Nicht allen schmeckt diese Kost

Wenn in Mühlacker nach (Freizeit-)Angeboten für junge Menschen gefragt wird, geraten Kommunalpolitiker bisweilen ins Stocken. Freibad heißt es dann oder das einmal im Jahr organisierte Fest2010 (wenn die Pandemie keinen dicken Strich durch den Terminplan macht). Immer wieder werfen uns Junge vor, die Stadt betreibe eine Altenheim-Politik. Was heißen soll: Die Interessen junger Leute interessieren im Rathaus nicht. Inzwischen sickerte zu den lokalen Medien durch, die Rolf-Scheuermann-Stiftung aus Wiernsheim werde nach einer kontroversen Entscheidung des Verwaltungsausschusses (VA) des Gemeinderats von Mühlacker der künftige Hauptpächter des EssEnz im ehemaligen Gartenschaugelände zwischen Enzstraße und Enz sein - zusammen mit dem Verein Miteinander leben ein Inklusionsprojekt mit Mitarbeitern mit und ohne Handikap in diesem städtischen Gebäude starten. Im künftigen EssEnz inklusiv.

Noch ist der Web-Auftritt unverändert

Diese Kost schmeckt nicht allen. So stand in der Mail eines Enttäuschten: Schade, willkommen im Rentnerparadies. Ein anderer Kommentar: So ist eben Mühlacker – funktioniert etwas, wird es sofort aufgegeben und ein Experiment gestartet. Die Alternative zum Stiftungsplan lieferte Michael Ketterer: Ein professionelles Konzept für eine breite Zielgruppe mit Umsatzversprechen. System-Gastronomie nennt sich das. Beliebt bei jüngeren Leuten. Lehners Wirtshaus am Schlossberg in Pforzheim steht als Gastro-Vorbild für den bisherigen Hauptpächter, die Brauerei Ketterer in der Goldstadt. Dagegen argwöhnte die Konkurrenz um die Stiftung, an dieser markanten Stelle werde dann ein lautes Diskolokal entstehen. Ist zwar nicht belegt, schreckt aber gleich ab. Hauptsache abgestempelt und aussortiert.

Laut der von der CDU-Fraktion beantragten Aufstellung waren die Pachteinnahmen unter den bisherigen Betreibern von fast 36700 Euro im ersten Jahr 2016 auf rund 32200 im Jahr 2019 gesunken. Im Corona- und Rumpf-Jahr 2020 betrugen sie noch 17500 Euro. Der Fünf-Jahres-Schnitt liegt laut Stadtverwaltung bei rund 30900 Euro. Als notwendige jährliche Einnahmen für Abschreibungen und Unterhalt seien knapp 24000 Euro anzusetzen. Ergo: Die Stadtkasse erhielt knapp 50.000 Euro mehr von Ketterer überwiesen als die vereinbarte Pachtsumme. 

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Ich war im VA nicht dabei, konnte damit die Vorstellung der beiden Bewerber mit ihren so unterschiedlichen Ansätzen nicht verfolgen und auch nicht abstimmen. Dass Ketterer knapp vor Beginn der Gartenschau 2015 uns durch die Übernahme des Lokals rettete, weil der ursprüngliche Macher in Konkurs ging, zählt gut fünf Jahre später nicht mehr. Leider. Wer sich in Mühlacker engagiert, wird irgendwann ausgesondert. Da biegt ein früherer Enzkreis-Landrat um die Ecke mit seinen Kontakten und Verbindungen, aber ohne Gastronomie-Erfahrung und schon erhält seine Scheuermann-Stiftung den Zuschlag. Von Seilschaften ist in Briefen die Rede. Ein harter Vorwurf.

Da hilft nur Transparenz statt Entscheidung hinter verschlossenen Türen. Also: Ausschreibung und öffentliche Vergabe, egal für welches Konzept das einzelne Ratsmitglied ist. Und öffentliche Begründung. Die CDU-Fraktion hatte die Stadtverwaltung gebeten, bei der Kommunalaufsicht abklären zu lassen, ob die erneute Verpachtung des Lokals nach mehr als fünf Jahren  vorher ausgeschrieben, die Verpachtungsentscheidung dann in öffentlicher Sitzung getroffen werden muss. Beide Punkte werden von uns bejaht.

Überrascht waren wir über die Mitteilung, das Regierungspräsidium folge der Argumentation der Stadtverwaltung, die beides verneine.

Weil das Verfahren der Vergabe nicht öffentlich und nicht transparent ist, entsteht so ein für die lokale und regionale öffentliche Verwaltung ein negativer Eindruck bei Menschen in der Stadt. Der frühere Landrat führte im Vorfeld Gespräche mit den Fraktionsvorsitzenden, was hier nicht beanstandet werden soll, verwies auf in der Vergangenheit geleistete Spenden von insgesamt etwa 250.000 Euro der Stiftung für Projekte in Mühlacker (ein wirklich sachgerechtes Argument). Er hatte einen Informationsvorsprung und konnte sich eine Mehrheit sichern, als andere, die möglicherweise auch Interesse an einer Verpachtung gehabt hätten, noch nichts davon wussten und die Tatsache der Pachtmöglichkeit erst erfuhren, als über die Vergabe durch Indiskretion in der lokalen Presse berichtet worden war. Das führt auch Ketterer in Feld.

Das alles macht deutlich, dass ein klarer Verstoß gegen den Transparenzgrundsatz vorliegt. Die Stadtverwaltung blendete diese Gemengelage in der Anfrage an die Kommunalaufsicht einfach aus. Gerade in der heutigen Zeit, in der die Öffentlichkeit sensibel reagiert auf tatsächliche oder vermeintliche Verstöße gegen die Korrektheit, hätte Mühlacker hier allein den Schein meiden sollen. Es ist auch Aufgabe des Regierungspräsidiums, solchen Schein erst gar nicht aufkommen zu lassen.

Im Mai 2015: die Gartenschau in den Enzgärten, im Hintergrund das neu erbaute und gerade geöffnete EssEnz. Pächter: die Pforzheimer Brauerei Ketterer

Weshalb nach fünf Jahren nicht notwendig sein soll was fünf Jahre zuvor als notwendig erachtet wurde, nämlich die Ausschreibung, erschließt sich einem nicht.

Die Zuständigkeit des VA ist unbestritten, nicht jedoch die Notwendigkeit einer Vergabe im öffentlichen Teil. Es hat sich inzwischen als auch in Mühlacker bewährte Praxis ergeben, dass Vergaben im öffentlichen Teil erfolgen, verbunden mit Diskussionen, als vertraulich zu behandelnde Teile der Informationen in einer nichtöffentlichen, gesonderten Beilage dargestellt werden. Diese Praxis wurde in diesem Fall nicht angewandt.

Und was heißt eigentlich, die Kommunalaufsicht neige der Auffassung der Stadtverwaltung zu? Wie unsicher ist sich die Kommunalaufsicht?

Um Marcel Reich-Ranicki zu zitieren: Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.

 

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