Kommunale kämpften für Tempo 15 auf der Ortsdurchfahrt und mit vergiftetem Hafer gegen Feldmäuse in den Kleeäckern

Gemeinderat Geissler erhielt 1931 einen wichtigen Posten in dem seinerzeitigen Bauerndorf - als Schweinezähler. So bunt, vielfältig, aber auch skurril waren Themen, über die in dem dicken Buch geschrieben steht und die die Lienzinger Gemeinderäte in den vermeintlich Goldenen Zwanzigern und zu Beginn der 19-dreißiger Jahren beschäftigte: Pumpen und Leitungen für die Wasserversorgung, die Zucht-Stiere, das Vergiften von Feldmäusen in den Kleeäckern - für eine Abwechslung, wenn auch keine gewollte, sorgte 1930 der Blitz, denn er schlug in den Dachreiter der in kommunalem Eigentum stehenden Frauenkirche ein. Ein besonders kritischer Punkt schafft es aber auch heute noch garantiert auf die Tagesordnungen in den Ratssälen - die Verkehrsbelastung, denn die Motorisierung blieb auf Wachstumskurs. Zudem begann zum Ende dieser demokratisch legitimierten Ratsarbeit eine Ära: Im Frühjahr 1933 pachtete der Mühlacker Fabrikant Friedrich Münch die Gemeindejagd - sie blieb bis 2018 in der Familie Münch.

Zehn Mitglieder zählte der Lienzinger Gemeinderat im Jahr 1925 – dem Jahr, als das neue Protokollbuch beschafft wurde, sechs Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs und der Ausrufung der deutschen Republik. Bis einschließlich 1943 – und damit vier Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges - finden sich darin alle Beschlüsse und Beratungen des Ortsparlaments der bis 1975 selbstständigen Kommune.  Immer eingetragen, fast durchweg handschriftlich, von einem Einzigen: Bürgermeister Karl Brodbeck. Als Element der Kontinuität bezeichnet ihn der Historiker Konrad Dussel (Ortsbuch Lienzingen, 2016. S. 172 f).

Handgeschrieben vom Schultes: Ratsprotokoll hier mit der Forderung nach Tempolimit 15 km/h auf der Ortsdurchfahrt
1925 bis 1943: Die Einträge des fleißigen Bürgermeisters, der nicht nur die Ratssitzungen und die Verwaltung leitete, sondern auch das Protokollbuch immer aktuell hielt (Foto: Sandra Schuster)

Was die Lienzinger damals beschäftigte, lässt sich noch heute nachlesen im Stadtarchiv Mühlacker (STAM, Li B 322). Denn die akribische Fleißarbeit des Mannes, der von 1920 bis 1945 Schultes war in dem Bauerndorf mit nicht einmal tausend Einwohnern, ist gleichzeitig Nachschlagewerk über die großen und kleinen Probleme, über den Alltag von Bauern, Händlern und Arbeitern in Krisen- und Kriegsjahren, aber auch freudiger Anlässe in dem zum Oberamt Maulbronn und von 1938 an zum Kreis Vaihingen gehörenden Gemeinwesen.

Immer wieder standen damals schon Verkehrsthemen auf der Tagesordnung. Kein Wunder, zweigeteilt durch die große Überlandverbindung von Stuttgart in die Rheinebene nach Speyer, der damaligen Reichs- und heutigen Bundesstraße 35, litt Lienzingen unter Lärm und Abgasen, zog aber auch wirtschaftliche Vorteile daraus...

Erst seit 1951/52 entlastet die Umgehungsstraße. Weil durch den Ort, am Adler-Eck (heute Bäckerei Schmid) und damit einem Unfallschwerpunkt vorbei, für jene Zeit viele Fahrzeuge über die gepflasterten Straßen donnerten, lohnten sich auch zwei Tankstellen, 1928 und 1929 montiert in der heutigen Friedensstraße, obwohl in Lienzingen nur zwei Kraftfahrzeuge amtlich gemeldet waren.

Lienzinger Geschichte(n) in Serie. Kurt Brodbeck, von 1920 bis 1945 Bürgermeister (zuvor in Schützingen). Zeitweise versah er den Chefposten im Lienzinger Rathaus mit dem in Zaisersweiher. Seine Ratsprotokolle als Tagebuch des Lebens in einem schwäbischen Dorf von 1925 bis 1943

Autos brauchen Sprit. Zwei erkannten darin eine Chanche auf zusätzliche Einnahmen. Beiden Anträgen stimmte der Gemeinderat zu: Den ersten reichte Albert Schnabel - Gemischtwarenhändler - für den Standort nahe Rathaus ein  (Hauptstraße 60, heute Friedenstraße 12), den zweiten dann für einen Platz vor dem jetzigen Anwesen Link, seinerzeit Lehr Witwe (Hauptstraße 111, jetzt Friedenstraße 26).

So steht im Protokoll der Ratssitzung vom 6. Juli 1929:

 Nr. 3 Friederike Lehr hier beabsichtigt durch die Deutsch=Amerikanische Petroleum Gesellschaft Mannheim auf ihrem Hofraum vor dem Geb. No. 7-111 eine Dapolin=Pumpanlage errichten zu lassen. Der Gemeinderat hat hiergegen nichts einzuwenden  (STAM, Li B 322, S. 170). (Dapolin war ein Kraftstoff).

Bürgermeister Karl Brodbeck, aufgenommen etwa 1934. Geboren 9. Juli 1886 in Vellberg, bei Schwäbisch Hall, gestorben 8. Juli 1967 in Lienzingen. Bürgermeister in Lienzingen 1922-1945. (Smlg. Kuno Brodbeck)

Doch die Lienzinger sahen ihre gute Verkehrsanbindung auch kritisch, weshalb sie Tempo 15 auf der Ortsdurchfahrt forderten und dies beim württembergischen Innenministerium  auch beantragten. Heutzutage dagegen wird das Tempolimit eher bei 30 Stundenkilometern gesehen. Die aktuelle Frage im Jahr 2022: Muss weiterhin nur auf einem Teilstück der Durchgangsstraßen Friedenstraße und Zaisersweiherstraße Tempo 30  eingehalten werden oder wird diese Geschwindigkeitsbremse auch für die restlichen Teile noch angeordnet, wie es im Lärmaktionsplan für die Stadt Mühlacker verlangt wird. Wie sich die Probleme ähneln, auch wenn rund 90 Jahre dazwischen liegen.

So heißt es im Protokoll der Ratssitzung vom 12. Februar 1929 (S. 150 f):

Unser Ort liegt an der vom Innenministerium lt. Bekanntmachung vom 20.2.[19]26 – Amtsbl[att] Nr. 25 (…) bezeichneten, dem Durchgangsverkehr dienenden Wegstrecke Stuttgart – Vaihingen – Illingen – Knittlingen – Bretten und wird in seiner ganzen Länge durchfahren. Hier kommt für Kraftfahrzeuge bis zu 5,5 t die 30 klhm-Geschwindigkeit in Betracht. Die hiesige Bevölkerung treibt zum größten Teil Landwirtschaft u[nd] kann man sich den Umtrieb auf den Ortsstraßen denken. Der Autoverkehr wird immer stärker & das Passieren (also Queren) der Ortsstraßen immer gefährlicher, letzteres umso mehr, da mitten im Ort eine scharfe Kurve ist. In Anbetracht dieser Umstände und zur Verhütung von Unglücksfällen ergeht vom Gemeinderat in der heutigen Sitzung der Beschluß:

1. Durch das Oberamt beim Innenministerium den Antrag zu stellen, die Fahrgeschwindigkeit innerhalb der hiesigen geschlossenen Ortsteilen bei sämtlichen Kraftfahrzeugen von 30 auf 15 klhm  in der Stunde herabzusetzen bezw. die Gemeinde hierzu zu ermächtigen.

2. Die nötigen Plakate auf Kosten der Gemeinde anzubringen.

Im Sommer zuvor forderte der Schultheiß in einem Brief an das Straßen- und Wasserbauamt Ludwigsburg eine Auto-Umgehungsstraße. Der Verkehr habe sich in den vergangenen Jahren sehr gesteigert und werde sich noch viel, viel mehr steigern. Der Verkehr, insbesondere an der scharfen Kurve am Gasthaus Adler, sei direkt unsicherer und gefährlicher geworden. Wenn einmal Menschenleben zu beklagen sind, ist es zu spät! Zudem würden durch die schweren Lastwagen die Häuser derart erschüttert, dass an diesen Rissen entstünden.

Doch wer bestimmte den Kurs im Rathaus?

Gäbe es das Protokollbuch nicht, bliebe manches unbekannt. Sehr viel lasse sich nicht berichten, denn verblüffenderweise seien kaum einschlägige archivalische Unterlagen erhalten geblieben, beklagte Dussel in seinem Beitrag zum Ortsbuch, immerhin würden sich über die Gemeinderatsprotokolle zumindest die Gewählten eindeutig bestimmen lassen (S. 170 f). 

1927: Gemeinderat Otto Knopf

Am 13. November bereiteten die kommunalen Amtsträger die Neuwahl am Samstag, 19. Dezember 1925 vor. Von 14 bis 20 Uhr konnten die Stimmzettel abgegeben werden. Seit der Wahl zuvor war die Zahl der Ratsmitglieder geschrumpft: Gottlob Brüstle starb, Otto Knopf und Gottlob Huber zogen weg (Knopf kehrte Jahre drauf wieder zurück und war nach der Befreiung im April 1945 der erste Nachkriegsbürgermeister, allerdings nur für ein Vierteljahr). Bei der Wahl im Dezember 1925 lief das Mandat von Josef Rueß, Gottlob Kälber, Otto Knopf, Gottlob Brüstle und Gottlob Huber aus. Gemeinderat Scheuerle erhielt von seinen Kollegen durch Zuruf den Auftrag, die Wählerliste für den Wahltag anzulegen. Je zwei Beisitzer und Stellvertreter gehörten dem Wahlausschuss an:  Gottfried Scheuerle (Friedrich Benzenhöfer) und Gottfried Aichelberger (Ferdinand Scheck). Sie alle standen nicht zur Wahl (STAM, Li B 322, S. 15).

Insgesamt spärlich vorhanden sind Unterlagen über die Kommunalwahlen in der Weimarer Republik (aber selbst über die Bürgermeisterwahlen in Lienzingen nach 1947). Bis 1933 und von 1946 bis 1972 wurden die Ratsmitglieder zwar jeweils auf sechs Jahre gewählt, doch nach je drei Jahren musste sich die Hälfte des Gremiums dem neuerlichen Bürgervotum stellen.

Um diesen alternierenden Rhythmus zu erreichen, kamen bei der ersten Wahl nach Ende des Kaiserreichs am 25. Mai 1919 die Kandidaten mit den fünf höchsten Stimmenzahlen auf sechs Jahre in das Ortsparlament, die anderen fünf auf drei Jahre. 308 der insgesamt 452 Bürger machten seinerzeit von ihrem Stimmrecht Gebrauch. Die Liste Landwirtschaftlicher Ortsverein holte mit 1846 Stimmen sieben Mandate (Gottlob Brüstle, Gottlob Huber, Gottlob Kälber, Ferdinand Scheck, Gottfried Aichelberger, Gottfried Scheuerle und Karl Metzger). Zudem zogen mit Josef Rueß, Otto Knopf und Gottlob Kuhn drei Sozialdemokraten ins Rathaus ein – 1029 Stimmen waren für ihren Wahlvorschlag abgegeben worden.

Drei Jahre später mussten sich fünf der zehn Räte einer Neuwahl stellen. Der Landwirtschaftliche Ortsverein verteidigte seine drei Sitze, die SPD ihre zwei. Gottlob Pfullinger rückte für Kronenwirt Gottfried Scheuerle ins Gremium ein, bei den Sozialdemokraten Friedrich Benzenhöfer und Schreiner Gotthold Scheuerle anstelle von Otto Knopf und Gottlob Kuhn. 1925 kam es zum Etikettenwechsel in dem 742 Einwohner zählenden Dorf. Die SPD nannte sich nun Arbeiter-Vereinigung (drei Mandate, neu Josef Rueß). Der Landwirtschaftliche Ortsverein verzichtete auf eine eigene Liste, das bürgerliche Lager spaltete sich somit auf in Unpolitische Wählervereinigung (Fr. Collmer und Paul Rösch) sowie Bauern- und Weingärtnerbund (Eugen Geißler und Gotthold Heinzmann). Vom Urnengang 1922 gehörten noch drei Räte zum Landwirtschaftlichen Ortsverein.

Jakob Straub, 1928 zum Gemeinderat gewählt

Anno 1928 stellten sich die Listen wieder neu auf. Es gab nur noch zwei Wahlvorschläge: den des Bauern- und Weingärtnerbundes und den der Arbeiterpartei. Gottlob Metzger und erstmals Jakob Straub (Bürgermeister von 1945 bis 1947) von der Arbeiterpartei, Gottlob Pfullinger und Ferdinand Scheck (beide vormals Landwirtschaftlicher Ortsverein) und Friedrich Benzenhöfer (vormals SPD) vom Bauern- und Weingärtnerbund. Zusammen mit den Gewählten von 1925 bestand der Gemeinderat nun drei Jahre lang aus fünf Vertretern des Bauern- und Weingärtnerbundes, drei der Arbeiterpartei, zwei der Unpolitischen Wählervereinigung.

Von der politischen Linken zur Rechten im Gemeinderat

Wie schon Benzenhöfer drei Jahre zuvor wechselte nun Josef Rueß 1931 von der politischen Linken zur Rechten. 754 Stimmen und zwei Mandate entfielen auf die neue Rechtsstehende Wählervereinigung (Rueß und Landwirt Wilhelm Link), 638 Stimmen und zwei Sitze (1 Sitz dazu gewonnen) auf die Arbeiterliste (Christian Aichelberger und August Rößler), 374 Stimmen auf die Vereinigten Wähler, denen es nur noch zu einem Sitz (Paul Rösch) reichte.

Mit der Machtübernahme der Nazis folgte die Gleichschaltung – von Berlin bis zum letzten Dorf-Rathaus. Die Bürger durften nicht einmal mehr ihre Gemeinderäte wählen. Diese wurden von der NSDAP ernannt und für die galt auch das Führerprinzip: Sie hatten nicht mehr das Sagen, sondern lediglich noch einen Beraterstatus für den Bürgermeister – der entschied und verkündete seinen Beschluss. Im April 1933 begann das neue System: Nur noch sechs Ratsmitglieder, davon vier den Nationalsozialisten zugewiesen (Paul Gaupp, Gustav Kontzi, Gottlob Pfullinger und Josef Rueß), zwei dem Bauern- und Weingärtnerbund inklusive der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot (Karl Schneider und Richard Geißler).

Ende 1935 trat die neue Gemeindeordnung in Kraft. Die Folgen in Lienzingen: ein nur noch vierköpfiger Gemeinderat (Gustav Kontzi, Josef Rueß, Landwirt Wilhelm Link und Hauptlehrer Paul Stimm) sowie zwei Beigeordnete (Richard Geißler als erster und Otto Knopf als zweiter). Geißler wurde nach 1945 Gemeindepfleger. 

Bürgermeister Karl Brodbeck blieb im Amt, das er seit 1920 innehatte und erst im April 1945 verlor – die Alliierten internierten ihn gleich nach Kriegsende. 

Jahre später erinnerte der damalige Bürgermeister von Lienzingen, Richard Allmendinger, a den früheren Schultes im Heimatbuch. Eine für damalige Verhältnisse vorzügliche Straßendecke habe die Hauptstraße 1930 erhalten, notierte Richard Allmendinger, von 1947 bis 1975 Bürgermeister der Gemeinde. Er widmete Brodbeck im 1970 erschienenen Ortsbuch unter der Überschrift  Die Gemeinde holt ihren Rückstand rasch auf  einen von zahlreichen Abschnitten und würdigte als eine der Leistungen seines Kollegen und Vorgängers dessen Bemühungen um den Bau einer Umgehungsstraße. Jedoch ließen sich die fertigen Pläne wegen des Kriegsbeginnes zunchst nicht umsetzen.

Der Autor des 1970er-Ortsbuchs, Friedrich Wißmann, ging auf Brodbeck nur in der Auflistung aller Bürgermeister der Schultheißen und Bürgermeister seit 1446 ein. Von den sechs Rathaus-Chefs im 20. Jahrhundert (Otto Knopf fehlt in Wißmanns Übersicht) amtierte Allmendinger mit 28 Jahren Dienstzeit am längsten, gefolgt von Link mit 27 (1880 bis 1907) und Brodbeck mit 25 Jahren (Richard Allmendinger in: Ortsbuch Lienzingen, Friedrich Wißmann, 1970, Walter-Verlag Ludwigsburg. S. 177 und 322).

Von 720 auf 940 – Lienzingens Einwohnerzahl wuchs von 1918 bis 1945

Ein Dokument dieser Entwicklung ist just diese Sammlung der Sitzungsniederschriften über 18 Jahre Ortsgeschehen. Genau 20 Seiten, handschriftlich höchst eng beschrieben, so dass kaum Platz bleibt, um noch Worte einzufügen, macht allein das Inhaltsverzeichnis aus. Bürgermeister Brodbeck sparte offenbar auch am Papier. Von A wie Auftragserteilung zur Beschaffung eines Kriegerdenkmals bis zu Z wie Zaisersweiher listet er in Stichworten, Zahlen, Namen und Seitenangaben all die Beschlüsse auf, die die jeweils zehn Lienzinger Gemeinderäte zwischen 1925 und 1943 gefasst haben.

Titel der Find-Hilfe als Anhang zum Protokollbuch: Index zum Gemeinderatsprotokoll in Verwaltungssachen.  Darin zu blättern, ist sicherlich nicht einfach bei der Handschrift von Brodbeck -  die Lektüre erschwert, dass heutzutage nur noch wenige Personen auf die deutsche Schrift oder Sütterlin spezialisiert sind. Transkription heißt des Rätsels Lösung. Diese buchstabengetreue Übertragung, die zeilenweise dem Originaltext folgt, erleichtert es, diese alte Schrift in moderne, heute gängige Schrift zu übernehmen.  In die Art des Brodbeck’schen Protokollschreibens von 1925 bis 1943 las sich jedenfalls Karin Jauch aus Holzgerlingen ein, die sie transkribierte.

Lienzingen im Jahr 1931

Hier wiedergegebene Originalzitate sollen einen Einblick geben über die Top-Themen eines Gemeinderats in jener Zeit. Wo notwendig, werden ergänzende Erläuterungen gegeben. Ansonsten sind die folgenden Texte in der Urschrift geblieben. Zumindest das Schmunzeln ist garantiert.        

Dauerthema und Anlass für Heiterkeit: die Farren

Also Zucht-Stiere, die ganze Generationen der Landwirtsfamilie Pfullinger als Nebenerwerb dienten. Alles hatte ein Ende, auch die von der Gemeinde am längsten aufrecht erhaltene Farrenhaltung. Am 26. Juli 1968 zeichnete sich das Aus ab. Der Bürgermeister berichtete in der Ratssitzung vom Antrag eines Viehhalters, auf die künstliche Besamung umzustellen. Dies sei vordringlich. Treueprämie für den letzten Farren- und Eberhalter Eberhard Pfullinger anno 1969: 100 Mark und ein Geschenkkorb für 45 Jahre (STAM, Li B 327, S. 225 f). 

Aus der Ratssitzung vom 6. Juli 1929:

Nr. 4 Der Gemeinderat nimmt von der Anschaffung 2erFarren bezw. Erteilung von Zulassungsscheinen an diese Farren des Farrenhalters Pfull[inger] Kenntnis. Es wäre nun die vorgeschriebene Zahl wieder vorhanden. Oberamtstierarzt Dr. Frommherz stellte aus, daß bei 315 sprungfähigen Tieren, die bei der Viehzählung am 1. Dezb. 1928 ermittelt wurden, 3 Farren nicht mehr genügen und ein 4ter Farren durch Farrenhalter Pfullinger anzuschaffen sei.
Im Jahr 1928 seien 544 Tiere gedeckt worden & es sei die ermittelte Zahl von 315 sprungfähigen Tieren eher zu niedrig als zu hoch.
Der Gemeinderat ist nun anderer Ansicht. Er behauptet, daß die Zahl 315 viel zu hoch ist; so viel sprungfähige Tiere werden hier gar nicht gehalten. (Es sind mehr Pferde angeschafft worden) Unter diesen Tieren sind eine große Anzahl Rinder, die nicht zur Zucht sondern nur zur Schlachtzwecken gehalten werden. Weiter kann die aus dem Deckregister genommene Zahl 544 gar nicht als Maßstab genommen werden; denn es werden ja Tiere 3-4 mal und noch öfters geführt, das sieht man ja im Deckregister.

Der Gemeinderat ist sich wohl bewusst, daß das Ergebnis der letzten Viehzählung als Unterlage zu dienen hat; doch dies ist eben in der Richtung, daß hier sehr viele Schlachtrinder gehalten werden, nicht richtig.  Außerdem ist der Gemeinderat der Ansicht, daß man der Gemeinde, die wirtschaftlich sehr schwach ist [und] unter der gegenwärtigen Zeit, weil rein landwirtschaftlich, sehr viel zu leiden hat, nicht immer noch größere Lasten aufbürdet. Er stellt deshalb an die Aufsich[tsBehörde die dringende Bitte: von der Haltung eines 4ten Farren abzusehen (S. 170 f).

Sitzung vom 17. Februar 1931:

Nr. 1 Die Farrenhaltung sowie die Eberhaltung wird heute, nach dem die Bestimmungen vorher festgesetzt worden sind, vergeben.

Nr. 2 Als Zähler für die am 2. [oder 4.] März d[iese]s J[ahre]s. stattfindende Schweinezählung wird Gemeinderat H Geissler bestimmt ()S. 254). ?).

In Lienzingen dominierte die Landwirtschaft. Von 1868 bis 1950 blieben die Bestände weitgehend stabil: etwa 50 Pferde, 420 bis 473 Rinder190 bis 273 Schweine, um die 250 Schafe (Ortsbuch 2016, S. 206).

Was heute Bürgermeister nicht müssen, war damals Vorschrift: Urlaubsansage des Schultheißen im Gemeinderat in der Sitzung vom 6. Juli 1929 (STAM, Li B 322, S.172 f): Unter Nr. 55 gibt der Vorsitzende -  zwischen den Themen Farrenhaltung und Keltereinrichtung - bekannt, daß er 1929 seinen Urlaub in der ersten Augusthälfte & den Rest im Herbst nehme.

Nr. 6 Aus der Mitte des Gemeinde[rats wird wieder die Anschaffung [einer ?] hydr[aulischen] Keltereinrichtung angeschnitten, da der alte Kelterbaum mit Hinsicht auf den großen Obstertrag …[?] heuer [einer ?]  hydraulischen  Keltereinrichtung angesch…., da der alte Kelterbaum mit [Hin= ?] sich auf den großen Obstertrag …[?] heuer wohl nicht mehr Bestand haben werde. Die Einwohner können in einem obstreichen Jahr leichter die Erhöh[ung] der Gebühren ertragen. Beschluß: Der Vorsitzende wird beauftragt, sofort Offerte einzu[holen] (S. 172).

Sitzung vom 8. November 1928:

Nr. 1 der Vertrag mit dem Württ. Fiskus (Verwaltung der Forstdirektion) betreffend die Unterhaltung des Viz[inalwegs]  Nr. 4, Schützinger Weg, wird unterzeichnet.

Nr. 2 Beim Wasserleitungsbau 1915 wurde  im Wasserwerk nur 1 Pumpe aufgestellt. An dieser treten nun des öfteren Störungen auf und es muß die Anschaffung einer 2ten Pumpe erfolgen.  Von den eingereichten Offerten wird dasjenige der Maschinenfabrik Eßlingen vom Bauamt für das öffentl[iche] Wasserversorgungswesen Stuttgart als das Billigste empfohlen.

Der Gemeinderat beschließt:

1. Die Pumpenanlage – Kreiselpumpe der Maschinenfabrik Eßlingen.

2. Den Elektromotor mit Zubehör dem Gemeindeverband Elektrizitätswerk  Enzberg-Mühlhausen nach den vorgelegten Angeboten zu übertragen (STAM, Li B 322, S. 134 ff).

Baulinienplan 1930, unterschrieben von Brodbeck und den Gemeinderäten: insgesamt 16 Teilpläne beschlossen die Volksvertreter. Im Bild der Bereich der vorderen Brühlstraße, als es die Andreas-Scheck-Straße noch nicht gab. (STM, Lie A 72).

Nr. 3 Durch die Anschaffung einer 2ten Pumpe in dem Wasserwerk ist, da der Gemeinde die Mittel fehlen, eine Schuldaufnahme notwendig. Nach der vorgelegten Offerte der Maschinenfabrik Eßlingen kommt die Kreiselpumpe samt Zubehörteilen [eingefügt] & teilweiser Montage auf 1421 M.  Der Motor samt Schaltwerk & Zubehör vom GemeindeVerband Elektr. Werk. Enzberg auf 810 M… und Montagekosten ca. 300 Mark.

Der Beschluß:

Von der Oberamtssparkasse Maulbronn bezw. Württ. GiroZentrale 2500 M aufzunehmen u[nd] solche in 10 Jahresraten á 250 M,  beginnend am  1. Dezember 1929, abzutragen. Das Oberamt um Genehmigung zu bitten (S. 135).

Nr. 4 In den Kleeäckern treten die Feldmäuse sehr stark auf u[nd] es ist die Bekämpfung derselben nötig. Beschlossen: 2 Ztr. Hafer aufzukaufen, diese mit Mäusetyphuskultur zu vergiften & an die Landwirte unentgeltlich abzugeben.

Sitzung vom 7. Februar 1929:

Nr. 4  Anläßlich eines Defects an der Wasserleitung auf Privatgrundbesitz fragt der Vorsitzende an, wie es bei künftigen Defecten wegen Tragung der Kosten seitens der Gemeinde gehalten werden soll. Nach Beratung wird einstimmig beschlossen:

1. Bei Defecten, die an den Gußrohrleitungen vorkommen, sei es dann auf Gemeinde- oder Privatbesitz & die durch den Hausdurchbruch laufen, die Kosten auf die Gemeindekasse zu übernehmen. Für die galwanisierten Rohre treffen die Hauseigentümer.

2. Zu graben hat derjenige der den Anstand wegen Wasserzufuhr hat, unentgeltlich [weiterer Text gestrichen]

3. Sollten sich zwischen Nachbarn oder Hauseigentümern Streitigkeiten zeigen, hat die Gemeinde bis zur Einigung der Betreffenden das Recht das Wasser abzustellen.

z.K. Gemeinderat [eigenhändige Unterschriften] (S. 151).

Sitzung vom 17. Februar 1931:

 Nr. 3 Beschlossen nach einem Brand  - Folgen des Blitzeinschlags in den Turm der Frauenkirche (d. Autor)

1. Die Wiederaufbauarbeiten zu vergeben

2. Mit der Lieferung des Holzes wird das Sägewerk Frey in Mühlacker beauftragt

3. Oberamtsbaumeister Aeckerle, Mühlacker, erhielt die Bauleitung (S. 253). 

Nr. 4 Die Kosten für die Erweiterung der Wasserleitung zu Wilh[elm] Vollmers Haus im Brühlsträßchen belaufen sich auf nahezu    1400 M. Es wird beschlossen: Diese Kosten prozentual auf den Wasserzins auf 4 Jahre umzulegen, erstmals 1931.

Nr. 5 Bezüglich der Wasserleitung zum Neubau des Gustav Schrodt, Schuhmacher wird beschlossen: Die Grabarbeiten hat Schrodt auszuführen, wogegen die Gemeinde die Verlegung der Leitung bis zum Hausdurchbruch auf dem kürzesten Wege übernimmt.  (S. 253).

Ratssitzung vom 27. Februar 1931:

Aufgeschlagen: Der Protokollbuch als Nachschlagewerk in Sachen Lienzinger Ortsgeschichte. (Foto: Sandra Schuster)

Nr. 3 Das Angebot des Friedrich Frey, Sägewerks in Mühlacker, über Lieferung des zum Frauenkirchenturm benötigten Holzes wird genehmigt! (Dieser Punkt war auch Folge des Blitzeinschlags im Jahr zuvor, d. Aut.)

Nr. 4 Der Vorsitzende trägt vor, daß verschiedene Güterverpachtungsträger der Gemeinde abgelaufen seien. Eine Neuverpachtung habe er seither nicht vorgenommen, da die Güterverpachtungen hier sehr schlechte Früchte zeitige. Er schlägt vor, sämtliche abgelaufenen Güterpachtverträge stillschweigend weiterlaufen zu lassen. Der Gemeinderat ist somit einverstanden!

Nr. 5 Emilia Schneider hier bittet um pachtweise Überlassung des Gemeindeplatzes vor dem sog[genannten] Scheuerle’s Haus. Beschluß: 1. Der Bitte unter Ansatz einer jährlichen Anerkennungsgebühr von   20 Dinar (Abkürzung für Pfennig) in stets widerruflicher Weise zu entsprechen. 2. Die Gemeinde behält sich das Benützungsrecht jederzeit vor.

Nr. 6 Anläßlich der Erstellung eines Wohngebäudes durch Gustav Schrodt, Schuhmacher und Paul Rösch, Rangierer und einer 2ten Wohnung des Wilhelm Vollmer, Tonwerk-Hilfsarbeiters hier; soll die Gemeinde gemäß Art. 7u[nd] 11 des Wohnungsbürgschaftsgesetzes vom 30. Mai 1919 Reg[ierungs] Bl[att] Nr. 131 - selbstschuldnerische Bürgschaft für das beantragte Hypothekendarlehen übernehmen.  Beschluß: 1. Die Bürgschaft gem[äß] Art[ikel] 1 des Wohnungsbürgschaftsgesetzes mit der Wirkung des Art. 11 Abs[atz] 1 hälftige Ausfallhaftung) zu übernehmen. 2. Protokollauszug der Wohnungskreditanstalt vorzulegen.

Nr. 7 Der Änderung des # 5 der Satzung der Verbandsgewerbeschule Mühlacker, der u[nter] a[nderem] wie folgt lautet: Der durch die Einnahmen nicht gedeckte Aufwand wird auf die beteiligten Gemeinden nach der Zahl der am 1. Januar des Schuljahres der Schulevorhandenen u[nd] zum Behuf (Zweck) einer anderen Gewerbeschule beurlaubten Schüler umgelegt wird zugestimmt. z. K. Gemeinderat [eigenhändige Unterschriften] (S. 254 – 256).

Ratssitzung am 8. Februar 1933:

Nr.1 Karl Bopp, Schmied hier, hat seine Wohnung im Gemeindehaus auf 1.4.[19]33 gekündigt. Beschluß:  Der Kündigung wird entsprochen. [später vermerkt:] mündl[ich] eröffnet 10.2.[19]33[Kürzel] Br. [= Brodbeck]

Nr.. 2 Clara Stahl, geb. Hilly hier, seitherige Mieterin der 2ten Wohnung im Gemeindehaus wünscht die Wohnung des auf 1.4.[19]33 ausziehenden Karl Bopp: Beschluß: Der Bitte wird entsprochen. [später vermerkt:] mündl[ich] eröffnet 10.2.[19]33 Kürzel] Br. [= Brodbeck]

Nr. 3 Ernst Herz, Presser hier ist der Mietzins bei Roos zu hoch. Demselben wird die Wohnung im Gemeindehaus, seither von Clara Stahl gemietet, zur Miete empfohlen. [später vermerkt:] mündl[ich] eröffnet 10.2.[19]33 Kürzel] Br. [= Brodbeck]

Nr. 4 Die Wahlperiode der Waisen=Richter & deren Stellvertreter ging mit dem 31. Dezember 1932 zu Ende u[nd] es ist Neuwahl für die Kalenderjahre 1933, 1934 und 1935 vorzunehmen (S. 316).

Sitzung vom 16. März 1933:

Erhielt 1933 den Zuschlag für die Jagdpacht in Lienzingen: Friedrich Münch (Smlg Lutz Müller, STAM)

Nr. 4 Jagdpacht: Da am 3. de.Mts. ohne Ergebnis war bezw. nur 1000 M geboten worden sind, hat der Vorsitzende im Benehmen mit dem Gemeinderat die Zeit zum Nachgebot abzugeben bis 15.3.[19]33 verlängert. Am 4. März 1933 ist von Fabrikant Münch in Mühlacker ein freibleibendes Angebot von jährlich 1200 M gemacht worden. Weiter gingen keine Nachgebote ein. Heute hat nun der Gemeinderat hierüber beraten und beschlossen: 1. Die Jagd dem Fabrikanten Friedrich Münch in Mühlacker für jährlich  1200 M zuzuschlagen. 2. Den Fehlbetrag von 1200 auf 1500 M1933 auf die Gemeindekasse zu übernehmen. 3. Den Pachtvertrag zu unterzeichnen (S. 324).

Sitzung vom 7. April 1933:

Nr. 1 Herrn Jagdpächter Münch Mühlacker benennt mit Schreiben vom 5.  d[iese]s. 
M[ona]ts? als Stellvertreter des Jagdpächters Friedrich Schuler, Fabrikant in Mühlacker, als Stellvertreter des Teilhabers, Willy Schenk, Fabrikant Maulbronn.

Nr. 2  Zur Ausführung einer Drainung in den Gewanden Dauerwiesen, Röller  &  Neuwiesen u[nd] s[o] w[eiter] als Notstandsarbeit im ArbeitsBeschaffungsprogramm erhällt die hiesige Gemeinde von der Zentralstelle f. d. Land[wirt]Schaft & Feldbereinigung ein Darlehen von  3600 M In Aussicht gestellt unter folgenden Bedingungen: 

1. Das Darlehen ist vom Tage der Auszahlung an mit 3 % jährlich zu verzinsen und vom 1. Juno 1936 ab durch Entrichtung eines halbjährlichen Tilgungsbetrags von 1,621 % des ursprünglichen Darlehensnennbetrags zu tilgen. Die Tilgungsrate erhöht sich im zweiten & in den späteren Halbjahren um die durch die fortschreitende Tilgung ersparten Zinsen.

Daneben ist ein jährlicher Verwaltungskostenbeitrag von 0,5 % des ursprünglichen Darlehensnennbetrags zu entrichten. 2. Vorlage der Genehmigung der Schuldaufnahme.

Beschluß:

1. Das Darlehen anzunehmen.

2. Um Genehmigung zu bitten u[nd] zu diesem Zweck Protokollauszug dem Oberamt Maulbronn vorzulegen. Z. K.    Gemeinderat [eigenhändige Unterschrift]  Brodbeck (STAM, Li B 322, S. 324).

Die neuen Zeiten waren angebrochen, das Arbeitsbeschaffungsprogramm lief an. Bürgermeister Brodbeck, zuvor parteilos, trat am 1. Mai 1933 der Nazi-Partei bei, war vom. 1. September 1939 auch Ortsgruppenleiter der Nazis, stand 1948 vor der Spruchkammer für den Kreis Vaihingen. Das Programm hieß: Entnazifizierung.   

(Quellen: Konrad Dussel: Lienzingen – altes Haufendorf, moderne Gemeinde. Ortsbuch, 2016, Verlag Regionalkultur. Preis 19,90 Euro, S. 170-178 und Landesarchiv, Staatsarchiv Ludwigsburg, EL 902.23 BÜ_1056, sowie Stadtarchiv Mühlacker).

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