Gedächtnis Mühlackers logiert im Rathaus-Untergeschoss

Einer von fünf Kartons: der CDU-Fundus

Besuch im Archiv. Erstes Untergeschoss, Rathaus, Mühlacker. Auf dem Weg zum Geschichtsbuch der Stadt. Oder - um ein anderes Bild zu wählen: Das Gedächtnis Mühlackers logiert im Keller. In eher beengten Räumen, mit personeller Minimalbesetzung, teilweise mit ehrenamtlichen Kräften. Manchmal unterschätzt, gelegentlich verkannt, weil Informationen fehlen, welchen Fundus diese kleine kommunale Einrichtung zu bieten hat.  Die Infos auf der städtischen Webseite ist kärglich.

Derzeit sitze ich öfters im Archiv und stöbere für meine Blog-Serie Lienzinger Geschichte(n) in Akten der Verwaltung und Protokollen des Gemeinderats der bis 1975 selbstständigen Gemeinde Lienzingen. Für ein anderes Projekt gab Archivleiterin Marlis Lippik indirekt den Anstoß, weil sie bei jeder Wahl die Parteien und Wählervereinigungen Mühlackers bittet, dem Archiv eine Sammlung  Kandidatenprospekte, andere Flyer und Plakate als zeitgeschichtliche Dokumente zu überlassen. Daraus entwickelte sich, dass vor drei Jahren ein Stoß Aktenordner von  Stadtverband und Gemeinderatsfraktion der CDU Mühlacker ins Archiv wanderte, das auch die Arbeit politischer Parteien auf lokaler Ebene dokumentieren will. Nach der SPD gibt es nun ebenfalls Bestände der örtlichen Christdemokraten, strukturiert gelagert in fünf grauen Kartons.

Von 1956 bis 2004

Jetzt informierten sich Vertreter der Union bei Archivleiterin Marlis Lippik über die Aufarbeitung der Bestände. Sie umfassen die Zeitspanne von 1956 bis 2004. Darunter sind unter anderem Briefe, Wahlprospekte und -ergebnisse, Protokolle, Anfragen an die Verwaltung, aber auch ein Schriftverkehr mit dem damaligen Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion, Lothar Späth, von 1974 zur Gemeindereform oder mit dem Bundestagsabgeordneten Lutz Stavenhagen 1982 wegen Tieffluglärm.

„Wesentliche Teile der kommunalpolitischen Arbeit von Mühlacker Parteien und Fraktionen zu dokumentieren, ist auch Aufgabe des Stadtarchivs“, sagte Lippik, die die erste, von Archivmitarbeiterin Sandra  Schuster gefertigte Inventarliste der CDU-Bestände überreichte. Verbunden war dies mit einer zweistündigen Inforunde: lesen, schauen, hören. über das Gedächtnis der Stadt, das für künftige Generationen in Mühlacker wertvoll ist.

 

Archivleitern Marlis Lippik erläutert Aufgabe und Arbeit der städtischen Einrichtung Peter Feuchter, Dieter Eberle, Kreisrat Dr. Peter Napiwotzky, Frank Kocsis, Ulrich Stüber, Kristina Somlai sowie den Stadträten Theo Bellon und Günter Bächle (von links).

Amtsbuch aus dem Jahr 1643

Neugierig auf die Bestände des Archivs machte Marlis Lippik mit einem Blick auf die älteste Errungenschaft der städtischen Einrichtung:  das zehn Zentimeter dicke Amtsbuch aus dem Jahr 1643 aus Mühlackers Stadtteil Mühlhausen. Die Besonderheit liege darin, dass der Band mit bedrucktem Pergamentpapier aus alten Kirchenbüchern eingebunden sei. In dem Amtsbuch sei unter anderem aufgelistet, wer wann welche Steuern und Abgaben zu leisten hatte. Im Archiv werden auch sämtliche Gemeinderatsprotokolle Mühlackers und der früher selbstständigen Gemeinden, die jetzt Ortsteile der Stadt sind, aufbewahrt.

1929: Beschluss über Gelände für den Sender

Der frühere Stadtrat Dieter Eberle interessierte sich bei dem Besuch aus aktuellem Anlass für das Protokoll der Sitzung des Gemeinderats von Dürrmenz-Mühlacker, in dem der Beschluss von Ende Dezember 1929 festgehalten ist, dem Süddeutschen Rundfunk fünf Hektar Flächen auf der Illinger Höhe für den Bau des Großsenders Mühlacker kostenlos zu überlassen und auch die Erschließung des Geländes auf Gemeindekosten vorzunehmen. Wie Lippik berichtete, war die Zustimmung im Rat überwältigend. Nur Gemeinderat Paul Strobel habe es wohl geahnt, welche Probleme später auftreten könnten.

Strobel bleibt bei seiner Meinung

Als einziger habe der Straßenbahnschaffner und Sozialdemokrat dagegen gestimmt. Nicht, weil er etwas gegen den Sender gehabt hätte. „Ihm fehle eine Vertragsbestimmung, nach welcher das von der Gemeinde unentgeltlich zur Verfügung gestellte Areal im Falle der Aufgabe des Unternehmens wieder in das Eigentum der Gemeinde zurückfalle“, zitierte Lippik.  „Mit kurzen, bestimmten Worten“ habe sich der Aufsichtsratsvorsitzende der Rundfunk AG gegen dieses Verlangen gestellt. „Gemeinderat Strobel bleibt dennoch auf seiner ablehnenden Haltung“, notierte der Ratsschreiber wie Lippik vorlas. Ein Gemeinderat mit Weitsicht, denn eine solche Regelung hätte uns aktuell geholfen - das Protokoll auch.

Fotos vom ersten Sendeturm, aus Holz gebaut, stießen genauso auf großes Interesse, wie vom Areal der früheren Areals der Firma Friedrich Schuler in der Goldshalde, auf dem heute Wohnhäuser und die Sporthalle im Lindach stehen, sowie weitere Luftaufnahmen, die zeigen, wie sich die Kernstadt verändert hat. Das Stadtarchiv hütet große Schätze. Das Archiv muss auch räumlich und personell entsprechend ausgestattet sein. Da muss mehr getan werden.

Nachfrage wegen Ausbau der Höhenstraße

„Wir verstehen uns als Dienstleister nach innen für die Verwaltung, aber auch nach außen für die Öffentlichkeit“, sagte Lippik. So bestehe derzeit aus beiden Bereichen eine große Nachfrage nach Plänen, Satzungen und Ratsprotokolle zur Höhenstraße in Enzberg. Hintergrund seien die Diskussionen über die Höhe der von den Anliegern zu tragenden Kosten eines Ausbaus der Straße.
 
In den ersten zweieinhalb Monaten des Jahres 2020 seien von Benutzern 474 Archivalien nachgefragt worden, davon zwei Drittel von Externen. Überwiegend interessiert hätten Fotos und Akten. Aus den Stadtteilen seien es 29 Nutzer gewesen, so fast  38 Prozent aus Lienzingen,  24 Prozent aus Enzberg und 20 Prozent aus Großglattbach.

Fast 55.000 Fotos

Das Archiv beherberge fast 55.000 Fotos, davon 11.500  in digitaler Form, zudem fast 900 laufende Meter Archivalien, und viele andere Schätze. Zur Digitalisierung sagte Lippik, 15 Jahrgänge Zeitungen seien elektronisch erfasst. Die Stadt habe digitale Speicherkapazitäten beim Landesarchiv angemietet. Die digitale Erfassung von Beständen sei ungemein zeitaufwändig und werde Jahre dauern.

Denn gleichzeitig sind Ausstellungen zu organisieren wie jene zur Industriegeschichte der Stadt, die Herausgabe aktuell des ersten Heimatbuches für Mühlhausen an der Enz, das Ortsfamilienbuch für Lienzingen, die Geschichte der Kernstadt in den vergangenen hundert Jahren, denn das immer noch als Standardwerk verstandene Unser Dürrmenz-Mühlacker von Karl Knöller erschien im Spätherbst 1927, wurde zwar 1979 vom Verlag Elser als Faksimile  nachgedruckt, inhaltlich aber weder verändert noch ergänzt. Hauptaufgabe im ersten UG des Rathauses Mühlacker ist aber der tägliche Archivbetrieb.

Karge Kost

Kommentar eines Besuchers: Wir haben gar nicht gewusst, was das Archiv zu bieten hat. Es sollte sich stärker herumsprechen. Und muehlacker.de könnte über diese Einrichtung mehr bieten als karge Kost. Denn Heimatgeschichte kann spannend sein.

 

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