Das Geschichtsportal des Enzkreises - Neu im Netz

Der Dreißigjährige Krieg (von 1618-1648) im Großraum Pforzheim wurde bisher weder wissenschaftlich noch heimatkundlich aufgearbeitet. Diese Lücke ist jetzt geschlossen worden. Dieses erstklassige Geschichtsprojekt machte der Enzkreis möglich. Der Leiter seines Kreisarchivs, Konstantin Huber, und sein achtköpfiges Team, leisteten Wunderbares, nicht Alltägliches: Sie bauten mit den Resultaten gleichzeitig ein digitales Enzkreis-Geschichtsportal auf. Ein Portal, einzigartig unter den bundesdeutschen Landkreisen, das nicht nur Experten anspricht, sondern gerade auch interessierte Laien. . Titel des Projektes: Sterben und Leben – der Dreißigjährige Krieg zwischen Oberrhein, Schwarzwald und Kraichgau.

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Archivchef Konstantin Huber (links) über die Kirchenbücher als Nachrichtenquelle - bei der wissenschaftlichen Tagung im Landratsamt Enzkreis in Pforzheim.

Erstes Projekt also: Der Dreißigjährige Krieg, ausgelöst im Mai 1618 durch den Prager Fenstersturz, ein Akt der Auflehnung protestantischer Adliger, den der katholische Habsburger Kaiser Matthias als Kriegserklärung wertete. Er hatte die Rechte der Protestanten eingeschränkt, doch diese forderten Religionsfreiheit. Gewaltsam will der Kaiser in Wien die protestantische Rebellion im Keim ersticken. Es beginnt der Dreißigjährige Krieg, der fast ganz Mitteleuropa in den Abgrund reißt. Er brachte Not und Elend über Europa. Verwüstete Städte und Dörfer blieben zurück, alles im Namen der sich wegen der Konfession streitenden katholischen und protestantischen Herrscher. Wir wissen vieles/manches aus Schulbüchern, Nachschlagewerken, Filmen und allgemein in Publikationen über Kriegsparteien, Schlachten, über Wallenstein, Gustav II. Adolf, Tilly. Die Pest gab den Menschen den Rest.

Mit einem Klick zu einem Ort: Die Grundkarte im Geschichtsportal Enzkreis (Fotos und Repro: Günter Bächle)

Wie litten darunter die Menschen auf den Dörfern im Großraum Pforzheim, im heutigen Grenzraum von Baden und Württemberg, in Pforzheim, im Kraichgau, am Oberrhein und im Nordschwarzwald? Ein groß angelegtes Forschungsprojekt mit einer sehenswerten Ausstellung im Landratsamt Enzkreis in Pforzheim (mit Begleitprogramm und Magazin), eine wissenschaftliche Tagung in dieser Woche im Kreishaus mit namhaften Referenten, einer Veranstaltungsreihe die nächsten Monate über in verschiedenen Gemeinden des Landkreises, im Jahr 2024 einer große Buchpublikation. Und die überraschende Erkenntnis, dass Pforzheim im Dreißigjährigen Krieg zehn Jahre lang bairisch war. So lang als ihme von Jugendt auf denckhet, seye herumb Krieg gewesen. Unter diesem Zitat stand diese Tagung mit etwa 100 Teilnehmern, die der Enzkreis im Landratsamt veranstaltete. Das Zitat stammt von dem 80jährigen Jakob Lauth aus Mühlhausen an der Würm, der resümierend auf seine Jugendzeit im Dreißigjährigen Krieg zurückblickte.

Dem Sterben und Leben der so genannten einfachen Leute geht die Ausstellung in der Eingangshalle, Zähringerallee 3, noch bis 13. Juli 2023 über sechs Themeninseln nach.  Den beiden ersten einführenden Themenbereichen über Projekt und Untersuchungsraum folgt ein Überblick über die regionalen und lokalen Geschehnisse zwischen 1618 und 1648. Zwei weitere Themeninseln sind den zentralen Personengruppen - Zivilbevölkerung und Militär - gewidmet und erzählen vom Alltag im Krieg, von der Not und dem Leben im Elend.

Das Kreisarchiv schafft Zugang zu diesen regionalen und lokalen Ereignissen und Bedingungen dieses katastrophalen europäischen Krieges, dessen Beginn zwar stark von konfessionellen Gegensätzen geprägt war, die im Laufe der Jahre jedoch mehr und mehr in den Hintergrund traten. Das zeigt sich auch beim Portal Enzkreis-Geschichte.de, im Mai 2023 eröffnet, das mit weiteren Themen fortgesetzt werden soll. Das ganze Projekt schmückt den Landkreis. Das erste Forschungsprojekt, das online abrufbar ist, nimmt das bis zum Westfälischen Frieden 1648 vorherrschende Grauen in den Fokus. Hunderte von Dokumenten geben umfangreiche Informationen zum Sterben und Leben der Zeit.  Transkriptionen von Archivalien aus staatlichen Archiven und von Kirchenbucheinträgen, außerdem Diagramme, Karten, Abbildungen und Videos – der digitale Fundus ist mächtig. Wenn vorhanden, lieferten die Kirchenbücher eine Fülle von Material über den Alltag. Huber schätzt sie als Quelle.

Der Zugang erfolgt ortsbezogen über vier Karten. Zum Beispiel über die Grundkarte. Versuchen wir es doch gleich, geben das Stichwort Lienzingen ein oder klicken die blaue Lienzinger Markungsfläche auf der digitalen Landkarte an und schon öffnet sich die Übersicht aller Beiträge und Grafiken mit Daten, Fakten und Dokumenten zum Dorf. Der optische Einstieg: Lienzingen als Darstellung aus den Kieserschen Ortsansichten. .

Ab 1245 ist Maulbronn als Grundherr bekannt; der Abtei gelang es bis zum 14. Jahrhundert die Ortsherrschaft über ganz Lienzingen zu erlangen. Mit Maulbronn kam das Dorf im Jahr 1504 unter württembergische Oberhoheit und wurde nach der Reformation dem gleichnamigen Klosteramt einverleibt. Während des Pfälzischen Erbfolgekrieges wurden im Jahre 1692 rund 30 Gebäude von französischen Truppen niedergebrannt. Lienzingen gehörte ab 1806 zum Oberamt Maulbronn und von 1938 bis 1972 zum Landkreis Vaihingen.

Die Todeszahlen von Weissach

Zwei Grafiken verdeutlichen die Not in Lienzingen: Eine Schreckensbilanz.  Im Dreißigjährigen Krieg ging die Zahl der Bürger von 120 im Jahr 1634 auf 43 zurück, die der Gebäude von 185 auf 86. Es war die Zeit, in der Gemeinden ihrem Landesherrn huldigen mussten. Die Huldigung galt als gegenseitiges Treueversprechen zwischen Lehnsmann und Lehnsherr, ganzer Ortschaften mit ihrem Landesherrn. So sollten im Juni 1639 durch ihre Schultheißen die 24 Gemeinden des Amtes Maulbronn Eberhard III., Herzog von Württemberg huldigen. 20 taten es. Lienzingen gehörte zu den vier, die sich weigerten

Lienzingens Schultheiß Hans Sidler (1635-1661) beklagte, dass unmittelbar nach dem Maulbronner Boten, der eine Teilnahme an der Huldigung untersagt hatte, ein Vaihinger Bote eintraf, der das Gegenteil forderte, weswegen der Schultheiß unter Anrufung Gottes die konkurrierenden Herrschaften darum bittet, sich untereinander zu einigen. Er weist abschließend noch darauf hin, dass fast niemand mehr in der Ortschaft lebe.

Kriegsszene

Machtspielchen: Für den Huldigungsfall drohte das rekatholisierten Kloster Maulbronn mit harten Strafen wegen Meineids. Vor allem der Lienzinger Schultheiß Hans Sidler habe sich gegen die Teilnahme an der Huldigung gewehrt und die anderen Schultheißen aufgewiegelt, sei aber inzwischen nach Bretten geflohen. Das berichtete der Maulbronner Vogt Christian Heroldt in einem in Vaihingen verfassten Schriftstück dem Herzog von Württemberg, Eberhard III, durchleüchtiger hochgeborner Fürst, Euer Fürstliche Gnaden sein mein underthenige pflüchtschuldige Dienst zuvor etcetera. Gnädiger Fürst und Herr.

Immerhin: Neues entstand trotzdem. Das 1624 und damit bereits zuzeiten des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648) gebaute Haus an der Durchfahrtsstraße von Lienzingen - heute Friedenstraße 9 - zeigt, was zumindest in den ersten Jahren des Krieges noch ging. Heute ist es eines der schönsten Fachwerkhäuser des Dorfes.

Im sechsten der 30 Kriegsjahre in Lienzingen erbaut. Heute Friedenstraße 9

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