Die grünen Kreuze

Grünes Kreuz an der B10 in Mühlacker

Sie stehen vereinzelt auch am Rande von Feldern rund um Mühlacker. So an einem Acker auf Höhe der B10-Ortseinfahrt aus Richtung Illingen. Grüne Kreuze als Zeichen des Protests der Landwirtschaft. Wer suchet, der findet dazu auch einen Wikipedia-Eintrag: Die Aktion Grüne Kreuze ist demnach eine Aktion deutscher Landwirte, die vom Manager und Landwirt Willi Kremer-Schillings aus Rommerskirchen (NRW) im Jahr 2019 ins Leben gerufen wurde. So die Aufklärung im Online-Lexikon des Internets. Der Anlass: Maßnahmen der Bundesregierung für mehr Umwelt- und Tierschutz sorgen für Unmut bei den Bauern. Sie fürchten finanzielle Einbußen und protestieren mit grünen Kreuzen auf ihren Feldern. Soweit, so gut.

Unsere Landwirte gehören - für mich - fest zu unseren Dörfern und zu unserer Landschaft. Lienzingen ohne Bauern? Nicht vorstellbar. Sie haben einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft als Nahrungsmittelproduzenten und Naturpfleger. Es ist häufig wie aus dem Bilderbuch intakter Dörfer. Doch dieses Bild hat Kratzer bekommen. Energiepflanzen statt Nahrungsmittel und damit die Diskussion um Monokulturen. Der Zwang zu wachsen oder zu weichen bringt Konflikte mit dem Artenschutz. Eingesetzte Pestizide haben nicht akzeptable Folgen, genauer: Nebenwirkungen für Bienen & Co. Oder Neonicotinoide. Kritik daran wird reflexartig beiseite gewischt, die Agrarlobby ist einflussreich, Politiker gerade meiner Partei halten sich mit strengeren Regelungen zurück oder greifen korrigirend erst durch den Druck eines Volksbegehrens wie in Bayern ein.

Dürfen Landwirte nicht kritisiert werden? Sind sie sakrosankt? Warum fühlen sie sich durch Widerspruch in die Ecke gestellt, beklagen Opfer der Medien zu sein? Als regelmäßiger Besucher des Kreisbauerntages beschleicht mich das Gefühl, dass das Klagelied über ihre Lage zum Standard-Repertoire gehört. Just bei den jährlichen Bauerntagen in Enzberg sitzen bald gleichviel Verbands-, Unternehmens- und Behördenvertreter, Politiker und Bürgermeister wie Landwirte, hören sich Klagen über Flächenfraß, zu viele Vorschriften, schlechtes Image durch die Medien an. Pflichtübung, gepaart mit echtem Interesse. Eine interessante Gemengenlage.

Verständlich, dass der einzelne Bauer eine Gefahr für den Bestand seines Hofes sieht, wenn Teile seiner Wirtschaftsfläche von der Kommune zu Bauland erklärt wird (Spötter sprechen anzüglich von der fünften Fruchtfolge). Skuril wird es aber, wenn drei Arbeitsplätze eines Familienbetriebs von Gegnern der Ausweisung eines Gewerbegebiets an der Fuchsensteige als Argument herhalten müssen und ein Gegensatz zu 200 Jobs bei einem Industrieunternehmen auf der anderen Seite der B10 künstlich konstruiert wird. Dabei brauchen wir alle. Nicht minder skuril, wenn Kommunalpolitiker zwar an der Fuchse die guten Böden schonen wollen, aber bereit waren, in Waldäcker-Ost die Böden  mit nicht schlechteren Bonitätswerten der gewerblichen Entwicklung preiszugeben. Es ist das Alles oder Nichts, der Ausschließlichkeitsanspruch, der sich zur Blockade entwickelt. Unser Tun ist per se gut. Flächenverbrauch, nein Danke!? Dabei lebt unsere Gesellschaft vom gesunden Kompromiss, weil sich verschiedene und auch gegensätzliche Interessen im Raum stoßen wie Nahrung, Wohnen, Arbeitsplätze. Die Fähigkeit zum Kompromiss hält die Gesellschaft zusammen.

Zurück zu den grünen Kreuzen des Protestes und ihrem Erfinder. Landwirt Willi Kremer-Schillings'  berufliche Laufbahn vor der Pensionierung soll eng mit der Chemiebranche verknüpft gewesen sein. Chemie-Willi statt Bauer Willi, titelt die taz. Dazu passt ein Text, den Bio-Bauer Michael Braun aus Vaihingen-Aurich in seinem Kundenrundbrief vor Weihnachten schrieb: (...) Und draußen in der Welt zünden meine Bauernkollegen Mahnfeuer an und fahren mit den Traktoren nach Berlin für ein „weiter so". Doch die wenigsten wollen begreifen, dass es nicht so weiter gehen kann.Da stellen sie grüne Kreuze auf die Felder, als ob sie selbst ans Kreuz genagelt werden. Eigentlich sollten sie an diese Kreuze links einen Hasen, rechts ein Rebhuhn und in die Mitte einen Fasanen nageln. Doch das können sie nicht, weil es diese Tiere nicht mehr gibt. Noch vor 30 Jahren sah ich sie selbst. Fast jeden Tag im Sommer. Heute sind sie verschwunden. Und das ist nur das, was man augenscheinlich wahrnimmt.

Alles gut? Nein, nicht alles. Aber die poliisch einflussreiche Agrar-Lobby bekam mit dem Volksbegehren "Artenschutz - rettet die Bienen" in Baden-Württemberg zu spüren, dass sie sich der Diskussion stellen muss. Daraus zog sie Konsequenzen und stimmte - wenn auch wohl zähneknirschend - einem Kompromiss und damit dem Eckpunktepapier der grün-schwarzen Landesregierung zu. Brachte zudem einen eigenen Volksantrag auf den Weg.

Die grünen Kreuze. Gegen was und wen richten sie sich nun? Wetten, dass es beim alten Strickmuster bleibt? Schuld ist immer die Politik. Ach so, der Erfinder der Aktion, Bauer Willi, sitzt im Vorstand eines Agrarchemiehändlers. Chemie-Lobbyist, nennt ihn die taz.

Update 29. Dezember 2019:

Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) schrieb gestern auf meiner Facebookseite zu diesem Beitrag:
Ganz einig bin ich nicht mit ihrem Blog. Im Kern hat das Verbraucherverhalten der letzten Jahre massiv zur aktuellen Problemlage beigetragen. Immer billigere Lebensmittel haben die Landwirtschaft zur immer stärkeren Intensivierung gedrängt mit der Folge, dass Agrarlandschaften heute meist von jeglichen Hecken, Ackerrandstreifen etc ausgeräumte Flächen geworden sind. Die Folgen für die Artenvielfalt sind bekannt - und werden wiederum von uns Verbrauchern beklagt. Letztlich ein Teufelskreislauf, den es zu durchbrechen gilt.

Meine Antwort:    

Lieber Herr Franz Untersteller, ich widerspreche Ihnen nicht, hatte auch nicht alle Facetten in meinen Beitrag aufgenommen. Als junger Stadtrat hatte ich mich mal des Themas ausgeräumte Landschaft in einem bestimmten Teil der Markung Mühlacker angenommen und mir den herzhaften Zorn eines tonangebenden Bauern aus Mühlhausen zugezogen (später haben wir uns dann wieder vertragen). Ich denke, wir müssen grundsätzlich Lebensmittel/Nahrung höher wertschätzen, dieses "Geiz ist geil" nicht zum Maßstab machen und bereit sein, einen gerechten Preis zu bezahlen - und Lebensmittel auch nicht in die Tonne werfen. Unser Bäcker Schmid in Lienzingen hat in seinem Edeka-Laden seit vielen Jahren einen Stehkorb aufgestellt, in dem - preislich etwas herabgesetzt - Brot vom Vortag angeboten wird, das am Vorabend übrig geblieben war. Ich nehme auch welches mit, denn es ist ein Brot, das immer noch gut schmeckt.

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