Zwei Maultaschen, ein Bier und einen Schnaps für frierende Ehrengäste. Der 69-er Maientag oder: War früher eigentlich vieles besser?

Streitobjekte: Historische Stadtansicht als Massenware

Der Maultaschen-Krieg von Vaihingen. Dazu fuhren die beiden Parteien in der Sitzung des Gemeinderates (an einem Abend anno 1969)im Rathaus der Kreisstadt schwere Geschütze auf. Und die sonst mehr der Ruhe zugewandten Volksvertreter schossen diesmal aus allen Rohren. Als Ziel hatten sie sich den einzigen CDU-Stadtrat Karl Jelden, seit 18 Jahren Mitglied des Gremiums und schon immer ein kritischer Außenseiter, ausgesucht. Als Rechtsanwalt in juristischen Dingen bewandert, hatte er beschlossen, sich die Ausgaben beim Maientag vorzuknöpfen. Was dabei herauskam, waren schwerwiegende Beschuldigungen gegen Bürgermeister Gerhard Palm.

Am 23. Juli 1969 hatte Jelden seinen Brief geschrieben. In dieser Bombe in Papierform, stand gleich zu Beginn: „Beiliegend gebe ich Ihnen den Nachdruck des Stichs der Stadt Vaihingen a. d. Enz, den Sie mir am Maientag überreicht haben, zurück und bitte Sie, dafür zu sorgen, daß der Betrag für den Stich wieder der Stadtkasse zugeführt wird."

und zwei Maultaschen.

Für die Ausgabe von Geschenken an die Gemeinderäte, so schrieb der streitbare Jurist, am Maientag durch Palm sei kein Gemeinderatsbeschluß vorgelegen. Dafür sei auch im „Haushalt keine Deckung vorhanden.“ Da für die Stadt ein Defizit von 2000 Mark entstanden sei, sei der Haushalt um diesen Betrag überschritten worden.

Da die Gemeinderäte ehrenamtlich tätig seien und sie lediglich für ihre Sitzungen Tagegelder erhalten, bestehe keine Veranlassung, „den Gemeinderatsmitgliedern am Maientag noch Sonderzuwendungen zu machen". Und so stand weiter in dem Brief: „Ich vermag deshalb in Ihrer (Palms Red.) Handlungsweise nur einen Verstoß gegen die Haushaltsvorschriften und eine Veruntreuung von Haushaltsmitteln und Steuergeldern in Höhe von mehreren hundert DM zu erblicken.

Ob solch schwerer Anschuldigungen schaltete Schultes Palm seine Rechtsaufsichtsbehörde, das Landratsamt Vaihingen ein. Dort hielt man von Jeldens Worten nicht sehr viel. Der Repräsentationsaufwand der Stadt gebe keinen Grund zur Klage, wurde festgestellt. Außerdem wunderte man sich schriftlich, daß Jelden seine Bedenken erst nach Monaten kamen. Der Vorwurf der Veruntreuung gehe dazu „zu weit". Man wolle aber von strafrechtlichen und ehrengerichtlichen Schritten absehen. Bürgermeister Palm schloß sich dem in der Sitzung an.

„Der Gemeinderat", so der Stadtvorsteher, „hat sich die Teilnahme verdient." Das Mittagessen, an dem auch Jelden teilnahm, bestand aus zwei Maultaschen, einem Bier — und einem Schnaps. Palm zu Letzterem: „Weil's so regnerisch und kühl war". Zusammen macht das etwa 5.20 Mark aus. Auf die 16 Mitglieder des Stadtparlaments umgerechnet, sind es in der Summe genau 83.20 Mark. Dazu kommen noch die Stiche, die nach Palms Angaben pro Stück 2.17 Mark kosteten. Er könne, so der Bürgermeister, die Reaktion des Rechtsanwalts Jelden „nur (als) im Zorn" geschehen betrachten.

Acht Jahre nach dem Maultaschen-Krieg: Die Eröffnung des Maientags 1977 auf dem Vaihinger Marktplatz. In der Mitte vor dem Brunnen OB Gerhard Palm (Foto: Albert Arning)

Die Antwort des so scharf Angegriffenen und Angreifenden ließ die Wogen vollends hochgehen. Es sei richtiger gewesen, wenn Palm ein Verfahren gegen sich selbst bei der Staatsanwaltschaft beantragt hätte. Man müsse außerdem zuerst die Frage klären, wo die Grenzen für Geschenke zwischen Bürgermeister und Gemeinderat anfangen. Er halte solche, in seinen Augen überflüssige Präsente „in der gegenwärtigen Zeit, wo wir jede Mark brauchen" für überflüssig. Palms Antwort: Diese Gelder stammten aus den (gemeinderätlich gebilligten) Verfügungsmitteln, die ein halbes Prozent des Etats ausmachen (etwa 2000 Mark).

Solche, immerhin zwar scharfen aber doch einigermaßen konkreten Angriffen, folgten in der Diskussion andere Töne Es fielen Worte, die besser ungesagt geblieben wären und die auch nicht wiedergegeben werden sollen. Die bürgermeistertreuen Volksvertreter einerseits und Jelden andererseits, warfen sich manches vor. Natürlich fiel auch der Name „E-Werk", dessen Konzessionsvertrag mit der Stadt vor knapp drei Monaten nicht mehr verlängert wurde. Da aber Jelden bis zum Januar Geschäftsführer des E-Werks war, so schlossen viele messerscharf, gehe es doch um mehr als nur um Maultaschen.

So feuerte man also die Geschütze ab. Wie Donner krachte es im Sitzungssaal. Doch ob dieser Krieg damit beendet sein wird, wird die Zukunft zeigen. Der Gemeinderat bestätigte dem Schultes eine weiße Weste. Und das einstimmig. (bä)

(WAB, 12.09.1969)

 

PS:

Die Geschichte trug sich so zu – in meinem ersten Volontärsjahr. Keiner der Protagonisten weilt noch unter den Lebenden. Gerhard Palm (1921-2004) war von 1954 bis 1981 Bürgermeister, von 1973 an mit der Amtsbezeichnung Oberbürgermeister. Karl Jelden war Stadtrat von 1951 bis 1975 für verschiedene Gruppen, zuletzt für die CDU, die – um 1970 gegründet – erstmals 1971 bei der Kommunalwahl antrat. Der einzige Sitz, den sie errang, ging an Jelden.


Der Kreis Vaihingen verschwand auf 1. Januar 1973 von der Landkarte. Aus der alten Oberamts- und seit 1938 Kreisstadt wurde, da sie durch Eingemeindungen mehr als 20.000 Einwohner hatte, eine Große Kreisstadt mit einem OB an der Spitz. In dieser Übergangszeit zählte der Gemeinderat zeitweise bis zu 60 Mitglieder, weil zunächst alle Bürgervertreter aus den inzwischen acht Stadtteilen bis zur folgenden gemeinsamen Kommunalwahl 1975 Stadträte sein durften. Palm leitete das XXL-Gremium wie zuvor den überschaubaren Vaihinger Gemeinderat, in dessen Zeit sich der Maultaschen-Krieg mit Jelden abspielte. Palm - verbindlich, auf lieber auf Schmuse- als auf Kriegskurs - kommentierte fast jede Wortmeldung, trat die Themen in die Breite, wollte erläutern - für uns Berichterstatter zeitweise eine höchst zähe Sache. Es war die Zeit ohne lokales Radio und soziale Medien. So gesehen eine eher gemächliche Zeit.    

Gerhard Palm bei der Vorstellung eines neuen Buches über Vaihingen - wohl 1979 bei Kern zum Stadtjubiläum mit  dem Schriftsteller Otto Rombach (2. v. re.) aus Bietigheim-Bissingen und dem Altmeister der Fotografie, Wilhelm Röckle (WiRö), von der Ludwigsburger Kreiszeitung. Zweiter von rechts der eifrige Schreiber mit dem Kürzel "bä". (Foto: Albert Arning)

Beim Ordnen meiner Bestände fiel mir mein, vor 54 Jahren geschriebener Artikel in die Hände. Zu schade, um ihn wegzustecken oder zu entsorgen. Denn hier stellt sich die stets aktuelle Frage: War früher alles oder doch vieles besser? Getrost lässt sich diese mit einem entschiedenen Nein!  beantworten. Es ging um Geschäfte, Rache, Enttäuschung, Macht - vor allem aber menschelte es heftig. In diesem Fall passt die Geschichte noch aus einem anderen Grund in die Jetzt-Zeit: Über Pfingsten feiern die Vaihinger wieder den traditionellen Maientag, ihren jährlichen Nationalfeiertag. D’Zit isch doa. Aber das wäre eine andere Erzählung

Der Originaltext, unverändert nach den seinerzeitigen Regeln der Rechtschreibung. Der Text wurde nicht angepasst. Erschienen: Württembergisches Abendblatt, Bezirksausgabe der Pforzheimer Zeitung für den damaligen Landkreis Vaihingen an der Enz, Ausgabe vom 12. September 1969.

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