Damit Jugend und Lehrer aus den unmöglichen Verhältnissen rauskommen

Als Zehnjähriger und Drittklässler war ich mittendrin im Geschehen, als Lienzingen Ende Oktober 1960 sein drittes Schulgebäude in fast vier Jahrhunderten einweihte. Der Abschied von dem steinernen Haus in der heutigen Kirchenburggasse und der Umzug in das neue Domizil Dr.-Otto-Schneider/Ecke Friedrich-Münch-Straße (damals Mühlweg) rührte und berührte uns schon.

29. Oktober 1960: Kinder und Lehrer ziehen um vom alten ins neue Schulhaus. Foto mit Lehrer Wilhelm Wagner (Hintergrund, vor der Treppe) und Schulleiter Karl Kießling (vorne links). (Soweit nichts anderes vermerkt, alle Smlg Gerhard Schwab, STAM).

Es war ein doppelter Einschnitt, zumindest in meinen Erinnerungen – in der alten Schule verpassten die Lehrer uns schon einmal schmerzhafte Tatzen mit dem Stock auf die Hand oder wir mussten, den Oberkörper nach vorne geneigt, Hiebe auf den Po als Strafe hinnehmen. Wahrscheinlich glich es gefühlt eher einem Zufall, dass der Abschied von der alten Schule auch für Lienzingens Pädagogen dem Abschied von der körperlichen Züchtigung durch Lehrer und somit von einer längst überholten Erziehungsmethode gleichkam. Denn ich war durchaus gelegentlich Kandidat für eine Prügelstrafe – mein erstes Zusammentreffen mit einem Zeigestock, in diesem Fall von Pfarrer Gerhard Schwab  zweckentfremdet, passierte schon in der ersten Klasse im Religionsunterricht. Der Holzstab ging auf meinem Allerwertesten in die Brüche. Offiziell abgeschafft wurde die Prügelstrafe in Baden-Württemberg erst 1973.

Die 1960 errichtete Grundschule (damals noch Volksschule) mit der Erweiterung in den Jahren 1995 und 1996. Hier beim Schulfest 2011 (Foto: G. Bächle)

Indessen: Der 950-Seelen-Ort feierte am 29. und 30. Oktober 1960 mit viel Musik, Spielen und Reden seine neue Schule. Klassiker wie Beethoven und Mozart, eingängige Volks- und Handwerkerlieder – ein Potpourri der beliebten Melodien, extra zusammengestellt für ein fröhliches Dorffest. Die Euphorie über das offizielle Festprogramm hielt sich bei manchen Schülern, so auch bei mir, in Grenzen, weil wir Schüler gesangmäßig ganz schön gefordert waren. Bei fast jedem zweiten der 16 Programmpunkte stand auf dem Blatt: Gesang der Schüler. Eine ähnlich tragende Rolle hatte allenfalls noch der Gesangverein.  Die Eltern hatten uns zu diesem besonderen Anlass in den Sonntagsstaat gesteckt, denn eine Weihe des neuen Hauses geschah schließlich nicht alle Tage – in diesem Fall genau 33 Jahre nach den ersten Plänen für ein Schulhaus, die noch auf einem Standort auf dem Gelände der heutigen Gärtnerei Mannhardt basierten, und nie realisiert worden waren.

Lienzinger Geschichte(n), letztes Kapitel der Schulbaugeschichte von 1874 bis 1961. Diesmal dreht sich alles um den 1960 eingeweihten Schulneubau. Quellen: die Akten des Landesarchivs Baden-Württemberg (StAL FL 20-18_Bü 503) und des Stadtarchivs Mühlacker (STAM) sowie dessen Ausschnittsammlung der lokalen Zeitungen.

Statt im Südwesten des Dorfes stand die neue Schule nun im Südosten. In die Hände der Kommunalpolitiker spielte dabei ein Erbe, Erben und die Gemeinde, die auf just jenes spekulierte. Das Grundstück für den realisierten Schulbau gehörte vormals Ingenieur Dr. Otto Schneider (1877 – 1952), gleichzeitig Namensgeber der hinter der Schule auf den Eichert hoch führenden neuen Straße. Seine Erben verkauften 1953 den gesamten Immobilien- und Grundbesitz der Gemeinde, darunter auch das Stück an der Ecke Mühlweg (heute Friedrich-Münch-Straße). Die Familie Schneider stand in Lienzingen für die Bierherstellung von zirka 1850 bis 1920. Doch Filius Otto hatte mit dem Brauen nichts im Sinn, er studierte und baute eine Maschinenbaufirma in Ludwigsburg auf, deren Chef er war. Seine Familie zog weg, als er noch Kind war.

 

Ich ersuche um Bericht. . .

Das letzte Kapitel zur Schulbaugeschichte, das doch noch glücklich endete, begann in dem kleinen Ort Lienzingen mit einem jener Dreizeiler auf Postkartengröße, der bezeichnend war für eine funktionierende Landesverwaltung: Ich ersuche um Bericht, ob der seit Jahren geplante Neubau eines Schulhauses in absehbarer Zeit durchgeführt werden soll.  Das schrieb der stellvertretende Vaihinger Landrat am 6. März 1947 dem Bürgermeisteramt Lienzingen. Bürgermeister Jakob Straubs handschriftliche Antwort vom 15. März machte keine Hoffnung auf die Realisierung der Pläne von 1937, die den Zweiten Weltkrieg überlebt hatten und selbst jetzt beim Landratsamt auf Wiedervorlage waren.

Pfarrer Gerhard Schwab, Schulleiter Karl Kießling und Oberlehrer Wilhelm Wagner (aus: Smlg. Roland Straub)

Doch bald darauf kam frischer Wind auf.  Am 16. Oktober 1947 trat der Gemeinderat zu einer Sondersitzung zusammen und wählte Richard Allmendinger zum neuen Bürgermeister. Der 37-jährige Obersekretär bei der Gemeindeverwaltung Altbach im Kreis Esslingen hatte einen Blick dafür, wie Lienzingen attraktiver gemacht werden konnte. Infrastrukturell fehlte in dem durch den Zuzug von Flüchtlingen und Vertriebenen stark gewachsenen Ort viel: Wohnungen, Schule, Kindergarten, Turnhalle. Der Schultes hatte ein großes Aufgabenpaket zu schultern, und dies bei schmaler Kasse. Allmendinger kapitulierte jedoch davor nicht.

Die Schule: Zumindest nach den vorliegenden Akten meldete sich im Auftrag des Kultministeriums der bautechnische Berater, Oberregierungsbaurat Dr.-Ing. Arnold beim Bürgermeister. Nach dem Gespräch mit Allmendinger und Schulrat Schöffler am 28. Juni 1951 in Lienzingen schrieb Arnold in einem Aktenvermerk an die Abteilung U II des Ministeriums, für 130 Schüler seien nur zwei etwas düstere, auf die Dauer nicht brauchbare Klassenzimmer sowie ein Behelfsraum, von der Lehrerdienstwohnung abgetrennt, vorhanden. Er empfahl einen Neubau auf einem westlich der Kirchenburg gelegenen Grundstück, sofern dieses 30 bis 40 Ar groß sei, womit er wohl das 1938 in Aussicht genommene Areal meinte.

Druck machte der Ortsschulbeirat in seiner Sitzung vom 13. Mai 1952. Ihm gehörten an Vertreter von Bürgerlicher und Kirchlicher Gemeinde sowie die Schulleitung. Schulrat Schöffler griff unter dem Punkt 5 der Tagesordnung den gewünschten Neubau der Schule auf. Durch die Säulen und Öfen sei die Übersicht des Lehrers über die Klasse behindert. Auch im Sommer bei geöffneten Fenstern sei die Luft schnell verbraucht. Die Schule stehe mitten im Dorf. Die Geräusche aus der Nachbarschaft wirkten störend. Auch fehle ein Schulhof. Alles Minuspunkte, die nicht neu waren. Der Beirat forderte auf Schöfflers Antrag hin, eine Rücklage für einen Neubau in den Haushaltsplan 1952 in größtmöglichster Höhe einzustellen, die Bauplatzfrage endgültig zu klären und für einen Bauplan zu sorgen, damit Jugend und Lehrer aus den unmöglichen Verhältnissen rauskommen.

In der neuen Schule ein Brausebad im Erdgeschoss

Südöstlich statt südwestlich: Eine Klärung brachte das Grundstücksgeschäft mit den Erben von Otto Schneider. Der 40 Ar große Bauplatz sei ausreichend und liege günstig zum benachbarten Sportplatz, notierte Oberregierungsrat Arnold  am 17. Mai 1955 in einem Vermerk an das Oberschulamt Nordwürttemberg in Stuttgart und verwies auf ein erneutes Gespräch am 13. Mai 1955 in Lienzingen, diesmal auch mit Schulrat Sadowsky, Regierungsamtmann Müller vom Landratsamt Vaihingen und Kreisbaumeister Äckerle.  Gemeinsam  erarbeiteten sie ein Raumprogramm: zwei Klassenräume, je ein Ausweichraum als Reserveklasse, einen Handarbeits- und einen Religionsraum, je einen Werkraum, ein Lehrerzimmer, Lehrmittel- und ein Schulleiterzimmer. Dazu komme noch das Lehrerwohnhaus. Modifiziert und in den Kosten reduziert, wurde das Raumprogramm von Architekt Jakob Buck am 7. März 1958 dem Gemeinderat vorgelegt, der es billigte: Im Obergeschoss drei Klassenzimmer, je ein Lehrer-, Lernmittel-, Bücherei- und Schulleiterzimmer, im Erdgeschoss ein Handarbeits- und Werkraum sowie ein Brausebad (STAM, Li B 325, S. 193).

Die heutige Kirchenburggasse als Pausenhof - wirklich nicht ideal und eines der Argumente für einen Neubau, der dann 1960 bezogen wurde.

Immer häufiger beschäftigte sich der Gemeinderat mit den Schulbauplänen. Die zeitlichen Abstände zwischen den Beratungen schrumpften.  Dabei war rasch klar, dass auch Allmendinger wie schon sein Vorgänger Karl Brodbeck, bis April 1945 im Amt, auf einen entscheidenden Einnahmeposten setzen musste – außerordentliche Holzeinschläge. Aber im Gegensatz zu Brodbeck schaffte er dies. Bei der Beratung des Haushaltsplanes 1955 am 2. September 1955 zeigte sich der Gemeinderat damit einverstanden, einen außerordentlichen Holzeinschlag von 400 Festmeter, ohne Wiederausgleich genehmigen zu lassen. Tatsächlich seien, so der Bürgermeister, davon 254 Festmeter gefällt, die Schulbaurücklage somit um 18.500. Mark gefüttert worden, bei einem Gesamtvolumen im ordentlichen Haushaltsplan 1955 von je 174.697 Mark und von je 57.000 Euro im außerordentlichen Haushaltsplan eine durchaus anerkennenswerte Leistung (STAM, Li B 325, S. 45 f).

Das erhöhte die Taktzahl. Der Gemeinderat beauftragte am 31. August 1956 den Mühlacker Architekten Jakob Buck, einen ersten Entwurf für eine neue Schule unter Einbeziehung einer Turn- und Festhalle zu planen, zunächst unverbindlich und ohne jegliche finanzielle Verpflichtung der Gemeinde. Ein Beschluss mit Wiederausstiegsklausel. Typisch Allmendinger. Knitz war er schon, der Schultes. Denn der Gemeinderat behielt sich vor, den Auftrag für Planung und Bauleitung in späterer Zeit zu entscheiden. Jedenfalls würden keine Verpflichtungen durch die Gemeinde, auch nicht in finanzieller Hinsicht, übernommen. Sollte heißen: Zuerst kostenlos arbeiten und erst wenn das Werk gefällt, gibt es den Auftrag und damit Honorar. Buck hatte schon zuvor für die Kommune gearbeitet, seine Fähigkeiten und seine Arbeitsweise ist der Gemeindevertretung durchaus bekannt (STAM, Li B 325, S. 104).

Auf der Zwillingstreppe der alten Schule (heute Kirchenburggasse 15, die südliche Treppe ist vom neuen Eigentümer abgebaut worden) (aus: Smlg. Gerhard Schwab, STAM)

Ein Blick in die Ratsprotokolle und hier besonders in die Passagen zum jeweiligen Haushaltsplan der Gemeinde dokumentierten die solide Finanzierungspraxis:

Haushalt für 1956, beraten am 31. August 1956: Trotz zurückgestellter Maßnahmen wies der Etat ein Minus von 2500 Mark auf. Das Loch lasse sich durch eine geringfügige Steuererhöhung stopfen. Lienzingen liege mit seinen Steuerhebesätzen immerhin an der unteren Grenze im Landkreis Vaihingen, sagte Allmendinger. Und dann spannte er den Bogen zu den Schulbauplänen. Nur wenn die Steuerhebesätze auf Landesdurchschnitt gebracht würden, sei mit einem Zuschuss des Landes für den geplanten Schulbau zu rechnen. Das Ortsparlament verabschiedete den Etat 1956 am 17. September 1956, hob die Grundsteuer A für landwirtschaftliche Grundstücke von 130 auf 140 Punkte an, die Grundsteuer B von 110 auf 120. Die Gewerbesteuer blieb mit 300 Punkten unangetastet. Das Etatvolumen, jeweils in Einnahmen und Ausgaben: rund 194.000 Mark. Zudem stimmte das Gremium einem zusätzlichen Sonder-Einschlag von weiteren 146 Festmeter Holz zu. Der erwartete Erlös von 14.308 Mark wanderte aufs Sparbuch – für den Schulbau (STAM, Li B 325, S. 103 und 106).

Neues Schulfeeling in der neuen Volksschule Lienzingen

Haushalt für 1957, beraten am 26. Juli 1957: Die Schulbau-Rücklage wuchs weiter im Jahr 1957. 10.000 Mark aus ordentlichen Haushaltsmitteln des laufenden Jahres, 13.800 Euro aus dem Sondereinschlag Holz, 1796 Mark Zinsen für die schon angehäuften Gelder für die neue Schule. Die allgemeine Finanzlage habe sich verbessert bei der Gewerbesteuerumlage durch einen von 50 auf 75 Mark angehobenen Betrag pro  Arbeitnehmer. Die Kommune habe, so Allmendinger, 34.718 Mark Schulden. Dem stehe ein Aktivvermögen von 150.134 Mark gegenüber, darunter Aktien bei der Energieversorgung Schwaben (EVS, heute EnBW) im Wert von 74.259 Mark. Pro Schüler (insgesamt 80) bringe die Gemeinde 531 Mark auf, nach Abzug der Mittel für die Schulbaurücklage immerhin noch 210 Mark. Das Volumen des Gemeindeetats: knapp 200.000 Mark.

Schon am 25. Januar 1957 legte der Bürgermeister dem Rat seinen Finanzierungsplan vor, nachdem Architekt Buck in derselben Sitzung seine Pläne für Schul- und Turnhallenneubau erläutert hatte. Die Kosten: 322.000 Mark Schule, 195.000 Mark Turnhalle, der Bau zwischen beiden 20.000 Mark.  Und so bezahlte die Gemeinde die Schule:

  • 85.000 Mark Eigenmittel (Guthaben bei Kreissparkasse und Bausparkasse jeweils 25.000 Mark, außerordentlicher Holzeinschlag 1956/57 zusammen 25.000 Mark, ordentliche Haushaltsmittel von 10.000 Mark im laufenden Jahr)
  • 45.000 Mark Staatsbeitrag (15 Prozent der Gesamtkosten)
  • 15.000 Mark Mehrerlös aus den Grundstücksgeschäften mit den Erben von Dr. Otto Schneider
  • 45.000 Mark diverse Bausparkassen-Darlehen, die die Gemeinde aufnehmen müsste
  • 125.000 Euro Kredite (im Jahr 1958) bei einer Bank.

Der Gemeinderat akzeptierte, beauftragte ganz offiziell Architekt Buck  mit Planung und Bauleitung, stellte aber Entscheidungen zur Turnhalle zurück, da noch offene Fragen vorhanden seien, etwa die Höhe der Beteiligung der Vereine, die Zeichnung von Bausteinen … Diese müssten unter allen Umständen feststehen, so dass man mit deren Eingang rechnen kann. Dass in der Bürgerversammlung mehrfach der Vorschlag kam, die Schule oben auf dem Eichert zu bauen und die Turnhalle unten am Mühlweg/Ecke Dr.-Otto-Schneider-Straße), verhehlte Allmendinger nicht. Doch er lehne dies entschieden ab wegen höherer Bau- und Betriebskosten (STAM, Li B 325, S. 132 f, 137 f).

Grafik: der Autor

Der Architektenvertrag mit Buck stand am 8. März 1957 auf der Tagesordnung des Gemeinderates, der ein Honorar von 15.000 Mark genehmigt – ohne Rücksicht auf die später sich ergebenden tatsächlichen Baukosten (STAM, Li B 325, S. 138).

Gewerbesteuer bewegt sich in bescheidenen Grenzen

Die Bauarbeiten für die Schule sollten im Frühjahr 1957 anlaufen, doch weil offen sei, ob die Gemeinde einen Staatsbeitrag für das Projekt erhalte und gegebenenfalls in welcher Höhe, werde es wohl Frühjahr 1958. Mitte April 1957 schickte der Bürgermeister ein ganzes Paket mit Bauplänen, Kostenvorschlägen, Finanzierungsplan, Haushaltsplan und Schülerzahl-Statistik nach Stuttgart – im Anschreiben bat er die Landesbehörde, einen möglichst hohen Staatsbeitrag zu verwilligen. Der Bau eines neuen Schulgebäudes  in der Gemeinde Lienzingen sei schon im Jahr 1938 anerkannt und ein Staatsbeitrag in Aussicht gestellt worden. Die kommunale Haupteinnahmequelle sei der 344 Hektar große Wald, die Gewerbesteuer bewege sich in bescheidenen Grenzen, die Gemeinde komme mit ihren Einnahmen gerade noch aus. Allerdings stünden noch weitere Aufgaben an, so eine Flurbereinigung, die Einwohnerzahl sei seit 1948 um nahezu zehn Prozent gestiegen, zur Linderung der Wohnungsnot seien mehr als 50 Wohnungen errichtet worden, in die Erschließung des Baulandes habe die Gemeinde 50.000 Mark investiert.

Trotzdem verhielt sich das Oberschulamt b’häb. Über das Vaihinger Landratsamt ließ das Oberschulamt den Bürgermeister in einem Aktenvermerk vom 22. September 1958 wissen, die Gemeinde sei in der Lage, den Rohbau zunächst aus eigener Kraft unter Zuhilfenahme von Bausparverträgen zu finanzieren. Selbst der Versuch, via Schulleiter Karl Kießling das Bezirksschulamt Mühlacker um Schützenhilfe zu bitten, verpuffte. Das Bezirksschulamt könne in der Sache selbst von sich aus nichts unternehmen, so Schulrat Friedrich Wißmann schriftlich am 8. September 1958 in seiner Antwort, doch das Gemeinschaftliche Oberamt in Schulsachen in Vaihingen  könne die Vordringlichkeit des Schulhausbaues noch einmal betonen. Einen anderen Weg, den Antrag der Gemeinde zu unterstützen, wisse er nicht.

Haushalt für 1958, vorberaten am 18. Juli, verabschiedet am 5. September 1958: Neben 150.000 Mark für den Rohbau der Schule prägten den Etat auch der Beginn der Bauarbeiten für den ersten Kindergarten der Kommune mit einem Posten von 60.000 Mark, wobei letzterer mit 40.000 Mark gesponsert wurde, vom Mühlacker Fabrikanten und Lienzinger Jagdpächter, Friedrich Münch. Dem Ansatz Schulbau von 150.000 Mark auf der Ausgabenseite standen geplante Einnahmen gegenüber von 40.000 Mark Landeszuschuss, 15.000 Mark aus dem Erlös des außerordentlichen Holzeinschlags, 61.684 Mark aus der Schulbau-Rücklage und 33.316 Mark Kredite aus den Bausparverträgen.  Wenn der Staatsbeitrag, so der Schultes, rechtzeitig eingehe, sei nur noch eine unbedeutende Kreditaufnahme im Jahr 1958 notwendig. Der Gemeinderat erhöhte wiederum die Grundsteuern: A von 140 auf 160 Punkte, B von 120 auf 150. Der ordentliche Haushalt schloss mit je 196.000 Mark. Da Lienzingen mit 59,54 Mark pro Einwohner eine geringe Steuerkraft zu beklagen hatte, sagte das Land eine Extra-Zahlung von 10.400 Mark zu, wenn die Hebesätze mindestens 150 Prozent betrugen. Durch die Investitionen übertraf ihn der außerordentliche Haushalt mit mehr als doppelt auf 229.000 Mark (STAM, Li B 325, S. 213 f, 221 f).

Haushalt für 1959, verabschiedet am 14. August 1959: Ein Volumen von 197.448 Mark im ordentlichen und 183.855 Mark im außerordentlichen Teil – 150.000 Mark Ausgaben für den Schulneubau, davon 70.000 Mark via Darlehen der Kreissparkasse bei sechs Prozent Zins und noch auszuverhandelnder Tilgung (maximal 2500 Mark) (STAM, Li B 325, S. 281 f).

In den ersten Jahren begeisterte im Hof der neuen Volksschule Wasser die Schüler, weniger die Lehrerschaft

Zweckmäßig – so das Urteil von Oberfinanzdirektion und Oberschulamt im Juni 1958 zu den Lienzinger Schulbauplänen. Den anrechnungsfähigen Bauaufwand gaben sie mit 310.900 Mark an. Der Baugenehmigung durchs Landratsamt lag nun nichts mehr im Weg (STAM, Li B 325, S. 211).  Die überarbeiteten Unterlagen waren an 12. Mai 1958 eingereicht und mit den Bauarbeiten in der zweiten Julihälfte begonnen worden. Der Gemeinderat stimmte nach der am 28. März 1958 beschlossenen öffentlichen Ausschreibung am 9. Mai 1958 der Vergabe von elf Gewerken zu, wobei das Bauunternehmen August Bergle aus Mühlacker den Zuschlag für den Rohbau erhielt. Mit den Arbeiten sollte ursprünglich im Februar 1958 begonnen werden, doch sie verzögerten sich, liefen aber noch vor der Genehmigung des Staatsbeitrages an (STAM, Li B 325, S. 194, 198, 205).

Nach des so befriedigend und freudvoll verlaufenen Tagen der Heimat, ist man nun mit frischem Mut und neuer Tatkraft an die Aufgaben gegangen, die noch der Bewältigung harren. Mit solch schwulstigen Formulierungen begann ein kurzer Bericht in der Ausgabe vom 24. Juli 1958 des Mühlacker Tagblatt (MT) unter dem Kürzel (lo) aus Lienzingen, in der Rubrik Aus unserer Heimat,  und erst der sich anschließende Text verriet die eigentliche Neuigkeit. Das Fundament des so lange ersehnten Schulhauses wurde in diesen Tagen ausgeschachtet und mit dem Rohbau begonnen. Bürgermeister Allmendinger hoffe, in etwa drei Monaten Richtfest feiern zu können.

Im Rohbau fertig berichtete Anfang Juni 1959 im MT dessen Lokalredakteur Rudolf A. Pospischil, garnierte seinen kurzen Text über die beträchtlichen baulichen Ausmaße der neuen Volksschule mit einem dreispaltigen Foto. Ende August 1959 feierte die Gemeinde Richtfest. Für den erkrankten Bürgermeister Allmendinger sagte sein Stellvertreter, Gemeinderat Erwin Schmollinger, der Rohbau sei schon jetzt ein schönes, helles Gebäude. Gedichte sprachen Uli Kontzi als Schüler der Mittelklasse, Helga Kaiser für die Unterklasse. Vor dem Richtschmaus im Ochsen erinnerte Schulleiter Karl Kießling daran, wie sich die seelische Struktur Jugend in den 120 Jahren zuvor gewandelt habe. Beim damaligen Bau des Schulgebäudes 1857 habe es weder elektrisches Licht noch Wasserleitungen gehabt (MT, 29. August 1959).

Zum Leidwesen des Bürgermeisters blieb diese erhoffte Genehmigung des Staatsbeitrages zunächst aus, die Gemeinde musste ein Jahr mit Krediten überbrücken.

Stuttgart genehmigte, wenn auch verspätet, 90.000 Mark

Die gute Nachricht aus Stuttgart traf später - Mitte Juli 1959 und damit gut einen Monat vor dem Richtfest - im Lienzinger Rathaus ein. Zur Behebung der bestehenden Schulraumnot genehmigte das Oberschulamt der Kommune aus den Mitteln des Kapitels 0402 Titel 970 des Staatshaushaltsplans 90.000 Mark, somit 32 Prozent des Aufwandes. Das waren mehr als von Allmendinger kalkuliert. Schon sechs Wochen vor dem am 29. Juni 1959 ausgestellten Zuschussbescheid ordnete das Oberschulamt in einem Brief an die Regierungsoberkasse Nordwürttemberg in Stuttgart - Aktenzeichen U II O Lienzingen/44 – an, der Gemeinde einen ersten Abschlag von 40.000 Mark zu überweisen aufgrund der von Architekt Buck vorgelegten Nachweise über den Baustand.

Das Einweihungsprogramm 29./30.Oktober 1960

Letzte Runde: Der Schulhausneubau ist fertiggestellt. So das Oberschulamt Nordwürttemberg am 23. Juni 1961 an die Regierungsoberkasse Nordwürttemberg. Damit war die dritte und letzte Rate des Staatsbeitrags, somit 18.000 Mark, zur Überweisung fällig, also insgesamt die zugesagten 90.000 Mark. Diese führte auch Bürgermeister Allmendinger in der Baukostenabrechnung an, die er am 20. März 1961 auf den Postweg über das Gemeinschaftliche Oberamt in Schulsachen an das Oberschulamt Nordwürttemberg adressiert hatte. Doch er wollte einen Nachschlag.

Kurze Beine, kurze Wege: Die Grundschule gehört ins Dorf.

Als Bittsteller war der Lienzinger Verwaltungschef unschlagbar. Die Gemeinde Lienzingen in unmittelbarer Nachbarschaft der sehr aufstrebenden Stadt Mühlacker ist als Wohngebiet sehr begehrt. Da die Gemeinde jedoch die äußere Verschuldgrenze erreicht hat, stehen ihr zur Erschließung von Baugelände keine Mittel mehr zur Verfügung, obwohl die Möglichkeit hierzu gegeben wäre.  Als aufstrebende, wirtschaftlich jedoch sehr schwache Gemeinde, würden wir es als eine unbillige Handlung ansehen müssen, wenn es bei dem zugesagten Staatsbeitrag bleiben müsse. Doch Allmendinger scheiterte mit dem Wunsch, auch die während der Bauzeit gestiegenen allgemeinen Baukosten von 15,5 Prozent bezuschusst zu erhalten.

Wir kleinen Leut, wir spielen heut als Glaser, Flaschner, Maler, ihr aber seid die Zahler – der Vers, den Margit Straub bei der Einweihungsfeier zum Besten gab, war Teil des  reizenden Singspiels der Unterklasse Handwerkerlieder als Beitrag zur Einweihungsfeier am 29. Oktober 1960. Das ewig aktuelle Thema, wer letztlich bezahlt. Pfarrer Gerhard Schwab für die Evangelische Kirchengemeinde Lienzingen und sein  Kollege Braun für die katholische Seite waren sich einig, dass unser Volk vor allem erzogene Menschen brauche. Und das Lokalblatt titelte am selben Tag: Lienzinger Kinder erhalten ein modernes und schönes Schulhaus. In einem Bericht über den Bau lobte der Autor, dass eine Hausmeisterwohnung dem 42 Meter langen Schultrakt vorgelagert sei.

Ein kluger Mensch rechnete nach, dass in dem 1837 gebauten zweiten Schulgebäude (heute Kirchenburggasse 15) bis zum Umzug in das neue im Oktober 1960 etwa 3000 Lienzinger Kinder von zusammen 50 Lehrer unterrichtet worden waren (MT, 31. November 1960). Von ihm galt es, nun Abschied zu nehmen. Die Schüler versammelten sich zum letzten Mal in ihren Klassenzimmern. In einem von Oberlehrer Wilhelm Wagner verfassten Zwiegespräch hatten die Mädchen und Buben der Mittelklasse Zeit, die mehr als 400 Jahre lange Lienzinger Schulgeschichte zu hören. Anschließend verließen  die Mädchen und Jungen über die Zwillingstreppe zusammen mit ihren Lehrern das Gebäude und reihten sich auf der Gass hintereinander. Am Ziel, die neuen Schule, angekommen, ließ Bürgermeister Allmendinger die Baugeschichte Revue passieren, Architekt Buck überreichte dem Schulleiter symbolisch den Schlüssel. Grußworte sprachen auch Landrat Dr. Friedrich Kuhnle aus Vaihingen und Bezirksschulrat Friedrich Wißmann.

Vor dem Umzug in die neue Schule.

Neues Schulhaus für viele Generationen, überschrieb das MT seinen Bericht. Zur Geschichte indessen gehört: Die Stadt Mühlacker, zu der Lienzingen seit Juli 1975 gehört,  erweiterte 1995/96 die Grundschule Lienzingen für 2,71 Millionen Euro um vier Klassenräume erweitert (Kostenfeststellung, GR, Vorlage 60/65/97). Hier war ich nicht Schüler, sondern Mitglied des Gemeinderates, der über das Projekt mit zu entscheiden hatte. Da musste ich auch nicht singen.

Die Schulbau-Serie im Blog:

Mehr als 400 Jahre Schulgeschichte des Dorfes

Die nie gebaute Schule

Wie das Dorf zur zweiten Schule kam

Der Schulabtritt-Streit

Die zweite Lehrerstelle schafft Wohnungsproblem

Gerügte Übelstände

 

 

 

Trackbacks

Trackback-URL für diesen Eintrag

Kommentare

Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Kommentare werden erst nach redaktioneller Prüfung freigeschaltet!


Um maschinelle und automatische Übertragung von Spamkommentaren zu verhindern, bitte die Zeichenfolge im dargestellten Bild in der Eingabemaske eintragen. Nur wenn die Zeichenfolge richtig eingegeben wurde, kann der Kommentar angenommen werden. Bitte beachten Sie, dass Ihr Browser Cookies unterstützen muss, um dieses Verfahren anzuwenden.
CAPTCHA

Umschließende Sterne heben ein Wort hervor (*wort*), per _wort_ kann ein Wort unterstrichen werden.
Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.