Wie die Gemeinde Lienzingen sich erfolgreich finanzierte: Wir stehen nicht so schlecht da, wie unsere Nachbarn

Das Lienzinger Sport- und Schulzentrum mit Grundschule, Fußballplatz sowie Turn- und Festhalle Mitte der sechziger Jahre (Smlg. Volker Hermle)

Mit 483 Hektar ist Lienzingen unter den Stadtteilen und der Kernstadt in der Gesamtstadt Mühlacker die Nummer eins beim Wald. Für die Finanzen der bis 1975 selbstständigen Kommune war der Wald denn auch ein besonderer Aktivposten. Die grüne Sparkasse brachte zeitweise mehr Mark in die Gemeindekasse als die Gewerbesteuer. Den Forst zu hegen und zu pflegen, gehörte zu den unverbrüchlichen Bestandteilen offizieller Lienzinger Politik. Wer einmal auf den Zeitstrahl der zwischen 1948 und 1975 realisierten Projekte schaut (siehe unten), hier insbesondere auf die Finanzierung des im Herbst 1960 bezogenen Schulgebäudes an der Dr.-Otto-Schneider-Straße, erkennt schnell: Da waren Pfiffige am Werk. 47.308 Mark erbrachten allein drei Sonderhiebe im Wald - 1955, 1956 und 1958 - für die Schulbaurücklage. Wer hat, der hat.

Die Einnahmen aus dem Holzverkauf blieben in den ersten Nachkriegsjahren eine wesentliche Stütze des Haushalts der Gemeinde. Das unterstrich Bürgermeister Richard Allmendinger. So sagte er bei der Ratssitzung am 30. Mai 1952, zwar leide der Etat unter den zunehmenden Preissteigerungen. Doch durch den außerordentlich günstigen Ertrag aus dem Gemeindewald sei es auch heuer noch möglich, den Haushalt auszugleichen, auch wenn größere Instandsetzungen bei Ortsstraßen und Feldwegen vorgesehen seien (Stadtarchiv Mühlacker=STAM, Li B 324, S.122).


Lienzinger Geschichte(n) – heute über die Frage: Wie finanzierte sich die Gemeinde? Dazu in den vorliegenden Haushaltsplänen, in den Protokollbüchern der Ratssitzungen und in Akten geblättert. Eine Recherche für Unverwüstliche. Das Dorf, das nicht reich war, sich davon aber nicht abschrecken ließ und kräftig investierte


Lienzingen war unter den 42 Gemeinden des Landkreises Vaihingen finanziell kein Krösus, aber auch keine arme Kirchenmaus. Sowohl von der absoluten Summe als auch je Einwohner schien das Dorf auf einen Platz im Mittelfeld der Steuerkraft-Hitliste abonniert gewesen zu sein. Meist ein Rang zwischen 20 und 30 mit seltenen Ausreißern nach oben (7. Platz) und nach unten (38.). Keine reiche Kommune, jedoch eine Kommune, in der Gemeinderat und Bürgermeister den Pfennig zweimal umdrehten.

Dem Bemühen, Betriebe in den Ort zu holen, war zwar nur mäßiger Erfolg beschieden, trotzdem stieg die Gewerbesteuer vor allem in den letzten Jahren vor der Eingemeindung langsam, aber stetig auf – wenn auch bescheidene - Höhen: von 2434 Mark auf 180.000 Mark. Von 1950 bis 1975 setzte das Ortsparlament fünfmal beide Grundsteuer-Arten gleichzeitig oder nur eine von beiden herauf, aber immer in Maßen. Mindestens dreimal sorgte die Rechtsaufsichtsbehörde, also das Landratsamt, für sanften Druck mit dem Argument, wenn die Steuersätze nicht angehoben werden würden, bekäme die Gemeinde weniger Zuweisungen. Sie müsse zunächst immer die eigenen Geldquellen ausschöpfen. Doch an einer einzigen Steuer rührten die Gemeinderäte in 25 Jahren kein einziges Mal: Die Gewerbesteuer wurde 1950 auf 300 Prozentpunkte festgesetzt und so blieb es bis zur Eingemeindung.   

1971: Die Anmeldung von Haushaltsmitteln durch Schulleiter Karl Kießling bei der Gemeinde passte noch auf eine Seite Briefpapier. (Smlg. Stadtarchiv Mühlacker)

Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit fordert die Gemeindeordnung Baden-Württemberg von den Kommunen. Fast schon neidisch blickt ein Mühlacker Stadtrat von heute auf die Klarheit in den Etats der einstigen Gemeinde Lienzingen. Wenn große Projekte geplant waren wie der Bau von Schule und Kindergarten, dann sparte man rechtzeitig darauf. Rücklagen wurden projektbezogen ausgewiesen, genauso wie Darlehen, wenn sie dann doch nötig wurden. Bürgermeister und Gemeinderäte wussten genau, wie ein Vorhaben finanziert wurde, und stellten dies auch transparent öffentlich dar. Dann ließ sich auch leichter argumentieren. Wer war schon gegen den Bau einer neuen Schule oder des so vermissten Kindergartens?

Anachronistisch wirkt allerdings heutzutage die Auffassung, die die Räte bei der Beratung des Haushaltsplans für 1952 vertraten. Über die Frage einer neuen Schule könne erst dann beraten werden, hieß es laut Protokoll, wenn einmal die dringendsten Instandsetzungen an Gebäuden, Ortsstraßen und Feldwegen ausgeführt seien. Vorausgegangen war die Mitteilung des Bürgermeisters, der Ortsschulbeirat habe gefordert, im Etat 1952 eine erste Rücklage für eine neue Schule in größtmöglicher Höhe einzusetzen, die Platzfrage zu klären und bald für den Bauplan zu sorgen (STAM, Li B 324, S. 122).

Das war der Gütesiegel: Auch wenn die neue Schule erst sieben Jahre später gebaut wurde, und zwar fast zeitgleich mit dem Kindergarten, so waren dies wichtige Beiträge zum Ausbau der öffentlichen Infrastruktur von Lienzingen. Die Bilanz der Kommune konnte sich sehen lassen. Sie schuf so viele zusätzlich notwendige Einrichtungen, dass sie als selbstständige Kommune hätte überleben können. Trotz neuer Gemeindehalle, Kläranlage, Wasserhochbehälter, Neubaugebieten, Sportzentrum: Sie kam 1975 fast schuldenfrei zu Mühlacker. Das war das Gütesiegel! Lienzingen stand je Einwohner mit 45 Mark in der Kreide, Mühlacker mit 831,44 Mark. Und in Lienzingen waren die größeren Investitionen erledigt (Quelle: Siegfried Hermle, „Facharbeit Erdkunde“. Die aktuelle Gemeindereform in Baden-Württemberg am Beispiel seiner Heimatgemeinde Lienzingen, Evangelisches Seminar Urach, 1974). Übrigens: Restliche Rücklagen und EVS-Aktien übertrafen die Summe der Kredite.

Nobler Spender: Warum heißt einer der beiden Lienzinger Kindergärten (der ältere) nach dem Mühlacker Fabrikanten Friedrich Münch? Die Antwort findet sich im Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 5. September 1958. Münch, damals Lienzinger Jagdpächter und Besitzer eines Wohnhauses in erstklassiger Lage auf dem Spottenberg, spendete 40.000 Mark für den Bau des Kindergartens. Die Finanzierung der Kinderschule sei ohne größere Schuldaufnahme möglich, protokollierte der Verwaltungschef. Münch taucht als Geldgeber für einzelne Projekte immer wieder in den Sitzungsniederschriften auf (STAM, Li B 325, S. 221 f).

Dies sei nicht verschwiegen: Wer sich mit den Haushaltspänen der Gemeinde Lienzingen in den Jahren seit 1945 beschäftigt, muss mit Lücken leben. Denn einige Jahre lagerten die ausrangierten Akten kreuz und quer im Untergeschoss der Gemeindehalle Lienzingen in einem Raum, der heute zur TV-Klause gehört. Da dürfte manches verloren gegangen sein, bis die Unterlagen ins Stadtarchiv Mühlacker kamen, und geordnet und archiviert wurden. Allerdings sind die meisten Haushaltspläne vorhanden, zudem die Ausführungen zu den Haushaltsplanungen in den Protokollen des Gemeinderats. Wobei Bürgermeister Richard Allmendinger sie in den ersten Jahren meist nur kurz protokolliert hatte, später länger und aussagekräftiger. Sie auszuwerten, lohnt sich allemal.

Ein gutes Geschäft als Beispiel: Für 33.764 Mark eingekauft, für 52.227 Mark verkauft. So sah die Bilanz des Erwerbs der Kommune von Gebäuden und Grundstücken aus dem Erbe von Dr. Otto Schneider aus. Diesen Zuwachs an Kapitalvermögen erfreute den Gemeinderat in der Sitzung am 5. September 1958. Zumal sich wichtige Flächen darunter befanden, die für den Neubau von Schule und Kindergarten gebraucht wurden (STAM, Li B 325, S. 222).

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Weiter Blick zurück: Wenn der Walderlös nicht wäre, hätte man die Grundsteuern längst anheben müssen. Denn seit dem Jahr 1930 seien die Personalkosten auf 171 Prozent, die der Schulen gar auf 256 Prozent gestiegen, rechnete der Schultes 1954 dem Gemeinderat vor. Im gleichen Maß seien die Realsteuersätze nicht angehoben worden. Dann folgte eine Lektion für den Bürger: Auf der einen Seite werde von der Einwohnerschaft gewünscht, dass die Gemeinde möglichst schnell alle Probleme löse, andererseits wolle sich niemand gerne an den Aufwendungen beteiligen. Es soll also jeder Wunsch in Erfüllung gehen, bloß nichts kosten. Eine zeitlose Klage – und der Gemeinderat akzeptierte den Antrag Allmendingers, den Bürger stärker bei den Grundsteuern zur Kasse zu bitten (STAM, Li B 324, S. 219).

Billiger Jakob: Die nächste geringfügige Anhebung der Grundsteuern beschloss der Gemeinderat am 31. August 1956. Der Bürgermeister verwies einerseits auf eine Lücke von 2500 Mark im Etatentwurf für 1956, andererseits bezahle das Land nur Zuschüsse für den Schulbau, wenn eine Kommune mit ihren Hebesätzen den Landesdurchschnitt erreiche. Davon sei man noch weit entfernt. Wir liegen immerhin an der unteren Grenze aller 42 Kreisgemeinden (STAM, Li B 325, S. 103).

Jährlich maximal 2500 Mark tilgen: Klar nachvollziehen konnten die Lienzinger, für welches Projekt die Gemeinde Darlehen einsetzte, während heutzutage zum Beispiel in Mühlacker neue Kredite in den großen Schuldentopf fließen, um den Etat auszugleichen. In der Ratssitzung vom 14. August 1959 listete der Bürgermeister auf, welche Schulden für den Schulneubau gemacht werden müssten. 58.588 Mark von der Öffentlichen Bausparkasse, jetzt 50.000 Mark bei der Kreissparkasse. Jährlich wolle die Gemeinde nicht mehr als 2500 Mark tilgen, um sich genügend Spielraum für die Finanzierung weiterer großer Bauvorhaben zu sichern (STAM, Li B 325, S. 282).

Nicht am Tropf: Lienzingen zähle zu den wenigen Gemeinden des Kreises Vaihingen, die ihre Aufgaben ohne Zuschüsse aus dem Ausgleichstopf – gedacht für arme Kommunen – erledigen könnten. Durch die ständige Steigerung des Aufwands sei jedoch, so Bürgermeister Allmendinger weiter, die finanzielle Leistungskraft der Gemeinde erheblich gesunken. Jeder der 80 Volksschüler koste die Gemeinde unterm Strich 531 Mark. Der Schuldenstand betrage 34.718 Mark, dem gegenüber stehe ein Aktienwert bei der Energieversorgung Schwaben (EVS) von 150.134 Mark. Wiederum der Landkreis hole im Jahr 1957 von Lienzingen 13.000 Mark – höhere Steuern waren für 1957 trotzdem kein Thema (STAM, Li B 326, S. 158 f). Aber im folgenden Jahr. Wenn es bei den bisherigen Sätzen bleibe, könne nicht mit Sicherheit damit gerechnet werden, dass das Land 30 Prozent der Kosten des Rohbaus der neuen Schule übernehme. Der Druck zeigte Wirkung, die Räte stimmten zu: Grundsteuer A 160 statt 140 Prozent, B 150 statt 120 Prozent (STAM, Li B 326, S. 213 f).

Steuern, Druck und Hebesätze: Im Januar 1961 korrigierte der Gemeinderat den Haushaltsplan vom Jahr zuvor. Ein höchst ungewöhnlicher Vorgang. Aber weil Lienzingen die Verschuldungsgrenze durch Darlehen für Schulbau, Feldwegbau und Erweiterung der Kanalisation überschritten hatte, musste der Etat 1960 vom Regierungspräsidium (RP) Nordwürttemberg in Stuttgart genehmigt werden. In einem Erlass vom 29. November 1960  ließ die Aufsichtsbehörde wissen, die Kredite von zusammen 31.800 Mark würden nur dann akzeptiert, wenn die Kommune die Grundsteuer A von 160 auf mindestens 180 und die Grundsteuer B von 150 auf mindestens 160 Prozent anhebe. Der Appell von oben: Die Gemeinde muss ihre Einnahmequellen besser ausschöpfen. In der Ratssitzung vom 13. Januar 1961 berichtete der Bürgermeister von seinem Versuch, das Landratsamt zu überzeugen, dass insgesamt mit mehr Steuereinnahmen gerechnet werden könne, dies auch bei unveränderten Hebesätzen. Doch die Vorgabe des RP war entscheidend. Zwar beklagten die Ratsmitglieder darin einen Anschlag auf die kommunale Selbstverwaltung, ließen aber dann doch die höheren Sätze in geheimer Abstimmung mit sechs gegen zwei passieren (STAM, Li B 326, S. 71 f). Fast ein Jahr später wiederholte sich das Schauspiel, aber beim Budget für 1961. Sozusagen als Weihnachtsüberraschung berichtete der Bürgermeister in der Sitzung zwei Tage vor Heiligabend, die geplanten Darlehen von 38.426 Mark hätten nur dann Bestand, wenn die Grundsteuern weiter angehoben würden – auf dann 210 (180) bei A und 180 (160) bei B. Die Räte vertagten die Entscheidung, schimpften aber kräftig drauf los: Das sei Bevormundung und dagegen wehre sich das Gremium entschieden. Die Landwirte beklagten, solche Verteuerungen trügen auch dazu bei, dass die Agrarbetriebe immer unrentabler würden (STAM, Li B 326, S. 122 f). Am 4. April legte der Schultes seinen Entwurf des Haushaltsplanes für 1962 vor. Der Gemeinderat blieb, ohne förmliche Abstimmung, stur beim Nein. Allmendinger warb mit Engelszungen und vielen Vergleichszahlen für seinen Vorschlag: 200 bei A und 180 bei B. Es bedurfte eines zweiten Anlaufs: Am 18. April votierten alle anwesenden neun Räte für den Verwaltungsantrag, der ein Plus von 35.700 Mark auf der Einnahmenseite brachte (STAM, Li B 326, S. 136 f u. S. 140).

Der Zuschuss-Fuchs: Allmendinger war ein Fuchs, der immer auf der Suche nach Zuschusstöpfen war. So stieß er auf einen des Landes, der hieß Räumung von Wohnlagern. Lienzingen bekam daraus im Haushaltsjahr 1961 genau 27.500 Mark, um die alte Schule Kirchenburggasse 15 nach dem Umzug von Schülern und Lehrern in das neue Gebäude 1960 für Wohnzwecke umzubauen, was jedoch erst nach längeren Debatten geschah. Gleichzeitig musste die Wohnbaracke in der Wette abgebrochen werden (STAM, Li B 326, S. 102 f).

Der Geld-Regen: Der Einmaleffekt und der Wald – sie sorgten bei den Etatberatungen am 19. Juni 1964 für gute Stimmung in der Ratsrunde. Denn Lienzingen schwamm, zumindest für kommunale Verhältnisse und auch nur einmalig, plötzlich im Geld. Der Verkauf von 8,7 Hektar Gemeindewald an die Stadt Mühlacker, die darauf die Siedlung Heidenwäldle errichtete, brachte auf einen Schlag 1,01 Millionen Mark aufs Konto der Lienzinger Verwaltung. Allerdings war das Kapital gedanklich schon verzehrt, denn große Projekte standen noch auf der kommunalen Wunschliste: Ortskanalisation, Kläranlagenbau, neuer Wasserhochbehälter, Bau der sehnlichst erwünschten Turn- und Festhalle, die das Sport- und Schulzentrum am Mühlweg (heute Friedrich-Münch-Straße) abrunden sollte. Der Gemeinderat stellte Summen in den Etat 1964 ein, von denen zuvor niemand hatte zu träumen gewagt. Und mehr als 90.000 Mark waren für die restliche Finanzierung von Kindergarten- und Schulbau auch noch drin – statt der ursprünglich vorgesehenen Kreditaufnahmen. Jedenfalls bescherte der Geld-Regen dem Ort mit knapp 1,5 Millionen Mark den neuen Rekord beim Volumen des Vermögenshaushalts. Nichts geht mehr, war plötzlich, aber befristet kein Fremdwort in den Gremien der Kommune (STAM, Li B 326, S. 272).

Jetzt kleinere Brötchen: An der Finanzfront herrschte jetzt einmal Ruhe. Bei der Einbringung des Budgets für 1968 verdeutlichte der Bürgermeister die Dimensionen von Soll und Haben: 66.898 Mark Schulden – 51 Mark je Einwohner - auf der einen Seite, aber auf der anderen 43.142 Mark Rücklagen, weitere 35.448 Mark Rücklagen speziell für die Erweiterung des Kindergartens und EVS-Anteile im Wert von 177.113 Mark. Doch bald holte den Gemeinderat der Alltag wieder ein. So traf ein Mahnbrief aus dem Landratsamt in Vaihingen ein, wie der Schultes in der Ratssitzung vom 26. Juli 1968 berichtete: Zwar habe die Aufsichtsbehörde das Zahlenwerk genehmigt, doch gleichzeitig bemängelt, Gebühren und Beiträge seien zu niedrig, Aufwand und Ertrag müssten in Einklang gebracht werden. Die Folge: Anpassungen nach oben, aber nicht gleich, nicht radikal (STAM, Li B 327, S. 226 u. S. 273 f). Jedenfalls titelte ich meinen Bericht über die Ratssitzung vom 15. Mai 1969 so: Lienzingen backt jetzt kleinere Brötchen (WAB, Ausgabe vom 19. Mai 1969, S. 4).  Weniger Steuern, Folge des Konjunktureinbruchs 1966/67, niedrigeres Etatvolumen als im Jahr zuvor - verschärftes Sparen war angesagt (STAM, Li B 327, S. 273 f).

Totes Kapital? Just in der Sitzung vom 7. Juni 1968, in der die Zahlen präsentiert wurden, löste Ratsmitglied Werner Metzger eine neue Debatte aus um die Frage, mit der ich meinen Bericht im Württembergischen Abendblatt, WAB (Ausgabe vom 10. Juni 1968, Seite 3) überschrieb: Sind EVS-Aktien totes Kapital für Gemeinden? Denn die jährlichen Dividenden würden nicht an die Aktionäre ausgeschüttet, sondern dem Stammkapital zugeschlagen. Für den kommunalen Haushalt flössen keine Erträge, so Metzger. Zudem sei es schwer, selbst in der Not an das Geld zu kommen. Allmendinger hielt entgegen, die Gemeinde kassiere aus den Gesamtstrom-Einnahmen der EVS drei Prozent Konzessionsabgabe und erhalte bei ihren eigenen Stromkosten einen Nachlass von zehn Prozent (STAM, Li B 327, S. 216 f).

Jedenfalls brachte Lienzingen seine EVS-Aktien als Morgengabe 1975 nach Mühlacker mit. Die Anteile hatten in den Haushaltsplänen der Kommunen eher Erinnerungswert. Erst als die EVS an die Börse ging, bildete sich der eigentliche Wert heraus. Dann entstanden die Millionenbeträge. Ums Jahr 2000 entschieden sich viele Städte und Gemeinden, ihre Aktien zu verkaufen. 2001 tat dies auch Mühlacker und erlöste dafür exakt 21.314.712 Euro und neun Cent. Der Betrag gehört auch heute noch dem kommunalen Eigenbetrieb Freibad. In ihm sind immer noch mehr als 15 Millionen Euro eingelegt, die die Stadt inzwischen als Darlehen erhalten hat, darauf Zins und Tilgung an den Eigenbetrieb bezahlt. 3,6 Millionen Euro brachte das Lienzinger Aktienpakt, somit 16,9 Prozent des Gesamterlöses. Das hätte die Einnahmen aus dem Waldverkauf fürs Heidenwäldle im Jahr 1964 glatt in den Schatten gestellt, wenn Lienzingen unabhängig geblieben wäre.

Der Mühlacker Fabrikant Friedrich Münch spendete 40.000 Mark für den Bau des Lienzinger Kindergartens 1957/58.

Investieren, investieren, investieren: In der Ratssitzung vom 29. April 1971 legte Richard Allmendinger eine Liste sämtlicher Investitionen vor. Der Schwerpunkt: Investitionen in Straßen und Feldwege. Weil aber dadurch eine Finanzierungslücke von 150.000 Mark entstanden wäre, legte der Gemeinderat den Rotstift an, auch um die Schuldaufnahme zu reduzieren. Trotzdem: Lienzingen konnte stolz eine Investitionsrate von 35 Prozent aufweisen – ein Anteil, von dem heutzutage Kommunen nur träumen können. Der Bürgermeister brachte schon seinerzeit Vergleichszahlen: Bei der Stadt Stuttgart waren es 22 Prozent, bei Mühlacker 19,6 Prozent und bei Maulbronn 15 Prozent. Also: Die Summe, die der Kommune nach Abzug der laufenden Ausgaben bleibt, um damit neue Investitionen zu bezahlen. Das belegte auch, dass Lienzinger Kommunalpolitik sich bei der Genehmigung weiterer Fixkosten zurückhielt. Das betraf vor allem die Ausgaben fürs Personal (STAM, Li B 328, S. 88 f u. S. 94 f).  Wir stehen nicht so schlecht da, wie unsere Nachbarn, zitierte ich Allmendinger (WAB, Ausgabe vom 3. Mai 1971, S. 9). Lienzingen zählte damals 1600 Einwohner. Signifikant auch das: Lediglich 450 Mark fielen im 1971er-Haushalt für Kreditzinsen an.

Wachstum: Derzeit wird soviel gebaut wie sonst nirgendwo anders, sagte der Schultes in seinem Jahresbericht Mitte Januar 1974 vor dem Gemeinderat. Die entscheidende Runde im Kampf für die Selbstständigkeit war eingeläutet. Drei neue Wohngebiete (Scherbental, Aichert, Gaiern-Neuwiesen) sollte das Dorf über die 2000-Einwohner-Grenze – Mindestzahl einer selbstständigen Kommune – bringen. Dass Lienzingen finanziell auf gesunden Beinen stand, dokumentieren die beiden letzten Etats vor dem Anschluss an Mühlacker: Der von 1974 mit einem neuen Rekordvolumen von 3,4 Millionen Mark, ohne neue Schulden, Schwerpunkte: Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. Gleichzeitig schlugen Bürgermeister und Gemeinderäte in einem Bereich voll zu: Für den Ausbau der Feldwege stand mit 430.000 Mark so viel Geld bereit wie noch nie zuvor (STAM, Li B 328, S. 308 f). Zwar verabschiedeten die Bürgervertreter das Budget für 1974 erst am 12. Juli 1974, doch die Aufträge für den Ausbau der Feldwege vergaben sie schon am 10. Mai 1974. Zwölf Firmen offerierten je ein Angebot, zwei kamen zum Zuge (STAM, Li B 328, S. 296).

Anfang 1975, wenige Monate vor der Eingemeindung, die die Lienzinger damals noch hofften verhindern zu können, schrieb die Aufsichtsbehörde – seit 1973 das Landratsamt Enzkreis in Pforzheim - einen Brief an Allmendinger, der gut gemeint war. Wenn die Kommune von den geplanten Mehrzuweisungen des Landes profitieren wolle – und diese brächten ihr fast 60.000 Mark – so sei es notwendig, die Grundsteuer B von 180 auf 185 Prozent heraufzusetzen. Ohne lange Debatte stimmten die Gemeinderäte mit der Verabschiedung des Etats 1975 am 18. April 1975 zu. Ein kerngesundes Budget mit einem Überschuss von 278.500 Mark nach Abzug der laufenden Verwaltungskosten. Gleichzeitig leerten die Räte den Sparstrumpf um 366.000 Mark. Die größten Investitionen: Regenüberlaufbecken, Restfinanzierung des 1975 eingeweihten Wasserhochbehälters und nochmals 180.000 Mark für den Feld- und Weinbergwegebau.

Und welche Rolle spielte jetzt, nach einem Vierteljahrhundert, der Wald? Allmendinger vergaß ihn in seiner letzten Haushaltsrede am 18. April 1975 nicht: Die Holzerlöse seien auf 100.000 Mark zurückgegangen. Nur, dass inzwischen in anderen Aufgabenbereichen mit weitaus größeren Zahlen operiert wurde. So wirkte der Forst als Haushaltsposten wie ein Goliath, der zum David schrumpfte  (STAM, Li B 328, S. 342 u. S. 353 f).

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