470 Jahre Schulgeschichte oder Den Bogen von Hans Brodbeck bis Anja Rapp gespannt

Ein Stück Schulgeschichte unseres Dorfes, gestrafft aufgearbeitet zum jetzigen Rektorenwechsel. Dank meiner Lienzinger Geschichte(n). Spätestens seit Mitte des 16. Jahrhunderts besteht die Schule in Lienzingen. Jedenfalls wird in einem Synodenprotokoll von 1581 als Schulmeister ein Hans Brodbeck genannt. Er war zu diesem Zeitpunkt 56 Jahre alt. Versah er davor seine ganze Dienstzeit als Lehrer in Lienzingen, musste die Gründung der Schule schon vor 1553 Jahre erfolgt sein.

Die neue Schulleiterin: Anja Rapp (links)

Brodbeck gilt als der erste Lehrer und Schulleiter in unserem Dorf. Hier also ein Stück der Schulgeschichte von Lienzingen: 470 Jahre von Brodbeck bis Anja Rapp, der jetzt eingesetzten Rektorin. Was für eine Zeit.

Lienzingen gehörte zu den 150 Pionier-Dörfern im Herzogtum Württemberg, die  zwischen der Reformation - 1535 - und vor der von Herzog Christoph (1515-1568) anno 1559  erlassenen Großen Kirchenordnung eine eigene Schule gründeten.  Der Ort dürfte schneller gewesen sein als zum Beispiel Mühlhausen an der Enz, das einstige freie Reichsdorf. Die Schule wurde im Zuge der Reformation - wie in den umliegenden württembergischen Dörfern – eingeführt. Als ältester Lehrer in Mühlhausen ist Johann Ludwig Reiß 1641-1656 bekannt. Wir erinnern uns: Brodbeck unterrichtete mindestens schon anno 1581, Reiß 1641 – knapp 60 Jahre später.

Zurück nach Lienzingen. Drei Schulgebäude in fünf Jahrhunderten, somit drei Standorte. Die erste Schule entstand wohl 1561 auf dem Platz der heutigen Kirchenburggasse 14 (deshalb alte Schule, jetzt Café Kirchenburg), wurde 1739 saniert. Anno 1837 ließ die Kommune, einige Schritte weiter, heute Kirchenburggasse 15, das zweite errichten - das Steinhaus. Es wurde genutzt bis 1960. Seitdem wird unterrichtet in der heutigen Schule an der Ecke Friedrich-Münch-Straße/Dr.-Otto-Schneider-Straße, von der Stadt Mühlacker 1995/96 für 2,71 Millionen Euro um vier Klassenräume erweitert.

Wagen wir aus dem heutigen Anlass - der Feier zur Amtseinsetzung von Anja Rapp - auch einen Blick zurück in die Schulträger-Geschichte. Wenn wir die Lienzinger Schulbaugeschichte anschauen und mit heutigen Gemeinderatsdebatten vergleichen, so kommt uns manches bekannt vor.

Schulräume fehlten:

Die Gemeinde musste handeln. Im ersten Schulgebäude wurden 1834 die größeren Schulkinder, 94 an der Zahl, im ersten Stock des Schulhauses unterrichtet - unter einem Dach mit der Familie des Lehrers, die im zweiten Stock in neun winzigen Räumen wohnte. Aber die Küche mit Backofen lag noch auf derselben Etage wie das Klassenzimmer.

Die erste Lienzinger Schule

Für die 70 kleineren Kinder diente seit 1828 ein Zimmer im Rathaus als Klassenraum, eine – so heißt es in einem Aktenvermerk von 1834 - ziemliche Streke vom Schulhaus entfernt, vom Provisor (dem Hilfs- oder Unterlehrer) gelehrt und unterrichtet. Da die Gemeinde Bedarf an dem Raum im Rathaus anmeldete, musste gehandelt werden.  

Der neue Klassenteiler lag bei 90. Gemeinderat und Bürgerausschuss sahen dringenden Handlungsbedarf. Sie kauften 1833 einen Teil des großen Eckgebäudes auf der anderen Seite des ersten Schulhauses (also gegenüber dem Pfarrhaus, heute Kirchenburggasse 5) dem in Geldnot steckenden Chirurgen, Wundheiler und Züchter von Blutegeln, Eberhardt Friedrich Mehrer, ab. Der entscheidende Fehler der kommunalen Gremien: Sie stellten den Pfarrer vor vollendete Tatsachen. Denn nicht der Schultheiß oder Bürgermeister hatte die Aufsicht über die Volksschule, sondern der Ortsgeistliche. Der schoss quer, der Rathaus-Krach war wa, die Kreisregierung in Ludwigsburg und das Königliche evangelische Consistorium in Stuttgart verlangten zwecks Kostenvergleich nach zwei Gutachten. Sanierung oder Neubau? Die Fragestellung ist uns nicht unbekannt.

Ach was, schon damals gab es Gutachter? 

Ja, schon damals und nicht verpönt wie heute bei manchen im Mühlacker Gemeinderat: Gutachter. Beide Experten gelangten zum Resultat: Ein Neubau ist preisgünstiger. Bauen im Bestand habe Nachteile.  Die Stufen der Treppe seien zu schmal, zudem mangle es auch an dem nötigen Raum, um einen Abtritt (=Toilette), für die Schulkinder auf eine schikliche Weise anzubringen. Anzunehmen ist, daß in einem gemeinschäftlichen nehmlichen Stokwerk (…), in welchem auch der andere Mithaus=Besizer wohnt, durch die Schulkinder leicht auch Ohnannehmlichkeiten verursacht werden kont.

Die zweite, 1837 gebaute Schule (heute Kirchenburggasse 15)

Der Gutachter berechnete für den Neubau 3400 Florentiner Gulden. Die Mehrkosten für ein neues Schulhaus lägen bei 734 fl. Die Vorteile: Die Gemeinde hätte dann nur ein Gebäude zu unterhalten, es könne auch jederzeit erweitert werden.

Die Gemeinde musste den Immobilien-Kauf mit Merer rückgängig machen, so der Befehl des Königlichen evangelischen Consistoriums, also der gemeinsamen kirchlichen und weltlichen Verwaltung in Kirchenangelegenheiten. Darin forderte das Konsistorium einen Neubau. Ein Auszug aus den Protokollen des Stiftungsrats vom 11., 17. und 21. Dezember 1835 lässt schließlich auf eine Einigung auf einen Standort für den Neubau schließen: hinter dem Rathaus (heute Kirchenburggasse 15). Der notwendige Grunderwerb gelang wider Erwarten doch. Die Gemeinde kaufte zwei – wohl kleinere – Gehöfte und ließ diese dann abbrechen. 

Mit Holzerlösen bezahlt

Solide finanziert: Die dritte Schule, 1960 bezogen

Wesentlich zur Finanzierung trugen bei allen drei Schulhäusern die Erlöse aus außerordentlichen Holzeinschlägen durch die Gemeinde Lienzingen bei – dieser grünen Sparkasse dürfen wir heute nur noch nachweinen.  Doch schon damals musste die Kommune gegenüber dem Forstamt belegen, dass der zusätzliche Einschlag nicht die Nachhaltigkeit der Waldwirtschaft schädige. Die Gemeinde beruhigte: Das Holz sei teilweise abgängig, stehe außerhalb des Waldes an den Gütern und Wegen. Der Bestand des kommunalen Waldes sei gut, dieser umfasse eine Fläche von 1036 Morgen (= 1 Morgen = 4728 Quadratmeter), also 489 Hektar.

Pfarrer Neuffer schrieb 1838 über die neue Schule: Im unteren Stock sind die beiden Schulstuben, in denen etwa 200 Schüler Platz haben. Im oberen Stock ist die Wohnung des Schulmeisters und ein Zimmer für den Provisor.  (…) Im Untergeschoss mit dem erhöhten Sockel ein großräumiger Viehstall samt Futterkammer und Backofen sowie einer Holzlege. Ein großzügiges Gebäude, errichtet aus Sandsteinquadern mit einer beidseitigen Freitreppe.

Unterrichtet ändert sich

Der seinerzeitige Schulmeister hieß Euting – unterstützt von einem Helfer lehrte er die Dorfjugend das Lesen, Schreiben und Rechnen. Es war auch sonst eine neue Zeit angebrochen: Von 1837 an lernten die damals 154 Mädchen und Buben das Lesen nicht mehr mit der Bibel, sondern in der Fibel, dem ersten Anfängerlesebuch.

Als anno 1873 die Lienzinger Volksschule eine zweite volle Lehrerstelle erhielt, dauerte es zwei Jahre, bis unter dem Dach eine – nicht ganz unstrittige - weitere Lehrerwohnung eingebaut wurde.

Das Schulhaus wurde 1969 von der Gemeinde Lienzingen an einen Privatmann verkauft: Gebäude Nummer 116 Schulhaus mit Treppe, Abtritt, Schülerabort und Hofraum mit 5 ar 60 qm. Der Käufer tilgte die Restschulden der Gemeinde auf dem Objekt mit zusammen rund 25.000 Mark, den Rest erhielt die Gemeinde auf ihr Girokonto. Ob es ein kluger Schritt war? Ich habe meine Zweifel.

Der Standard

Absolut kurios: Der Streit um den Neubau eines Schüler-WC dauerte 36 Jahre.  Denn die 1870 verschärften, vor allem der Gesundheit der jungen Menschen dienenden Vorschriften durch die königliche Regierung in Stuttgart entsprachen dem gewachsenen Interesse des Staates an guter Bildung für gesunde Kinder. Doch die Gemeinde wollte den Bau nicht. Die 170 bis 180 Kinder könnten doch in der Pause heim aufs Klo, meinten die Räte – die Kinder taten dies offensichtlich teilweise auch. Es wird wohl schon seinen Grund gehabt haben, warum die vorhandenen Abtritte im Schulgebäude kaum genutzt wurden. Erst 1925 war es so weit – 36 Jahre nach der ersten Beanstandung durch das Oberamt. Es entstand der Schülerabtrittschuppen auf Parzelle Nummer 16 hinter dem Schulgebäude Nummer 77 und 78 - so steht es in der Baugenehmigung. Eine Konstruktion aus Bretterwänden, mit Ziegeln eingedeckt, links acht abgeteilte Plätze für Mädchen, rechts drei Schüsselplätze und ein Pissoir für die Jungen. Der Konflikt zwischen Kommune und Staat um das, was heutzutage in der politischen Debatte mit der Frage umschrieben wird, ist demnach nicht neu: Wie hoch darf der Standard sein? Und wer bezahlt ihn – der ihn vorgegeben, demnach bestellt hat, oder die, denen er verordnet wurde?

Wieder ein Neubau

1938 geplant, aber nie gebaut: Schule mit Turnhalle und Lehrerwohngebäude. Sollte auf dem Gelände der heutigen Gärtnerei Mannhardt entstehen

Einige Jahre später: Eine neue Volksschule war dringend notwendig und sollte schon vor dem Zweiten Weltkrieg gebaut werden. Fix und fertige Pläne lagen bereits 1938 vor: Dort, wo heute die Gärtnerei Mannhardt steht, sollten ein Kombi-Bau aus Schule und Turnhalle sowie einem Lehrerwohnhaus errichtet werden. Doch die Realisierung scheiterte am bald darauf von Deutschland ausgelösten Zweiten Weltkrieg.

Die Mängelliste in den fünfziger Jahren war ähnlich der von 1938: unübersichtliche und zu kleine Schulräume (zwei befanden sich im ersten Stockwerk, ein weiterer in der zweiten Etage neben einer Mietwohnung), die Klos lagen hinter dem Gebäude in dem 1925 gebauten Schülerabtrittsschuppen, zu wenig Licht in den Räumen, in denen je zwei oder drei Jahrgänge gleichzeitig den Lehrstoff paukten, störende Einwirkungen von den angrenzenden Grundstücken, Gerüche von den benachbarten Misthaufen - vor allem aber fehlte ein Pausenhof oder zumindest eine Pausenhalle. Die Straße vor dem prägnanten Gebäude war der Schulhof – einige von uns werden sich noch erinnern.

Druck machte der Ortsschulbeirat in seiner Sitzung vom 13. Mai 1952. Ihm gehörten an Vertreter von Bürgerlicher und Kirchlicher Gemeinde sowie die Schulleitung. Schulrat Schöffler griff unter dem Punkt 5 der Tagesordnung den gewünschten Neubau der Schule auf. Durch die Säulen und Öfen sei die Übersicht des Lehrers über die Klasse behindert. Auch im Sommer bei geöffneten Fenstern sei die Luft schnell verbraucht. Die Schule stehe mitten im Dorf. Die Geräusche aus der Nachbarschaft wirkten störend. Auch fehle ein Schulhof. Alles Minuspunkte, die nicht neu waren. Der Beirat forderte auf Schöfflers Antrag hin, eine Rücklage für einen Neubau in den Haushaltsplan 1952 in größtmöglichster Höhe einzustellen, die Bauplatzfrage endgültig zu klären und für einen Bauplan zu sorgen, damit Jugend und Lehrer aus den unmöglichen Verhältnissen rauskommen.

Von der Volksschule zur heutigen Grundschule

1956 begannen die Arbeiten am Neubau, im wahrsten Sinne des Wortes zogen die festlich gekleideten Kinder am 29. Oktober 1960 und damit zwei Wochen später als ursprünglich geplant um von der Kirchenburggasse 15 in die Dr.-Otto-Schneider-Straße 2, somit von der alten in die neue Volksschule Lienzingen. Wir freuten uns schon auf die neuen Räume. Doch gleichzeitig kämpfte die Gemeinde um den Erhalt der dritten Lehrerstelle an der Volksschule Lienzingen.

Aus der Volksschule wurde die Grundschule Lienzingen. Die Stadt als Schulträger muss, was die Unterhaltung des älteren Schulgebäudes betrifft, aufs Laufende kommen. Aber eigentlich steht unsere Schule ganz gut da. Die Schule ist von der Schülerzahl nicht gefährdet. Und die Dorfjugend von Lienzingen zu unterrichten, verspricht guten Ertrag.

Der geschichtliche Rückblick zeigt: Lienzingen setzte schon immer auf gute Bildung, als Schulträger muss die Kommune für den Rahmen sorgen, der die Freude am Lernen verstärkt. 

(Das war mein Grußwort als OB-Stellvertreter namens des Schulträgers, der Stadt Mühlacker. Bei den an diesem Tag doch recht hohen Temperaturen trug ich, um mich nicht unbeliebt zu machen, nur einen kleineren Teil vor. Doch umsonst sollte die Rede nicht geschrieben worden sein - bleibt der digitale Weg wie dieser.)

Quellen: Ortsbuch Lienzingen 2016, Stadtarchiv Mühlacker, eigene Recherchen des Autors, veröffentlicht unter https://www.guenter-baechle.de/blog/index.php?/categories/29-Lienzinger-Geschichten))

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