Schultheiß, Sparkässler, Kirchenaufseher, Aktuar: Die vielen Rollen des Karl Brodbeck

16. Mai 1926: Nach Jahren der Diskussion über die Gestaltung wird das Lienzinger Kriegerdenkmal eingeweiht. Vorne, mit Zylinder, Bürgermeister Karl Brodbeck (STAM, 14-07 Li).

Menschenfreund und -helfer, Pedant und Pfennigfuchser, Visionär und Dynamiker, saumseliger Bürokrat, Hohenloher oder Lienzinger, Konservativer oder Hitlerianer? Karl Brodbeck (1886 bis 1967) lässt Fragen zurück - von jedem etwas oder nur ein Mensch, der Widrigkeiten des Lebens umschiffte, sich durchschlängelte in einer schwierigen Zeit? Denn sie war voller Widersprüche.  Die Antwort ist differenziert. Pauschale Urteile wären fehl am Platz. Sein Tun scheint völlig unauffällig sachorientiert gewesen zu sein. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten überstand er nicht nur unbeschadet, seine kommissarische (Neben-)Tätigkeit in Zaisersweiher wurde auch in eine reguläre umgewandelt. Dieses Bild des Bürgermeisters, das der Historiker Konrad Dussel im 2016 erschienenen Ortsbuch Lienzingen zeichnet, wird zumindest durch die Sammlung von amtlichen Schreiben, Protokollen und Aktenvermerken gestützt (S. 172 f).

Lienzinger Geschichte(n). - Der Vierteiler über Karl Brodbeck und seine Ära:  innerhalb meiner Blog-Serie über die neuere Ortsgeschichte der bis 1975 selbstständigen Gemeinde das Portrait (3/4)

Was sich als Quelle zu solcher Urteilsbildung anbietet, sind vor allem die Akten aus Stadtarchiv Mühlacker (STAM) und Staatsarchiv Ludwigsburg (StAL FL 20--18 I_Bü 73 und E 180 II_Bü 3968). Er setzte sich beispielsweise dafür ein, die wirtschaftliche Lage der Menschen in dem Bauerndorf zu verbessern – unter anderem durch eine Dreschhalle und mehr Weinbauflächen.

Eine der ersten Taten nach dem Amtsantritt Ende 1920: Brodbeck setztdie Pläne seines Vorgängers Adolf Fallscheer um: Ein Vorbau bei der Kelter soll dort den Bauern das Dreschen von Getreide ermöglichen (Foto: Antonia Bächle, 2021)

Im Juli 1921 legte die Gemeinde Lienzingen ein Baugesuch betreffs Erbauung einer Dreschhalle am Ortsweg (heute Zaisersweiherstraße) als elf Meter breiter und 10,50 Meter langer Vorbau an der Kelter vor, gefertigt von Architekt Aeckerle, unterschrieben vom 1920 eingesetzten neuen Schultheiß Karl Brodbeck. Sein Vorgänger hatte schon Angebote eingeholt, der neue Bürgermeister bestellte beim Gemeinde-Verband Elektrizitätswerk Enzberg (später EVS) einen Drehstrom-Motor fürs Dreschen. Brodbeck setzte die Pläne um und deshalb hat Lienzingen den Luxus eines großzügig überdachten Vorplatzes an der Kelter (STAM, Li A 8, Li A 79/36).

Von 28 Hektar im Jahr 1930 auf 31 Hektar 1935 vergrößerten die Wengerter ihre Rebflächen (heute 16,6 Hektar). An zahlreichen Weinberghäuschen am Eichelberg ist als Baujahr 1933 eingemeißelt. Da ging offensichtlich viel.

Der Schultes bestellte höchstpersönlich Rebstöcke und verteilte die Setzlinge an die Wengerter, schrieb Annoncen und Werbetexte, warb gleichermaßen für das Lienzinger Best-Produkt und die gute Verkehrsanbindung: Postauto von Mühlacker, Weinberge in nur günstigen Südlagen, gute Tischweine (Schiller- und Rotwein).

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Warten auf den Lichtblick: Die aktuelle Zahl der Neuinfizierten, doch noch ist kein Wellenbrecher in Sicht

Und hier wieder die freitäglichen Daten in absoluten Zahlen aus dem Landratsamt in Pforzheim für jede Gemeinde, eigenhändig umgerechnet auf 100.000 Einwohner und dann in den Vergleich mit den anderen Kommunen gestellt. Die in der Grafik genannten Zahlen beweisen: Es gibt noch keinen Lichtblick in dieser vierten Welle der Corona-Pandemie. Leider.

Impfen, impfen, impfen - ein Beispiel für Einsatz, das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) an den Enzkreis-Kliniken Mühlacker: Ein Arzt und drei MFA waren am Donnerstag im Apostos in Pforzheim und haben in 5,5 Stunden 200 Menschen geimpft, das Team des Apostos war ganz angetan, weil es so gut lief. Am Samstag waren wir als Team in der Enztalsporthalle in Mühlacker (falls es wieder Fragen div. Kreisräte etc gibt), auch dort haben wir 200 Menschen geimpft, wir waren stundenweise 2 Ärzte und das gesamte Team des MVZ. Diese Woche werden wir während der Sprechstunde wahrscheinlich 96 Menschen impfen. (Notizen einer Ärztin)

Diese Nachricht aus dem Landratsamt Enzkreis lässt Eltern und Erzieherinnen aufatmen: Vom kommenden Mittwoch (8. Dezember) an müssen Kinder in allen Kindertageseinrichtungen in Pforzheim und in der Großen Kreisstadt Mühlacker – unabhängig von ihrer Trägerschaft – wöchentlich zwei negative Corona-Tests vorweisen können, um die Einrichtung betreten zu dürfen. So regelt es eine Allgemeinverfügung, die das Landratsamt am Freitag erlassen hat. Bereits im Frühjahr hatte es eine solche Testpflicht in den Kitas der beiden Städte gegeben.

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Strategien, die gegensätzlicher nicht sein könnten - VPE macht das Busfahren teurer, VVS lockt mit Gratisangeboten

Zwei Schlagzeilen, zwei Programme, zwei Philosophien. Beide Schlagzeilen von heute. Jene über die Strategie des Verkehrs- und Tarifverbundes  Stuttgart (VVS) auf Seite 1 im Mühlacker Tagblatt, die zweite im Regionalteil der Pforzheimer Zeitung über das Weiter-so des Verkehrsverbundes Pforzheim/Enzkreis (VPE). Beide leiden unter dem gleichen Problem, die Fahrgastabwanderung in Pandemie-Zeiten. Doch die Rezepte dafür, die einstigen Kunden zurückzugewinnen, können unterschiedlicher nicht sein.

Die Stuttgarter Strategie (VVS) ...

Der VVS versuchte es mit Gratis- und Lockangeboten, der VPE setzt zum Dezember 2021 die Tarife um durchschnittlich 1,4 Prozent hoch. Gezweifelt werden darf, ob die Rechnung des VPE aufgeht. Abschreckung statt attraktiver Offerten. Wie zu hören ist, meldeten im Aufsichtsrat des VPE am Mittwoch der Landrat des Enzkreises und der Stadtbus-Unternehmer von Mühlacker Bedenken gegen diesen Kurs an. Der Landrat stimmte dann trotzdem zu.

Das Pforzheimer Rezept (VPE)

Was mich besonders ärgert: Zwei Tage zuvor verabschiedete der Kreistag in Remchingen den Nahverkehrsplan 2025 für Stadt Pforzheim und Enzkreis. Der Abstimmung gingen Erklärungen voraus über die Notwendigkeit, Busse und Bahnen attraktiver zu machen. Kein Wort davon, dass das Fahren mit ihnen teurer werden soll. Der Gemeinderat von Pforzheim wird wenigstens über solche Pläne informiert, der Kreistag nicht einmal das. Das Hauptorgan des Landkreises ist als Gremium ganz außen vor.

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Lienzinger Geschichte(n) um die neue B10: Zuerst keine Einwände, dann doch ein hartnäckiger Abwehrkampf

Die Hart, unversehrte Landschaft südlich der B35, weil die einstigen Pläne für eine neue B10 scheiterten. Jetzt sichert der Regionalplan den Freiraum. Trotzdem werfen Planer gerne ein Auge drauf. (Fotos: Günter Bächle)

Die Hart zieht Planer magisch an. Die 30 Hektar große Fläche im Süden von Lienzingen, sich zwischen Bundesstraße 35 und Wald erstreckend, hätten aktuell manche gerne als neues Gewerbegebiet für Mühlacker. Wie übrigens schon in den neunziger Jahren. Nicht zum ersten Mal werfen Planer ein Auge darauf. Denn wären 1962 vorgelegte Pläne des Straßenbauamtes Besigheim, einer Landesbehörde, verwirklicht worden, würde heute die Bundesstraße 10 die flache Talmulde durchschneiden - als Nordumgehung von Mühlacker. Und  ergänzt mit einem prägnanten Kreuzungsbauwerk nördlich des Heidenwäldles an der Landesstraße 1134 Mühlacker-Lienzingen. Mehr als ein halbes Jahrhundert lang  geisterte das Projekt durch die politische Landschaft. Verwirklicht wurde es nie. In jedem neuen Bundesverkehrswegeplan (BVWPl) stand die Tangente auf einem der hinteren Plätze der Liste des weiteren Bedarfs.  Bis sie mit dem 2016 aufgestellten, jetzt noch gültigen  BVWPl beerdigt wurde und darin nicht einmal mehr als Fußnote auftaucht.


Lienzinger Geschichte(n) heute von einer Straße, die geplant war, die aber nie gebaut wurde. Die neue Bundesstraße 10 als Nordumgehung von Mühlacker ab Illinger Eck zusammen mit der B35 bis Lienzingen, dann weg durch die Hart, das Schönenberger Tal, den Stöckach bis zur alten B10 beim Steinbruch Fegert kurz vor Enzberg. Für 33 Millionen Euro. "Mit kollegialem Gruß" dem "lieben Erich" die Meinung gesagt. Lienzingen im Abwehrkampf. Dazu in Akten und Ratsprotokollen geblättert (Serie)


Das sah am 13. Juli 1962 noch anders aus, als der Gemeinderat von Lienzingen in seiner regulären Sitzung erstmals über den zweibahnigen Ausbau der Bundesstraßen 10 und 35 informiert wurde. Bis 1970 stand das Thema mehr als ein halbes Dutzend Mal auf der Tagesordnung  der Bürgervertretung der 1500 Einwohner zählenden  Kommune. Allerdings schwankte die Haltung der Räte zwischen halber Zustimmung, verbunden mit kleineren Änderungswünschen auf der eigenen Markung, und strikter Ablehnung, wobei das Nein sich letztlich durchsetzte.

Südöstlich von Lienzingen: Nach dem beidseitig der Bundesstraße stehenden Wald sollten B35 und B10 wieder geteilt werden. Die B10 wäre nach Süden in die Hart abgeschwenkt, die B35, teilweise auf einer neuen Trasse, weiter geradeaus geführt worden. Das alte Stück der B35 wäre für einen geplanten Verbindungsweg zwischen Lienzingen und Illingen (gelb) verwendet worden. (Quelle: STAM, Li A 847)

In ein paar Jahren vierspuriger Verkehr durch den Kreis Vaihingen, lautete der Titel über einem Zeitungsartikel, undatiert (wahrscheinlich Februar 1965) und ohne Angabe über die Zeitung, in der der Text erschien. Er findet sich in den Akten der früheren Gemeinde Lienzingen, die nun im Stadtarchiv Mühlacker aufbewahrt werden. Zum Zeitplan heißt es in dem Bericht: Aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte der Ausbau in den Jahren 1971 bis 1973 erfolgen. Das sollte die Nordumfahrung von Mühlacker werden. Die bestehende Bundesstraße 10 zwischen Illinger Eck und Mühlacker-Kernstadt einschließlich der innerstädtischen Pforzheimer Straße und Stuttgarter Straße in Mühlacker hätten die staatlichen Behörden danach vom jetzigen Status einer Bundesstraße abgestuft zur Landes- oder Kreisstraße. Der überörtliche Durchgangsverkehr wäre nicht mehr durch Mühlacker gerollt, sondern an Lienzingen, Heidenwäldle, Ulmer Schanz, Ötisheim und Stöckach vorbei.

Die Planer sahen vor, die B10 von Illingen bis Lienzingen zusammen mit der B35 - quasi im Paket - zu führen, sie am Ende des Waldrandes südöstlich von Lienzingen abzutrennen und auszuleiten über die Hart und den Stöckach bis zum Steinbruch Fegert kurz vor Enzberg, um sie dort in die alte B10 einfädeln zu lassen. Zum Projekt Vierspurigkeit gehörte auch der vierspurige Ausbau der Enzweihinger Steige im Zuge der  B10 und einer in zeitlicher Ferne zu bauenden Umgehungsstraße für Enzweihingen - der jetzige Vaihinger Stadtteil wartet heute noch darauf, auch wenn es inzwischen konkrete Planungen gibt (Stadtarchiv Mühlacker=STAM, Li A 847).

Gegen zweite Trasse keine besonderen Einwände

Das Teilstück nach Illingen in Richtung Lienzingen: An die vorhandene B35 sollte die B10 bis Lienzingen angedockt werden. Der Vorentwurf aus dem Jahr 1962, der fünf Jahre später vom Regierungspräsidium Nordwürttemberg - auch gegen den Widerstand von Illingen und Lienzingen - genehmigt wurde.(Quelle: STAM, Li A 847)

Bei der ersten Beratung im Lienzinger Gemeinderat am 13. Juli 1962 berichtete Bürgermeister Richard Allmendinger über Feinheiten der beiden Vorentwürfe des Straßenbauamtes Besigheim zum zweibahnigen Ausbau von B35 und B10: Vom Illinger Eck in gerader Linie in westlicher Richtung, im Tal zwischen Lienzingen und Illingen in einer weiteren Schleife durch die Wiesen, dann durch den Hartwald. Überraschend freundlich fiel die Aufnahme der Pläne bei den Bürgervertretern aus, denn der Zustand der beiden Bundesstraßen entspreche nicht mehr der wachsenden Motorisierung, weshalb gegen die zweite Trasse keine besonderen Einwände erhoben würden. Zwei Vorschläge gab es zum Detail: Die neue B10 solle so frühzeitig von der B35 getrennt werden, dass die Straße durch den östlich der Markung Lienzingen angrenzenden Staatswald verlaufen würde. Wiederum die B35 sei beim Schmiebach so weit anzuheben, damit dort eine Unterführung gebaut werden könne, damit das Feldwegenetz besser zu erreichen sei (STAM, Li B 326, S. 157 f).

Kehrtwende innerhalb von sechs Wochen

Bereits am 31. August 1962 beschäftigte sich der Gemeinderat wieder mit den Plänen, schwenkte nun aber auf den Kurs der Ablehnung ein. Der Bürgermeister, so der Beschluss, solle mit den zuständigen Stellen verhandeln, um die Markung Lienzingen vor der B10 zu verschonen. Die Räte beklagten die Verlegung zweier Bundesstraßen auf eine Markung als eine unzumutbare Härte, die in gar keinem Falle hingenommen werden dürfe. Lienzingen würde eine sehr einschneidende Waldeinbuße erleiden, da die B10 durch den Hart- und Schelmenwald geführt werden solle. Der Schultes gab das Ziel aus: Das Vorhaben muss zum Scheitern gebracht werden. Erstmals deutete Allmendinger einen Alternativvorschlag für die neue B10 an. Sie solle hart entlang der Bahnlinie Illingen-Mühlacker gebaut werden, weiter an der Ortsettergrenze Mühlacker in einer Schleife entlang der Markungsgrenze Lienzingen-Mühlacker, vorbei an der Firma Behr, auf das Markungsgebiet Ötisheim (STAM, Li B 326, S. 163).

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Mittelschule Mühlacker auch für begabte junge Lienzinger: Gemeinde muss pro Schüler und Jahr 150 Mark der Stadt bezahlen

Als Nachbargemeinden noch einen Antrag stellen mussten, um Kinder auf die Mittelschule in Mühlacker schicken zu dürfen - für maximal 150 Mark pro Schüler und Jahr, zu bezahlen vom Rathaus. Lienzinger Ratsprotokolle von 1960 erinnern an einen Weg, der aber längst passé ist und inzwischen als undenkbar gilt. Die Mittelschule ist die heutige Mörike-Realschule. Diesmal  lokale Schulgeschichten, die auch Lienzinger Geschichte(n) sind.

Das Mittelzentrum war bereit, die Vorreiterrolle im Kreis Vaihingen/Enz zu übernehmen, schreiben Wolfgang Schmidt und Hans-Joachim Blum in der Rückschau. Das Staatliche Schulamt Mühlacker unterstützte  die Absicht der Stadt unter Bürgermeister Erich Fuchslocher, die bestehende Lücke zwischen Volksschule und Gymnasium in Mühlacker zu schließen, steht in der Festschrift zum 50-Jahr-Jubiläum der Mörike-Realschule.

Zuerst Begabtenklasse

Diese Geschichte  begann 1952 mit einer Begabtenklasse an der Volksschule Lindach. Zwei Jahre später genehmigte das Kultusministerium einen Mittelschulzug, der jedoch bis 1957/58 nur bis zur zuerst achten, dann neunten Klasse reichte. Die noch bis zur Mittleren Reife notwendige neunte und zehnte Klasse mussten in Ludwigsburg absolviert werden. 1962 billigte das Land eine selbstständige Mittelschule (seit 1967 mit der Bezeichnung Realschule). 12 Klassen und 397 Schüler stark,  bezog sie  1964 den Neubau an der Lindachstraße ("50 Jahre Mörike-Realschule Mühlacker", herausgegeben von der Schule selbst, Juli 2012, S. 14f).

Laut Statistik zum Haushaltsplan 2020 der Stadt Mühlacker besuchen aktuell 702 junge Menschen die Realschule - eine Zahl, die immer noch weit entfernt ist vom Rekord des Schuljahres 1977/78 mit 1015 Schülern. 1977 zog der damalige Mühlacker Bürgermeister Adolf Dumitsch, der gerade den ortsabwesenden Oberbürgermeister Gerhard Knapp vertrat, die Notbremse und ordnete an, Kinder aus Wiernsheim abzuweisen. Sehr zum Ärger des Gemeinderats von Wiernsheim, aber nicht minder auch von Mühlacker sowie des OB, der die Anweisung mit der Bemerkung kassierte, Mühlacker sei stolze Schulstadt, zudem schaffe die Schule bei den jungen Menschen eine auch emotionale Nähe zur Standortkommune. Die Leute kämen später eher hierher und stärkten dabei die Umsätze von Handel, Gewerbe & Co. Heute würde es einen Shitstorm genannt, was über den Beigeordneten niederging.

Auf Stadtkosten auch für die Nachbarn

Zwei Gebäude, ein Gang

Denn zur kommunalpolitischen Philosophie der drei Gemeinderatsfraktionen von CDU, SPD und FW gehörte es, auf Stadtkosten auch für die Nachbarn den notwendigen Raum für die weiterführenden Schulen zu schaffen. Also beschlossen die Stadträte, einen Pavillon mit sechs Klassenzimmern auf der Freifläche neben der Grundschule aufstellen zu lassen und eine Außenklasse in der Grundschule Heidenwäldle einzurichten. Alle atmeten auf: Der Engpass war weg! Das zunächst nicht für diesen Zweck eingeplante Geld der Stadt auch.

Seitdem ähnelt es einem Tabu, an dem nicht gerüttelt wird, zumindest bis jetzt nicht. Die Umlandgemeinden werden nicht zur Kasse gebeten. Denn hat eine Schule einen entsprechenden Anteil von auswärtigen Schülern, leistet das Land bei Investitionen einen höheren Zuschuss. Das fließt auch in die Sachkostenbeiträge ein, die via Land aus dem Finanzausgleichstopf jährlich überwiesen werden. 2020 für Mühlacker 2,15 Millionen Euro, davon 833.000 Euro fürs Theodor-Heuss-Gymnasium, 678.000 Euro für die Realschule, 330.000 Euro für die Gemeinschaftsschule Schillerschule und 304.000 Euro für die Uhland-Förderschule.

Lienzinger Geschichte(n)

Das war nicht immer so, wie ein Blick in die Sitzungsprotokolle des Gemeinderats von Lienzingen zeigt. Der heute praktizierte Schullastenausgleich hat nach meinem Aktenstand 1962 den bis dahin gewährten Gastschulbeitrag abgelöst, antwortete mir Norbert Brugger, Dezernent beim Städtetag Baden-Württemberg, auf meine Anfrage.

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Für 1,3 Millionen Euro: Land saniert 2020 Straße Mühlacker-Lienzingen und Osttangente

Die seit 2017 stehenden Hinweisschilder auf Fahrbahnschäden, entlang der Landesstraße 1134 zwischen Lienzingen und Mühlacker und auf der Ostttangente postiert, werden bald verschwinden. Das Regierungspräsidium Karlsruhe lässt die 3047 Meter lange Strecke im Frühjahr dieses Jahr für 1,3 Millionen Euro erneuern. Nicht nur das: Der  Ersatzneubau der Herrenwaagbrücke in Mühlacker-Dürrmenz im Zuge der L 1134 wird real. Baubeginn Oktober 2020, sechs Bauabschnitte, Bauzeit zwei Jahre, 9 Millionen Euro Gesamtkosten für 900 Meter. Beide Projekte stehen auf der Wunschliste der Stadt ans Land ganz oben.

Schon im vergangenen September zeichnete sich eine Aufnahme der Straße von Lienzingen über den Kreisel beim Heidenwäldle und die Osttangente zur B10 ab.

Zu den  Erhaltungsmaßnahmen gehören 2020  gehören unter anderem die Belagserneuerung der B 294 bei Freudenstadt (Nordumgehung), die Ertüchtigung der 1132 im Bereich Ötisheim, die Sanierung der Fahrbahn der L 1134 Osttangente Mühlacker bis Lienzingen, die Belagserneuerung der L 354 zwischen Gewerbegebiet Haiterbach und dem Verkehrsknoten L 354/K 4779 und die weiteren Instandsetzungen der L 93 bei Wildschapbach (2. Bauabschnitt), der L 404 zwischen Freudenstadt (Knoten L 404/L 405) und Zwieselberg sowie der B 28 zwischen Abzweig Rexingen bis Verkehrsknoten B 28/L355b bei Horb. Damit ist die Region Nordschwarzwald im Regierungsbezirk Karlsruhe ein Schwerpunkt der Erhaltungsmaßnahmen an Landesstraßen.

Das Regierungspräsidium Karlsruhe wird auch in diesem Jahr umfangreiche Arbeiten am Straßennetz in den Landkreisen Enz, Calw und Freudenstadt erledigen und die Straßeninfrastruktur des Bundes und des Landes weiter verbessern. Hierzu gehören Projekte an Autobahnen, Bundes- und Landesstraßen im Enzkreis und in der Region Nördlicher Schwarzwald, die in diesem Jahr begonnen oder weitergebaut werden. Neben dem Neu-, Um- und Ausbau von Straßen und Bauwerken liegt wie bislang der Fokus auf dem Erhalt des bestehenden Straßennetzes, um den langjährigen Sanierungsstau zu reduzieren und den Zustand der Infrastruktur sukzessive zu verbessern“, so der Baudirektor Erik Lang bei der  Vorstellung der im Jahr 2020 bereits laufenden und geplanten Baumaßnahmen in den Landkreisen Enz, Calw und Freudenstadt sowie im Stadtkreis Pforzheim.

pm_baumassn_enzkreis.pdf

Wie viel Einwohner dürfen oder müssen es sein?

Der Plan ist fertig - gibt es Alternativen zu immer weiteren Neubaugebieten auf der grünen Wiese?

Drei Papiere, ein Thema: Wie viel neue Wohnungen brauchen Region, Kreis und Stadt? Das heißt aber auch: Wie stark wächst die Einwohnerzahl? Stoff für Debatten im Planungsausschuss des Regionalverbandes Nordschwarzwald und im Gemeinderat von Mühlacker. Wie verträgt sich Wachstum mit unserer vorhandenen Infrastruktur?

Zunächst zur Region: Die Prognos AG legte jetzt im Auftrag des Regionalverbandes Nordschwarzwald und mit finanzieller Beteiligung des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg in drei Bändchen eine Wohnraumstudie vor, ermittelte den Bedarf, das Potenzial und schließlich einen Leitfaden für die kommunale Ebene. Die Wirtschaftsforscher rechnen  damit, dass die Region in den nächsten 15 Jahren um 15.000 Haushalte wächst. Das wäre ein Plus von 25.000 Menschen, die zusätzlich 22.600 Wohneinheiten notwendig machen.

Prognos erhob die Daten fürs Oberzentrum Pforzheim und die sechs Mittelbereiche Freudenstadt, Horb, Calw, Nagold, Bad Wildbad und Mühlacker vor - zu Letzterem gehören die meisten Gemeinden des östlichen Enzkreises.

Hier die wesentlichen Eckpunkte für den Mittelbereich Mühlacker:

  • Die Bevölkerungsentwicklung seit 2011 lag im Durchschnitt der gesamten Region (+ 4,7 %)
  • Die Größe eines durchschnittlichen Haushalts sank von 2,37 auf 2,32 Köpfe. Ergebnis: 6,4 Prozent mehr Haushalte (+ 6,4 %)
  • Der Wohnungsbestand erhöhte sich unterdurchschnittlich im Vergleich zur Region um 3,4 % (198 Wohneinheiten pro Jahr). Demzufolge ist die Wohnungsbaulücke größer (3,1 statt 2,3 % in  der Region)
  • Ergo die Prognose: Der Wohnungsbedarf wächst bis 2040 um 9,2 % (entspricht 2220 Haushalten) und somit stärker als in der Region mit 8,5 %
  • Fazit von Prognos: Nachfrage nach kleineren und flexibleren Wohneinheiten (unter anderem im Geschosswohnungsbau) steigt voraussichtlich, insbesondere in attraktiven Lagen für Berufspendler in Richtung Region Stuttgart.
  • Der Rat: Baulücken und Leerstände insbesondere in Mehrfamilienhäusern aktivieren. Der Mittelbereich Mühlacker gewinne auch als Arbeitsstandort an Bedeutung, habe eine gute Lage, sei verkehrstechnisch - Straße und Schiene - gut angebunden.
Drei Hefte, eine Studie

Die Flächen- und Bestandsreserven:  Eigentlich müsste in der Region trotz  des Mehrbedarfs kein einziger Quadratmeter neues Bauland ausgewiesen werden. Leerstände, Aufstockung von Gebäuden, Baulücken und noch nicht genutzte, aber in den Flächennutzungsplänen gesicherte Bauflächen voll genutzt, ermöglichten zusammen zusätzlich 63.000 Wohneinheiten (WE), gegliedert in Aufstockung 5000 WE, Leerstände 14.000 WE, Nachverdichtung 2000 WE, vor allem aber 42.000 WE auf „unbebauten Potenzialen“. Rechnerisch reicht das, um den Bedarf abzudecken. Die Werte für den Mittelbereich Mühlacker: aus noch nicht genutztem Bauland 3703 WE, aus Nachverdichtung 200 WE, aus Aufstockung 400 WE und aus Leerständen 1000 WE, zusammen also rund 4300 WE. Die drei Hefte der Studie können hier heruntergeladen werden.

Just die Grenzen der Aktivierung von Potenzialen dokumentierte jetzt die Stadtverwaltung Mühlacker. Sie schrieb alle Eigentümer von 254 Baulücken an, die ihre Fläche bis jetzt nicht auf den Markt warfen. Ernüchternd die Ergebnisse. Nur drei denken nach dem Brief aus dem Rathaus ans Verkaufen. Die sogenannten Enkeles-Grundstücke sind voll erschlossen, könnten sofort bebaut werden. Die Kommunen hätten keine ausreichenden Instrumente, um hier eine Korrektur im Verhalten durchzusetzen, lautet die immer wiederkehrende Klage im Gemeinderat.

 

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