Wie die Lienzinger zu ihrer Halle auf 110 Pfeilern kamen

Die kleine Lienzinger Gemeindeverwaltung stemmte 1965/67 große Projekte gleichzeitig: den Bau der Turn- und Festhalle sowie den einer Kläranlage, als Dreingabe ließ sie das Dorf kanalisieren – erstmals wurden die Abwässer gereinigt. Ein Beitrag zum Umweltschutz, auch wenn der Begriff seinerzeit noch nicht zum täglichen Sprachgebrauch gehörte.

Im Jahr 1969: Turn- und Festhalle in Lienzingen mit Schule (rechts vorne). Foto: STAM, Sammlung. Erich Tschöpe

Kraftanstrengung der besonderen Art, mit der sich heutzutage Kommunalpolitik schwertut – trotz größerer Verwaltungen, mehr Geld, mehr Zeit und mehr Personal. Gleichzeitig steht Lienzingen für das, was wir heutzutage oft vermissen: Die große Linie, die trotz mehrerer Gemeinderatswahlen und immer wieder neuer Gesichter beibehalten wird. Der Bürgermeister als Konstante. Garant dafür, dass Kurs gehalten wurde. Das Dorf wollte ein Schul-, Sport- und Freizeitzentrum im Bereich der früheren Brauereiteiche. Die Gemeindehalle war der Schlussstein in einer, 14 Jahre zuvor entwickelten Konzeption zur Zukunft des 1200 Einwohnerf zählenden Dorfes. Es kam, wie es kommen sollte.

Für ein Update in punkto Finanzen sorgte in der Ratssitzung am 13. Januar 1967 der Bürgermeister. Für die Halle seien bisher 734.000 Mark aufgewendet worden, so Richard Allmendinger. Ein Staatszuschuss von 190.000 Mark sei eingegangen, die restlichen 10.000 Mark kämen nach der Schlussrechnung. Da ließ er das Gremium noch im Glauben, die beim Start der Bauarbeiten von ihm genannten Kosten lägen bei 750.000 Mark. Doch ihm war längst klar, dass mindestens eine Million Mark auf der Ausgaben-Seite anfallen werden. Die Schlussrechnung endete einschließlich Außenanlagen mit 1,078 Millionen Mark. Das war der tatsächliche Preis.

Offenherzig bekannte der Verwaltungschef 1969, dem Gemeinderat vor dem Baubeschluss 1966 mit 750.000 Mark absichtlich niedrigere Kosten genannt zu haben. Denn tatsächlich lag die Schätzung des Architekten Buck aus Mühlacker bei gut einer Million Mark. Hätte ich jedoch mit offenen Karten gespielt, so wäre der Bau der Halle ins Wasser gefallen, schrieb er offen und ehrlich in den Ortsnachrichten der Gemeinde Lienzingen vom 29. Oktober 1969 (Stadtarchiv Mühlacker: STAM Z 45 1969-1972). Was ihm die Notlüge erleichterte, war das Waldgeschäft mit Mühlacker: Lienzingen verkaufte für 1,05 Millionen Mark ein 8,7 Hektar großes Waldstück an die Nachbarkommune, die nur dadurch die neue Wohnsiedlung Heidenwäldle bauen lassen konnte.

Preisgünstige Verwaltung (Grafik: Günter Bächle aus Daten in den Ratsprotokollen der Gemeinde Lienzingen

Offensichtlich variierten die Angaben zu den Kosten. In den Akten der Gemeinde Lienzingen findet sich eine Gesamtübersicht der Gesamtfinanzierung für den Bau der Turn- und Gemeindehalle, vom Schultes verfasst am 3. Mai 1965, die mit Gesamtbaukosten von 931.212 Mark abschließt. Die Finanzierung sollte auf mehreren Säulen ruhen: Rücklage 9777 Mark, Haushaltsmittel 1964/1965/1966/1967 zusammen 617.000 Mark (davon ein Teil Holzverkaufserlöse), aus dem allgemeinen Kapitalvermögen 60.000 Mark, Spenden und freiwillige Arbeitsleistungen der Vereine 17.000 Mark, Bundes- und Landeszuschuss 200.000 Mark (Quelle: STAM, Li A 790).  Sowohl Halle als auch Klärwerk würden 1967 in Betrieb gehen, auch wenn sich die Kläranlage momentan noch nahezu im Rohbau befinde, informierte der Schultes an jenem Januar-Abend anno 1967 die Bürgervertreter. Rund 264.760 Mark habe die Kommune bis dato für das Klärwerk bezahlt, rund 100.000 Mark seien bis zum Abschluss der Arbeiten noch notwendig.  Mit 134.000 Mark trage das Land einen Gutteil der finanziellen Last.

Ursprünglich sollten Volksschule und Gemeindehalle in einem Zug gebaut werden. 1957 waren zwei Standorte in der Diskussion: Die Halle östlich oder aber gegenüber der Schule. Für beide Varianten lagen Pläne des Mühlacker Architekturbüros Jakob Buck & Sohn vor.  Die Entscheidung gegen den Anbau nach Osten erwies sich als weitsichtig, denn damit wäre der Schule die Möglichkeit der Erweiterung buchstäblich verbaut worden. Und die war, wenn auch viele Jahre später, notwendig geworden. Die Stadt Mühlacker erweiterte 1995/96 für 2,71 Millionen Euro die Grundschule um vier Klassenräume, und dies östlich vom Altbau (Quelle: Kostenfeststellung, GR, Vorlage 60/65/97).

Baugesuch für die Gemeindehalle Lienzingen (STAM)

Freilich, auch die Bauplatz-Alternative für eine Gemeindehalle gegenüber war in der Ära Allmendinger nicht unumstritten, denn der Baugrund erwies sich als sehr ungünstig, wie Untersuchungen ergaben. Architekt Buck hatte in der Ratssitzung am 25. Januar 1957 erste Kosten genannt: Schule 322.000 Mark, Turnhalle östlich des Schulgebäudes 195.000 Mark, der Verbindungsbau (Pausenhalle und WC) zwischen beiden Objekten 20.000 Mark, aber keine Angaben für die Lösung auf der anderen Seite des Mühlwegs (heute Friedrich-Münch-Straße).

Einzige Versammlungsstätte: der Hirsch-Saal

Die Lienzinger träumten seit Jahren von einer Halle, denn einzige Versammlungsstätte war der Saal im Gasthaus Hirsch, dagegen Übungsstätte für große und kleine Turner der bescheidene Anbau an die Kelter. Doch letztlich zwangen die Finanzen dazu, der neuen Schule Vorrang einzuräumen, die 1960 eingeweiht wurde. Dann folgte die Gemeindehalle, die sieben Jahre später fertig gestellt war.  Immerhin legte die Kommune ein Sparbuch für einen Hallenbau an. 1957 gingen dafür stolze 95 Mark und 50 Pfennige ein. Da sie mit weiteren Spenden rechneten, beschlossen die Gemeinderäte eine offizielle Rücklage für dieses Projekt (STAM, Li B 324, S. 250). Im Ortsbuch Lienzingen schreibt der Historiker und Autor Konrad Dussel, weil Allmendinger seinerzeit klar gewesen sei, dass die Finanzierung einer Halle die Finanzkraft der Gemeinde übersteige, formulierte der Schultes am 19. Februar 1957 einen Aufruf zur Zeichnung von Bausteinen und bat die Vereine, sich mit Sammellisten auf den Wg zu machen (Konrad Dussel, Ortsbuch Lienzingen. 2016. Verlag Regionalkultur, S 231 f).


Lienzinger Geschichte(n) - meine Serie in meinem Blog: Diesmal vom Bau der Gemeindehalle sowie dem Schul-, Sport- und Freizeitzentrum auf dem ehemaligen Brauereisee


Fünf Jahre traten die Verantwortlichen im Rathaus in Sachen Halle mehr oder minder auf der Stelle, zumal sich zuletzt auch die Vermessungsarbeiten für das Gelände, trotz Drängens der Kommune, deutlich verzögerten. Zwei Tage vor Heiligabend 1961 war es aber so weit: Anlegung des neuen Sport- und Spielplatzes – Bestimmung des Platzes für die Turn- und Gemeindehalle lautete der erste Punkt der Tagesordnung der nichtöffentlichen Ratssitzung. Kernpunkte: mehr Raum für die Halle, auch deshalb Abriss des Wohnhauses Ölschläger, Erwerb weiteren Geländes in nordwestlicher Richtung durch die Gemeinde. Dadurch könnte ein zusammenhängendes Gebiet für beide Kulturobjekte entstehen, heißt es im Protokoll der Sitzung. Die Mehrheit des Gemeinderates unterstützte dieses Konzept, nur Ladislaus Schwarz, einer der Macher des Fußballvereins, lehnte konsequent ab (STAM, Li B 325, S.  120).

Allerdings stand den alternativen Plänen, vis-a-vis der Stirnseite der Schule die Gemeindehalle zu bauen, ein Wohnhaus buchstäblich im Wege: Auf Parzelle Nummer 1325, in den Ziegelwiesen, das erst 1951 errichtete Einfamiliendomizil von Adolf Ölschläger.

Mammut-Programm auf der Tagesordnung des Lienzinger Gemeinderates

Schwung in die Sache brachte der Erlös aus dem sich 1963 abzeichnenden Waldverkauf an die Nachbarstadt Mühlacker. Doch die Debatten wurden nicht unbedingt einfacher. Das zeigte sich in der Ratsherren-Runde am 12. Juli 1963.  Der Punkt 1 der Tagesordnung hieß lapidar: Turn- und Gemeindehallenbau, Bau eines Wasserhochbehälters, Ortskanalisation, Industrieansiedlung und Baulanderschließung. Eine Grundsatzdebatte um die Zukunftsaufgaben der Kommune erneut unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Letztlich ging es um die Verwendung der mehr als einer Million Mark, die das Waldgeschäft in die Gemeindekasse spülte.

Der Plan der Architekten Buck für die Gemeindehalle und ihre Umgebung

Die Gemeinde hat große Aufgaben zu erfüllen, die sie in wirtschaftlicher Beziehung noch sehr belasten wird, so Bürgermeister Allmendinger laut dreiseitigem Protokoll – für Lienzinger Verhältnisse ein üppiger Umfang für einen Top. Zwar hätten sich die Gemüter nach dem Waldverkauf wieder beruhigt, aber gerade deshalb sei nun die Zeit weiterer Entscheidungen, sagte Allmendinger. Wenn diese Entscheidung aber in positivem Sinne ausfällt, dann erfordert dies die rechtzeitige Vorplanung der heute zur Debatte stehenden Aufgaben. Die Erfüllung größerer kommunaler Aufgaben bedarf einer langen Vorbereitungszeit. Solche kostspieligen Vorhaben baureif zu machen, heiße, so die Erkenntnis des Schultes, auch mit nicht vorausschauenden Schwierigkeiten zu rechnen.  Wir leben gewissermaßen in sehr unsicheren Zeiten. Das Geld wird durch Preissteigerungen langsam weniger wert, damit auch die Einnahmen aus dem Waldverkauf. Wer ist dafür verantwortlich?

Dann beleuchtete Allmendinger die einzelnen Vorhaben, der Gemeinderat legte nacheinander den Fortgang der Dinge fest und vergab Aufträge zur Planung einer baulichen Entwicklung des Gebiets parallel zum Scherbentalbach, des Baues eines neuen Wasserhochbehälters, zudem sei – so seine weitere Vorgabe - das weiter Erforderliche zu tun für die Realisierung der Ortskanalisation und den Bau einer Kläranlage. Wiederum die Bebauung im vorderen Bereich des Scherbentales hing mit der gewünschten Gemeindehalle zusammen, denn dort bestehe die Möglichkeit, für Ölschläger ein Ersatz-Wohnhaus durch die Gemeinde zu errichten.

Architekturbüro Buck aus Mühlacker liefert erstes Modell

Am 20. Dezember 1963 ging durch Ratsbeschluss der Auftrag für die reine Hallenplanung an Buck, drei Monate später stellte er ein Modell des Baukörpers auf dem Standort gegenüber der Schule vor, das sowohl bei der Interessengemeinschaft der sport- und kulturtreibenden Vereine, also Fußballverein, Turnverein und Männergesangverein, als auch beim Gemeinderat auf Beifall stieß, was wiederum in einen Vertrag zwischen Gemeinde und Architekt mündete (STAM, Li B 325, S. 258)

Das Württembergische Abendblatt berichtete über die Halleneinweihung im Oktober 1967

Erstmals im Haushaltsplan der Gemeinde für 1964 schlug sich die Einigung mit Mühlacker über den Heidenwäldle-Deal nieder. Der Schultes legte ihn dem Gemeinderat am 19. Juni 1964 vor. Im seinerzeitigen Haushaltsrecht gab es für die Investitionen den so genannten außerordentlichen Etat. Dort sah Allmendinger 400.000 Mark für die Ortskanalisation, 350.000 Mark für den Bau der Kläranlage mit Sammelkanal, 287.000 Mark für eine Turnhalle sowie 80.000 Mark für die Erneuerung von Wasserrohrleitungen vor. Gleichzeitig sollten die restlichen Darlehen auf einen Schlag getilgt werden: 85.045 Mark aus dem Schulhausbau und 6478 Mark aus der Erweiterung des Friedrich-Münch-Kindergartens. Die Ratsrunde stimmte dem Budget mit einem Gesamtvolumen von 1,53 Millionen Mark zu. Die Steuersätze: landwirtschaftliche Grundstücke 200 Prozent, sonstige Grundstücke 180 Prozent, Gewerbe 300 Prozent. Bei der Kassenlage stand eine Null im Passus über die Aufnahme äußerer Darlehen (STAM, Li B 325, S. 272 f).

Die Angst vor hohen Baukosten wegen eines miserablen Untergrunds

Beim Treffen der Bürgervertreter am 2. Oktober 1964 brach allerdings die Kontroverse wegen des Baugrundes wieder in der alten Heftigkeit auf, denn in unmittelbarer Nachbarschaft befand sich der ehemalige Brauereiteich, auch Eissee genannt. Die Angst vor hohen Baukosten wegen eines miserablen Untergrunds beherrschte die Debatte. Vor allem Ratsmitglied und Schneidermeister Emil Hafner wetterte gegen die zweite Baugrund-Untersuchung, die völlig unnötig gewesen sei. Hafner schien plötzlich mit seinen Bedenken nicht allein zu stehen. Der Bürgermeister brachte eilends einen Kompromissvorschlag ein: Der Gemeinderat solle dem Standort gegenüber der Schule unter der Bedingung zustimmen, dass die Mehrkosten wegen des Baugrunds auf 50.000 Mark gedeckelt werden können. In der namentlichen Abstimmung unterstützten den Allmendinger-Antrag die Gemeinderäte Benzenhöfer, Bolay, Geiger, Pfullinger, Schmollinger, Straub und Windpassinger, Hafner und Bonnet lehnten ab. Damit war der Schultes am Ziel, die Weichen gestellt. Und die Halle steht denn auch auf 110 Pfeilern.

Parkett genauso wie PVC standfest und trittsicher

Zwei Wochen danach beauftragte der Gemeinderat den Schultes mit der Ausschreibung der Rohbauarbeiten für den Hallenbau. Allerdings schoss Emil Hafner wieder quer. Lienzingen brauche keine Fest-, sondern nur eine Turnhalle. Allmendinger hielt dagegen. Der Gemeinderat habe eine weitsichtige Planung beschlossen. Es sei nicht immer zuerst die Kostenfrage maßgebend (S. 295).  Dann ging es, was die Arbeiten betraf, Schlag auf Schlag. In der Sitzung vom 19. Februar 1966 vergab der Gemeinderat ein erstes Paket von Aufträgen. Das Volumen: 418.000 Mark.  

Das Fest-Programm

Der Rohbauauftrag ging an Gerhard Nickel in Mühlacker. Weitere Gewerke folgten: Dachdecker- und Elektroarbeiten im Oktober 1965, Malerarbeiten und Blitzschutzanlage im Juni 1966. Im April 1967 schaute sich das Gremium Turnhallen mit Parkett- beziehungsweise PVC-Böden in Sinsheim, Heilbronn, Besigheim und Ludwigsburg an. Denn der Planer hatte berechnet, dass Parkett um 6000 Mark günstiger käme. Die Bürgervertreter stimmten am 13. April 1967 für Parkett, denn – so steht es im Ratsprotokoll, Parkett sei genauso wie PVC standfest und trittsicher, habe zudem eine längere Lebensdauer. Bei der Ausgestaltung der Bühne holte sich die Kommune Rat und Tat von den Theaterwerkstätten in Düsseldorf, legte das Ortsparlament am 13. April 1967 fest

Am 18. August 1967 regelte das Gremium die Details der auf 14. Oktober 1967, 16 Uhr, terminierten Einweihung. Für die geladenen Gäste wird nach der offiziellen Feier im Wirtschaftsraum ein Umtrunk mit belegten Brötern verabreicht, ist in der Sitzungsniederschrift zu lesen.

Doch erst elf Monate vor der Einweihung war ein zentrales Problem gelöst: die Übernahme des Wohnhauses der Familie Ölschläger in Gemeindeeigentum. So lange ging der Hallenbau-Krimi weiter – freilich waren weder Planung noch Finanzierung der ersehnten Mehrzweckhalle ein Problem, sondern einzig und allein das Wohnhaus Ö. Nach dem Tod des Eigentümers hatte die Gemeinde es mit einer Erbengemeinschaft zu tun. Am 7. August 1964 sagte der Schultes, momentan seien die Eigentumsverhältnisse noch unklar. Zwar habe die Witwe des Maurers, Agathe, dem Bauantrag für die Halle zugestimmt, doch sei für alle klar, dass ein Ersatzgebäude für das im Weg stehende Wohnhaus gefunden werden müsse. Im letzten Moment öffnete sich ein Schlupfloch. Das Haus Hauptstraße 144 (heute Friedenstraße 29) stand zum Verkauf feil. Bürgermeister, Gemeinderat und die in Roigheim lebende Eigentümerin wurden im November 1966 handelseinig über den Kauf des so genannten Heiß’schen Anwesens und dazu gehörender Wiesen auf verschiedenen Teilen der Markung Lienzingen: Die Kommune bezahlte summa summarum 50.000 Mark und überließ diese Immobilie der Erbengemeinschaft Ölschläger als Ersatz. Einen Hallenbau zu beginnen, obwohl eine Grundstücksfrage noch offen ist? Heute wäre das ein Unding (STAM, Li B 326, S. 2, 43, 91, 156, 158, 182, 295).

Auf früherem Grund und Boden der Brauereifamilie Schneider

Der letzte Baustein zum Sport-, Bildungs- und Freizeitzentrum im Herzen von Lienzingen: 1957 Einweihung Friedrich-Münch-Kindergarten, 1960 Einweihung der Schule, 1964 Fertigstellung des Fußballplatzes auf dem ehemaligen Eissee, nun 1967 die Inbetriebnahme der Gemeindehalle. Der entscheidende Durchbruch, um dieses Zentrum am Mühlweg, beim ehemaligen Bierkeller und auf dem inzwischen trocken gelegten Eissee der ehemaligen Brauerei Schneider in Lienzingen realisieren zu können, schaffte der Bürgermeister schon 1953.  Der Kommune gelang es seinerzeit, den Erben des 1952 verstorbenen Dr. Otto Schneider ihren gesamten Besitz an Immobilien und Liegenschaften im Ort abzukaufen. Mit dabei das Areal, auf dem die Gemeinde nun ihr Zentrum verwirklichte. Das war der Schlüssel zum Erfolg. Denn, so das Ortsoberhaupt: Die Gemeinde besaß bis dahin keinen Quadratmeter Boden.

Waldverkauf und Markungstausch: Mühlacker bezahlte Lienzingen 1,1 Millionen Mark, um seine Pläne für die Wohnsiedlung Heidenwäldle verwirklichen zu können. Mit diesen Einnahmen fiel der Hallenbau den Lienzingern finanziell leichter (Repro: Stadtarchiv Mühlacker)

Die Gemeinde habe nun ihre Aufgabe auf dem kulturellen Sektor erfüllt, sagte der Bürgermeister am 17. März 1967 vor dem Ortsparlament. Es gäbe nur wenige Gemeinden im Land, die bei gleichen wirtschaftlichen und strukturellen Verhältnissen eine solche Feststellung treffen könnten.  Selbstverständlich sei niemand von Kritiken gefeit, diese müsse man eben hinnehmen. Damit spielte der Schultes auf Kritik von Mitgliedern des Turnvereins Lienzingen an – nicht am Neubau, sondern an dessen Folgen für den 1926 errichteten Anbau an der Kelter, den sie bis dato für Übungszwecke nutzten und den sie gerne behalten hätten. Derweilen meldete die Kommune aber dringenden Eigenbedarf an als Lagerstätte für Feuerwehr und/oder Bauhof. Die Vertreter des Turnvereines kreideten in der Sitzung dem Bürgermeister den Austritt aus ihrem Verein an. Ohne Garantie der Gemeinde für die Nutzung der neuen Halle durch den TV wolle der Verein den bisherigen Übungsraum nicht aufgeben. Zudem beanspruchte der TV eine alleinige Nutzung der Turngeräte in der neuen Halle. Das Treffen endete ohne Ergebnisse, der Turnverein wollte nochmals in sich gehen und seine Position schriftlich darlegen.

Der Bürgermeister sah trotz dieser immensen Investitionen in kurzer Zeit die Gemeinde gut aufgestellt.  Die finanzielle Lage der Kommune sei gesund, sagte er am 3. Mai 1967 bei der Vorberatung des 926.000 Mark Volumen umfassenden Haushaltsplanes 1967. Die Steuerkraftsumme habe sich wieder etwas erhöht, liege jetzt bei 242,14 Mark je Einwohner. Pro Lienzinger stehe die Gemeinde mit 41 Mark in der Kreide – jährlich fielen 2688 Mark für Zins und Tilgung an. Der Schultes stellte dem das Vermögen der Gemeinde gegenüber, allein 200.019 Mark aus Anteilen an der Energieversorgung Schwaben (EVS) und 68.666 Mark in der allgemeinen Rücklage, davon 11.465 Mark für den Bau der Gemeindehalle. Das Geld sollte weiterhin demselben Zweck zugutekommen: der Turn- und Festhalle, aber nicht den Bauaufwendungen, sondern der laufenden Unterhaltung. Der Schultes dachte eben über den Tag hinaus.

Die Stimmung war gut im Dorf. Und der Bürgermeister kümmerte sich selbst um die kleinsten Dinge, was ein kurzes Schreiben vom 5. Oktober 1967 an die beiden örtlichen Metzgereien Gerhard Ehmendörfer und Eugen Benzenhöfer belegt. Zitat aus dem Originalschreiben:

Betr.: Lieferung von Wurstwaren für die Einweihung der Turn- und Gemeindehalle

Sehr geehrter Herr! Bei der Nachrechnung der bestellten Wurstwaren – enthäutet, fein aufgeschnitten – habe ich mich versehen. Ich bitte, die Menge um die Hälfte zu kürzen, sodaß anstelle von 14 kg nur 7 kg insgesamt, entsprechend aufgeteilt, in Betracht kommt. Ich bitte um Beachtung. Hochachtungsvoll Bürgermeister Allmendinger

Dann war es so weit, der große Tag nahte. Bei der Einweihungsfeier am Samstag, 14. Oktober 1967, 16 Uhr, sang der Gesangverein Freundschaft Lienzingen, redeten der Bürgermeister, Architekt Hansjörg Buck, Landrat Erich Fuchslocher, Sportkreisvorsitzender Erwin Grabenstein und der Sprecher der Lienzinger Vereine, Willy Tochtermann. Die Halle steht – nun macht etwas daraus, titelte das Württembergische Abendblatt, Bezirksausgabe der Pforzheimer Zeitung für den damaligen Kreis Vaihingen. Hier trafen die beiden Kommunalpolitiker wieder aufeinander, die diesen Erfolg zimmerten: Der Landrat in seiner vormaligen Position als Bürgermeister von Mühlacker, der mit seinem Lienzinger Kollegen den Waldverkauf über die Runden brachte. Der Schultes lobte Fuchslocher als den Miturheber dieses Baues. Also sagte Allmendinger in seiner Rede: Zwei Nachbargemeinden beschritten in vorbildlicher Weise den einzig richtigen Weg, der nicht nur Beiden dienlich ist, sondern darüber hinaus ein nachbarschaftliches Verhältnis schuf, welche in der Zukunft erst recht berechtigte Hoffnung auf ein beidseitiges gedeihliches Zusammenleben in sich birgt. (…) So können wir (in Lienzingen) getrost in die Zukunft blicken.

Vorne rechts: Der Anbau an die Kelter für die Übungsstunden des Turnvereins Lienzingen, 1956 von Volker Ferschel aufgenommen

Kaum war die Halle in Betrieb, rückte ihre pflegliche Behandlung in den Vordergrund, wie ein Blick in das Protokoll der Ratssitzung vom 31. Oktober 1967 beweist. Für die Erhaltung der wertvollen Kücheneinrichtung und für die Sicherheit des Inventars und der Geräte sei ständiges Küchenpersonal notwendig. Veranstalter mussten das vierköpfige erfahrene Küchen-Team buchen: Berta Eitelbuß, Else Jäger, Lore Rieger und Ella Adam. Der Gemeinderat stimmte zu, forderte gleichzeitig Maßnahmen, damit Besucher nicht auf den Tischen tanzen.

Berta Eitelbuß vom Küchenteam (Foto: Link, Schmie)

In derselben Sitzung nannte der Schultheiß die Namen der Spender für den Hallenbau: Berta Münch, Witwe des Ehrenbürgers Friedrich Münch, mit 10.000 Mark, Kaufhaus Sämann sowie Hagenbuch & Stoll jeweils 500 Mark, Josef Streit 300 und Wilhelm Bolay 20 Mark (STAM, Li B 326, S. 189 f).

Klartext à la Allmendinger

Schon während der Bauarbeiten begann der Streit um (versteckte) Pleiten, Pech und Pannen. So schickte das Bauunternehmen Otto Ezel aus Illingen am 31. Januar 1966 der Gemeinde eine Rechnung von 90.518 Mark und 41 Pfennige für Rammarbeiten für die Pfahlgründung, wobei somit klar war, dass die vom Gemeinderat geforderte Deckelung des Mehraufwandes für die Gründung auf 50.000 Mark das Papier nicht wert war, auf dem dieser Beschluss steht. Der Bürgermeister verwies darauf, täglich auf der Baustelle gewesen zu sein, also mitreden zu können. Ezel habe den Stahl zu teuer eingekauft, verlange zu viel für die Bohrlöcher: Wenn in einem Probeloch Wasser steht, wenn Schilf wächst und wenn Rammarbeiten für eine Gründung durchgeführt werden müssen, weiß jeder Baufachmann, was er im Falle der Übernahme der Bauarbeiten zu erwarten hat. Andernfalls verdient er diese Bezeichnung nicht. Klartext à la Allmendinger, was wiederum Ezel veranlasste, ein Stuttgarter Anwaltsbüro einzuschalten.

In einem Schreiben an den Architekten beklagte der Bürgermeister am 8. Dezember 1967 enorme Kostenüberschreitungen gegenüber den Angebotssummen, wobei er beispielhaft die Schreiner- und Schlosserarbeiten nannte (zusammen 67.575 statt 60.376 Mark). Er, Allmendinger, halte eine eingehende Aufklärung des Gemeinderats für absolut nötig.

Den Vorwurf wollte wiederum die Glaserei Schneider für ihr Gewerk nicht auf sich sitzen lassen. Aus ihrem Brief vom 29. Februar 1968 an die Gemeinde Lienzingen: Mit Befremden muss ich feststellen, dass man über ein Jahr braucht, um einen Sündenbock für eine zu nieder angesetzte Angebotssumme zu finden, wobei das Unternehmen mit der Einschaltung eines Obergutachters und eines Anwalts drohte.  Nicht nur das: Im März 1968 weitete sich der Kreis der Firmen aus, mit denen Allmendinger wegen der Schlussrechnung im Clinch lag. So beschwerte er sich am 3. Januar 1969 bei der Handwerkskammer Stuttgart über die örtliche Flaschnerei Hermle wegen Verzugs in der Rechnungsstellung, wobei er sich einen Seitenhieb nicht verkneifen konnte: Gerade Hermle war es wohl, der durch die auf Initiative des Unterzeichneten erfolgte Entwicklung der Gemeinde von den örtlichen Handwerkern davon am meisten profitierte. Umstritten war, dass Allmendinger Skonto von 1369,68 Mark von der Schlussrechnung abgezogen hatte.

Die Gemeindehalle bei der Einwohnerversammlung 2019

Im Juli 1969 kühlte sich das Verhältnis zwischen dem Lienzinger Bürgermeister und Architekt Hans-Jörg Buck sowie seinem Vater Jakob deutlich ab. Beide Seiten warfen sich gegenseitig vor, über den jeweils anderen schlecht geredet zu haben. Allmendinger behauptete, die Architekten hätten die Handwerkerrechnungen nicht ausreichend geprüft. Inzwischen gab es im Fall Flaschnerei eine Einigung: Nach einer gegenseitigen Aufrechnung von Gewerbesteuer und der umstrittenen Forderungen aus dem Hallenbau schickte Hermle einen Scheck über 390 Mark ans Rathaus. Der Fall war nun erledigt, das Verhältnis zwischen beiden Seiten blieb angespannt. Im September 1969 meldete sich im Auftrag der Architekten Buck ein Pforzheimer Anwaltsbüro und wehrte sich gegen die vom Schultes vorgenommene Kürzung des Honorars um 1020 Mark.

Der Streit um Regress, Resthonorare und angeblich unzureichende Leistungen fand kein Ende, denn an einem Tag im Mai des Jahres 1970 drang erneut - nach einem schweren Gewitter - Wasser in die Turnhalle, in den Kleinen Saal sowie in die Herren-WC. Allmendinger schickte seine Schadensmeldung per Einschreiben an Buck. Der Fall zog sich hin: Einschaltung eines Sachverständigen durch die Gemeinde, der in seinem Bericht von Anfang 1971 durchaus Mängel bei den Arbeiten der Glaserei sah. Einen Monat zuvor war dieses Ärgernis auch Thema im Gemeinderat. Jedenfalls füllten die Schriftwechsel, in denen öfters mit dem Gang vor den Kadi gedroht worden war, einen dicken Aktenordner, der sich inzwischen im Fundus des Stadtarchivs Mühlacker – Signatur: Li SA 790 – befindet.

Lienzingen hatte jedenfalls nun seine neue Halle. Den Anbau an die Kelter durfte die Gemeinde, wie vom Schultes gewünscht, als Lager für Feuerwehr und Bauhof verwenden, der Fronmeister seinen Unimog darin abstellen. Im Jahr 2015 ließ die Stadt Mühlacker den Anbau im Zuge der Erneuerung der Kelter im Rahmen der vom Land unterstützten Ortskernsanierung abreissen.

Der Hirsch-Saal ersetzte bis 1967 die Gemeindehalle

Und was wurde aus dem Hirsch-Saal? Das gibt die nächste Geschichte.

 

 

Trackbacks

Trackback-URL für diesen Eintrag

Kommentare

Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Kommentare werden erst nach redaktioneller Prüfung freigeschaltet!


Um maschinelle und automatische Übertragung von Spamkommentaren zu verhindern, bitte die Zeichenfolge im dargestellten Bild in der Eingabemaske eintragen. Nur wenn die Zeichenfolge richtig eingegeben wurde, kann der Kommentar angenommen werden. Bitte beachten Sie, dass Ihr Browser Cookies unterstützen muss, um dieses Verfahren anzuwenden.
CAPTCHA

Umschließende Sterne heben ein Wort hervor (*wort*), per _wort_ kann ein Wort unterstrichen werden.
Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.