus ergiebig. Der neue Beitrag zu meiner digitalen Serie.

 

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Wir wollen doch steuern und nicht sägen

Neues von der Hecke zwischen früherem Ziegelei-Areal (jetzt Ziegelhöhe) und dem Wohngebiet Ulmer Schanz. Eine lokale Geschichte, die das Zeug zum Zwist hat.  Der Stoff, aus dem Ärger, Konfrontation und Streit wachsen kann. Trennendes statt Einigendes. Die Hecke: Zuerst acht Jahre lang nach geballtem Behördenverstand (Landratsamt, Regierungspräsidium, Landesanstalt für Umwelt) sowie des von der Stadt mit der Umweltprüfung beauftragten Fachbüros als nicht schutzwürdig eingestuft, weshalb sie als solche im Entwurf des Bebauungsplanes fehlt. Der soll noch im März rechtskräftig werden. Auf dieser Basis geschah die Offenlage des Plans, also die Beteiligung der Öffentlichkeit, die kurz vor Weihnachten 2022 zu Ende ging. Und nun die abrupte Kehrtwende.

Rot umrandet: die umstrittene Hecke. (Quelle: Stadt Mühlacker)

Was sich bei der Bürgeranhörung im Uhlandbau im Rahmen der Offenlage Ende November 2022 schon abzeichnete, brach im neuen Jahr richtig auf: Zweifel an dem angeblich nicht vorhandenen Schutzstatus der Hecke. Das Wort von der Schlamperei fiel. Letztlich räumten das Regierungspräsidium und die untere Naturschutzbehörde beim Enzkreis ein, eine Position verfochten zu haben, die sich auf den letzten Metern des Verfahrens als inzwischen falsch erwies. Denn die rechtlichen Rahmenbedingungen des Falls haben sich geändert. Wahrscheinlich würden die Behörden weiterhin ihren alten Standpunkt vertreten, hätte nicht eine Bewohnerin eine Umweltmangel-Anzeige ins Karlsruher Regierungspräsidium geschickt, dessen Naturschutzabteilung von einer Stunde auf die andere die Schutzwürdigkeit entdeckte. Also nichts mit dem Abholzen vor Beginn der am 1. März eines jeden Jahres beginnenden Vegetationsperiode, die solche Eingriffe in den Naturhaushalt nur von 1. März bis zum 30. September erlaubt.

Vor wenigen Tagen platzte in einem Leserbrief eine kleine Bombe. Das Pflanzen dieser Hecke vor 26 Jahren war selbst eine Ausgleichsmaßnahme für einen Natureingriff - weil das damals noch florierende Ziegelgeschäft dem Unternehmen eine Erweiterung ratsam erscheinen ließ. Der, der dies schrieb, musste es wissen, denn er war seinerzeit beim Pflanzen dabei.

Mit der Aufgabe der Ziegelproduktion im Jahr 2009 endete nach 169 Jahren ein Stück Mühlacker Historie. Der Eigentümer, ein belgischer Konzern, wollte das mehr als 20 Hektar große Areal selbst für Wohnungen und Handel vermarkten, bot es dann aber – weil die zu erwirtschaftende Rendite ihm zu gering war – 2017 der Stadt an, die es Ende 2018 übernahm und nun ihrerseits einen Investor suchte, der seriös ist, kapitalkräftig und Referenzen vorlegen kann: Das war letztlich die Hofkammer des Hauses Württemberg. Im Mai 2021 unterschrieben Stadt und Hofkammer den Kaufvertrag. Eine erste Rate des Kaufpreises fließt aber erst dann in die Stadtkasse, wenn der Bebauungsplan rechtskräftig ist. Der dazu notwendige Satzungsbeschluss steht in den nächsten Wochen an.

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Da steh ich nun, ich armer Tor!

Der Hecken-Streit und seine Folgen: Jetzt muss die Stadtverwaltung schon Baldrian-Tropfen verteilen, um zu verhindern, dass die Streiter für die lange Feldhecke zwischen Ulmer Schanz und alter Ziegelei nicht hyperventilieren. Nicht anders ist die Nachricht zu verstehen, die wir gestern aus dem Rathaus erhielten: Die Hofkammer wird von Montag oder Dienstag an die begonnenen Rodungsarbeiten im Ziegeleigelände fortsetzen. Das ist kein Faschingsscherz. Deshalb weist die Stadtverwaltung vorsorglich darauf hin, dass diese Rodungsarbeiten NICHT die geschützte Feldhecke betreffen, für die die Stadt einen Antrag auf Ausnahmegenehmigung (zum Abholzen) gestellt hat. Über diesen habe die untere Naturschutzbehörde noch nicht entschieden, erwartet werde der Bescheid Mitte nächster Woche. 

Gut so! Doch hoffentlich ging dieser wichtige Hinweis auch an die Öffentlichkeit. Auf der Homepage der Stadtverwaltung findet sie sich bis jetzt jedenfalls nicht. Ein schlechtes Omen.

Nördlicher Kammmolch

Das Streitobjekt Feldhecke indessen lässt sich, je nach Gusto, als Drama oder Lustspiel einstufen. Zuerst war sie laut fester Überzeugung des zuständigen Fachamtes und der im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens alte Ziegelei vorgenommenen Umweltprüfung nichts Schützenswertes. Eine Position, die auch die untere Naturschutzbehörde beim Enzkreis teilte. Doch die Mitglieder der Interessensgemeinschaft Ulmer Schanz wollen von der Hecke nicht lassen und suchten in allerletzter Minute nach einem amtlichen Heckenkenner, der sich auch mit dem Naturschutz beim Regieurngspräsidium Karlsruhe fand. 

Also doch Schutzstatus! Oder? Der schütze wiederum nicht vor dem Fällen der Hecke, wenn die Stadt eine Ausnahmegenehmigung erhalte zum Beseitigen mit gleichzeitiger Verpflichtung zur ökologisch gleichwertigen Ersatz-Hecke. Behauptete daraufhin prompt die Stadtverwaltung, die gleichzeitig darauf beharrte, die Hecke sei quasi wild gewachsen. Doch sie musste sich rasch eines Besseren belehren lassen - vom Schreiber eines Leserbriefes, der konstatierte, diese Hecke sei als Ausgleichsmaßnahme für die vor Jahren genehmigte Erweiterung des Ziegelwerk-Geländes gepflanzt worden. Bald darauf stellte das Unternehmen aber die Ziegel-Produktion ein.

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Der Zeisig, die Suche nach Wohnraum und Mühlackers ökologische Kehrtwende

Nehmen wir die drei großen Wohngebiete der Nachkriegszeit in der Kernstadt als Vergleich zum jüngsten, bisher nur auf dem Reißbrett vorhandenen Ziegelhöhe. Mühlacker entwickelte in den Nachkriegsjahren das Heidenwäldle, den Senderhang und den Stöckach als große Siedlungen. Die wohnungssuchenden Menschen warteten auf ein Dach überm Kopf. Die drei Quartiere entstanden nach einem jeweils einheitlichen städtebaulichen Konzept - auf Kosten der Natur. Denn der Siedlung Heidenwäldle fielen in den sechziger Jahren mehr als sieben Hektar Wald zum Opfer, bei Aischbühl und Senderhang wuchsen auf der grünen Wiese Wohnhäuser in die Höhe - alle drei Projekte, zeitversetzt geplant und realisiert, bedeuteten einen gewaltigen Flächenfraß. 

Der Entwurf des Bebauungsplanes alte Ziegelei. Die gesamten Dokumente stehen auf der Homepage der Stadt Mühlacker

Und nun das Contra-Programm: die alte Ziegelei - projektiert auf einer Gewerbebrache. Kehrtwende  zun Nutzen der Ökologie. Wohnungen für voraussichtlich 1400 Menschen, dazu Baumarkt und Einkaufszentrum sowie das Traditionsuntertnehmen Craiss. Seit Jahrzehnten für die Ziegel-Produktion genutzte Fläche - als Industrieareal mit allen Nachteilen für die Umwelt - wird recycelt. Kein einziger Meter grüner Wiese wird in Anspruch genommen. Innentwicklung von der besten Seite. Kein Flächenfraß. Und trotzdem!? 

Noch immer Baustelle: Das Areal der alten Ziegelei (Fotos: Günter Bächle, 12_2023)

Trotzdem: Die Stadt führe mit diesen Ziegeleiplänen einen Krieg gegen die Natur war am Samstag in einer Pressemitteilung des BUND im Mühlacker Tagblatt zu lesen. Krieg? Da fällt mir Putins Überfall auf die Ukraine ein. Ziegelei gleich Ukraine? So einen Unfug habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Tagelang trieb mich diese Entgleisung des BUND um, am Dienstagabend deshalb nach dem letzten Punkt der Tagesordnung meine Wortmeldung im Gemeinderat zum Thema, die wiederum Auslöser war für eine kurze, aber an Klarheit und Eindeutigkeit der Worte kaum zu übertreffende Debatte. OB und Fraktionen wiesen den Vorwurf mit Entschiedenheit zurück.

Bösartiges vom Bund für Umwelt-und Naturschutz (BUND) Mühlacker und Region Nordschwarzwald. Offenbar angestoßen von einem Bewohner der Ulmer Schanz, während der Landes-BUND eine zwar in Details kritische, aber insgesamt zustimmende Kommentierung zum Bebauungsplan vor einiger Zeit vorlegte.

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