Machtzentrale? Nein, zu hochgestochen! Entscheidungszentrum? Hört sich an wie das Lagezentrum einer Polizeidirektion. Als weiland Richard Allmendinger im Lienzinger Rathaus regierte (1947 bis 1975), war der Raum in der ersten Etage – gleich nach der Treppe rechts, dann links - sein Amtszimmer. Der Umschlagplatz für Informationen, Entscheidungen und auch für ein bisschen Dorfklatsch. Der Schultes an einem Schreibtisch, der auf Zweckmäßigkeit, aber gleichzeitig auf Sparsamkeit bei Entscheidungskriterien für die Anschaffungen schließen ließ. Von diesem Eckzimmer aus wurde die Kommune gesteuert.
Lienzinger Geschichte(n): Meine Serie zur Nachkriegsgeschichte der selbstständigen Gemeinde Lienzingen. Mit Richard Allmendinger als Bürgermeister, dem aufsässigen Gemeindepfleger Emil Geißler, der Schultes-Attacke im Gemeinderat, einer äußerst sparsamen Verwaltung und vieles mehr aus Protokollen des Rats und Akten der Verwaltung, aber auch eigenem Erleben
Herr Bürgermeister, man sott on des möglichscht schnell … Das war er: Auskunftsstelle, Klagemauer, Ideensammler, Antriebsfeder, Entscheider, Wünsche-Verweigerer, Adressat für Lob und Kritik in einer Person. Die Tür zu seinem Raum stand häufig offen, so sah er meist, wer kam und wer ging. Der Bürger in Rufweite. Der Schultes, gleichzeitig einziger Beamter und oberster Sachwalter der Gemeinde, als Mann, der vieles wusste, aber nicht alles sagte.
Im lang gestreckten Raum vor dieser Chef-Leitstelle das Vor- und Auskunftszimmer, fest in weiblicher Hand, wobei das nicht auf mehrere Personalstellen schließen lassen darf. Ganze zwei Verwaltungsangestellte waren es zuletzt: Lieselotte Zach, seit Ende der vierziger Jahre dabei, und Marianne Thumm, die bei der Gemeinde Lienzingen zunächst 1960 mit der Lehre begann und dann dort bis zur Zwangseingemeindung der Kommune nach Mühlacker 1975 blieb. Links ab der Treppe führte der Weg zum Gemeindepfleger, zuletzt Walter Vogt.
Ab und zu schaute im Rathaus der Hausmeister, der die Schule und die benachbarte Gemeindehalle gleichermaßen betreute. Zudem musste im Vorzimmer der beiden Mitarbeiterinnen ein kleiner Platz freigehalten werden für den Amtsboten, der Briefe zustellte, Anschlagkästen bestückte und bis um 1970 die amtlichen Bekanntmachungen ausschelte. Wilhelm Scheck (Jahrgang 1899) war der letzte Amtsbote Lienzingens, der - bis Anfang 1969 - die amtlichen und andere Nachrichten noch durch Ausrufen an verschiedenen Stellen im Ort bekannt gab. Für die Dorfjugend ein Erlebnis.
Des Fronmeisters Arbeitsplatz wiederum war praktisch die ganze Markung mit einem Stützpunkt in der Kelter für Unimog und Gerätschaften – dieser technische Mitarbeiter hieß Dieter Straub zuletzt, zuvor sein Vater Karl. Ab und zu diente er auch als Chauffeur des Chefs.
- Klein, sparsam, schlagkräftig. Traumhaft niedrige Personalkosten
Das war sie, die Verwaltung: klein, sparsam, trotzdem schlagkräftig. Ein Blick in die Haushaltspläne der Kommune verrät traumhaft niedrige Personalkosten pro Einwohner: 54,60 Mark anno 1963, acht Jahre später 56,26 Mark. Je Kopf nahm die Gemeinde 150,51 Mark an Steuern 1963 ein, 1971 waren es 329,20 Mark (Durchschnitt im Landkreis Vaihingen 393,06 Mark). In der gleichen Gemeindegröße sind es aktuell in Baden-Württemberg je Einwohner an Steuern 1452,11 Euro (wären 2840,08 Mark).
Gemeindepfleger? Nein, das war keine Pflegekraft, der sich um die Kranken im Ort kümmerte. Der hier gemeinte Gemeindepfleger pflegte die Finanzen der Kommune. Entweder Fachbeamter für das Finanzwesen - im Falle Lienzingen hatte nur der Bürgermeister selbst diese Voraussetzungen, der auch eigenhändig den jährlichen Etat aufstellte – oder aber die rechte Hand des Schultes als Kassenverwalter. 26 Jahre war dies, wenn auch nur in Teilzeit, Emil Geißler: vom 7. Juli 1934 ohne Unterbrechung bis 31. Dezember 1961. Zuerst mit der Amtsbezeichnung Beigeordneter, dann von 1946 an als Gemeindepfleger (Stadtarchiv Mühlacker=STAM, Li B 326, S. 122).
- Mängel in der Amtsführung des Gemeindepflegers
Zwischen Geißler, gleichzeitig Landwirt im Ort, und Allmendinger, jüngerer und umtriebiger Fachmann von außen, knirschte es immer wieder, kam es auch zum offenen Streit. Eine heftige Attacke ritt der Schultes in der Gemeinderatssitzung am 11. November 1960. Im Verlauf der Unterhaltung am Schluss der Sitzung – unter Punkt 10 – seien Tätigkeit und Verhalten von Emil Geißler zur Sprache gekommen, heißt es in dem vom Bürgermeister verfassten Protokoll. Er zitierte sich selbst, sprach demnach von einzelnen Mängeln in der Amtsführung des Gemeindepflegers.
Die Vorwürfe hatten es in sich, hätten für den Rausschmiss gereicht. Geißler widersetze sich, so weiter im Protokoll, den Anweisungen des Bürgermeisters, zeige auch kein allzu großes Interesse am Einzug der ihm obliegenden Pflicht beim Einzug der Steuern und Abgaben. So habe Geißler schon wiederholt die Annahme von Zahlungen verweigert oder Gegenforderungen der Gemeinde mit Forderungen der Schuldner nicht verrechnet. Ernsthafte Ermahnungen des Bürgermeisters hätten nicht immer genutzt und stets zu unliebsamen Auseinandersetzungen geführt. Gemeindepfleger Geißler habe in letzter Zeit Zahlungsanweisungen des Bürgermeisters verweigert, weil er das Konto der Gemeinde nicht habe überziehen wollen, obwohl der Gemeinde ein Kassenkredit von 10.000 Mark zur Verfügung stehe.
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