Da steh ich nun, ich armer Tor!

Der Hecken-Streit und seine Folgen: Jetzt muss die Stadtverwaltung schon Baldrian-Tropfen verteilen, um zu verhindern, dass die Streiter für die lange Feldhecke zwischen Ulmer Schanz und alter Ziegelei nicht hyperventilieren. Nicht anders ist die Nachricht zu verstehen, die wir gestern aus dem Rathaus erhielten: Die Hofkammer wird von Montag oder Dienstag an die begonnenen Rodungsarbeiten im Ziegeleigelände fortsetzen. Das ist kein Faschingsscherz. Deshalb weist die Stadtverwaltung vorsorglich darauf hin, dass diese Rodungsarbeiten NICHT die geschützte Feldhecke betreffen, für die die Stadt einen Antrag auf Ausnahmegenehmigung (zum Abholzen) gestellt hat. Über diesen habe die untere Naturschutzbehörde noch nicht entschieden, erwartet werde der Bescheid Mitte nächster Woche. 

Gut so! Doch hoffentlich ging dieser wichtige Hinweis auch an die Öffentlichkeit. Auf der Homepage der Stadtverwaltung findet sie sich bis jetzt jedenfalls nicht. Ein schlechtes Omen.

Nördlicher Kammmolch

Das Streitobjekt Feldhecke indessen lässt sich, je nach Gusto, als Drama oder Lustspiel einstufen. Zuerst war sie laut fester Überzeugung des zuständigen Fachamtes und der im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens alte Ziegelei vorgenommenen Umweltprüfung nichts Schützenswertes. Eine Position, die auch die untere Naturschutzbehörde beim Enzkreis teilte. Doch die Mitglieder der Interessensgemeinschaft Ulmer Schanz wollen von der Hecke nicht lassen und suchten in allerletzter Minute nach einem amtlichen Heckenkenner, der sich auch mit dem Naturschutz beim Regieurngspräsidium Karlsruhe fand. 

Also doch Schutzstatus! Oder? Der schütze wiederum nicht vor dem Fällen der Hecke, wenn die Stadt eine Ausnahmegenehmigung erhalte zum Beseitigen mit gleichzeitiger Verpflichtung zur ökologisch gleichwertigen Ersatz-Hecke. Behauptete daraufhin prompt die Stadtverwaltung, die gleichzeitig darauf beharrte, die Hecke sei quasi wild gewachsen. Doch sie musste sich rasch eines Besseren belehren lassen - vom Schreiber eines Leserbriefes, der konstatierte, diese Hecke sei als Ausgleichsmaßnahme für die vor Jahren genehmigte Erweiterung des Ziegelwerk-Geländes gepflanzt worden. Bald darauf stellte das Unternehmen aber die Ziegel-Produktion ein.

Nun räumte auch die Stadtverwaltung ein, dass es sich tatsächlich um eine Ausgleichsmaßnahme gehandelt habe, die aber nur einfach zu ersetzen sei und nicht doppelt, wie es die IG Ulmer Schanuz behaupte. So steht es in einer ellenlangen Mail aus dem Rathaus mit dem Betreff: Ziegelei - aktuelle Fragen. Natürlich nur an die Stadträte, nicht an IG und Öffentlichkeit. Wieder werden die alten Kampfparolen gerufen. Aus Sicht der Verwaltung ist das öffentliche Agieren der handelnden Personen (genauer: der handelnden Person) im Kern weder auf Aufklärung noch auf Naturschutz gerichtet. Ein - von mir vorgeschlagener - Runder Tisch mit allen Beteiligten dürfte deshalb kaum zur Beruhigung der Situation beitragen, so die Schlussfolgerung des Fachamtes. Gegen ein geeignetes Format zur Information des Gemeinderats zwischen den Sitzungen spreche selbstverständlich nichts. Wie gnädig!

Wichtig erscheint es - wie sie schreibt -  auch der Verwaltung, dass in der weitgehend unbeteiligten Öffentlichkeit nicht der falsche Eindruck entstehe, die Stadt setze sich über Recht und Gesetz hinweg und nehme dabei Schäden für Natur und Umwelt in Kauf. Allerdings verstehen wir die Aufgabe nicht so, dass wir zu jeder öffentlich geäußerten Vermutung oder Behauptung unmittelbar öffentlich Stellung nehmen, denn dies führt letztlich nur zu den erwünschten Verzögerungen und erhöht keinesfalls die Rechtssicherheit. 

Zur Vorgeschichte

Apropos Rechtssicherheit: Gerade dieser diente die Stadtverwaltung am wenigsten. Statt einmal die Geschichte dieser Feldhecke gründlich zu überprüfen, offenzulegen  und im Verfahren zu berücksichtigen, liefert sie ein Musterbeispiel für mangelnde Kommunikation. Und im Zweifel weiß sie alles besser, bis der nächste kommt und wieder eine andere Wahrheit nachweist. Sie wird vorgeführt. Und wir Stadträte werden täglich mit immer neuen Fakten überrascht, wissen zunächst nicht, ob es solche sind oder nur Fakenews. Die Halbwertzeit der Infos schrumpft gefährlich gegen Null. 

Apropos Schutz: Der (nördliche) Kammmolch ist eine streng geschützte FFH-Richtlinie-Anhang-IV-Art. Er wurde in dem Regenwasserbecken im nördlichen Bereich der Ziegelei (ebenfalls eine Ausgleichsmaßnahme aus der damaligen Baumaßnahme) zwischen 2015 und 2020 – allerdings über die fünf Jahre stark abnehmend – nachgewiesen. Dass dem so ist, erfahren wir erst, als externe Fachleute darauf aufmerksam machten und die Verwaltung darauf reagierte (natürlich nur in einem internen Brief an die Rtasmitglieder). Der Bestandsrückgang sei vermutlich auf eingeschleppte Fischbestände zurückzuführen. Der Kammmolch komme außerdem im angrenzenden Schönenberger Tal vor. Das Büro Beck + Partner - das mit der Umweltprüfung - habe das Vorkommen im Zuge der FFH-Vorprüfung untersucht und komme zu dem Schluss, dass ein Zuwandern von Kammmolchen aus dem Schönenberger Tal aufgrund dazwischen liegender intensiv genutzter landwirtschaftlicher Flächen nicht zu erwarten sei. Für das kleine Vorkommen im Wasserbecken sieht der Gutachter die umgebenden Heckenstrukturen, die wir nicht antasten, als im Umfang hinreichende und (auch räumlich) naheliegendere Option als weite Wanderungen entlang der Hecke. 

Die Gegenposition: Klar, ein Gutachten zur Wanderungsbewegung von Amphibien zwischen Sommer- und Winterlebensraum ist sehr aufwendig. Die Tiere sind nicht Neonrot, verstecken sich gerne und sind meist Nachts unterwegs. Allerdings ist das vom Gutachter gebrachte Argument, dass sich Amphibien durch Ackerflächen von Ihrer Wanderung abhalten lassen, nicht haltbar. Die Hecke ist auf der Südseite der einzige und nächstgelegene Rückzugsort, die Wanderung geht nur zu einem kleinen Teil über Ackerflächen und die Wanderdistanz wird beim Kammmolch zwischen 500 und 1000 Meter angenommen. Durch die verschiedenen, durch ehrenamtlich angelegte, Laichhabitate und den Entwässerungsgraben im Schöneberger Tal kommt es hier sicher und dauerhaft zu Wechselbeziehungen mit den Heckenstrukturen. Wie weit sich die Tiere in die Richtung Süden gerichtete Hecke bewegen sei dahingestellt. Aber schon alleine die Möglichkeit, hätte zu näherer Untersuchungen führen müssen. Und jetzt? (Mail meines Ratskollegen Klemens Köberle an den zuständigen Amtsleiter). 

Da hilft nur, Zuflucht zu nehmen bei Goethes Faust: Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen! Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor! Dabei hieß es immer, der Gemeinderat steuere die Bebauung des Ziegeleiareals über den Bebauungsplan. Doch alles spitzt sich auf die Frage zu, die ich vor Monaten schon einmnal stelte: Wer steuert uns, den Gemeinderat? Allzuschnell hatte die Stadtverwaltung behauptet, den Sprechern der IG Ulmer Schanz gehe es in Wahrheit nicht um den Naturschutz, sondern um die Verhinderung des gesamten neuen Stadtquartiers, was jene bestreiten. 

Feindbilder, liebes Rathaus, sind schlechte Ratgeber. Das zeigt sich bei diesem Fall ganz deutlich. Besser wäre es gewesen, frühzeitig in einen Dialog mit den Verfechtern des Hecken-Erhalts einzutreten, ihnen ein wahrhaftiges Engagement zuzubilligen und nach Lösungen zu suchen. Ansonsten: Fakten, Fakten, Fakten - der legendäre Spruch des Focus-Gründers Helmut Markwort trifft als Maßstab des Tuns hier exakt zu.

Für einen Verfechter des neuen Stadtquartiers wie mir fällt die Zustimmung zum Satzungsbeschluss des Bebauungsplanes immer schwerer. Die latente Frage: Welche Überraschung bringt der morgige Tag, die nächste Stunde? Welche Position muss ich wieder räumen, die mir die Verwaltung als hieb- und stichfest präsentiert hatte. 

Im neuesten Schreiben deutet die IG Ulmer Schanz Rechtsmittel an. Zwar nur gegen eine Beseitigung der Hecke vor dem 28. Fberuar 2023, aber mehr ist nicht ausgeschlossen. Eines will ich nicht: Dass unser Satzungsbeschluss der richtlicherlichen Überprüfung nicht standhält. Nicht nur der Blamage für die Stadt wegen, sondern wegen all jener, die auf den - auch öffentlich geförderten - dringenden Wohnungsbau auf der Ziegelhöhe hoffen. 

Statt Schnellschüssen aus dem Rathaus oder von der Ulmer Schanz: abrüsten! Ich will ihn wieder fordern: Den Runden Tisch und den ernsthaften Versuch, sich zu einigen. Und beim leistesten Zweifel lieber nochmals eine Ehrenrunde drehen: mit einer erneuten Offenlage bei den neuen Randbedingungen.

 

 

 

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Kommentare

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Dr. Martin Hasselmann am :

Lieber Herr Bächle, Ihren o.a. Eintrag kann ich nur vollumfänglich zustimmen. Richtig, dringend benötigter Wohnraum muss nachhaltig entwickelt werden und Menschen warten darauf. Jedoch geht es um das "wie", "wieviel" und um welchen Preis. Geschützte Habitate und Lebensräume nachhaltig zu zerstören kann und darf im Angesicht der dramatischen Biodiversitätskrise, in der sich die Menschheit - wir ALLE- befinden, nicht Vorrang haben vor Wunsch der Stadtverwaltung, die bestehende Planung nicht "nochmal anzufassen" (H. Dauner).
Sie als Gemeinderäte investieren mit hohem ehrenamtlichen Engagement Zeit, zum Wohle der Bürger, der Stadt, aber auch zur Bewahrung unserer Natur. Eine über Jahrzehnte gewachsene Hecke, die ein funktionierendes und komplexes Ökosystem von Pflanzen und Tieren, die zum Teil auch noch (streng) geschützt sind, abzuholzen wäre an dieser Stelle ein Umweltfrevel par excellence mit großer Trag- und Sichtweite. Fakt und wissenschaftlich bewiesen ist, das es genau diese Strukturen braucht, um Biodiversität zu erhalten und zu fördern. Eine "Ausgleichsmaßnahme" funktioniert in diesem Maße für den Schutz der Biodiversität nicht, da die Grundvoraussetzungen (bestehendes Gefüge von zahlreichen, kleinräumigen Interaktionen) fehlen. Die katastrophale Situation, mit der sich Artenverlust und Lebensraumzerstörung jetzt in dieser Krise äußert, scheint noch nicht bei genügend Menschen - inkl. Entscheidungsträgern - angekommen zu sein - leider!
Die Begrüßungsworte von BM Abicht am 9.2. im Uhlandbau zum Klimaschutzkonzept zeigte mir das eindrücklich: Lediglich Klima und Energiekrise wurden genannt, "Klimaschutz ist Menschenschutz..." - ja, - aber ohne die gleichwertige Benennung der Biodiversitätskrise und Schutz der Biodiversität zeigt sich, dass hier noch großen Lücken bestehen. Leider können wir uns dies nicht länger leisten, denn sonst ist es zu spät!
Martin Hasselmann
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