Abschied vom Herzenhäusle
Manche/r mag beim Anblick das heruntergekommene Gebäude mit dem Zuhause einer Hexe assoziieren, schon gar, wenn die Person gerne Märchen liest. Aber das Wörtchen Hexenhäusle erweist sich in diesem Fall als Hörfehler und eigentlich war Herzenhäusle damit gemeint. Jedenfalls: Zu einem Märchen gehört die Behausung nicht, die in Lienzingen am Beginn der entlang der Schmie sich erstreckenden Schrebergärtenreihe – von der Friedenstraße her – seit gut 160 Jahren steht. Und märchenhaft ist sie auch nicht.
Nach der letzten Bewohnerin heißt das marode Gebäude am Bachweg in Lienzingen im Volksmund Herzenhäusle. Jetzt soll es im Laufe des Jahres 2021 abgebrochen werden, steht in der Antwort der Stadtverwaltung auf meine Anfrage im Gemeinderat. Die Vorbereitung zur Angebotseinholung läuft, so das Fachamt.
Lienzinger Geschichte(n): Heute mal eine Kurzgeschichte in meiner Web-Serie. Und zwar zum Gebäude Friedenstraße 26/1. Es soll abgebrochen werden. In Akten und Ratsprotokollen geblättert.
Die Stadt Mühlacker ist Eigentümerin, seit sie für das rund 900 Quadratmeter große Grundstück im Mai 2018 ihr Vorkaufsrecht ausübte. Das Anwesen auf den Flurstücken 182/7 und 181 erstreckt sich zwischen Bachweg (Lienzingern auch geläufig unter der Bezeichnung Wette) und Schmiebach. Der Bachweg erinnert an den Bach, der dort verläuft, der aber Mitte der 19-sechziger Jahre bei der Kanalisierung des Dorfes zugeschüttet wurde.
Das Hausgrundstück 182/7 gehört zum Sanierungsgebiet Ortskern Lienzingen. Das Gebäude sei in einem sehr schlechten Zustand und damit abrissreif, steht in der seinerzeitigen Vorlage der Verwaltung. Das unbebaute Flurstück 181 grenzt direkt an. Hierbei handelt es sich um eine landwirtschaftliche Fläche. Beide Flurstücke liegen direkt am Schmiebach. Zur Umsetzung des Hochwasserschutzkonzeptes werden diese beiden Flurstücke für den Bau einer geplanten Hochwasserschutzwand beziehungsweise eines Deichs benötigt, so seinerzeit die Nachricht aus dem Rathaus weiter.
Wann genau das Gebäude mit der Adresse 26/1 errichtet wurde, war zunächst nicht bekannt gewesen. Es sei auf jeden Fall vor dem Zweiten Weltkrieg errichtet worden, hieß es ursprünglich. Niemand konnte es zunächst genau sagen. Letztlich hat Stadtarchivarin Marlies Lippik in akribischer Kleinarbeit ganz aktuell das Baujahr ermittelt und so eine ortsgeschichtliche Lücke geschlossen: Es war anno 1867. Bewohnt gewesen ist es bis zum Jahr 1968, als Marie Herz starb - und steht seitdem leer. Ein einfach gebautes Häusle, an dem allerdings der Zahn der Zeit immer weiter nagte. War es vor Jahrzehnten eine Tagelöhner-Unterkunft?
Nach Überlieferungen ist es einmal um eine Etage aufgestockt worden. Doch schon laut Urkarte des Ortskerns von Lienzingen, stand dort im Jahr 1835 ein Gebäude – mit quadratischer Grundfläche und nicht, wie jetzt, einer rechteckiger. Nachdem in Lienzingen in den ersten Jahren nach 1945 mehr als 250 Vertriebene ankamen, denen ein Dach überm Kopf verschafft werden musste, wohnten dort nacheinander Familien, die ihre Heimat hatten verlassen müssen, bis sie in eine bessere Unterkunft umziehen konnten.
Um 1835 erbaut? Oder doch 1867? Bereits in der Urkarte des Ortskerns von Lienzingen aus dem Jahr 1835 ward dort ein Gebäude eingezeichnet – mit quadratischer Grundfläche und nicht, wie jetzt, einer rechteckigen.
Der Mittelalter-Archäologe Tillmann Marstaller bestimmte vor gut zehn Jahren das Alter der Häuser im Ortskern. Er macht zwar keine Angaben zu Friedenstraße 26/1, jedoch zum Wohnhaus Friedenstraße 26 nebenan und nennt als Baujahr um 1700. Dendrochronologie heißt diese Technik, bei der man die verschieden dicken Jahresringe eines Baumstamm-Querschnitts mit denen in einem mehr als 10.000 Jahre zurückreichenden Archiv vergleicht.
Der seinerzeitige, im Hessischen wohnhafte Eigentümer wollte vor knapp 20 Jahren auf dem Grundstück ein neues kleines Wohngebäude anstelle des alten errichten. Dies war in einer Sitzung des zuständigen Gemeinderatsausschusses am 7. Oktober 2003 heftig umstritten gewesen, fand aber nach einem Ortstermin dann doch eine Mehrheit. Ich stimmte damals für den Neubau. Die Baugenehmigung ließ der Eigentümer zwar ein- oder zweimal verlängern. Doch letztlich verfiel sie, da sie doch nicht in Anspruch genommen worden war. In den Vorlagen für den Gemeinderat 2003 findet sich vom damals planenden Architekt Raimund Gottwald eine Fotodokumentation der Inneneinrichtung. Das Haus war jedenfalls damals noch, wenn auch eher ärmlich, möbliert.
Eines dürfte es nicht gewesen sein: das frühere Armenhaus der bis 1975 selbstständigen Gemeinde Lienzingen. Denn es kam erst 2018 in den Besitz der Kommune (jetzt Stadt Mühlacker). Zudem stand, einen Steinwurf entfernt, das tatsächliche kommunale Armenhaus (Hauptstraße 66, heute Friedenstraße 24). Der Lienzinger Gemeinderat ließ 1951 bei erwarteten Baukosten von 18.000 Mark das frühere Armenhaus aufstocken. Zwei zusätzliche Wohnungen entstanden. 1959 kaufte einer der Mieter das Haus der Gemeinde ab: Schuhmachermeister Fritz Schaufelberger, der eine Schusterwerkstatt im Erdgeschoss betrieb.
Vor dem Abbruch des Herzenhäusles muss es innen und außen dokumentiert werden. Die Stadt ist dann aber auch am Zuge, die Maßnahmen zum Hochwasserschutz am Schmiebach zeitnah umzusetzen.
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