Das Rezept für den ÖV: Konsequent verdichten und vertakten
Wunsch und Wirklichkeit, Soll und Haben bei Bahn und Bus: Mehr als drei Stunden geballte Informationen zum öffentlichen Nahverkehr (ÖV) heute bei der Klausur der CDU-Fraktion im Kreistag - beim Fraktionskollegen Mario Weisbrich im Ratssaal von Wimsheim. Impulsgeber: Der Landes- und Kreisvorsitzende des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), Matthias Lieb aus Mühlacker, und Axel Hofsäß, Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Pforzheim/Enzkreis. (VPE). Im Blick: Der neue Nahverkehrsplan für Pforzheim und Enzkreis, der noch noch vor der Sommerpause 2020 vom Enz-Kreistag und dem Pforzheimer Gemeinderat verabschiedet werden soll. Ob der Zeitplan gehalten werden kann? Zweifel bestehen.
Gesetzlich vorgeschrieben ist das Planwerk. Die entscheidende Frage: Wie soll sich der Nahverkehr in den nächsten zehn Jahren entwickeln? Wir legen die Latte hoch und nennen als Ergebnis unserer Beratungen als Ziel eine Verdoppelung der jetzigen Fahrgastzahlen von 33 Millionen in Stadt- und Landkreis. Die Experten sollen nun aufarbeiten, wie sich dieses ambitionierte Ziel erreichen lässt. Der Ausbau der Bus- und Bahnverbindungen kostet Geld. Das wissen wir, sind auch bereit, mehr Mittel bereitzustellen. Doch momentan stehen die Zeichen im Pforzheimer Rathaus nicht auf mehr Mittel für den öffentlichen Verkehr (ÖV), sondern auf Status quo. Die Großstadt mit klammer Kassenlage tut sich schwer. Ist dies nur Position der Verwalltung? Da passt, dass mehr als die Hälfte der Pforzheimer CDU-Stadträte nach Wimsheim kam und sich in die Beratungen einbrachte. Zeichen der wachsenden Normalität zwischen Stadt und Kreis.
Die Signale der Pforzheimer Verwaltungsspitze, so Hofsäß, seien wenig hoffnungsvoll. Die Aufstellung des Nahverkehrsplans sei in zeitlichen Verzug geraten, weil die Stadt erklärt habe, keine ausreichenden personellen Ressourcen zu haben und auch die Finanzmittel fehlten, die Angebote auszuweiten. Zudem habe die Stadtverwaltung den Finanzierungsschlüssel aufgekündigt, wonach die Stadt 40 und der Enzkreis 60 Prozent bezahlt. Die beiden Fraktionen erwarten in diesen Fragen dringend notwendige Fortschritte bei einem anstehenden Spitzengespräch von Stadt Pforzheim und Enzkreis, die den gemeinsamen Nahverkehrsplan aufstellen müssen.
Noch Luft nach oben
Sowohl Lieb als auch Hofsäß verdeutlichten, dass beim öffentlichen Nahverkehr noch deutlich Luft nach oben sei. Beide äußerten sich positiv zu dem Antrag der beiden CDU-Fraktionen, eine Machbarkeitsstudie für eine Stadtbahnverbindung vom Westen des Kreises, mit Anbindung in Ittersbach, durch Pforzheim und den südöstlichen Kreisteil bis zu einem Knotenpunkt mit der Stuttgarter S-Bahn zum Beispiel in Rutesheim zu schaffen. Derzeit machten die Busse im VPE-Gebiet 80 Prozent des öffentlichen Nahverkehrs aus, 20 Prozent die Schiene, so Hofsäß, während dieses Verhältnis beim Karlsruher Verkehrsverbund (KVV) genau umgekehrt sei.
"Wann sind Sie das letzte Mal Bus gefahren?" Die Frage, die Matthias Lieb in die Runde warf, löste Nachdenken aus. Generell ist Busfahren eine Sache von Schülern und alten Menschen. Oder sieht das Image anders aus? Den Bus zu nehmen, ist nicht chic. Mit ihm verbinden viele Menschen, die auf ihn nicht angewiesen sind, Warten an Haltestellen, Unpünktlichkeit, Fahrplanstudium, kurzum: nur eingeschränkt mobil zu sein. Den Bus zu nehmen, wird nicht gleichgesetzt mit einem persönlichen Beitrag zum Klimaschutz. Fraktionskollege Martin Steiner schlussfolgert daraus: „Busfahren muss sexy werden“, so der Kreisrat und Bürgermeister aus Birkenfeld. Hofsäß ergänzte, entscheidend sei auch beim Busverkehr der Dreiklang: Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Freundlichkeit der Fahrer.
Verdichtet und vertaktet
„Fahrpläne müssen konsequent verdichtet und vertaktet sein“, sagte Lieb, der von Stuttgart nach Wimsheim kam: Mit der S-Bahn bis Leonberg und dann weiter mit dem Bus nach Wimsheim, allerdings mit zehnminütiger Verspätung. Kreisrat Michael Schmidt gestand, mit dem Gedanken gespielt zu haben, mit Linienbussen von seinem Wohnort Neulingen nach Wimsheim zu fahren: Doch eine Fahrzeit von einer Stunde und 37 Minuten bei einer halben Stunde Wartezeit in Pforzheim hätten ihn doch abgeschreckt und er habe sich dann in sein Auto gesetzt.
Eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen könne nur gelingen, wenn neue Fahrgastgruppen gewonnen werden, sagte der VCD-Vorsitzende. Österreich und die Schweiz zeigten, dass dies möglich sei. Die Takte müssten so sein, dass sie den Menschen präsent sind, ohne in einen Fahrplan schauen zu müssen, wann der nächste Bus fährt. Er zeigte an einem Beispiel aus Bregenz, dass das möglich ist: Der ganze Fahrplan für eine Woche passt auf eine Din A 4-Seite. Der VPE mache den Fehler, sein Angebot auf die Stammkunden auszurichten und dies bei seit Jahren fallenden Fahrgastzahlen. „Wir brauchen einen öffentlichen Nahverkehr (ÖV) für alle.“ Die Pariser Klimaschutzvorgaben ließen sich nur mit einer Steigerung des Radverkehrs und der Verdoppelung des ÖV-Anteils erreichen.
Die Ideen-Liste
Auch der VPE-Chef legte eine Liste von Maßnahmen vor, deren Umsetzung jedoch abhängig von der Finanzierung durch Stadt und Kreis. Dazu gehören die Abschaffung der Zonen und ein Einheitsfahrpreis, ein 15-Minuten-Takt der Busse auf den Hauptverkehrslinien in den Hauptnutzungszeiten, günstigere Tickets für Gelegenheitsfahrer, Fahrkarten per Handy auch zur Überwindung von Tarifgrenzen zu anderen Verkehrsverbünden. Meine Forderung: Das Land muss sich auch bei uns finanziell engagieren und nicht nur beim VVS, dem Stuttgarter Verbund.
Übrigens: Hofsäß wollte nicht, dass Lieb während seines Beitrags im Saal sitzt, wiederum der VCD-Vorsitzende hätte dies gern gehabt. Dialog schadet schließlich nicht, zumal manche Punkte beider identisch waren. Verfechter eines Ausbaus des ÖV müssen an einem Strang ziehen. Sonst schaffen wir die Aufbruchstimmung nicht.
Schwachpunkt Fahrer-Mangel
Wunsch und Wirklichkeit, Soll und Haben: Die besten Pläne nützen nichts, wenn den Unternehmen die Fahrer fehlen. Das ist ein Problem. Den in Griechenland oder anderswo im Ausland angeheuerten Buslenker mangelt es einige Zeit lang an Sprach- und Ortskenntnissen. Im Landratsamt Konstanz zum Beispiel gehört zurzeit der Protest unzufriedener Kunden zum Alltag. Lieb empfiehlt, das Personal besser zu bezahlen. Und er setzt die Hoffnung auf Menschen, die beim Umbruch der Automilindustrie zur E-Mobilität neue Jobs suchen. Auch da sind sie sich einig: der VCD-Vorsitzende und der VPE-Geschäftsführer.
Die Präsentation von Matthias Lieb zum Herunterladen:Matthias_Lieb_OEV_Wimsheim.pdf
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