Drama oder Komödie? Streit um zwei Kamine einer Holzbaracke und Gemeinderäte, die Wohnungen zuweisen sollten

1949 gebaut, 1962 abgebrochen: Holzbaracke, von der Gemeinde Lienzingen in der Zeit der Wohnungsnot errichtet. Fassadenansicht im Bauantrag ans Landratsamt Vaihingen an der Enz (Repro: Staatsarchiv Ludwigsburg, FL 20/18 II Bü 1906).

Ein Zwei-Familien-Haus an der Brühlstraße 190 (heute Nummer 14), zwei zusätzliche Wohnungen im Gemeindehaus Hauptstraße 66 (heute Friedenstraße 24) und eine Holzbaracke unweit der Pumpstation in der Wette. Drei Projekte, die der neue Bürgermeister Richard Allmendinger 1948/50 in Angriff nahm. Der Gemeinderat unterstützte ihn vehement dabei, denn die Wohnungsnot war das Problem Nummer 1 nach dem Kriegsende 1945 und Zwangszuweisungen von Wohnraum höchst unpopulär. Doch mehr eigene Wohngebäude zu finanzieren, konnte sich die Kommune dann auf Dauer doch nicht leisten. Einzige Ausnahme: Das Schulgebäude in der Kirchenburggasse, das nach dem Umzug der Volksschule im Herbst 1960 in ein neues Gebäude frei wurde - hier legte der Gemeinderat einen Zick-Zack-Kurs hin. Davon hing auch ab, ob die Holzbaracke abgebrochen werden konnte.


Lienzinger Geschichte(n): Heute ein neues Kapitel in der Blog-Serie über die Zeit, als noch Bürgermeister Richard Allmendinger im Rathaus regierte.  Von einer Wohnbaracke, deren Teile verbrannt wurden. Und einer Komödie – oder einem Drama? – um zwei Kamine, mit Schultes und Landrat als Hauptdarsteller. Und von der Kommune schwarz gebaute Spül-Toiletten. Dazu in Protokollen, Bauakten und in Büchern geblättert, im Stadtarchiv Mühlacker und im Landesarchiv gestöbert.


Brühlstraße 190, Zweifamilienhaus: Zunächst als Wohnungen für Bürgermeister und Lehrer, später allgemein vermietet. Im September 1948 stellte die Kommune den Bauantrag, etwa vier Wochen später traf aus Vaihingen die Genehmigung ein (Gebühr: 64 RM). 85 Quadratmeter Grundfläche für 28.000 Reichsmark Baukosten: jeweils drei Zimmer mit Küche und WC. mit einer Fläche von gut 100 Quadratmetern. 7000 Mark aus dem staatlichen Fördertopf für Wohnungsbau flossen. Das Landratsamt teilte für den Bau am 13. November 1948 genau 150 Kilogramm Eisen zu. Das Bad in der Wohnung fehlte. Es blieb die mobile Badewanne, sie stand in der Waschküche im Keller. Meist samstags wurde gebadet, mit Holz musste zuvor in einem Waschkessel das Wasser erwärmt werden. Meine Mutter und ich lebten von 1969 bis 1984 in der Erdgeschosswohnung, zogen danach ins eigene Heim an der Lohwiesenstraße. Die Stadt Mühlacker veräußerte einige Jahre nach dem 1975 erfolgten Zwangsanschluss von Lienzingen die Immobilie Brühlstraße 14 an Private, die sie vorbildlich sanierten.

  • Großer Ärger wegen ungenehmigtem Spül-WC

Doch noch 1950 brachte Allmendinger der ungenehmigte Einbau von Spül-Toiletten ins Wohnhaus Brühlstraße 190 großen Ärger ein, das Landratsamt drohte ihm gar mit dem Staatsanwalt. Am 12. Oktober 1950 ließ ihn die Behörde wissen, durch Zufall sei ihm bekannt geworden, dass in dem Wohnhaus Spülaborte eingebaut worden seien. Von einer Genehmigung ist hier nichts bekannt. Das Wasser aus den Spül-Aborten fließe angeblich ungereinigt in die Schmie. Die Abwässer aus Küche, Waschküche und das Tagwasser durften in einer Abortgrube nicht zusätzlich entsorgt werden. Das Staatliche Gesundheitsamt Mühlacker meldete sich: Eine Abortgrube mit 6,48 Kubikmetern reiche für sieben Personen nicht aus, der Kreisbaumeister wiederum monierte mehrmals einen Übereich in der Abortgrube, der beseitigt gehöre, weil sonst weiterhin Abwasser aus den Toiletten in den Schmiebach fließe, was gesetzlich verboten sei. Dies ließ das Landratsamt den Schultes am 25. Oktober 1950 schriftlich wissen. Abwässer aus Küche und Waschküche sowie Tagwasser liefen via zusätzlichem Schacht auch in den Schmiebach. Die Behörde verwies auf die Spülabortverordnung. Das Bürgermeisteramt hat sich somit offensichtlich gegen diese Bestimmungen vergangen. Die Erhebung einer Strafanzeige behält sich das Landratsamt ausdrücklich vor.

  • Abwässer direkt in den Schmiebach

Das war deutlich. Allmendinger brachte nun Pläne für eine gemeinsame Hauskläranlage ins Gespräch, denn auf dem westlichen Grundstück plane die Gemeinde einen Kindergartenbau. Aber darauf ließ sich das Landratsamt nicht  ein, denn die Pläne für ein Kinderschüle lägen noch in weiter Ferne. Nach einigen Debatten mit Behörden und Mahnungen der Kreisverwaltung, wann denn der Fehler nun endlich  korrigiert werde, beantragte die Kommune sowohl die Spül-WC in den beiden Wohnungen als auch eine geschlossene Grube für das von dort abgeleitete Abwasser. Die Baurechtler der Kreisverwaltung atmeten auf und schickten im Februar 1951 die Genehmigung gegen 17 Mark Gebühr, der Kreisbaumeister bestätigte schriftlich im November 1953 die Fertigstellung (Staatsarchiv Ludwigburg, FL 20/18 II Bü 3385).

  • Baugenehmigungen gab es zügig vom Landratsamt in Vaihingen

Hauptstraße 66, Aufstockung: Die Kommune stockte noch das frühere Armenhaus um zwei Wohnungen auf (Hauptstraße 66, heute Friedenstraße 24), das sie im Mai 1959 -  nach mehreren Anläufen  - für 26.000 Mark an einen der Mieter, Schuhmachermeister Fritz Schaufelberger, verkaufte, der eine Schusterwerkstatt im Erdgeschoss betrieb (STAM, Li B 325, S. 65).

Den Plan des örtlichen Architekten Alois Pix für die Erstellung eines Stockaufbaus hatte die Kommune im Mai 1951 zur Genehmigung ans Landratsamt Vaihingen geschickt, das am 20. Juni 1951 zustimmte - zügig, obwohl auch das Denkmalamt am Verfahren beteiligt war.  Bei erwarteten Baukosten von 18.000 Mark waren 51 Mark Gebühren fällig (Staatsarchiv Ludwigsburg, FL 20/18 II Bü 3628). Das Projekt setzte der Schultes geräuschlos um. Bezogen werden konnten die Wohnungen noch im Dezember 1951.

Grundriss im Bauantrag ans Landratsamt Vaihingen an der Enz (Repro: Staatsarchiv Ludwigsburg, FL 20/18 II Bü 1906).
Holzbaracke: Schon 1948 hatte der Gemeinderat beschlossen, auf dem Gelände des früheren, 1889 abgebrannten Schafhauses (bei den jetzigen Gewächshäusern am Weg war ein kleiner See zur Schafstränke) eine Holzbaracke mit massivem Unterbau zu errichten. 107 Quadratmeter Grundfläche mit jeweils zwei Wohnungen: Je drei Zimmer, Küche und WC, zeitweise bewohnt von bis zu vier Familien. Der Standort kam nicht von ungefähr, denn 1937 legten die Nazis Pläne vor, auf dem Areal ein Heim für die Hitler-Jugend zu bauen, was aber am Geldmangel der Kommune und dann am Krieg scheiterte.
  • Landratsamt Vaihingen legt schnelles Tempo bei Baugenehmigungen vor

Zum Beispiel in seiner Sitzung am 15. Juli 1949 genehmigte der Gemeinderat zweimal die Kosten für Maurerarbeiten: Für 2800 Reichsmark an der Wohnbaracke und 4500 Reichsmark für das Zweifamilienhaus in der Brühlstraße. Beide Projekte übrigens geplant vom Mühlacker Architekten Jakob Buck (Stadtarchiv Mühlacker=STAM Li B 324, S. 177). Die Bauakte für die Erstellung einer Wohnbaracke auf dem Grundstück Parzelle Nummer 136 am Feldweg Nr. 4 liegt jetzt im Fundus des Staatsarchivs Ludwigsburg (FL 20/18 II Bü 1906). Darin der Bauantrag der Gemeinde Lienzingen vom 20. Dezember 1948, mit der Angabe des Architekten, des Maurers (Baugeschäft Ernst Schmidt, Lienzingen) und des Zimmermanns (Zimmergeschäft Kälber, Lienzingen). Die Baukosten nach dem Voranschlag: 6000 Reichsmark., laut Angaben von Allmendinger im Juli 1953 rund 12.000 Mark. Der einzige Nachbar, die Witwe von Otto Schmidgall, erhob keine Bedenken gegen die Pläne. Letztlich entschied das Landratsamt Vaihingen an der Enz als für Lienzingen zuständige Baurechtsbehörde. Der Kreisbaumeister empfahl am 19. Januar 1949 die Genehmigung des behelfsmäßigen Bauwesens, welches nur in stets widerruflicher Weise zugelassen werden könne. Schon am 28. Januar 1949 folgte die Genehmigung durch Landrat Dr. Friedrich Kuhnle. Die Gebühren: 38 Mark. Ein Tempo, von dem heutzutage Bauantragsteller nur träumen können.

Wie viel Brandschutz war notwendig? Die von 1950 bis 1961 ausgetragene Streitfrage. Durch die Beanstandungen des Landratsamtes Vaihingen und die Antworten des Bürgermeisters hatte die Bauakte Wohnbaracke einen gewissen Umfang erreicht. Allmendinger ließ die Baurechtler auflaufen.
  • Kreisverwaltung vermisste aufgemauerte Kamine

Neuer Ärger drohte. Der Baukontrolleur beanstandete aber am 18. Juni 1951 schriftlich, dass in der Baracke keine Kamine eingebaut wurden.  Das Landratsamt forderte, den Einbau nachzuholen. Doch Bürgermeister Allmendinger machte zunächst keine Anstalten, etwas zu ändern. In einem Brief an die Kreisverwaltung erläuterte er am 10. September 1951, zwar seien keine Kamine aufgemauert, aber mit besonders starkem Blech welche ausgeführt worden. Der Kaminfegermeister habe dies nicht beanstandet. Sobald die in der Baracke untergebrachten Flüchtlinge anderweitig untergebracht werden können, will die Gemeinde die Baracke an den dortigen Gärtner verkaufen, der sie dann abbauen und auf den Fundamenten ein massives Wohngebäude erstellen möchte. Er räumte nur das Fehlen einer ausreichenden Abschirmung an einem Herd zu den Brettern ein. Das Landratsamt ließ nicht locker, lehnte am 6. November 1951 eine Befreiung von den Vorschriften der Feuerschutzverordnung von 1931 ab, so dass Allmendinger nun eigentlich hätte klein beigeben müssen: Tatsächlich meldete er am 22. April 1952, einen örtlichen Handwerker mit dem Einbau der Kamine beauftragt zu haben.

Doch am 25. Juni 1952 musste die Kreisverwaltung den Einbau erneut anmahnen. Die Antwort aus dem Lienzinger Rathaus vom selben Tag lautete: Sobald die Arbeiten ausgeführt seien, werde Vollzug gemeldet, was am 18. August 1952 auch geschah. Erst am 15. November 1953 nahm der Kreisbaumeister das Projekt ab.

Bereits am 3. Juli 1953 lag dem Gemeinderat das Angebot des benachbarten Gärtners vor, die Baracke mitsamt einigen Grundstücken für 5000 Mark zu kaufen. Mit dem Argument, die Gemeinde könne ihre Objekte nicht zu einem Schleuderpreis absetzen, lehnten die Räte und der Bürgermeister ab. Die Kommune wollte 7000 Mark für die Baracke und eine  Mark pro Quadratmeter Land. Allmendinger erhielt zwar einen Verhandlungsauftrag, der aber ohne Einigung blieb (STAM, Li B 324, S. 172). Immer wieder entzündetem sich Konflikte mit und zwischen einzelnen Bewohnern, speziell mit dem Mieter H., den der Bürgermeister einen unliebsamen Bewohner nannte, für den eine andere Unterkunft  gesucht wurde. Der Schultes dachte an das Henrichsche Häuschen, doch die erwünschte Zustimmung des Gemeinderats blieb am 8. März 1957 aus (STAM, Li B 325, S. 135). Die Gemeinde wollte die Baracke und damit die Konflikte möglichst los werden, nur erreichbar durch den Verkauf. Der Gemeinderat beschloss am 24. Juni 1957 ein Kaufangebot dem Mieter Schloßnickel zu unterbreiten: Er könne die Unterkunft erwerben für 3500 Mark, bezahlbar in zwei Raten. Aus der Sache wurde nichts (STAM, Li B 324, S. 152 f).

  • Der Schultes schaltete auf stur und saß das Problem aus

Mit der Abnahme durch den Kreisbaumeister endete der Streit mit der Vaihinger Behörde nicht.  Weitere Kapital des Dramas - oder war es doch eher eine Komödie? – um zwei Kamine folgten.  Die Rauchabzugsrohre seien immer noch nicht vorschriftsmäßig ausgeführt, so das Landratsamt am 30. November 1953, das eine Frist setzte:  Bis 15. Januar 1954 sei die Sache zu erledigen. Allmendinger ließ sich bis 22. Oktober 1954 noch dreimal mahnen, ohne zu handeln. Da war klar:  Der Schultes saß das Problem aus. Stur konnte er sein, wenn ihn eine Sache nicht überzeugte - schon gar noch mit Kosten für die Kommune verbunden war. So monierte der Kreisbaumeister im März 1957, zwar seien die Kamine inzwischen vorhanden, doch Herde und Öfen stünden unmittelbar an den Bretterwänden und die Abzugsrohre hätten keinen ausreichenden Abstand vom Holzwerk.

Hier bei der späteren Gärtnerei Mannhardt stand von 1948 bis 1962 eine Holzbaracke, die die Gemeinde für Flüchtlinge gebaut hatte.

Die Beanstandung verpuffte trotz fünf Mahnungen allein 1958, einer im Jahr 1959 und dreier im Jahr 1960. Am 23. März 1961 unternahm die Kreisverwaltung einen erneuten schriftlichen Vorstoß bei Allmendinger und forderte einen Sachstandsbericht an. Der antwortete am 28. März 1961 kurz und bündig: Die Gemeinde wird im Laufe dieses Jahres für die Barackenbewohner Wohnungen ins alte Schulhaus einbauen und anschließend die Wohnbaracke abbrechen. So kam’s, wenn auch erst ein Jahr später!

  • Baracken-Bewohner einer solchen Unterstützung nicht würdig

Möglicherweise ließ der Bürgermeister die Baurechtsbehörde auch deshalb auflaufen, weil sein Verhältnis zu den Familien in der Baracke, die nahe der Quelle in der Wette stand, gespannt war. Denn das zeigte sich bei der Ratssitzung am 20. November 1956. Wie im Protokoll zu lesen ist, ging es eigentlich um die Abwasserleitung ab der östlichen Wohnung und den Bau eines Einfachsthauses, dessen Zweck in der Niederschrift zwar nicht näher erläutert wurde, aber von dem anzunehmen war, dass dorthin die Bewohner der Baracke umziehen sollten. Der Gemeinderat lehnte dies letztlich ab mit der höchst ungewöhnlichen Begründung, die Bewohner der Baracke seien einer derartigen Unterstützung nicht würdig. In der Diskussion hatte der Bürgermeister berichtet, der Ab- und Auslauf einer der Wohnungen sei total verdreckt gewesen, weshalb Flaschnermeister Hermle zuerst mit Hilfe der Gemeindearbeiter die Leitung

Das Lienzinger Konzept

habe reinigen müssen, was eigentlich Aufgabe eines anständigen Mieters sei. Das Urteil des Gemeinderats fiel eindeutig aus. Unter diesen - nicht einmaligen - Umständen fühle er sich nicht verpflichtet, das Los der Bewohner zu erleichtern, solange die Bewohner sich nicht bereitfänden, für Ordnung und Sauberkeit zu sorgen. Man könne es auch von den Bewohnern einer Baracke erwarten, dass sie die eines Mieters selbstverständlichen Pflichten ohne besondere Hinweise erfüllen. Hermle hatte seinen Arbeitseinsatz der Gemeinde mit 160,95 Mark in Rechnung gestellt (STAM, Li B 325, S. 117).

  • Verkauf der Holzbaracke zunächst vertagt

Bei der Sitzung am 8. März 1957 lag ein Angebot von Gärtner Robert Mannhardt vor, die Baracke gegen die Bereitstellung von fünf Ar Bauland und Zahlung eines Aufgeldes von 2000 Mark zu übernehmen.  Doch zwei Familien, die in der Baracke wohnten, zeigten sowohl Interesse am Kauf der Baracke als auch am Bau des Einfachsthauses, wobei der Unterschied der Standards im Protokoll nicht erläutert wurde. Der Gemeinderat vertagte die Entscheidung über den Verkauf, sagte aber erneut Nein zu einer Billig-Variante eines Wohnhauses (STAM, Li B 325, S.  135). In der Ratssitzung am 15. Januar 1960 lehnte das Gremium einmütig den Verkauf der Baracke an den Bieter Berthold Haug ab (STAM, Li B 326, S. 5). Ja selbst nach Räumung der Baracke konnten sich Gemeinde und Mannhardt zunächst nicht einigen. Am 19. April 1963 stand das Angebot von Mannhardt auf der Tagesordnung. Bürgermeister und Räten reichte seine Offerte nicht. Weil von der Baracke nichts mehr zu verwenden sei, biete er als Kaufpreis 2000 Mark an. Doch die Kommune wollte 4000 Mark und stützte sich dabei auf die Aussage von Kreisbaumeister Vogelmann, Gebäudereste seien noch verwendungsfähig (STAM, Li B 326, S. 196). Die Geschichte ging weiter: Mannhardt besserte nach, bezahlte den von der Gemeinde geforderten Preis für das Gebäude Nr. 191 Trümmer und Fläche der früheren Gemeindebaracke.

Auffällig indessen ist, dass der Bürgermeister weder den Kamin-Streit in der Holzbaracke noch die ungenehmigten Spül-Aborte im Gemeinderat thematisierte. Zumindest finden sich keine Hinweise in den Sitzungsniederschriften.

  • Meinungen teilweise hart ausgefochten, protokollierte der Bürgermeister

Im Herbst 1960 wurde das Schulgebäude an der Kirchenburggasse frei, weil die neue Schule an der Ecke Dr.-Otto-Schneider-Straße/Friedrich-Münch-Straße im Oktober bezogen werden konnte. Als das Thema "Weitere Verwendung des alten Schulgebäudes" am 11. November 1960 erstmals auf der Tagesordnung stand, war noch geplant, es vollständig für Wohnzwecke umzubauen und Flüchtlingsfamilien unterzubringen, die zunächst in die Baracke eingewiesen worden waren. Doch der Umbau kostete Geld. Stattdessen winkte Geld. Denn inzwischen suchten die Ziegelwerke Mühlacker Wohnraum für ausländische Arbeitnehmer und klopften auch im Lienzinger Rathaus an. Sie wollten den notwendigen Umbau der alten Schule selbst finanzieren. Bei der Diskussion wurden die Meinungen teilweise hart ausgefochten, protokollierte der Bürgermeister, wobei in der Mehrheit die Auffassung vertreten worden sei, dass die Bewohner der Baracke wegen ihrer Haltung sich keine Unterstützung erhoffen dürften, während die Gemeinde sich einen ganz ansprechenden Mietertrag von den Ziegelwerken verschaffen könne. So fiel auch der Beschluss aus (STAM, Li B 326, S. 63).

  • Gemeinderat legte gleich zwei Kehrtwendungen hin

Aber die Chefs der Ziegelwerke winkten ab, als sie die genaue Kalkulation für Umbau und Vermietung näher beleuchtet hatten. Das Unternehmen bot an, die Immobilie für 40.000 Mark zu kaufen. Doch der Gemeinderat vollzog am 2. Dezember 1960 eine erneute Kehrtwende: Weder Verkauf noch Vermietung kämen in Frage. Das Gremium kehrte zur alten Position zurück, die Familien aus der Holzbaracke in der alten Schule unterzubringen. Nicht aus hehren Gedankengängen, sondern weil Bund und Land unerwartet günstige Mittel für die Räumung von Wohnlagern und Baracken anböten, wie Bürgermeister Allmendinger berichtete. Den Auftrag zur Planung des Umbaus der Schule erhielt in der Sitzung der Architekt  Jakob Buck aus Mühlacker (STAM, Li B 326, S. 67). Nachdem die Arbeiten aber auf sich warten ließen, genehmigte der Gemeinderat am 3. März 1961 die vorübergehende Vermietung der beiden ehemaligen Schulräume in der ersten Etage an das Bauunternehmen Ernst Seybold aus Stuttgart für monatlich 200 Mark. Seybold brachte dort drei Monate lang ausländische Arbeiter unter (STAM, Li B 326, S. 79).

Von der Gemeinde Lienzingen 1949/50 gebaut: Brühlstraße 14 (Foto: Sabine Straub, 2020)

Endgültig für den Umzug der Mieter aus der Holzbaracke hergerichtet wurde die alte Schule nach der Ratssitzung am 31. August 1962 - da entschieden die Bürgervertreter über die Belegung der einzelnen Wohnungen durch die Familien Lanik (zwei Mal) und Schloßnikel sowie Berthold Haug. Denn nun stand sicher fest, dass die Kommune für die Beseitigung der Baracke eine Prämie des Staates von 27.500 Mark erhielt – ein unschlagbares Argument für die Rückkehr zum alten Kurs (STAM, Li B 326, S. 162). Die Gelder flossen in den Umbau der alten Schule zum Wohnhaus. Doch es blieb ein Überschuss von 7939,15 Mark.  Der Bürgermeister schlug vor, die restlichen Mittel in den Einbau von zwei weiteren Wohnungen im Dachgeschoss zu stecken und dafür auch den Erlös aus dem Verkauf der Wohnbaracke zu verwenden. Der Gemeinderat diskutierte im März 1963 die Idee kontrovers. Ergebnis: Vertagung (STAM, Li B 326, S. 193).

  • Gärtnereifamilie übernahm die Fläche

Die Bewohner konnten im Oktober 1962 in die frühere Schule umziehen. Die Baracke wurde ein Jahr später als von Allmendinger in seinem letzten Brief zum Kamin-Streit dem Landratsamt angekündigt, abgerissen und dann auf dem angrenzenden Acker verbrannt, erinnert sich Günter Mannhardt. Auf dem Gelände baute Günters Vater Robert seiner Familie ein Haus und legte den Grundstock für den Gärtnereibetrieb, den die Lienzinger ausgesprochen schätzen und der aktuell mit Jenny Rube in der dritten Generation als Familienunternehmen geführt wird. So trug das Ende der Baracke zur Stärkung der Infrastruktur des inzwischen knapp 2100-Seelen-Ortes bei.

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