Gedenken, Trauer und viel Kommerz - Der D-Day und die Freiheit

Zugegeben, die Ortsnamen sagten mir zuvor nichts. Außer, dass die Siedlungen in Küstennähe, des Zusatzes sur Mer wegen, zu vermuten sind. Doch Longues-sur-Mer, Colleville-sur-Mer, Courseulles-sur-Mer sowie Arromanches-les-Bains auf der französischen Seite des Ärmelkanals stehen für mehr: Als Synonyme für die Befreiung Europas vom Hitler-Totalitarismus -  Anlandestellen der Alliierten an der normannischen Küste am D-Day. Spurensuche. Ein Jahr vor dem nächsten großen Jubiläum, den 80-Jahr-Gedenkfeiern, sind wir drei Tage lang an einigen der Schauplätze an der normannischen Atlantikküste unterwegs und stoßen auf eine nicht immer einfach Erinnerungskultur - zwischen Gedenken, Trauer und Kommerz.

Reste des künstlichen Hafens am Strand von Arromanches-les-Bains, der Anlandestelle der US-Army im Morgengrauen des 6. Juni 1944. Heute Touristenattraktion. (Fotos: Günter Bächle).

Fünf Jahre nach Kriegsende geboren, nur die Freiheit und den Frieden in Europa kennend, sind diese Ereignisse für meinen Jahrgang nur mehr Themen in Geschichtsbüchern, Museen und Gedenkstunden. Doch die - rein theoretische - Frage drängt sich auf: Was wäre geschehen, wäre die Umsetzung der Idee der künstlichen Häfen vor den Küstenorten der Normandie gescheitert

D-Day als Souvenir vermarktet - eine Bild-Kombo

Hier, mit dem Kriegseintritt der Alliierten begann, dass die Menschen in unserer Heimat - etwa zehn Monate später als Folge des Kampfes gegen Nazi-Deutschland - endlich dem heiß ersehneten Frieden näher kamen. Ohne auf große Widerstände zu stoßen, besetzten alliierte Truppen am 6. April Maulbronn und Ötisheim, anderntags folgten Schmie und Lienzingen. Mit dem Einmarsch französischer und US-amerikanischer Truppen endete zwischen dem 27. März und dem 30. April 1945 in Württemberg, Baden und Hohenzollern der Zweite Weltkrieg – noch vor der offiziellen, bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reichs am 8. Mai 1945. Ich erinnere mich an einen Besuch im Kapitulationsmuseum in Reims im Jahr 2018. Dort werden an den Wänden raumhohe Landkarten Europas mit den Transportwegen der Alliierten gezeigt - riesige, zugleich kleinteilig gehaltene Landkarten, so dass selbst Lienzingen, Mühlacker, Dürrmenz (gesondert!), Schmie und Schönenberg eingezeichnet sind. 

Ehemaliger deutscher Bunker. Über der normannischen Küste bei Longues-sur-Mer.
In 1a-Lage, was den Ausblick betrifft: einer der Bunker oberhalb der Atlantikküste

Auf normannischem Boden startete die größte Militäraktion der Geschichte, deren Auswirkungen bis ins letzte Dorf des Kontinents zu spüren waren. So eng hängen die geschichtlichen Abläufe zusammen. Wer von einem der Bänke am Uferweg, dem Quai du Canada, von Arromanches auf Ufer und Meer blickt, sieht noch Reste eines der beiden künstlichen Häfen. Die Frage drängt sich auf, wie diese militärische Operation logistisch verkraftet wurde - der kleine Ort mit seinen engen Straßen und Gassen. Inzwischen lebt der 465-Seelen-Ort vom Tourismus, jener von der Erinnerung an den D-Day.

Künstliche Häfen? Die Soldaten entwarfen die Pläne, wobei eine der Ideen dazu der britische Premierminister Winston Churchill hatte. Die Einzelteile wurden in England zusammengebaut, von dort  über den Ärmelkanal an die Küste der Normandie transportiert, vor der Küste aufgestellt. Das Wetter musste passen. Absichtlich wählten die Alliierten nicht die engste Stelle des Ärmelkanals, wie die Deutschen vermuteten.  Sie fielen auf einen Trick herein: Die Alliierten ließen bei Dover Armee-Attrappen aufstellen, um die Gegner  abzulenken. Nicht ohne Erfolg.

Der Schlachtplan für den 6. Juni 1944: Amerikaner, Briten und Kanadier - jedes Land hatte einen eigenen Sektor.

Zur Einordnung: Im Rahmen der Konferenz von Teheran im Jahr 1943 war von den Hitler-Gegnern beschlossen worden, eine zweite Angriffsfront im Westen zu errichten. Sie sollte die Angriffe der Roten Armee im Osten unterstützen und die Landung der Alliierten an der Küste der Normandie zwischen La Madeleine (Manche) und Ouistreham (Calvados) vorbereiten. Der Sturm erfolgte am Dienstag, den 6. Juni 1944 im Morgengrauen. Gekämpft wurde an fünf Stränden: Utah Beach und Omaha Beach (Landung der Amerikaner), Gold Beach, Juno Beach und Sword Beach (Landung der Anglo-Kanadier). Gegen 8 Uhr kamen die ersten Soldaten an Land an. 

Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika setzten über im Morgengrauen des 6. Juni 1944 (Quelle: Normandy American Centery)

Mehr als 3100 Landungsboote setzten - über die zuvor geschaffenen künstlichen Häfen auf normannischer Seite - in der ersten Welle von Großbritannien nach Frankreich über. Mit 1200 Kriegsschiffen und 7500 Flugzeugen landeten nach offiziellen Angaben 150.000 Amerikaner, Briten, Franzosen, Polen sowie Kanadier und weitere Commonwealth-Angehörige. Gleichzeitig brachten Fallschirmjäger und Luftlandetruppen wichtige strategische Punkte im Hinterland unter ihre Kontrolle, unterstützt von den Gruppen des französischen Widerstands, für den  Charles de Gaulle unverbrüchlich stand. Schon sechs Tage später gelang es rund 330.000 alliierten Soldaten mit 54.000 Fahrzeugen, die fünf Landungsköpfe zu einer zusammenhängenden Front von 100 Kilometern Länge und 30 Kilometern Tiefe zu verbinden.

<< Aber ist das letzte Wort gesagt? Sollte die Hoffnung verschwinden? Ist die Niederlage endgültig? NEIN! Für Frankreich ist nichts verloren. >> Charles de Gaulle 1940 mit seinem Aufruf an die Franzosen. Er hielt 1944 seine erste Rede nach dem Eintritt der Alliierten in den Krieg auf dem Marktplatz von Bayeux, der ersten Gemeinde, die die Deutschen aufgaben  (Quelle: Juno Beach Center)

Das Unternehmen Overlord. Während die Alliierten  an jenem Juni-Tag ihren Überraschungscoup schafften, wenn auch mit Tausenden von Verletzten und Gefallenen, kapitulierten Tage später deutsche Soldaten in  den steinernen und wichtigen Bunkern hoch über der Küste von Longues-sur-Mer. Die Bunker waren Teil des sogenannten deutschen Atlantikwalls, den Generalfeldmarschall Erwin Rommel sicher und nicht durchlässig wähnte. Ein Irrtum! Etwa 24.000 deutsche Soldaten waren seinerzeit in der Normandie stationiert. Sie leisteten erbitterten Widerstand.

Szene im Overlord-Museum - nachgestellt und verdichtet
Die Kanadier erinnern auf blauen Namentafeln vor dem Junp Beach Center an ihre Gefallenen

Der Historiker Peter Lieb schreibt der Landung der Alliierten in der Normandie 1944 weniger eine militärische Bedeutung zu, dafür aber eine politische. Durch diese militärische Operation sei verhindert worden, dass West- und Mitteleuropa in die Hände Stalins gefallen wären.

Dieser Blog-Beitrag soll nicht mehr sein als eine Sammlung eigener Eindrücke 79 Jahre danach, vor Ort, bei zufällig ausgewählten Erinnerungspunkten. Eigentlich ein fern liegendes und persönlich eher fremdes Thema. Der Text erhebt weder den Anpruch auf Vollständigkeit noch auf Wissenschaftlichkeit. (Zum Vertiefen die mit großem zeitlichen Aufwand gesuchten Links!) Hier schreibt jemand, der die Dinge mit journalistischem Blick sah.

Overland-Museum: Auch deutsche Marken mit viel Liebe zum Detail präsentiert, so der Kübelwagen von VW

Auffällig zum Beispiel die Gegensätze des Erinnern heute, den der Besuch im Overlord-Museum in Colleville offenbart. Weniger Geschichtsschreibung, mehr Disneyland.

Schaufensterpuppen in Uniform - und Efeu an der Hauswand

Das Museum auf Omaha Beach, dem US-Teil des Landungsgebiets, ähnelt mit seinen 25.000 Objekten eher einem Technik-Museum mit Fahrzeugen der deutschen und alliierten Truppen wie jenem in Sinsheim - jedes versehen auf davor platzierten Tafeln in Englisch, Französisch und Deutsch mit genauen Daten, unter anderem über Hersteller und PS, eingebettet in nachgestellte Szenen dank Schaufensterpuppen in Uniformkluft.

Happy-Ende: Die chice Mademoiselle dankt den US-Soldaten für die Befreiung

Die Menschen schieben sich nachgerade zwischen Kastenwagen, Panzer und anderem motorisiertem Material durch die Gänge. Schlechte Luft, warm ist es. Die Schlacht als Ziel von Familienausflügen? Was, verdammt, suchen da Dreijährige? 

Dieser Weg führt die Besucher schnurstraks in einen großen Souvenir-Shop. Geschäfte mit Nachgemachtem, Military-Look bei Jungen-Kleidung, Schnapsgläschen mit patriotischen Bildchen.

Omaha Beach - Landezone der Amerikaner

Im selben Ort der Kontrast: der amerikanische Soldatenfriedhof, bewacht von Angehörigen der US-Army, die die Besucher kontrollieren, abtasten. Haben Sie so etwas wie ein Messer oder ähnliches dabei?  Die Welt ist nicht friedlicher geworden, die Amerikaner wollen die Todesruhe nicht stören lassen. 

US-Soldatenfriedhof: Fast 10.000 weiße Kreuze und eine Gedenkstätte erinnern an die bei der alliierten Landung in der Normandie gefallenen Soldaten

Ein Ort der Trauer. Normandy American Cemetery - ein würdiger Gedenkort mit 9.387 Gräbern und einem Mahnmal für 1557 Vermisste der US-Armee. Am Eingang des Friedhofs befindet sich eine Kapsel, die am 6. Juni 2044, ein Jahrhundert nach dem D-Day, geöffnet werden soll. Sie enthält eine Botschaft von Dwight D. Eisenhower aus jenen Tagen, dem Oberkommandierenden der Alliierten und späteren US-Präsidenten, an künftige Generationen. In dem Saal mit der Kinobestuhlung laufen etwa alle halbe Stunde Filme über junge Amerikaner, die bei der Landung in der Normandie ihr Leben lassen mussten. Viel Pathos zwar, aber das gehört dazu. 

Im musealen Teil der US-Gedenkstätte ein Exemplar der Sperren der Deutschen gegen Panzer der Alliierten

Wie in einer Endlosschleife werden die Namen der Gefallenen verlesen - in einem Durchlass von dem sehr informativ aufgebauten Museum im Inneren des Gebäudes nach draußen zu den Feldern mit den weißen Kreuzen. Selbst an diesem Regentag lässt sich wohl niemand abhalten vom Besuch einer Plattform  oberhalb der Stelle der Anlandung der US-Soldaten anno 1944. Im rückwärtigen Bereich die monumentale Statue des Gedenkens, die in Steintafeln gehauenen Namen der Gefallenen. 1000 bei der Landung, 9000 danach. Gewaltige Bäume und Sträucher säumen die Wege. Ohne Regenschirm werden diese Stunden allerdings zur Qual. 

Eine beeindruckende Gedenkstätte wie auch jene für die Kanadier in Courselles-sur-Mer. Neun von zehn Soldaten der kleinen Armee fielen beim Übersetzen an die normannische Küste oder danach. Blaue Tafeln vor dem Museum listen die Namen der Toten auf. Das Juno Beach Center arbeitet vor allem auch die Motive auf, die zum Kriegseintritt von Kanada führte, das seinerzeit gar keine Armee hatte. 

Die Region Normandie hält die Erinnerung wach an jenen 6. Juni 1944. Die Schrecken dieser Schlacht wenigstens cineastisch  nachempfinden - geht das?  Ja, sagten sich die Erbauer des 360-Grad-Kinos auf den Höhen des 480 Einwohner zählenden Seebades Arromanches-les-Bains. Die alten Originalaufnahmen aus den ersten 100 Tagen der Befreiung durch die alliierten Truppen zeigen die ganze Härte und Grausamkeit dieses Kampfes. Den Zuschauer befällt unweigerlich das Gefühl, sozusagen Zaungast zu sein - Zuschauer beim Sterben. Opfer sind Soldaten, die nicht lange gefragt worden waren, ob sie weit weg von der Heimat ihr Leben aufs Spiel setzen wollen. Die verheizt wurden, unter welcher Flagge auch immer.

Original-Stück vor dem Museum in Arromanches

Was hättest Du getan? Eine Frage, die ohne Antwort bleibt. Theorie-Diskussion ohne Nutzen, die aber wenigstens den Willen stärkt, für Freiheit und Frieden aktiv einzutreten. Noch 79 Jahre nach dem D-Day. 

Alles Originale: Bunker der deutschen Soldaten über der Küste als Teil des Atlantikwalls, die allerdings von den Alliierten im Juni 1944 überrannt wurden
Deutsche Bunker als mahnende Zeitzeugen

An den Laternenmasten entlang der Straßen die französischen, amerikanischen,  britischen und kanadischen Flaggen und Fotos von Soldaten. Manchmal tauchen auch die deutschen Farben auf. Bayeux war die erste Stadt, die die deutschen Besatzer räumen mussten. Dort wohnten wir in einem kleinen Hotel, gingen und fuhren entlang der Küste auf Spurensuche.

Bunker-Szenen

So wie 1944 verlassen - deutsche Stellung in Longues-sur-Mer

So auch in Longues-sur-Mer: Die ehemals deutschen Bunker sind unterschiedlich gut erhalten, waren von den Alliierten zur Sicherung der künstlichen Häfen, damit des Nachschubs an Soldaten und Geräten, übernommen worden, als sich die deutschen Militärs ergeben hatten. Heute sind sie mahnende Zeitzeugen an der französischen Küste. 

Fazit: Zukunft braucht Erinnerung.

Jedes Detail des Bunkerinneren zieht Blicke und Kameras auf sich
Hintereingang zum Bunker

Eines fällt an allen Stationen auf. Das große Interesse, die vielen Besucher und natürlich - wohl eine Folge - die guten Umsätze der Museumsshops. Befreiung wird zur gewaltigen Kommerz-Nummer. Auch das liefert das Netz: So planen Familien ihren Ausflug zu den Landungsstränden - gute Tipps gibt es dazu in einem Reiseblog. Und einen Link zu einem mehr als eine Stunde langes Video zur Landung. Alles auf Youtube. Wer es übersichtlich haben will, hier eine Statistik über die Stärkeverhältnisse.

Ach ja, wir konnten uns den Shops auch nicht gänzlich entziehen. Ein ausführlicher und gewichtiger Band über den D-Day für 44 Euro und für mich ein dunkelbaues Viertelliter-Trinkbehältnis für, glaube ich, vier Euro und fünfzig Cent - nein! 9,95 Euro! Aufschrift: Arromanches360. Zum Anbringen am Hosenbund.

Kinderspielzeug - mehr inzwischen nicht. Das ist gut so.

Eher im Kleinen: Military-Händler an einer der drei Hauptstraßen von Arromanches-les-Bains - buntes Treiben, Schnickschnack und farbenreiche Aushänge erinnern fast an das bunte Bild von Straßen in der Touristen-Metropole Rüdesheim am Rhein

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