Achtung, politisch vermintes Gelände: Vorstoß zeitigt nach sechs Jahren unerwartete und umstrittene Resultate
Der Kommentar des Briefschreibers aus Dürrmenz fiel eindeutig aus: Das ist eine klassische Fehlleistung der Verwaltung. Dem Fachbereich sollte dezent gezeigt werden, dass es so nicht geht. Gemeint sind die geänderten textlichen Festsetzungen in zehn Bebauungsplänen für Gartenhausgebiete in Mühlacker. Um den Schrecken zu mindern: Sie sind noch nicht in Kraft. Der Entwurf befindet sich in der Offenlage, wie in diesem Fall die Bürgerbeteiligung heißt. Und für mich und die Fraktion steht fest: Wir werden in den weiteren Beratungen die Giftzähne ziehen müssen.
Selbst ein früherer stellvertretender Leiter des Baurechts- und Stadtplanungsamtes meldete sich schon frühzeitig in einem Leserbrief zu Wort: Anstelle einer angestrebten Verwaltungsvereinfachung wird hier ein nicht nachvollziehbares Vorschriftenmonster geboren, kritisierte er die Änderungen, die allein 14 Din-A-4-Seiten textlicher Festsetzungen umfassen – und das zehn Mal. Eigentlich dem Bürger nicht zumutbar. Seine eher rhetorische Frage: Wie sollen Baumgrundstücke durch immer neue Auflagen erhalten werden? Es ist nicht mal mehr erlaubt, Baum- und Strauchschnitt auf dem eigenen Grundstück zu verbrennen. Wer dann keinen Anhänger und keine entsprechende Kupplung an seinem Auto hat, weiß nicht, wie er sein Material vorschriftsgemäß auf den Schnittgutplatz bringen soll.
Anno 2004 beantragte meine Fraktion, künftig Bebauungspläne schlank zu halten. Das Gegenteil ist inzwischen der Fall. Aber die Schuld dafür liegt nicht nur im Rathaus, sondern an immer mehr Vorgaben staatlicher Instanzen, aber auch an den Menschen, die meinen, alles müsse geregelt werden, damit sich keine Konflikte wegen Auslegungsdeutungen entzünden.
Fazit des einst im Rathaus beschäftigten Fachmannes: Die Änderungsentwürfe sind in anerkennender Weise eine große Fleißarbeit, die aber nutzlos ist, da sie nicht durchsetz- und kontrollierbar sein wird.
Gartenhausgebiete, Geschirrhütten, Gartenhäuser, Kleinbauten – Bezeichnungen, die die schaffigen Württemberger (und auch Badener) elektrisieren. Schon dann, wenn die Baubehörde mit Abbruch- oder Rückbauverfügung operiert, weil die rechtlichen Vorgaben nicht eingehalten worden sind. Kleinlich und Kleingeister, die dem rechtschaffenden Schwaben die Freizeit in der Natur vergällen wollen – das sind noch die harmlosesten Schimpfworte.
Das erlebte ich als junger Lokalredakteur in Ludwigsburg, als ich mich dafür einsetzte, im Bottwartal so genannte Schwarzbauten nicht abzureißen, sondern mit den Betroffenen nach Lösungen zu suchen, mit denen auch diese leben können, die doch nur eines wollen: sich in Gottes freier Natur von des Alltagsmühe erholen. Mein Artikel löste eine Leserbriefflut aus, so sehr war das das Thema unserer Leserinnen und Leser. Jahre später wurde ich noch – anerkennend – auf mein Plädoyer für Freiheit in Gartenhausgebieten angesprochen.
Im August 1985 schrieb Roland Stimpel in der Wochenzeitung Die Zeit vom Massenabriss schwäbischer Schwarzbauten. Sieben Jahre zuvor, habe Lothar Späth, damals noch als Innenminister, die Abrisslawine losgetreten. Zunächst kullerte sie nur langsam, jetzt rollte sie mit ganzer Gewalt die Hänge an Neckar und Rems hinunter. Sie reißt Gartenhäuschen mit, knickt Zäune, walzt Vordächer nieder, löst Platten aus dem Boden und verschont nicht einmal Plumpsklos. Alles, was unter der Lawine verschwindet, ist schwarz gebaut, von eigenbrötlerischen Schwaben errichtet, ohne dass der Staat es erlaubt hätte.
Der spätere Ministerpräsident ersann 1978 den Kleinbauten-Erlass, der einen Schnitt machen sollte. Bis März 1987 ließen sich 12.000 Fälle durch nachträgliche Bebauungspläne legalisieren; 1200 Fälle wurden durch öffentlich-rechtliche Verträge gesetzeskonform gemacht; über 5000 Fälle konnten ohne einen Streit vor dem Kadi bereinigt werden; zur Umsiedlung von Gartenhäusern, deren Bestand nicht zu sichern waren, wurden auf Grund von 167 Bebauungsplänen 900 ha neue Gartenhausgebiete rechtskonform ausgewiesen (Quelle der Zahlen: Wikipedia).
In den Beständen des Landesarchivs Baden-Württemberg findet sich ein kleiner Auszug einer Radiosendung des Süddeutschen Rundfunks von 1988, der gut in diese Geschichte passt: Der Vorsitzende des Petitionsausschusses des Landtags, Alois Schätzle, meint, dass man sich durch eine großzügigere Kubatur-Berechnung bei den Gartenhäusern eine Menge Petitionen ersparen könnte. Er nennt Beispiele dafür. Herr Rist, Leiter vom Referat Städtebau im Innenministerium meint dagegen, dass auch die seitliche Begrenzung eines Vordachs berechnet werden muss. Er begründet, warum auch bei den Fenstern keine Ausnahmegenehmigung erfolgen soll.
Doch die Lust auf Gartenhäuser beschränkt sich nicht nur auf den Südwesten. Ein Beispiel: Der Kleinbauten-Erlass der hessischen Landesregierung aus dem Jahre 1990. Dieser Erlass sieht das Eingreifen der Bauaufsichtsbehörde mit Beseitigungsverfügungen für alle illegal errichteten Kleinbauten im Außenbereich vor.
Ministerialbürokratie versus Freunde des geräumigen Gartenhauses. Ein immer aktuelles Thema. 2009 erstellten Studenten der Hochschule Kehl eine Liste von Einzelinstrumenten und fassten sie in einem Maßnahmenkatalog als Handlungsempfehlung für betroffene Verwaltungen in Baden-Württemberg zusammen.
Gartenhausgebiete führen im Mühlacker Gemeinderat meist zu kontroversen Debatten. Erinnert sei an das Gebiet Dahberg in Lomersheim vor Jahren. Wir brauchten mehrere Anläufe und Beratungsrunden bis zum rechtskräftigen B-Plan. Die einen hielten die Möglichkeiten der Einzäunung und des Schutzes von Angepflanztem vor Wildschwein & Co. für nicht ausreichend - das waren häufig die Eigentümer der Flächen. Anderen wiederum war das alles zu viel - die Naturschützer und auch die Jäger, denen große eingefriedete Stückle ein Dorn im Auge sind. Wie viel Durchlässigkeit für Tier und Mensch darf, muss es sein? Je strittiger, je knapper die Abstimmungsergebnisse. Die Folge: Was heute eine Mehrheit bekam, wurde in einer späteren Sitzung möglicherweise wieder verworfen. Die Stadtverwaltung muss also bei ihren Planungen abwägen zwischen den Interessen der Stückle-Besitzer und den Plädoyers der Naturschützer für eine freie Landschaft.
Ergo: Es muss einen Kompromiss geben, um überhaupt ein Verfahren abschließen zu können. Ob dieses Stadium bei den 10 Änderungsverfahren für die Gartenhausgebiete schon erreicht ist? Ich habe meine Zweifel.
Achtung, politisch vermintes Gelände. Das zeigte sich, nachdem CDU und SPD im Oktober 2015 einen gemeinsamen Antrag im Gemeinderat stellten: Die Bebauungspläne für Gartenhausgebiete sollen dahingehend geändert werden, dass künftig die Grundfläche für Hütten maximal 20 statt 12 Quadratmeter betragen darf und bei Pergolen maximal 50 Prozent der Fläche überdacht werden dürfen. Eine Ablehnung durch die Ratsmehrheit zeichnete sich ab. Hier zum Antrag von 2015: Gartenhausgebiete.pdf
Ein im Gemeinderat umstrittener Antrag, der einfach hätte entschieden werden können. Doch damit kam ein Stein ins Rollen. Sozusagen die Eigendynamik der Verwaltung entfesselte sich. Das Fachamt sah die einmalige Chance, nun die Pläne in vielen Punkten anzugleichen. 2017 legte sie dem Gemeinderat eine durchaus interessante Bestandsaufnahme mit vielen Zahlen und Daten vor. Hier gibt es sie: TOP-Mappe_von_TOP_6_der_Sitzung_Ausschuss_fuer_Umwelt_und_Technik_vom_02.02.2016.pdf
Die Antragsteller gingen deshalb den Weg mit in der stillen Hoffnung, doch noch so ihr Ziel zu erreichen und akzeptierten ein stückweit die anderen Regulierungen. Nun nach 6 Jahren liegt das Ergebnis in Form der Offenlage des Planwerkes vor. So lange dauerte das Verfahren, das vor allem nicht öffentlich ablief.
Ein einfacher Antrag wuchs sich somit unerwartet zu einem Multiwerk aus: Grundsätzliches wird alles detailverliebt aufgearbeitet, dass man mit Erstaunen vor den diversen Papieren steht. Überbordende Regulierungswut, nennt das ein Bürger in einem Offenen Brief an den Gemeinderat und schreibt dann weiter: (…) welche die Realität und deren geänderten Rahmenbedingungen außer Acht und auch den Verdacht aufkommen lässt, dass einzelne Vorkommnisse generalisiert werden und durch eine omnipotente Regelung unterbunden werden soll.
Wäre es nach dem Fachamt (und mir) allein gegangen, hätte das Verfahren schon längst gestartet werden können, auf dass Bürger ihre Meinung dazu sagen können. Doch einige im Gemeinderat scheuten sich, das Thema zum Beispiel vor Wahlen aufzurufen.
2015 bis 2021. Der Ausschuss für Umwelt und Technik des Gemeinderates (UTA) gab Anfang Juni den Weg frei für die Offenlage. SPD und CDU unterlagen mit ihrem erneut gestellten Antrag auf 20 Quadratmeter. Zwei gegen drei. Immerhin ein minimaler Erfolg: nun 15 statt 12 Quadratmeter. Alle waren froh, nun endlich die öffentliche Anhörung starten zu können. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, schluckten wir auch Kröten – in der Annahme, dass die Bürger schon sagen, was ihnen passt und was nicht. Bei unserer Fraktionssitzung, vor der des UTA, frugen wir uns zum Beispiel, weshalb keine Hochbeete angelegt werden dürfen in Gartenhausgebieten. Immerhin ein Passus, der die UTA-Beratung nicht überlebte. Wir waren uns im Klaren: Nach der Anhörung müssen wir nochmals gründlich über die Texte gehen und überzogene Regulierungen streichen, dabei die Ergebnisse der Offenlage einbeziehend.
Hier geht es zu weiterem Material:
Zwei Beispiele neuer textlicher Festsetzungen, die in der Bürgeranhörung sind:
3-Vorentwurf-textliche-Festsetzungen-Moenchberg-Stand-17052021.pdf
Die Kritik an dem, was als Regelungswut kritisiert wird:
Kommentar_zur_neuen_Verordnung_Gartenhausgebiet.pdf
Zum_Vorentwurf_der_Gartenhausverordnung_der_Stadt_Muehlacker.pdf
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