Fertig im Unfertigen: Das Erbe des James de Kerjégu und der Bankierstochter aus Karlsruhe

Künstlerin von Trévarez im Jahr 2022:  Raija Jokinen  aus Finnland. Sie arbeitet mit Ästen, Blättern, Wurzeln und Naturfasern. Die Finnin stellt mit viel Feingefühl Skulpturen her, teils durchlässige, sehr filigrane, einzigartige Körper. Dabei geht es ihr immer um den Bezug von Mensch und Natur, wird sie im ARTE Journal zitiert.

Einband an Einband: Büchersammlung in der Schlossbibliothek

Trévarezrez ist ein besonderer  Ort in der Bretagne. Ein Ort, der auch beim wiederholten Besuch trotz  eines schon vertrauten  räumlichen und baulichen festen Rahmens immer Neues bietet, deshalb immer aufs Neue begeistern kann.

Die Ostfassade des Schlosses (Fotos: Günter Bächle, 2022)

Als da sind:

  • Der Park verwandelt sich, je nach Jahreszeit (für die Kamelienblüte kamen wir diesmal wieder zu spät). Ihre Blütezeiten folgen aufeinander: die Kamelien von November bis April, die Rhododendren im April und Mai (Nationalsammlung), Hortensien und Fuchsien im Sommer. 
  • Noch vorhandene Kriegsschäden im Schloss wie im sogenannten Großen Saal werden – zu meiner Überraschung beim dritten Besuch dieses Jahres - wohl dauerhaft bleiben, konserviert,  ein daneben positioniertes  vergrößertes Originalfoto zeigt dem Betrachter, wie just dieser Bereich aussah, als er noch heil war.  Motto: fertig im Unfertigen. 
  • Die Künstler wechseln jährlich, positionieren ihre Werke konzentriert im Marstall, aber auch  an anderen Stellen auf dem sonstigen Areal.
  • Ein Geschichts-, Kultur- und Naturquarier. 
Noch sichtbare Schäden im Großen Saal, 1944 durch Bombenangriffe entstanden

Ein kleiner fotografischer Streifzug durch Schloss und Park von Trévarez (im August 2022 wurden die Bilder von mir aufgemommen.

Originelle Sonnenuhr
Der Marstall mit dem großen Glasdach
Blick ins Tal

Raija Jokinen, Künstlerin 2022, ist die Anlage nicht fremd. Im Gegenteil. Sie schwärmt von  Trévarez:

Wir sind atemlos, wenn wir hier ankommen, von seiner Schönheit und seiner Geschichte.  Schöne Begegnungen, bei denen ich sehen konnte, wie sehr sich die Teams vor Ort für den Erhalt von Natur und Kultur einsetzen. Dieser Wille, der überall in der Gesellschaft geteilt werden sollte, hat mich sehr beeindruckt..

Die Gesamtschau: Park und Schloss

Trévarez , das Schloss in der ländlichen Einsamkeit und Idylle, lugt aus der Entfernung aus einer geschlossenen Walddecke heraus wie ein Naseweis..  In seiner ländlichen Umgebung waren das Château de Trévarez und seine 1900 geschaffenen Parkanlagen das perfekte, leuchtende Beispiel für Luxus, Komfort und Fortschritt.

Die Besucher erreichen die Anlage über ein neu gebautes Pförtnerhaus, dem historisch gehaltvollen Komplex passend vorangestellt. Davor die Parkplätze.

Schloss und Park Trévarez wurden Ende des 19. Jahrhunderts von James de Kerjégu erbaut und erhielten die Auszeichnung Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts (Patrimoine du 20e).

Das Schloss im Stil der Belle Epoque mit seinen rosa Backsteinen und den Kersanton-Steinen steht seit über hundert Jahren mitten in einem 85 Hektar großen Park oberhalb des Aulne-Tals.

Das Pförtner-Haus von Trévarez

Im Jahr 1893 begann der Politiker James de Kerjégu, verheiratet mit einer Bankierstochter aus Karlsruhe, mit dem Bau seiner erträumten und glanzvollen Residenz. Mehr zur Geschichte hier.

Es war einst eine riesige Baustelle: 54 Firmen arbeiteten dort fast 14 Jahre lang. Die Kosten beliefen sich auf fast 5 Millionen Franken Gold (etwa 18 Millionen Euro). 

Trévarez ist eines der jüngsten Schlösser, die in Frankreich gebaut wurden. Nicht nur das – der Bauherr erwies sich als überaus innovativ. Eine Stahlkonstruktionen, Aufzüge, Elektrizität und Jugendstildekor… Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Schloss von den deutschen Besatzern übernommen, am 30. Juli 1944 von der Royal Air Force bombardiert und schwer beschädigt.

Das Schloss, das wegen den Schäden von 1944 renoviert wird, ist teilweise für Besucher zugänglich und beherbergt eine Dauerausstellung über die Geschichte des Anwesens, die auch verbunden ist mit der bretonischen Geschichte. Die majestätischen Stallungen, noch intakt, geltzen als architektonisch genauso beeindruckend wie das Schloss selbst und bieten Platz für Veranstaltungen und Ausstellungen unter einem riesigen Glasdach.

Nicht zu verwechseln - der Name bezieht sich eine Kamelien-Sorte im Park von Trévarez..

Das Anwesen liegt inmitten eines herrlichen Wald- und Blumenparks.

Die Domäne Trévarez in Saint-Goazec eröffnet jährlich Ende April die botanische Saison für Rhododendren. Nach den Kamelien kann das Publikum die 600 im Garten gepflanzten Sorten entdecken. Das Anwesen ist für seine Sammlung von Rhododendren bekannt, da es seit 1992 vom Conservatory of Specialized Plant Collections als nationale Sammlung bezeichnet wird. Seit seiner Gründung säumten viele Rhododendren die Hauptwege des Anwesens. Einige dieser inzwischen Hundertjährigen können noch heute im Park bewundert werden. Die Domäne gehört dem Generalrat von Finistère.

Kriegsschäden und wie damit umgehen - partiell beides zeigen, ist das Motto: Einst im Foto und jetzt

Im Ort am Fuße der rundum bewaldeten Anhöhe in der Gemeinde  Saint-Goazec  sind heute noch das Herrenhaus erhalten, das 1860 von François de Kerjégu, Vater von James, vollständig umgebaut und dann modernisiert wurde, die Kapelle Saint-Hubert, die früher Notre-Dame geweiht war, dann 1699 wieder aufgebaut und unter die Schirmherrschaft von Saint Hubert gestellt , Schutzpatron der Jäger, und der Saint-Hubert-Brunnen aus dem Jahr 1700, der sich am Fuße des heutigen Schlosses befindet. Das ehemalige Herrenhaus wurde im 16. Jahrhundert (der westliche Teil) und im 17. Jahrhundert (der östliche Teil) erbaut.

Zur festen Zeremonie der jährlichen Saisoneröffnung gehört auch die Vorstellung des Künstlers oder der Künstlerin, die für fast ein halbes Jahr ihre Werke zeigen.

(An)gerichtet: der Speisessaal

Diesmal ist es die elfte Ausgabe von Regard d'artiste – so die Bezeichnung der Kunstaktionen. Die finnische Künstlerin Raija Jokinen bietet in zwei Videos, die im Marstall, also den ehemaligen Pferdeställen, in einer Endlosschleife laufen, einen Einblick in das Entstehen ihrer Kunst. Sie kreiert ihre Werke mit Flachsfasern, einem natürlichen Material, das seit Jahrtausenden von menschlichen Gesellschaften verwendet wird. Anstatt die Faser jedoch wie traditionell miteinander zu verweben, färbt und fügt sie das Material mit Reisstärke zusammen und vernäht sie dann. 

Der Stil liegt an der Schnittstelle von Zeichnung, Malerei und Skulptur. Scheinbar fragil, beweisen seine Arbeiten eine seltene formale Kraft. 

Heißt es in einer Kritik. So filigran und fragil, dass eines der Werke im großen Saal des Schlosses übersehen werden kann.

Die Finnin wurde Ende der 1980er Jahre an der Universität für Kunst und Design in Helsinki in Finnland in Weberei und Textildesign ausgebildet und stellt ihre Werke seit mehr als 30 Jahren weltweit aus. Sie ist auf dem Gebiet der Textilkunst anerkannt und hat mehrere Auszeichnungen erhalten, darunter die als finnische Textilkünstlerin im Jahr 2020.

Eine der Arbeiten der Künstlerin Raija Jokinen auf Trévarez in der Britagne 2022.

 

Jokinen erklärt in einem Interview ihre Art, sich auszudrücken: Ich habe eine Technik geschaffen, die zufällig ein Treffpunkt zwischen Skulptur, Malerei, Zeichnung und handgeschöpftem Papier ist. Die Verwendung eines natürlichen Materials erfordert einige Verhandlungen, Leinen hat seinen eigenen Charakter, Sie müssen eine Balance zwischen Verletzlichkeit und Widerstandsfähigkeit finden. Mit diesem Dilemma sind Mensch und Natur heute konfrontiert. Was sehr zerbrechlich aussieht, kann sehr solide und langlebig sein, diesen Aspekt finde ich beim Menschen und in der Natur, zitiert die bretonische Tageszeitung Ouest-France  (alle Zitate aus derAusgabe vom 29. April 2022 des Ouest-France, Google-Übersetzung).

 

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