Wo kommen wir hin, wenn wir die Enz-Gärten weiterdenken? Zum elementaren Ort der Kultur und Begegnung - Der Architekt, seine Gedanken und unser Mühlacker

Manch gesprochene Rede hinterlässt weniger Eindrücke in der Erinnerung als die nur im Schweigen gedruckte….
eine Idee, die Luft braucht, wachsen und sich entwickeln kann ist so ein treffend schönes Bild, dem man betrachtend nähertreten muss, weil es einen festhält. Ja – und es sind diese literarischen Geistesblitze des Augenblicks –  die die Dinge anders, eben treffend, erklären.

Dies betrifft nicht nur die kleinen und großen Dinge des Gemeinwesens einer Stadt, nein – dies ist das fundamentale, demokratische Verständnis im Ringen um das Glück des Ganzen, das erkennbar in jedem Aufsatz und Kommentar für mich, wie durch einen roten Faden, zusammengehalten ist.

Man fühlt sich in das kantsche Sapere aude versetzt – Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen – und dann – ja, dann begegnet uns die Realität mit ihren Rätseln.

Vor diesem Rätsel stehen wir dann und müssen lernen, dass nicht einmal die Aufklärung mit ihrem von Descartes vorgedachtem Streben nach Vernunft und Freiheit uns von dem mittelalterlichen Reflex befreit hat das Neue zuerst einmal auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen – das andere sowieso!

Jedoch scheint dieser fatale Reflex zeitlos, ist in jeder Epoche zuhause, weil er offensichtlich ganz und gar dem menschlichen Naturell entspricht.

Aus diesen individuellen Grundmustern entsteht dann, gepaart mit dem Zeitgeist der jeweiligen Gegenwart, eine Gesellschaft, die sich abbildet in Wort und Bild, Kunst, Musik, Forschung, Ideen – und Gebäuden, deren Summe die Stadt ist.

Die Stadt ist ein Spiegelbild der Gesellschaft.

Hier stehen wir in der Tat inmitten eines Epochenwandels:

War nach dem Krieg und in der Wiederaufbauzeit, bis hinein in die 70er Jahre das Credo dieser Epoche die autogerechte Stadt der Zukunft zu bauen, hat mit dem beginnenden Umweltbewusstsein in den 80er Jahren ein erstes Umdenken eingesetzt.

Eine tatsächlich neue Epoche hat nun seit ein paar Jahren der Klimawandel eingeläutet – für den Städtebau auf den einfachen Nenner gebracht:
Nicht mehr das Auto, sondern der Mensch steht im Mittelpunkt.

War mit B10-Verlegung, Rathaus- und Mühlehof-Bau vor 50 Jahren in Mühlacker alles richtig – das Auto stand ja im Mittelpunkt - muss die Frage gestellt werden: 
Was ist zu tun, wenn man das mit dem Menschen ernst meint?

Nun – wenn die gefühlte Antwort nicht gleich gelingt – liegt diese vielleicht in der Analytik: 
Als man vor ca. 10 Jahren die Enzgärten auf den Weg gebracht hat, hatte man ja bereits begriffen, dass zu einer Stadt mehr gehört als Fußgängerzone, Supermarkt, Bank, Schule, Kino, Stadthalle und Rathaus, sondern auch ein Stadtpark – und bestimmt gewusst, aber nicht erkannt, welches Juwel die Enz für die ganze Stadt ist.

Wie wäre es, diesen begonnenen Weg konsequent weiterzugehen, in dem man den stadtentwicklerischen Impuls, den das Projekt Enz-Gärten gesetzt hat, fortführt?

Genau das haben wir gemacht: Einen Bestand analysiert, das Begonnene aufgegriffen und in die Zukunft gedacht!

Dem Auto Flächen entziehen, trotzdem die Funktionen aufrechterhalten, die gewonnenen Flächen den Menschen geben:

  • den Bürgern und Besuchern für eine neue Stadthalle
  • den Gewerbetreibenden in der Bahnhofstraße einen neuen Partner für eine lebendige Innenstadt.

Jedoch hat die Mühlehof-Debatte der letzten 10 Jahren den mit den Enz-Gärten selbst begonnenen Weg zugeschüttet.

Anstatt dessen ist man durch allerlei Vorschläge immer wieder vom Weg abgekommen, weil jedes Mühlehof-Nachfolgeprojekt, ob Ten Brinke, Erlenbach-Center etc., wie bereits das Original, es immer als Endpunkt der Bahnhofstraße betrachtet hat, die Innenstadt abschotten und den Enzgärten die kalte Schulter zeigen.

Zu diesen Zeiten hätte man sich den Ratschlag von Architektenkammern, Land auf – Land ab,  gewünscht, Gestaltungsbeirat, Professoren und Fachleute – aber es ist halt einfacher, über die Schönheit von Fassaden anderer zu urteilen, als konstruktive Stadtentwicklung zu betreiben.

Eine einzige Frage hätte es bedurft: 
Wo kommen wir hin, wenn wir die Enz-Gärten weiterdenken?

Eine Trennung überwinden, um Bausteine, die zu einer Stadt gehören, zusammenzufügen und sie den Bürgern und deren Wohlergehen bereitstellen, ist Stadtentwicklung für die Zukunft.

Ideen zur Neuen Mitte Mühlackers

Eine Mitte ist nur dann Mitte, wenn sie nicht getrennt ist, sondern eins.

Natürlich ist ein Gebäude-Ensemble ein großes Gebäude mit dem Anspruch keine Rückseite – nur Vorderseiten, eine, die in die Stadt schaut, um ihr zu helfen – die andere zum Fluss, um ihn Teil der Stadt werden zu lassen – groß ist das Gebäude nur für Hubschrauber-Piloten, die sich das Ganze von oben anschauen.

In der Regel sind die Bürger, süffisant gesagt, jedoch nicht mit dem Hubschrauber unterwegs, sondern sehen Gebäude, Fassaden-Abschnitte beim Durchwandern von Plätzen und Gassen der Kulturachse Neue Mitte.

Steht man auf dem Kelterplatz und schaut aufs Rathaus, sieht man nicht, ob es nach 50 m oder nach 500 m zu Ende ist!

Dass die Fassaden schön gestaltet werden müssen, in Materialität, Proportion, Holz, Glas, Grün etc., ist selbstverständlich.

Die Stadthalle muss als elementarer Ort der Kultur und Begegnung fester Bestandteil der Neuen Mitte sein – darf niemals an einen anderen Ort in der Stadt verschoben werden.

Denn wird der Bereich des Bahnhofs mit der geplanten Nahversorgung des Ziegelei-Areals ein gewisser Handels-Schwerpunkt, wird der Kern der Neuen Mitte nicht der Handel sein – sondern die Kultur.

Durch die Neue Mitte kehrt die Vielfalt in die Innenstadt zurück: 

Kultur - Wohnen – Dienstleistung – Hotel – Gastronomie - ergänzender Handel.

Mit diesem städtentwicklerisch langfristig angelegten Konzept, Bereich Bahnhof als dem einen, Bereich Rathaus als dem anderen Magneten, erhält das Innenstadt-Rückgrat Mühlackers seine Frequenz zurück.

Im historischen und städtebaulichen Kontext Dürrmenz – Mühlacker und Fluss – Innenstadt, gibt es denn eine größere Geste für die Stadtgemeinschaft, für die Bürgerschaft, als die Stadthalle als wahrhaft verbindender Ort der Kultur, als Gelenk zu verstehen und damit die Teilung der Stadt zu überwinden?

Die Stadthalle – im tatsächlichen Mittelpunkt – thront über allem, wie eine Akropolis, ein Kristall, transparent und leuchtend, als verbindender Kultur-Tempel im wahrsten Sinne, als Zeichen in der Region, das Mittelzentrum, die Große Kreisstadt. Mühlacker ist auch eine Kulturstadt.

Dies jetzt nicht zu tun – wann dann?

Nach dem Krieg, als die Städte, Häuser und Wohnungen in Trümmern lagen und die Menschen ganz andere Sorgen hatten, da hat der Stadtrat von Frankfurt beschlossen die zerstörte Paulskirche wieder aufzubauen und der Gemeinderat in Stuttgart den Fernsehturm zu bauen.

Zu warten, bis man Geld hat, das hat man nie

– man braucht den Willen – den kann man haben, wenn man den Mut hat.

Anfang Mai des Jahres konnte ich in Karlsruhe einen Vortrag des in Karlsruhe geborenen Architekten Ole Scheeren hören, der über seine großartigen Projekte, meist Wolkenkratzer in Asien, berichtet hat.

Bei dieser Gelegenheit konnte ich auch mit Ole Scheeren über das Entstehen seiner Projekte sprechen.

Auf die Frage aus dem Publikum, warum er alle seine Projekte in Asien realisiert und er nicht auch einmal in Deutschland eines dieser schönen Projekte realisieren könne, antwortete Ole Scheeren offen und direkt, ohne zu zögern:

Projekte muss man wollen, in Deutschland will man nicht.

Es ging ein zustimmendes Raunen durchs Publikum, man fühlte sich bestätigt, wie schwer es ist, etwas Neues auf den Weg zu bringen.

Da zeichnet die Paulskirche in dieser Jubiläumszeit ein schönes Bild: … es gab in diesen Frühlingstagen so einen Aufbruch, der das ganze Land erfasste und man spürte, es kommt etwas Neues….

In diesem Geiste wünschte man sich einen solchen Aufbruch in Mühlacker,  ja – wir denken, wir ringen, planen und bauen an etwas Neuem in dieser Stadt, an einer neuen Mitte – und geben einer Idee die Luft, damit sie wachsen und sich entwickeln kann.

Dass wir an unsere Aufgaben im Prinzip immer in dieser Weise herangehen, möchte ich anhand eines Projektes in Berlin darstellen. Hier haben wir das Quartier um das Kranzler Café überplant und versucht, den berühmten Architekten Daniel Libeskind für dieses Projekt zu gewinnen und haben ihm dazu einen Brief geschrieben, den ich gerne beifüge.

Nur dass alle sehen, wie wir an solche städtebaulich prägnanten Aufgaben herangehen, ist dies ein schönes Beispiel.

230214_Anschreiben_Studio_Libeskind_de.pdf


 

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