Kulturhauptstadt Pforzheim oder Kulturregion Nordschwarzwald?

Wer als Pforzheimer gestern Abend in der ZDF-Sendung "aspekte" sah, wie sich Nürnberg bereits auf den Weg zur Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt 2025 gemacht hat, dürfte unterschiedlich reagiert haben. Wahlweise, je nach Haltung: Zufrieden als Gegner einer Pforzheimer Kandidatur, weil die Konkurrenz schon jetzt so stark unterwegs ist, oder dieserhalben erschrocken als Befürworter. Denn die Goldstädter machen nach wochenlangem Hin-und-Her zuerst ein Konzept zur Bewerbung, während andere ihres schon umsetzen. Zittau, Dresden, Chemnitz...

Erst am Dienstag stimmte eine Ratsmehrheit zu, nachdem Privatleute versicherten, für die gesamten Kosten geradezustehen. Am Tag zuvor griff ich unter "Verschiedenes" das Thema im Kreistag des Enzkreises auf, nachdem am Donnerstag zuvor die Landräte von Enzkreis, Calw und Freudenstadt mit dem Pforzheimer OB versuchten, dide Kulturhauptstadt-Kugel weiter zu schieben. Wir lasen's anderntags in den Medien, unsere einzige Infoquelle: eine  Pressemitteilung darüber auf der Homepage der Stadt Pforzheim. Uns als Kreisräte diese wenigstens vorab zuzumailen, kam niemand in den Sinn, so sehr war man mit der eigenen Rolle beschäftigt. In selbigem Text fand sich Überraschendes: eine mögliche Bewerbung der Region Nordschwarzwald. Europäische Kulturregion statt Kulturhauptstadt? Ähnliches gab es schon: 2010 mit dem Ruhrgebiet und der Stadt Essen. Doch Pforzheims Gemeinderat rückte die Sache zurecht und so dominierte am Dienstag wieder der Kulturhauptstadt-Begriff. Unter eventueller Beteiligung der Landkreise: Anlage_1_EuropaeischeKulturhauptstadt2025_Pfor.pdf

Immerhin listet diese Anlage 1 einige Details zur Sache auf. Aber wer nicht Pforzheimer Stadtrat ist, muss sich im Ratsinformationssystem der Stadt durchklicken, um sie zu ergattern. Auch wenn die Debatte in der Stadt längst auf den Enzkreis überschwappte, werden die Entscheidungstäger informationsmäßig kurz gehalten. Zuerst erfahren wir aus den Medien, dass der Enzkreis zwei Millionen Euro für das Projekt abdrücken soll, worauf sich heftiger Protest erhebt - alle Fraktionen des Kreistags machen ihrem Unmut über diesen schlechten Stil Luft. Dann eine Landräte/OB-Konferenz - siehe oben. Aber selbst ist der Kreisrat. Wenn schon die Kreisverwaltung nicht die Basis-Infos liefert, wirft sich Google gerne in die Ersatz-Macher-Rolle. Der Texte sind viele.

Vorweg: Die Rede ist durchweg von der Europäischen Kulturhauptstadt, die 2025 von Deutschland - neben Slowenien - ausgerichtet wird. Analog zum Föderalismus ist die Kultusministerkonferenz das Vehikel für die Entscheidung, welche Stadt zum Zuge kommt. Aha. Grundlage: das 2014 vom Europäischen Parlament verabschiedete Programm für 2020 bis 2030. Der Plattformen darüber gibt es mehrere, so von der Kulturstiftung der Länder und von  der Europäischen Kommission. Aber Stadt, Stadt-Land-Fluss, Stadt-Region? 25 Punkte stehen im Programm des EU-Parlaments von 2014 - der Schwerpunkt liegt auf den Städten:

  • Die mit dem Titel ausgezeichneten Städte sollen sich darum bemühen, einerseits ihre Kultur- und Kreativbranchen und andererseits Bereiche wie Bildung, Forschung, Umwelt, Stadtentwicklung und Kulturtourismus miteinander zu vernetzen. In der Vergangenheit hat sich insbesondere gezeigt, dass die „Kulturhauptstädte Europas“ der lokalen Entwicklung und dem Kulturtourismus starke Impulse verleihen können.
  • Mit dem Titel ausgezeichnete Städte sollten zudem die soziale Inklusion und Chancengleichheit fördern und so stark wie möglich darauf hinwirken, dass eine möglichst große Bandbreite aller Teile der Zivilgesellschaft an der Vorbereitung und Durchführung des Kulturprogramms beteiligt ist, wobei besonderes Augenmerk auf junge Menschen, Randgruppen und benachteiligte Gruppen gelegt werden sollte.
  • Aus der Auswertung und der öffentlichen Konsultation geht außerdem deutlich hervor, dass die Initiative „Kulturhauptstädte Europas“ einen vielfältigen Nutzen haben kann, wenn sie umsichtig geplant wird. Sie bleibt vorrangig eine kulturelle Initiative, kann aber auch einen beträchtlichen sozialen und wirtschaftlichen Nutzen erbringen, besonders dann, wenn sie in eine langfristige, kulturpolitisch ausgerichtete Entwicklungsstrategie der betreffenden Stadt eingebunden wird.
  • Die Aktion „Kulturhauptstadt Europas“ war auch mit großen Herausforderungen verbunden. Die Veranstaltung eines ganzjährigen Kulturprogramms ist eine anspruchsvolle Aufgabe, und einige Städte, denen der Titel verliehen wurde, konnten das damit einhergehende Potenzial besser nutzen als andere. Diese Aktion sollte daher weiter ausgebaut werden, damit alle Städte den größtmöglichen Nutzen aus dem verliehenen Titel ziehen können.
Und die Region? Steht in Punkt 12:
  • Der Titel sollte auch weiterhin Städten jedweder Größe vorbehalten bleiben; die Städte sollten jedoch weiterhin die umliegenden Regionen miteinbeziehen dürfen, um ein größeres Publikum anzusprechen und die Ausstrahlungswirkung zu erhöhen.
Also: Die Musik spielt in der Kulturhauptstadt. Fürs Umland bleibt maximal die zweite Geige. Die braucht es zwar auch, doch bisher sehen manche in Pforzheim die Rolle der Region in der des Mit-Zahlers oder des Publikums, das in Pforzheim 2025 die Räume und Säle füllt. Wo bleibt für die anderen Kommunen der Mehr-Wert? Darüber zu reden, ist die Sache allemal wert. Die bisherigen Kommunikationspannen erschweren das. Noch sieht es nicht danach aus, dass die Entscheider im Umland von Beginnn an mitgenommen werden. Auf Augenhöhe. Aber das ist bekanntlich nicht neu.

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