Strategien, die gegensätzlicher nicht sein könnten - VPE macht das Busfahren teurer, VVS lockt mit Gratisangeboten
Zwei Schlagzeilen, zwei Programme, zwei Philosophien. Beide Schlagzeilen von heute. Jene über die Strategie des Verkehrs- und Tarifverbundes Stuttgart (VVS) auf Seite 1 im Mühlacker Tagblatt, die zweite im Regionalteil der Pforzheimer Zeitung über das Weiter-so des Verkehrsverbundes Pforzheim/Enzkreis (VPE). Beide leiden unter dem gleichen Problem, die Fahrgastabwanderung in Pandemie-Zeiten. Doch die Rezepte dafür, die einstigen Kunden zurückzugewinnen, können unterschiedlicher nicht sein.
Der VVS versuchte es mit Gratis- und Lockangeboten, der VPE setzt zum Dezember 2021 die Tarife um durchschnittlich 1,4 Prozent hoch. Gezweifelt werden darf, ob die Rechnung des VPE aufgeht. Abschreckung statt attraktiver Offerten. Wie zu hören ist, meldeten im Aufsichtsrat des VPE am Mittwoch der Landrat des Enzkreises und der Stadtbus-Unternehmer von Mühlacker Bedenken gegen diesen Kurs an. Der Landrat stimmte dann trotzdem zu.
Was mich besonders ärgert: Zwei Tage zuvor verabschiedete der Kreistag in Remchingen den Nahverkehrsplan 2025 für Stadt Pforzheim und Enzkreis. Der Abstimmung gingen Erklärungen voraus über die Notwendigkeit, Busse und Bahnen attraktiver zu machen. Kein Wort davon, dass das Fahren mit ihnen teurer werden soll. Der Gemeinderat von Pforzheim wird wenigstens über solche Pläne informiert, der Kreistag nicht einmal das. Das Hauptorgan des Landkreises ist als Gremium ganz außen vor.
Dies belegt, dass eine der Konsequenzen aus den Ergebnissen der Akteneinsicht des Kreistages zur Vergabe der Buslinien im westlichen Enzkreis doppelt richtig ist: CDU, Grüne und SPD wollen die Zuständigkeiten des Kreistags als Hauptorgan sowie seines Ausschusses für Umwelt und Verkehr in punkto öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) erweitern. Ein von der CDU-Fraktion bei der Sondersitzung des Kreistags vorgelegter, dann aber vertagter Antrag ist dazu modifiziert worden. Der Kernpunkt: Die 2017 beschlossene Abtretung von Zuständigkeiten an den Verkehrsverbund Pforzheim/Enzkreis soll korrigiert werden.
Mit dem Inkrafttreten der EU-Verordnung 1370 aus dem Jahre 2007 und deren Umsetzung in nationales Recht im Rahmen der Novelle des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) im Jahre 2012 war ein neuer Rechtsrahmen geschaffen worden, der große Auswirkungen auf die Finanzierung und Vergabe von Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr hatte. Die 2017 vorgenommene Konkretisierung führte dazu, dass der Kreistag das volle Recht auf Tarifanpassungen auf den VPE übertragen hat. Wir verschenkten unsere Chancen.
Eher zufällig erfuhren wir am Donnerstag, dass die Tarife zum Fahrplanwechsel im Dezember 2021 um durchschnittlich 1,4 Prozent steigen werden. Das ist kontraproduktiv in einer Zeit des durch die Pandemie erfolgten Rückgangs der Fahrgastzahlen. Das Jobticket Baden-Württemberg wird demnach um 3,13 Prozent teurer, die Schülermonatskarte, je nach Kategorie, bis zu knapp drei Prozent. Ein Teil bleibt unverändert.
Beileibe nicht nur der Stuttgarter Verbund setzt auf attraktive Offerten statt Tarifanhebungen. Bei einem Webseminar des Deutschen Instituts für Urbanistik (DfU) in Berlin war dies der Tenor aller Wortmeldungen auch von Vertretern anderer Verbünde. Trotzdem rechnen Fachleute damit, dass erst 2024/25 wieder alle in der Pandemie verlorenen Passagiere für Busse und Bahnen zurückgewonnen werden können. Einzelne bezweifeln, dass dies überhaupt erreicht werden kann - bei mehr Menschen im Homeoffice zum Beispiel. Der VPE ist jedenfalls auf dieser Spur als Geisterfahrer unterwegs.
Nicht nur der Kreistag ist außen vor, die dem VPE-Aufsichtsrat vorgelegten Anträge auf Verteuerung erarbeitet der Tarifausschuss des VPE, in dem weder ein Mitglied des Gemeinderats von Pforzheim noch des Kreistages des Enzkreises sitzt. Die Zusammensetzung dieses Ausschusses gilt als unklar und soll letztmals 2013 bestimmt worden sein. Eine Art Geheim-Klub.
Die ganze Struktur hat einen Webfehler: Diejenigen, die mehr Geld vom VPE wollen, mischen selbst eifrig in beiden Gremien mit, entscheiden als Aufsichtsräte über die Höhe der eigenen Fahrgeld-Einnahmen. Denn von den 16 Mitgliedern des Aufsichtsrates sind sechs Busunternehmer - ein fester Stimmblock. Fünf Stadt- und Kreisräte, der Landrat, der Pforzheimer Dezernent und der Leiter des Eigenbetriebs Verkehr der Stadt, dazu noch ein Vertreter des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg stehen auch in der Namensliste der Gremiumsmitglieder, die sich im Verbundbericht des VPE für 2019 findet. Selbst mit zu entscheiden, welche Summen man kassieren darf, davon können andere Unternehmer nur träumen.
Wenn der Kreistag beim Nahverkehr wirksam steuern soll, muss er auch die notwendigen Zuständigkeiten haben und sich diese nicht mit den Verbundgremien teilen müssen. Das erfordert eine grundsätzliche Reform. Bei dem 1986 entstandenen Verbund von Pforzheim und Enzkreis handelt es sich um einen so genannten Mischverbund - nicht allein die kommunalen Auftragsgeber entscheiden wie beim Karlsruher Verbund über die Tarife, sondern auch die Busunternehmer. Letztere sind beim Karlsruher Verkehrsverbund (KVV) ausgeschlossen. Zu einem reinen Kommunalverbund muss auch der VPE umgemodelt werden. Als Mindestreform, wenn er bestehen bleiben soll.
Der VPE in Zahlen: zirka 450 Haltestellen in Pforzheim, 720 im Enzkreis, 125 in Mühlacker.61 Regionalbuslinien, 16 Stadtbuslinien Pforzheim, 8 Stadtbuslinien Mühlacker, 7 Bahnlinien. Etwa 2,5 Millionen Kilometer Schienenverkehrsleistungen. 8,86 Millionen Kilometer Regionalbusse, 3,3 Millionen Kilometer Stadtbus Pforzheim, 300.000 Kilometer Stadtbus Mühlacker, jeweils pro Jahr. Elf Busunternehmen als Geselllschafter.(Quelle: Verbundbericht 2019 des VPE)
Kommentare
Noch keine Kommentare