Wie aus der Lienzinger Mangelwirtschaft doch eine Erfolgsgeschichte wurde
(Thema Wohnungsbau 1/2)
Häuslesbauern keine Steine in den Weg zu legen, sondern solche wegzuräumen, das war die Leitlinie von Lienzingens Bürgermeister Richard Allmendinger und seinen Gemeinderäten. Als paradiesischer Zustand muss das für manche wirken, die sich heutzutage mit Baurechtsämtern herumschlagen und diese als Verhinderungsämter wahrnehmen. Allmendinger, seit November 1947 im Amt, verwies auf die seinerzeitige Wohnungsnot durch den Zuzug von Vertriebenen und Flüchtlingen und handelte. Er habe sich damals oft Gedanken gemacht, wie diese Not am schnellsten gelöst werden könnte, schrieb Allmendinger im Jahr 1970 rückblickend in seinem Beitrag zum Ortsbuch. Dabei bin ich zu dem Entschluss gekommen, jeden nur einigermaßen fähigen und willigen Bewerber ein eigenes Heim bauen zu lassen. Aber woher die dazu notwendigen Bauplätze nehmen? (in: Friedrich Wißmann, Ortsbuch Lienzingen, 1970, Walter-Verlag, S. 324)
Lienzinger Geschichte(n) heute vom großen Herz für Häuslesbauer bei Bürgermeister und Gemeinderat, von Baudarlehen, günstigen Bodenpreisen und der Klage: Man weiß bald nicht, welcher Fall der dringendste ist und man kommt bald in die größten Schwierigkeiten, aber auch von fünf Gaststätten für 1000 Einwohner und dem Antrag für eine sechste. Dazu in Akten und Ratsprotokollen geblättert (Serie in meinem Blog)
Eine erste Zwischenbilanz zog der Schultes bei der Sitzung am 15. Februar 1951, als er die am 28. Januar 1951 gewählten neuen Gemeinderäte verpflichtete: Die Landwirte Adolf Brüstle (261 Stimmen) und Eberhard Pfullinger (248) sowie Schlosser Erwin Schmollinger (168) und Maurer Karl Straub (217 Stimmen) durften seine Worte als Richtschnur für ihre bevorstehende sechsjährige Amtszeit ansehen. Für die ausgeschiedenen Räte Christian Benzenhöfer, Gottlob Hermle, Rudolf Rommel und Robert Seethaler sollte der Rückblick gleichzeitig Anerkennung für die geleistete ehrenamtliche Tätigkeit sein.
Richard Allmendinger erinnerte an die Lage im Jahr 1948. Die Gemeinde stand bei der Währungsumstellung zunächst vor leeren Kassen, die Wohnungsverhältnisse durch den starken Zustrom der Flüchtlinge waren katastrophal und zu allem Übel die Gemeinde noch ohne eigenes Baugelände. Niemand wollte bebaubares Gelände abtreten und doch sollte man helfen, klagte der 41-Jährige an diesem Abend. Nach mühsamen Verhandlungen sei es dann endlich gelungen, die für die potenziellen Häuslesbauer notwendige Fläche zu erhalten. Die Gemeinde stellte den ersten Bebauungsplan auf, gewährte selbst den Bauherren Darlehen (bis dato insgesamt 21.000 Mark) und zusammen mit staatlichen Hilfsgeldern entstanden bis Februar 1951 genau 18 Wohnungen, einschließlich derjenigen, die die Kommune selbst errichtete (STAM, Li B 324, S. 58 f).
Beispiele dafür, wie aus der Mangelwirtschaft doch eine Erfolgsgeschichte wurde: In der Sitzung am 28. Oktober 1948 genehmigte der Gemeinderat den Kauf von knapp fünf Ar von drei Eigentümern, die pro Quadratmeter eine beziehungsweise zwei Mark erhielten. Einen Tagesordnungspunkt später bewilligte das Gremium drei Bauherren jeweils 4000 Mark Darlehen zu vier Prozent Zinsen auf die erste Hypothek (STAM, Li B 323, S. 197). Weitere Unterstützung erhielten Bauende, indem die Kommune für sie für Kredite von Banken und Sparkassen bürgte (STAM, Li B 324, S. 150). Wie kam es dazu? Weil der Schultes mit der Idee scheiterte, an Bauwillige kommunale Flächen in Erbpacht abzugeben. Allmendinger hatte extra das Gespräch mit Direktor Bitzer von der Kreissparkasse in Mühlacker gesucht, wie er dem Ortsparlament am 4. August 1952 mitteilte. Bitzer verwies darauf, die Sparkasse sei nicht berechtigt, Erbpachtflächen zu beleihen. Der Bürgermeister sagte, im Allgemeinen fehlten den Bauenden noch 3000 Mark Eigenkapital. Die Lücke könne nur geschlossen werden, wenn die Gemeinde entweder eine zweitrangige Hypothek übernehme oder eine Bürgschaft für Darlehen, die die Sparkasse gewährte. Anschließend beschloss der Gemeinderat, dass die Kommune für Kredite als Bürge geradestehe (STAM, Li B 324, S. 129).
Der Willen der Kommunalpolitik war jedenfalls klar erkennbar, den Menschen konkret zu helfen. So genehmigte der Gemeinderat am 7. März 1952, dem Bauwollenden W.O. 4000 Mark als erste Hypothek zu 4,5 Prozent Zinsen zu gewähren - als Überbrückung bis zur Zuteilung seines Bausparvertrags durch die Leonberger Bausparkasse im Jahr drauf (STAM, Li B 324, S. 116). Das Instrument wendete die Kommune über viele Jahre an. Ein Beispiel: Allein in seiner Sitzung am 2. Februar 1973 stimmte der Gemeinderat fünf Bürgschaften zu.
In seinem Rückblick schrieb Allmendinger 1970: Das Siedlungsgebiet wurde mit Gemeindemitteln erschlossen. Ja selbst die Gemeinde gab anfangs erststellige Hypothekendarlehen zu günstigen Bedingungen. Sie konnte sich das leisten, weil sie in den Nachkriegsjahren sehr gute Holzerlöse aus ihren Wäldern erzielte (Richard Allmendinger, Die Gemeinde holt ihren Rückstand rasch auf, in: Friedrich Wißmann, Ortsbuch Lienzingen, 1970, Walter-Verlag, S. 324).
Der Verwaltungschef nannte am 19. Dezember 1950 den Gemeinderäten konkret fünf Familien, die auf eine ausreichende Unterkunft hofften. Die neu gegründete Baugemeinschaft der Neubürger brachte wohl nicht den erwünschten Erfolg, sie sei finanziell noch schwach, könne gerade ein Wohnhaus errichten, dies aber auch nur mit Unterstützung der Gemeinde. Diese wiederum wurde zudem noch mit anderen Forderungen konfrontiert - Allmendinger nannte den Wunsch nach dem Bau einer Kleinkinderschule (STAM, Li B 324, S. 53).
Die Kommune war auch sonst gefordert. Bei einer Sitzung am 13. April 1953 wies die Verwaltung darauf hin, dass die Gemeinde seit 1949 aus einem Kahlschlag in der Hart etwa 70 Ar als Gartenland den Neubürgern zur Verfügung stelle. Bis dato kostenlos, der Rat beschloss nun, erstmals Zahlung auf Martini 1953, eine Pacht von 1,25 Mark pro Jahr, für Gartenland 2,50 Mark zu verlangen (STAM, Li B 324, S. 163).
Auch die Aufstellung von Bebauungsplänen bereitete Probleme. Im August 1954 beriet der Gemeinderat über den Entwurf "Aichert" für das Gebiet zwischen Raith und Mühlweg. Abgesichert werden sollten dadurch nicht nur die geplanten Standorte für eine neue Schule und eine Turnhalle, sondern auch für 14 neue Wohnhäuser vom Mühlweg in Richtung Raithstraße, für neun direkt am Mühlweg (heute Friedrich-Münch-Straße). Problematisch erwies sich schon bei der ersten Diskussion die vorgeschlagene Straße zwischen Mühlweg und Raithstraße über den Bergrücken. Letztlich entstand aus dieser Idee die Dr.-Otto-Schneider-Straße als Sackgasse, hinter der Grundschule auf die Höhe führend. Für das Gebiet unter dem Aichert und Mühlweg machte der Gemeinderat am 27. November 1959 den Weg frei für einen Bebauungsplan (STAM, Li B 324, S. 57, 225, 269; Li B 325, S. 70, 195, 303).
- Freizeit in ruhiger sonniger Lage, abgeschieden von der rastlosen Welt, verbringen
Station in Lienzingen am 4. Februar 1958 im Rahmen der Kreisbereisung von Vertretern der Bauberatungsstelle des Regierungspräsidiums Nordwürttemberg, der Bezirksstelle für Naturschutz und Landschaftspflege sowie des Landratsamtes Vaihingen: Thema der seit Monaten schwelende Streit zwischen Beratungsstelle und Kommune. Kernpunkt der Kontroverse: Wie weit muss der Aichert und der nach Osten führende Bergrücken von einer Bebauung freigehalten werden? Der Gemeinderat forderte im September 1957, das Baugebiet nach Westen und Osten zu erweitern. Der obere Abschnitt des Hangs vertrage durchaus einstöckige Gebäude mit einer Dachneigung von etwa 30 Grad. Bauinteressenten hätten sich dort schon Fläche gekauft. Das Gebiet habe keinen hohen Nutzungswert für die Landwirtschaft.
Diese Auffassung rief die Bauberatungsstelle auf den Plan. Der Bürgermeister berichtete gut einen Monat später dem Gemeinderat von dem Treffen. Während die Beratungsstelle noch vor etwa zwei Jahren gefordert habe, die Bauweise wie sie im Ort vorherrschend sei, auch bei der Überbauung des Baugebiets Aichert einzuhalten, habe sie jetzt zugegeben, dass sie in diesem Punkt auf die Linie der Gemeinde eingeschwenkt sei. Der zweite Entwurf zum Bebauungsvorschlag der Bauberatungsstelle komme zwar der Forderung der Gemeindeverwaltung näher, er erfülle aber bei weitem nicht die Erfordernisse für die notwendige Wirtschaftlichkeit der dorthin zu führenden Straße, auch wenn sich die Bauenden verpflichten würden, die Kosten für die Erstherstellung der Straße zuzüglich Kanalisation und Wasserleitung zu übernehmen. Da es sich bei dem strittigen Gelände weder um ein Naturschutzgebiet noch um einen geschützten Landschaftsteil handle, sei es dem Gemeinderat unverständlich, weshalb sich die Bauberatungsstelle gegen die bauliche Erschließung des Geländes sträube.
Der Gemeinderat blieb bei seiner Position. Er setze mit dem Bebauungsplan Ortsrecht, nicht die Beratungsstelle, die, wie ihr Name schon sage, nur beratend tätig sei. Die Bauinteressenten legten selbst Wert auf eine einwandfrei schöne Gestaltung und wünschten lediglich, ihre Freizeit in ruhiger sonniger Lage, abgeschieden von der rastlosen Welt, zu verbringen. Doch im Juni 1959 korrigierte das Gremium seinen Beschluss vom 21. März 1958 - das Baugelände wurde etwas kleiner. Längere Zeit zog sich auch ein anderer Konflikt hin, der zwischen der Gemeinde und der Familie Otto Schneider, die Fläche für eine Straße dort abtreten sollte. Mehrere Schreiben gingen 1955/1956 hin und her (STAM, Li B 324 S. 47 und 57; Li B 325, S. 70, 166 f und 269).
Unter anderem am 18. März 1955 machten die Bürgervertreter den Weg frei für den Verkauf von weiteren Bauplätzen - im Gebiet "Unter dem Aichert" - mit jeweils 6,9 Ar für zwei Mark den Quadratmeter. Das zeigt, dass es der Gemeinde gelang, durch den vorherigen Aufkauf von Gelände die Baulandpreise stabil niedrig zu halten (STAM, Li B 325, S. 20). Weiteres Instrument war das spezielle Vorkaufsrecht der Gemeinde für den ersten Verkaufsfall nach dem Paragrafen 23 des Aufbaugesetzes, das der Gemeinderat über den Bebauungsplan sicherte.
Ende der Wohnungsnot im Herbst 1954 verkündet
Überraschend erklärte der Bürgermeister in der Ratssitzung vom 27. Oktober 1954 die Wohnungsnot für beendet - kein ernster Wohnungsfall warte mehr auf die Erledigung. Allmendinger dachte nun an die Refinanzierung. Die Gemeinde habe beträchtliche Gelder in Erschließung von Baugelände, in den Bau neuer Straßen, in Kanalisation, Wasserleitungsnetz und Wohnungen gesteckt, ohne die Bauenden an den Kosten zu beteiligen. Er machte klar, dass nun die Kommune künftig Rechnungen schicken werde. Im Protokoll heißt es, wie andernorts üblich, sollten die Häuslesbauer einen angemessenen Teil des Aufwandes der Gemeinde übernehmen. Der Gemeinderat stimmte zwar zu, machte aber auch deutlich, dass keine untragbaren Anliegerbeiträge verlangt werden dürften und weiterhin Interesse an einer lebhaften Bautätigkeit bestehe. Konkret beschloss das Gremium, für die neuen Wasserleitungen eine einmalige Gebühr zu verlangen, für Straßen und Gehwege ein Drittel der Kosten umzulegen. Die Regelung sollte angewandt werden für alle Bauten nach dem 1. Januar 1955 (STAM, Li B 324, S. 241 f). Eine Neuheit für Lienzingen: die jetzt beschlossene Dolensatzung.
Wenn es an den eigenen Geldbeutel geht, reagieren Menschen unterschiedlich. In der Sitzung vom 20. Juni 1955 behandelte der Gemeinderat eine Anzahl Beschwerden von Hauseigentümern im Vorderen Brühl und an der Raith. Die Dolen-Satzung sei erst nach dem Bezug ihrer Wohngebäude beschlossen worden, eine rückwirkende Gebührenerhebung deshalb rechtlich nicht erlaubt. Sie lehnten deshalb eine Bezahlung grundsätzlich ab, während anderen nur der von ihnen verlangte Einmal-Betrag von 80 Mark zu hoch war. Die Räte reduzierten in diesen Fällen auf 60 Mark und der Bürgermeister schloss nicht aus, dass die Beschwerdeführer mit ihrer Auffassung recht bekämen, aber er warb dafür, dass sie trotzdem bezahlen. Denn die Gemeinde habe beträchtliche Gelder in den Wohnungsbau gesteckt, nun gehe es um einen gerechten Lastenausgleich. Andererseits seien die Aufgaben der Verwaltung in den Nachkriegsjahren so umfangreich gewesen, dass es unmöglich gewesen sei, Satzungen wie dieser zu entwerfen (STAM, Li B 325, S. 32).
- Die Dolengebühren: Gemeinde wälzt Kosten teilweise auf Häuslesbesitzer ab
Fünf Jahre später, am 15. Januar 1960, stimmte der Schultes ähnliche Töne an und beantragte laufende Dolengebühren. Der Gemeinderat stimmte der Änderung der Satzung zu, sicherte sich aber das Recht, bei Härtefällen Ermäßigungen beschließen zu können, was er einen Monat später bei sieben Anliegern der Uhlandstraße (heute Merowingerstraße) auch tat. Das Gremium reduzierte von 300 auf 160 Mark. Der Tarif orientierte sich nicht am Verbrauch – Lienzingen hatte noch keine Kanalisation. Die Kommune berechnete drei Prozent des Brandversicherungsanschlags ohne Zubehör (STAM, Li B 326, S.1). Wenige Wochen später sattelte das Ortsparlament drauf und verabschiedete eine Satzung über die Erhebung von Anliegerleistungen. Sonst, so Allmendinger, könne der notwendige Bau der Straßen in den Siedlungsgebieten nicht mehr finanziert werden. Ein Teil der Kosten müsse auf die Bauenden abgewälzt werden (STAM, Li B 326, S. .
Schon in den seinerzeitigen Plänen der Gemeinde von 1939 war eine Siedlung südlich des Schmiebachs vorgesehen. Eine erste Baulinie der Brühlstraße genehmigte bereits 1930 das Oberamt Maulbronn, Vorläufer des heutigen Landratsamtes. Die Baulinien wurden nun teilweise geändert. 1961 erweiterte Lienzingen "Brühl" in südwestliche Richtung. Aichert, Mühlweg, Scherbental - die Häuslesbauer waren eifrig am Werk, aber mit wachsender Nachfrage der Kommune wollten die Grundstückseigentümer mehr Geld für ihr Land, so 1961 am Mühlweg zwölf Mark für den Quadratmeter. Die Verhandlungen des Bürgermeisters wurden nicht leichter, in einem Fall wäre es am Mühlweg fast zu einem Enteignungsverfahren gekommen. Bis 1970 entstanden in Lienzingen, so Allmendingers Zwischenbilanz im damals erschienenen ersten Ortsbuch, etwa 180 neue Wohngebäude, teils mit zwei Wohnungen.
- Zuletzt die Pläne für Gaiern-Neuwiesen
Im April 1968 beschloss der Gemeinderat die Erschließung neuen Wohnbaulandes. Fast eineinhalb Jahren später sagte Bürgermeister Allmendinger, den Ankauf der Grundstücke nicht betrieben zu haben. Zahlreiche Interessenten an Bauplätzen seien vorhanden, die Gemeinde könne aber nichts anbieten. Deshalb sei die rascheste Erschließung des Baugebiets Gaiern und Neuwiesen notwendig. Die sich fürs Wohnen anbietenden Höhenlagen nördlich des Ortes seien in so lange, als dorthin Trinkwasser nicht zugeleitet werden kann, nicht interessant. Dazu wäre der Bau eines neuen Wasserhochbehälters erforderlich, so der Verwaltungschef.
Bei der Beratung erinnerte Gemeinderat Emil Hafner am seinen früher eingebrachten Vorschlag, das Waldgelände südlich der Kohlplatte bis zum alten Sportplatz zu erschließen. Dadurch könne billiges Bauland angeboten werden. Hafner stieß mit dieser verwegenen Idee bei Allmendinger auf klare Ablehnung, denn das Waldgebiet könne wegen verschiedener Schwierigkeiten nicht erschlossen werden. Die Voraussetzungen in den Gemeinden Illingen und Ötisheim, die Waldgebiete erschlossen hätten, seien dort äußerst günstig gewesen. Im Falle der Absicht, das Waldgebiet zwischen Kohlplatte und Sportplatz baulich zu erschließen, müsste eine Unterführung der B 35 oder aber eine Zubringerstraße von der Mühlackerstraße her, etwa bei dem Teich, gebaut werden, was unverhältnismäßig hohe Kosten verursachen würde. Zudem würde die Aufsichtsbehörde eine solche Absicht nicht genehmigen und andererseits stünden Planungsabsichten der Straßenbauverwaltung – B10-Ortsumfahrung Mühlacker - dem Vorhaben im Wege. Bürgermeister Allmendinger wies in diesem Zusammenhang auf das Ergebnis einer Tagung mit der Bauberatungsstelle beim Regierungspräsidium Nordwürttemberg hin, in der die Erschließungsmaßnahmen der Gemeinde Lienzingen als vorbildlich bezeichnet worden seien.
Nach Meinung der übrigen Gemeinderäte solle jetzt der Ankauf der Grundstücke in Gaiern und Neuwiesen betrieben werden. Als Höchstkaufpreis für Bauland für Wohngebäude kämen allenfalls 15 Mark pro Quadratmeter in Frage. Notfalls müssten die Grunderwerbskosten über einen Kommunalkredit finanziert werden. Auch die Aufstellung eines Bebauungsplanes solle so schnell wie möglich betrieben werden. Mit seinem Beschluss gab das Ortsparlament schließlich Gas:
a) Kaufverhandlungen mit den Grundstücksbesitzern zu führen, b) die Bauplaner Siegfried Schwab, Architekt, Stuttgart-Vaihingen, Regierungsbaumeister Bolay, Stuttgart-Untertürkheim sowie Architekt Gerhard Schwilk, Maulbronn, zur entsprechenden Angebotsabgabe aufzufordern.
Schon einen Monat später, am 21. November 1969, vergab der Gemeinderat den Planungsauftrag an Schwilk für 9000 Mark Honorar ohne Erstattung von Nebenkosten und Auslagen. Er legte aber nicht nur die preisgünstigste Offerte vor, seine Ortsnähe als Maulbronner sei für die spätere Zusammenarbeit nach Meinung des Gremiums vorteilhafter als bei den anderen Bewerbern (STAM, Li B 325, S. 295 und 326, S. 304).
Nach 1971 ging es mit Gaiern-Neuwiesen weiter - mit 272 Wohneinheiten auf knapp 20 Hektar eine weitaus größere Nummer für den Ort. Ein Gebiet für 1000 Einwohner, so das Konzept vom Februar 1972. Von den 20 Hektar sollten acht Hektar auf ein kleines Gewerbegebiet am Ende von Gaiern-Neuwiesen entfallen, das jedoch nie realisiert wurde. Ein Erdwall mit einer Oberfläche von 28.000 Quadratmetern sollte die neue Siedlung zur Bundesstraße 35 hin vor Verkehrslärm schützen, wobei erhebliche Mehrkosten entstanden, wie Bürgermeister Allmendinger in der ersten Sitzung des Gemeinderats nach den Sommerferien 1972 berichtete. Aber das tat den Plänen keinen Abbruch, zumal die Gemeinde für jeden Kubikmeter Erdaushub, der für die Aufschüttung des Walls aus dem Baugebiet angekarrt wurde, zwei Mark kassierte, wie der Gemeinderat am 13. April 1973 beschlossen hatte. Der Gemeinderat regelte Anfang November 1973 die Bezeichnung der beiden Erschließungsstraßen: Aus A wurde Neuwiesenstraße, aus B Gaiernstraße (STAM, Li B 326, S. 37, 221 und 257). Das Gebiet Lohwiesenstraße gehörte nach der Eingemeindung 1975 zu den ersten Aufgaben der Stadt Mühlacker, die in Lienzingen zu erledigen waren.
Jahre später - Ende Januar 2011 - strich der Mühlacker Gemeinderat das Gewerbegebiet im Osten von Gaiern-Neuwiesen aus dem Flächennutzungsplan, weil eine Erbengemeinschaft die Verwirklichung jahrelang blockiert hatte. Sie wollte auch dort lieber Wohngebäude haben, für die sich die Quadratmeter teurer verkaufen ließen (Gemeinderatsvorlage Mühlacker 266/2010).
- Das Einwohner-Ziel trotzdem nicht erreicht
Als Triebfeder für Bürgermeister und Gemeinderat erwies sich das erklärte Ziel, Lienzingen über die 2000-Einwohner-Hürde und damit die vom Land ausgegebene Mindestgröße einer Gemeinde zu bringen, um in der anstehenden Verwaltungsreform die kommunale Selbstständigkeit zu retten, was letztlich misslang. Beim Verlust der Unabhängigkeit im Juli 1975 fehlten gut 200 Einwohner (Konrad Dussel, Ortsbuch Lienzingen - Altes Haufendorf, moderne Gemeinde, 2016, Verlag Regionalkultur, S. 196 ff und 242 ff). Seit dem Zwangsanschluss an Mühlacker entstand in den neunziger Jahren in der Vorderen Raith ein weiteres Wohngebiet, derzeit plant die Stadt in den Pferchäckern und werkelt daran seit 2016 - bei Lienzingens kleiner Verwaltung ging es gemeinhin rascher.
Eine andere Frage, die den Gemeinderat des damals 1000 Einwohner zählenden Dorfes am 2. Oktober 1950 beschäftigte: Wie viele Gaststätten verträgt Lienzingen? Denn Heinrich Schmidt, der an der künftigen, 1951 gebauten Umgehungsstraße ein Wohn- und Geschäftshaus errichtet hatte - heute letztes Haus an der Schelmenwaldstraße kurz vor der B35 - beantragte, darin eine Gastwirtschaft und Fremdenzimmer eröffnen zu dürfen. Es spreche bis jetzt nichts gegen den Antragsteller, dem der Rat bescheinigte, auch eine gewisse Eignung dafür zu besitzen. Zudem seien die erforderlichen Räumlichkeiten vorhanden, heißt es im Protokoll der Sitzung. Doch in der Gemeinde befänden sich bis jetzt fünf Gaststätten, die eigentlich genügen dürften: Hirsch, Lamm, Adler, Ochsen und Krone. Allerdings werde sich das geplante Angebot in erster Linie an Fernlastfahrer richten. Deshalb habe der Gemeinderat gegen den Antrag keine Einwände (STAM, Li B 324, S. 44 f).
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