Der langsame Abschied? Neuen Bäumen stehen Paragraphen im Weg

Lässt sich verhindern, dass immer mehr Bäume an Kreis- und Landesstraßen abgesägt und nicht wieder ersetzt werden? Ein langsamer und allmählicher Abschied?  Einst Alleen ähnlich, werden etwa die Lücken im Baumbestand an der Kreisstraße zwischen Bundesstraße 35 und Ortseingang Lienzingen oder an der Landesstraße 1134 auf der Höhe von Lienzingen in Richtung Zaisersweiher mehr und mehr breiter, schrieb ich in einer Kreistagsanfrage.
Aktuell: Immer mehr Lücken – vom Schützinger Sträßle aus aufgenommen. Im Blickfeld die Landesstraße auf der Lienzinger Höhe in Richtung Zaisersweiher. (Foto: Günter Bächle, Juni 2022)

Den Anstoß dazu gaben mit Kommentare in den sozialen Netzwerken zu diesem Foto:

  • Das ist mir auch schon aufgefallen. Letztlich spiegelt dies den landesweiten Rückgang an Streuobstbeständen.  Es wäre allerdings ein schönes Ankommen in Lienzingen, wenn rechts und links der Straße prächtige Obstbäume stünden.
  • Wir hören täglich von CO2,  aber einen Baum kriegen wir nicht gepflanzt.

Paragraphen stehen manchen Bäumen im Weg, zeigt die Antwort von Landrat Bastian Rosenau. Und 
höhere Unfallgefahren.  Trotzdem legt er ein Bekenntnis ab:

  • Das Landratsamt Enzkreis bemüht sich grundsätzlich sehr, vorhandene Bäume an Straßen zu erhalten.

Er verweist auf die enge Abstimmung von Landwirtschaftsamt und Straßenmeisterei des Amtes für Nachhaltige Mobilität bei der Pflege von – wie es amtlich heißt - Straßenbegleitgrün. So würden Bäume entlang der klassifizierten Straßen regelmäßig begutachtet, bei Bedarf durch geschulte Baumpflege-Firmen Maßnahmen zur Herstellung der Verkehrssicherheit sowie zur Verbesserung der Vitalität ergriffen. Nur im äußersten Notfall würden Bäume gefällt.

Und die vorhandenen Lücken? Zu Baumneupflanzungen schreibt Rosenau, die Bundesanstalt für Straßenwesen (bast) untersuche unter anderem die Auswirkungen von Bäumen an Straßen auf das Unfallgeschehen. Eine Erkenntnis aus dem Jahr 2021 sei beispielsweise, dass die Unfallschwere bei Fahrunfällen mit Abkommen von der Fahrbahn und Aufprall auf einen Baum achtmal höher sei, als bei einem Unfall ohne Aufprall. Selbst bei einer Kollision mit einer Schutzplanke sei die Unfallschwere im Durchschnitt noch dreimal höher. 

Eine weitere Bestätigung gab es, so der Landrat weiter, für die Tatsache, dass die Unfallhäufigkeit mit 
dem Anteil der Bepflanzungen im Seitenraum der Straße steige. Er verweist auf weitere interessante 
Erkenntnisse
 im Bericht Bäume und Verkehrssicherheit an Landstraßen bei der 
Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV).

  • Bäume beleben das Landschaftsbild, erfüllen vielfältige Aufgaben im Landschaftshaushalt und dienen der Erhaltung der biologischen Vielfalt

So im Rosenau-Text weiter. Außerdem habe Straßenbepflanzung eine positive Auswirkung auf die Straßenraumgestaltung und die Stabilität des Straßenkörpers.

Kreisstraße zwischen B35 und Knittlinger Straße: Lienzinger Beispiele - wirkt wie komplett…

Die andere Seite der Medaille: Bäume im Straßenseitenraum sorgen des Landrats Angaben zufolge auch für 
eine deutliche Zunahme der Unfallhäufigkeit sowie der -schwere. Neupflanzungen von Bäumen entlang der Straße sowie Bestandsbäume unterlägen daher einer Vielzahl von Regelwerken - unter anderem den Empfehlungen zum Schutz vor Unfällen mit Aufprall auf Bäumen aus dem Jahr 2006 sowie den Richtlinien zum passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme aus 2009. Es gehe weiter: Neu erarbeitet werde gerade auch das Merkblatt Bäume an Straßen.

In diesen Werken werde unter anderem der Abstand zur Fahrbahn bei Neupflanzungen geregelt. Dieser beträgt laut Rosenau im Regelfall bei Straßen außer Orts ohne Tempobeschränkung 7,5 Meter. In der Regel gehörten dem Straßenbaulastträger sehr selten solch breite Grundstücke neben der Fahrbahn, dass hier Bäume im Abstand von 7,5 Meter zum Fahrbahnrand gepflanzt werden könnten. Solche breiten Grundstücke bedeuten andernfalls auch immer einen zusätzlichen Pflegeaufwand, zum Beispiel beim Mähen, der folglich auch mit Personal und Kosten verbunden sei.

Charakter auch in der lautlosen Winterzeit …

Neupflanzungen seien grundsätzlich Sache des Baulastträgers. So könne der Enzkreis lediglich im 
Bereich der Kreisstraßen überhaupt Neupflanzungen in Betracht ziehen. Im Bereich der Bundes- und 
Landesstraßen sei hierfür das Regierungspräsidium Karlsruhe zuständig. Private Eigentümer von Grundstücken könnten jedoch natürlich mit ausreichend Abstand zur Fahrbahn auf ihren eigenen Grundstücken neue Bäume pflanzen, zeigt der Landrat einen Weg auf. Verpflichtet werden könnten diese dazu jedoch nicht.Zudem seien für die Pflege von Bäumen in Privatbesitz auch die Eigentümer dann selbst 
verantwortlich.

Dass Bäume aber schon vor 120 Jahren ein Thema des Landkreis-Vorgängers, dem Oberamt 
Maulbronn, und der Gemeinde Lienzingen war, belegt ein Aktenvermerk, auf den ich in Akten aus dem Staatsarchiv Ludwigsburg stieß:

Ein Auszug aus den Rezessen (ortsrechtliche Regelungen) zur Oberamtsvisitation 1902. Die Themen der Visitation waren zwar bunt, betrafen auch den immer wieder von der Aufsicht kritisierten Zustand des Schulaborts in Lienzingen, doch Punkt b interessiert in diesem Zusammenhang. Die Baumpflanzungen an der Straße von Schmie nach Lienzingen lassen zu wünschen übrig. Eine große Zahl von in den letzten Jahren angepflanzten Obstbäumen zeige wenig Aussicht auf gedeihliche Entwicklung, da sie wohl von Anfang an für ihren Standort zu schwach & ungeeignet gewesen seien.

Ersatz wurde verlangt – aber da ging es auf den Straßen auch noch gemütlicher zu mit Pferdefuhrwerk und Rindergespann.

…. und der einsame Blüher am Wegesrand - und ganz hinten grüßt der Kirchturm (Fotos: Günter Bächle)

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