Ein Beteiligungsparadoxon und seine Mühlacker Spielart

Müssen sich die Bürger eher regen? Melden sie sich zu kommunalen Planungen spät (wenn nicht zu spät) zu Wort?  Dieser Meinung neigt die Verwaltungsspitze in Sachen Ziegelhöhe zu. Nur so ist ihre Antwort auf meine Anfrage zu werten. Tatsächlich wachen manche Bürger auf, reiben sich verwundert die Augen, fragen: Was ist da los? und sehen dann Bagger am Werk. Da hilft nur, sich frühzeitig in Planungen einzuschalten. Denn bei der Ziegelhöhe, dem 22 Hektar großen Gebiet der Hofkammer des Hauses Württemberg nördlich des Mühlacker Bahnhofs, werden die Spielräume der Räte für den Bebauungsplan langsam, aber sicher  kleiner.

Ziegelei-Gelände wartet auf den Baubeginn - doch steigende Hypozinsen und Baukosten verunsichern in dieser Startphase manche. (Foto: Antonia Bächle)

Zuerst wurden öffentliche Debatten als wenig hilfreich angesehen, so lange nicht der Käufer des Quartiers feststand, danach entwickelte sich ein Eigenleben der Dinge beider Seiten.  Eine Gemengenlage, naturbedingt von Vergaberecht, Kaufpreis und Marktgängigkeit bestimmt. Geht wohl nicht anders, als mit potentiellen Erwerbern zu verhandeln und die Vereinbarkeit mit den Vorstellungen der Bürgerschaft, zumindest der Ratsmitglieder zu prüfen. Was wiegt mehr? Das ist wohl auch die zentrale Frage in kritischen Leserbriefen, die uns überraschten nach Monaten der Zustimmung. Gerne lobten wir uns ob dieser beispielhaften Innenentwicklung. Ein Vorzeigeprojekt. Oder?

Was ist der richtige Zeitpunkt der Beteiligung der Öffentlichkeit an einem Bebauungsplan wie der für das Areal der alten Ziegelei? Die Stadtverwaltung spricht von einem Beteiligungsparadoxon: Mit zunehmender Konkretisierung der Planung steige das Interesse der Beteiligten, aber verringerten sich zugleich die Gestaltungs-, Einfluss- und Spielräume.  Manche, die jetzt Änderungen forderten, hätten sich schon 2016 melden können – damals sei jedoch von ihnen nichts zu hören gewesen, steht in der Antwort der Verwaltung an die CDU-Fraktion im Gemeinderat. Die Verwaltung griff unseren Vorschlag zu einer Ortsbegehung Maulbronner Weg aufgrund eines Schreibens der IG Ulmer Schanz an die Ratsfraktionen auf.

Die CDU-Fraktion mahnte im Juli 2020 die Bürgerbeteiligung im Bebauungsplanverfahren alte Ziegelei an. Die Verwaltung argumentierte immer wieder, der Gemeinderat steuere die Entwicklung des Gebietes nur über den Bebauungsplan. Ist es nicht so, dass der Gemeinderat über den Eigentümer, die Hofkammer, gesteuert wird?  Welchen Spielraum für Änderungen bleibe der aktuellen Bürgerbeteiligung? so lautet die Kernfrage. Äußern sich auch jene, die auf dringend benötigten Wohnraum warten? Erfahrungsgemäß nicht.

Das Projekt Ziegelhöhe sei hoch komplex, die verschiedenen Parameter würden sich einander bedingen und eine technisch notwendige Änderung des einen Parameters bringe die Änderung mehrerer anderer mit sich, antwortete die Stadtverwaltung. Deshalb könnten Formate der Bürgerbeteiligung zu einem frühen Zeitpunkt keine Gewähr bieten, dass die Planung tatsächlich in dieser Form fortgeführt werden könne. Der beste Beweis sei die Planung für das Ziegeleiareal, die sich immer wieder geändert habe.

Die Verwaltung habe in den vergangenen Jahren im Einvernehmen mit dem Gemeinderat und zuletzt auch der Hofkammer das Plangebiet weiterentwickelt. Hierbei nimmt die Verwaltung für sich in Anspruch, nicht von der Hofkammer gesteuert zu werden, sondern gemeinsam mit der Hofkammer den Entwurf im Sinne einer hohen städtebaulichen Qualität einvernehmlich und verantwortungsbewusst weiterentwickelt zu haben, steht in der von Oberbürgermeister Frank Schneider unterschriebenen Antwort.

Schaubild zur Bürgerbeteiligung (Quelle: Stadtverwaltung Mühlacker)

Dem Gemeinderat sei es dabei bis zum Satzungsbeschluss unbenommen, die Planung zu ändern, das Plangebiet zu verkleinern oder gar die Planung ganz aufzugeben. Allerdings wird es dann der Hofkammer nicht zuzumuten sein, den vereinbarten Kaufpreis zu bezahlen, der ja aufgrund eines dem Kaufvertrag einvernehmlich zugrunde gelegten Entwurfs ermittelt wurde.

Ortstermin am 22. Juni

Die Bürgerbeteiligung laufe noch, so stehe die Offenlage der Pläne als weiterer Schritt noch aus. Unabhängig davon sei es möglich, ergänzende informelle Beteiligungsformate ins Verfahren einzufügen, zum Beispiel in Form von Ortsterminen mit Anliegern, wie jetzt auf Vorschlag der CDU am 22. Juni um 18.30 Uhr (Treffpunkt Ludwigstraße).

Welche Varianten der Beteiligung gäbe es noch?

Prinzipiell könnten auch Bürgerinnen und Bürger in die Jury eines Wettbewerbs zur Freianlagengestaltung berufen werden. Allerdings müsse dabei die Zahl der qualifizierten Fachpreisrichter immer höher sein als die der Sachpreisrichter. Davon ausgehend, dass mindestens der Oberbürgermeister, Vertreter jeder Fraktion und mindestens zwei Vertreter der Hofkammer, also insgesamt mindestens acht Sachpreisrichter im Verfahren beteiligt seien, bestehe die Jury aus mindestens 8+9=17 Preisrichtern. Bei einer nochmaligen Vergrößerung (je weiterem Sachpreisrichter kommt ein Fachpreisrichter hinzu) gerate die Jury härter an die Grenze der Arbeitsfähigkeit. 

Bürgerinnen und Bürger könnten auch in einem Workshop an der Formulierung der Aufgabenstellung in der Auslobung mitwirken, so der OB. Allerdings seien diese Aufgabenstellungen im Regelfall eher abstrakt formuliert. Ob dies das häufig eher konkrete Mitwirkungsbedürfnis befriedigen kann, ist keineswegs gesichert.

Der städtebauliche Wettbewerb 2013 - Modell inzwischen angepasst den Entwicklungen seitdem.

Bei den Mehrfachbeauftragungen für die Hochbauprojekte sieht die Verwaltung keinen Ansatzpunkt für die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Diese Entwürfe würden auf Basis eines geltenden Bebauungsplans entwickelt. Niemand käme bei einem Baugebiet mit individuellem Wohnungsbau auf die Idee, die Bürgerschaft in die Beurteilung der individuellen Wohnbauten einzubeziehen.

Richtig ist insofern die Feststellung, dass sich mit Fortschreiten des Planungsstandes die Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Planinhalte verringern, steht in der Antwort aus dem Rathaus. Dies gilt umso mehr bei komplexen Projekten wie der Ziegelei, weil jede Änderung eines Parameters Einfluss auf andere habe. Richtig sei aber auch, dass diejenigen, die ihre Vorschläge nun unbedingt in die Planung einfließen sehen wollen, diese Möglichkeit, als sie sich geboten habe, hätten ungenutzt verstreichen lassen. Dass die Betroffenen das ungern hören, räumt die Verwaltung ein.

Bereits 2016 gab es laut Verwaltung eine frühzeitige Beteiligung. Der OB: Es ist nicht etwa so, dass die Planung der Einwohnerschaft bisher völlig unbekannt war – insbesondere nicht die vorrangig kritisierte Lage der westlichen Bebauungsgrenze des Gebiets. Zu diesem frühen Zeitpunkt seien viele Punkte noch gestaltbar gewesen, leider seien aber praktisch keine Stellungnahmen eingegangen (diejenige, die eingingen, seien berücksichtigt worden). Im Grunde zeige dies am konkreten Beispiel der Ziegelei selbst, dass eine frühe frühzeitige Beteiligung nicht dazu führt, dass mehr Stellungnahmen in die Planung einfließen, sondern dass kaum oder gar keine Stellungnahmen kommen.

Westliche Grenze des Baugebiets seit 2015 unverändert

An der westlichen Plangebietsgrenze hat sich seit der Aufstellung des Flächennutzungsplans im Jahr 2013 und der ersten frühzeitigen Bürgerbeteiligung im Jahr 2015/2016 nichts geändert, hebt die Verwaltung hervor. Tatsächlich sei die Bebauung sogar jüngst im südwestlichen Bereich um eine Flurstückbreite nach Osten abgerückt worden, um der dortigen, seit Frühjahr 2022 geschützten Flachland-Mähwiese Rechnung zu tragen. Bei keinem dieser vorgenannten öffentlichen Verfahren seien Vorbehalte gegen die Gebietsabgrenzung entlang des Maulbronner Wegs vorgebracht worden.

Selbstverständlich stelle die Entwicklung eines Wohnquartiers für bis zu 1.400 Einwohner einen Eingriff in den Bestand dar – unabhängig davon, ob es sich hierbei um freie Landschaft oder um eine Brachfläche handelt: Die faunistischen Untersuchungen legen durchaus nahe, dass hinsichtlich des Vorkommens geschützter Arten die Ziegeleibrache, aber auch die benachbarten Hausgärten in der Ulmer Schanz nicht schlechter abschneiden als die mehrfach angeführte Heckenstruktur im Nordwesten des Plangebiets.

Im Plangebiet liegt – so die Verwaltung weiter - weder ein Naturschutzgebiet noch ein FFH-Gebiet (Flora, Fauna, Habitat) noch ein geschütztes Biotop. Der außerhalb des Gebiets gelegene Hohlweg (Maulbronner Weg) sei ein geschütztes Biotop, kein FFH-Gebiet. Eine mögliche Beeinträchtigung des nördlich der Ziegelei gelegenen FFH-Gebiets Enztal bei Mühlacker sei im Rahmen der FFH-Vorprüfung gutachterlich geprüft und nicht bestätigt worden.

Speziell bei den Eidechsenvorkommen stelle sich die Situation so dar, dass die Fundorte der Jahre 2015 und 2020 im Plangebiet völlig unterschiedlich seien. Das überrasche insofern nicht, als in dieser Zeit mit den abbruchbedingten Haufwerken und Geländearbeiten interimsweise Sukzessionsflächen geschaffen worden seien, die sich sehr schnell besiedelt hätten. Dies spreche für zweierlei: zum einen für eine stabile Population, die in der Lage sei, diesen neuen Lebensraum schnell zu besiedeln, zum anderen dafür, dass vom Menschen angelegte Ersatzbiotope problemlos angenommen würden, wenn sie den Bedürfnissen der Tiere genügen.

OB: Hält kritischer Prüfung nicht stand

Die inzwischen mehrfach in der Öffentlichkeit postulierte überdurchschnittlich hohe ökologische Wertigkeit des westlichen Gebietsteils hält nach Meinung des OB dagegen einer kritischen Prüfung nicht stand. Bezogen auf die Größe des Gebiets von über 20 Hektar würden keine artenschutzrechtlichen Fragen aufgeworfen, die erheblicher wären als in jedem anderen Baugebiet. Die erforderlichen Artenschutzmaßnahmen sind Standardmaßnahmen, wie sie üblicherweise vorkommen.

Neuer Name soll sich durchsetzen

Könnten bei planerischer Verknappung des Parkraums im Wohngebiet Ziegelhöhe Ausweichbewegungen in die benachbarten Ulmer Schanz entstehen? Das bejaht die Verwaltung bei einer weit unter dem Bedarf bleibenden Verknappung von Parkraum – gerade im südwestlichen Randbereich des Wohngebiets. Allerdings stehe diese Stellungnahme in diametralem Gegensatz zu der Stellungnahme des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), der eine Minimierung öffentlicher und baurechtlich notwendiger Stellplätze fordere, um die Bewohner zu einem Umstieg auf alternative Formen der Mobilität zu ermuntern. Hinzu kämen praktische Probleme in der Umsetzung des konkreten Lösungsvorschlags der Stapelung verschiedener Parkierungsanlagen auf einem Grundstück. Beide genannten Standpunkte sind plausibel und in ihrer Zielsetzung nachvollziehbar, sie sind aber nicht miteinander vereinbar.

Diese Punkte wären noch nachzutragen, jenseits der Antwort der Verwaltung mit der Nummer S22-040-60-66:

Das ist mit der vorzeitigen Bürgerbeteiligung gemeint: Der Vorentwurf des Bebauungsplans mit Textteil und Begründung (Fassung vom 30.10.2015) sowie Vorentwurf des Umweltberichts (Fassung vom 02.10.2015) lag in der Zeit vom 30.11.2015 bis einschließlich 11.01.2016 aus. Ergo: Wer mehr wissen wollte, musste ins Rathaus marschieren. Parallel dazu fand die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange statt.

Modal-Split im Binnenverkehr: In Freiburg nahm der Umweltverbund aus Fußverkehr, Radverkehr und ÖPNV deutlich zu, während der Pkw-Verkehr abnahm. Trotz Bevölkerungswachstum und wachsender Mobilität ist es gelungen, die absolute Anzahl der Autofahrten nicht ansteigen zu lassen, sondern den Zuwachs der Mobilität durch die Verkehrsmittel des Umweltverbundes aufzufangen. Wegen dieses großen Erfolgs ist die Freiburger Verkehrspolitik bundesweit bekannt geworden und trägt wesentlich zum positiven Image von Freiburg bei. Das Modell lässt sich sicherlich nicht eins zu eins auf Mühlacker übertragen - aber entsprechende Impulse könnten uns voranbringen. Wo denn, wenn nicht dort in einem Gebiet mit einem Bahnhof vor der Nase. (Quelle: Stadt Freiburg)

Die öffentliche Veranstaltung zum B-Plan gab es im Frühjahr 2022 im Uhlandbau, im November 2019 den aktuellen Planungsstand in der Einwohnerversammlung für die Menschen aus den Wohngebieten Eckenweiher, Bannholz und Heidenwäldle in der Kreisberufsschule. Das Interesse war verhalten.

Immerhin: Rund um die Uhr Infos zu laufenden Planverfahren via Internet, hier zur alten Ziegelei.

Trotzdem: Bei der Entwicklung der Waldsiedlung Heidenwäldle vor gut 60 Jahren leistete es sich der Mühlacker Gemeinderat, über den Tellerrand zu schauen, andernorts Eindrücke zu sammeln – somit neue Erkenntnisse. Bürgermeister Erich Fuchslocher und Stadträte hatten sich auf große Fahrt begeben, um moderne Siedlungen in den Räumen Stuttgart und Karlsruhe sowie in der Nordschweiz anzuschauen. Wir aber erlauben uns im Jahr 2022 nicht mal ein Mobilitätskonzept für die alte Ziegelei. Wie wäre es, sich in Freiburg umzuschauen, besonders in den Stadtteilen Rieselfeld und Vauban? Der Kreistag des Enzkreises war schon dort. Ich jedenfalls nehme  das Thema wieder auf. Wie zu hören ist, auch andere... 1,50 Stellplätze für jede Wohneinheit sind nicht in Stein gemeißelt. 

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