Als 14-Jähriger im Uhlandbau erstmals politisch Luft geschnuppert - Bei Kiesinger-Auftritt anno 1964

9. April 1964: Ministerpräsident Kurt-Georg Kiesinger und sein Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Mühlacker. Station im Uhlandbau (Stadtarchiv Mühlacker=STAM, Foto: Hans Losch, MT)

100 Jahre Mühlacker Uhlandbau – am morgigen Donnerstag um 19 Uhr der Festakt als Start ins 100-Jahr-Jubiläum des 1921 als Turn- und Festsaal konzipierten heutigen Kulturdenkmals, dann am Sonntag um 15 Uhr Beginn der Sonderausstellung Dennoch...1921 - Uhlandbau Mühlacker - 2021 im Spiegel der Geschichte in der historischen Kelter. Allesamt Auftakt zu einer Veranstaltungsserie, die sich über mehrere Monate hinzieht. Ein gutes Stück Arbeit, geleistet von Stadtarchiv, Museum und dem Historisch-Archäologischen Verein. Chapeau! Der Kulturtempel wurde in 99 Arbeitstagen in Rekordzeit errichtet, am 28. Oktober 2021 eingeweiht. Die Voraussetzung für eine Finanzierung von 750.000 Reichsmark durch den Mühlacker Fabrikanten Alfred Emrich war somit erfüllt. Ob dies auch ein Rezept gewesen wäre für die neue Mühlacker Feuerwache?

Meine erste (oder zweite?) politische Versammlung besucht: Mit Kiesinger am 9. April 1964 im Uhlandbau. Der Bericht im Mühlacker Tagblatt, Aisgabe vom 11. April 1964

Uhlandbau, was bedeutet mir das dominante Haus auf der Ecke Uhlandstraße und Schillerstraße? Zunächst nichts, weil ich in Lienzingen aufwuchs. Wir nutzten seit 1966 eine damals neue Gemeindehalle, zuvor spielten sich die Dorftreffen im Saal des Gasthauses Hirsch der Familie Geißler ab: Festivitäten, Bürgerversammlungen, Vereinsfeiern - und um 1955 mein missglückter Purzelbaum bei der Weihnachtsfeier des Turnvereins, der demonstrieren wollte, was wir im Kinderturnen gelernt hatten. Ich aber lieferte zur Heiterkeit der Zuschauer auf der Bühne einen Bauchpflatscher. Der Saal tobte, ich aber wusste, dass das nicht geplant war, genierte mich mächtig, verdrückte mich. Der Auftritt beendete so die Feier - im Schnee vor dem Hirsch, fünf Häuser von der Wohnung meiner Eltern entfernt.

Der Uhlandbau im Bild (Festakt zum 100-JahrJubiläum)

Nochmals die Frage: Was bedeutet mir der Uhlandbau?  Nun, ich erlebte dort als noch nicht ganz 14-Jähriger am 9. April 1964 meine erste (oder zweite?) politische Veranstaltung. Kurz vor der Landtagswahl sollte Ministerpräsident Kurt-Georg Kiesinger auf einer CDU-Wahlversammlung reden. Um 20.30 Uhr begann sie. Er traf aber erst zwei Minuten vor 22 Uhr ein, weil seine Wahlversammlung zuvor in Leonberg länger gedauert hatte als geplant.

Bei seinem Eintreffen im vollbesetzten Uhlandbau hätten ihn die Hunderte von Besucher mit anhaltendem Applaus begrüßt und der Gastredner sei dann von Bürgermeister Erich Fuchslocher mit einer silbernen Plakette als Geschenk und der Bitte überrascht worden, sich ins Goldene Buch der Stadt einzutragen.

Das notierte sich der legendäre Lokalredakteur Rudolf Pospischil ganz exakt und baute es in den satten Vorspann seines stattlichen Berichts ein, der zwei Tage danach im Mühlacker Tagblatt erschien.

Der aus dem Sudetenland vertriebene Journalist stenografierte seine Notizen in den Block, was den Umfang seiner abgedruckten Texte beförderte. Später erlebte ich als junger Volontär bei der PZ-Bezirksausgabe Württembergisches Abendblatt an manchem Pressetisch den deutlich älteren, immerzu freundlichen Kollegen Pospischil. Er achtete sehr aufs Detail und so erfuhren seine Leser, die Anfahrt des Regierungschefs sei über Niefern und Enzberg erfolgt.

Fuchslocher gratulierte Kiesinger nachträglich zum 60. Geburtstag und wünschte, dass es dem Ministerpräsidenten ermöglicht werde, noch viel Jahre in Land und Bund wirken zu dürfen. Fast so, als ob er dies geahnt hätte: Kiesinger wechselte gut zwei Jahre später nach Bonn – als Bundeskanzler.

Die Gedenktafel an die Familien Emrich im Eingangsbereich des Uhlandbaus.

Damit kann ich gleichzeitig feststellen: Am 9. April 1964 war ich das erste Mal im Uhlandbau. Wer kann das schon so genau von sich sagen. Allerdings waren mir die Details der Veranstaltung mit Kiesinger nach mehr als 55 Jahren verständlicherweise nicht mehr geläufig. Eine Tageszeitung hatten meine Eltern nicht abonniert. Es gab also nichts Auszuschneiden und für die Nachwelt aufzubewahren. Doch zum Glück bieten sich die Bände mit allen Ausgaben des Tagblatts als Nachschlagewerk im Mühlacker Stadtarchiv an. So konnte ich jetzt Kiesingers Rede („Auf den christlichen Geist kommt es an“) und das Randgeschehen nachlesen. In der Erinnerung konkurrieren allerdings Kiesingers Auftritt im Mühlacker Musentempel mit dem des damaligen Bundestagsabgeordneten der CDU aus dem heiligen Korntal, Paul Bausch. Ihn hörte ich im großen Nebenzimmer des Bahnhotels über Israel berichten, das er mit einer Parlamentsdelegation besucht hatte. Im Gedächtnis haften geblieben ist mir sein Kürzel Sopo - für Sozialpolitiker.

Geschenk der Stadt Mühlacker zum 60.: Ministerpräsident Kiesinger im April 1964 im Uhlandbau.
15. Oktober 1971: MT zum Jugendtanz im Uhlandbau mit 400 Besuchern, veranstaltet von der Jungen Union

Wie ich erst jetzt bei (p) las, sprach zwei Tage vor Kiesinger im Uhlandbau der damalige Bundesverteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel. Wahlversammlungen, Kreisparteitage, Nominierung von CDU-Kandidaten für Landtag und Bundestag, später als Stadtrat Bürgerversammlungen und -anhörungen, Vereins- und Verbandstreffen: Das verbinde ich mit dem Saal des Uhlandbaus, der nach seiner Eröffnung 1921 wegen seiner hochmodernen Bühnentechnik als württembergisches Bayreuth galt, das der damaligen Gemeinde Dürrmenz-Mühlacker eine weit ins Land hinaus strahlende kulturelle Blüte bescherte.

Wenn ich das Stichwort Uhlandbau in meinen Computer eingebe, listet er mir blitzschnell genau 589 Dokumente auf. So präsent ist das Gebäude mit seinem schönen Saal inzwischen.

Oktober 1972: Der JU-Jugendtanz schlug sich auch im MT nieder

In jungen Jahren hatte der Uhlandbau noch eine andere Nutzung: die Jugendtanznachmittage des Stadtjugendrings, der seine von der Stadt vergebenen Termine an seine Mitgliedsverbände, so sie wollten, weitergegeben hatte. So an die Junge Union, deren Vorsitzender im damaligen Landkreis Vaihingen ich seinerzeit war. Das waren noch Zeiten, als die Stadt auch an die Freizeitgestaltung der jungen Leute dachte. Immer sonntags, ich meine von 16 Uhr an, startete der Jugendtanz – in der Küche stapelten sich belegte Brote, Limonade & Co lieferte zuverlässig und exakt jedesmal Getränke Link, meist der Chef persönlich. Eine Handvoll musste der jeweilige Veranstalter auf die Beine bringen.

Über 400 junge Leute drängten sich am Sonntagnachmittag auf der Tanzfläche des Uhlandbaues, als die Band mother`s proud ihnen mit modernen Musikstücken einheizte, stand am 28. Oktober 1972 im Mühlacker Tagblatt. Diese gemeinsame Veranstaltung des Kreisverbandes der JU und ihres Ortsverbandes Mühlacker stand nun schon zum drittenmal auf dem Jahresprogramm der CDU-Junioren. Ortsvorsitzender Norbert Scheuble und ich werden mit dem eigentlich unpolitischen Motto zitiert: Man kann die Politik zu Hause lassen. Wer aber trotzdem die Freude an einem politischen Gespräch nicht verdrängen wollte, der konnte mit JU-Mitgliedern diskutieren.

55 Jahre später, am 8. Februar 2019, auf der Bühne des Uhlandbaus: Grünen-Parteichef Robert Habeck beim Kreisbauerntag (Fotos: Günter Bächle)

Bei ihrem zweiten Jugendtanznachmittag im Uhlandbau im Oktober 1971 legte die Junge Union ihre Vorstellungen zum Bau eines Jugendzentrums vor. Während den erneut etwa 400 Besuchern die Pforzheimer Band The Music souls für Lautstärke und Rhythmus sorgten, verteilten wir von der JU Flugblätter mit unserem Diskussionsmodell für ein Jugendzentrum (MT vom 15. Oktober 1971). Was auffällt: ich mischte, obwohl im selbstständigen Lienzingen wohnend, eifrig in der Mühlacker Diskussion um ein Jugendzentrum mit. Auf seinen Brief vom Frühjahr 1971 namens der Jungen Union mit der Forderung nach Jugendräumen habe Bürgermeister Knapp negativ reagiert. Doch ehrlich: Die jungen Besucher interessierten sich an diesem Sonntag mehr für Musik und Tanz, weniger für den Ruf nach einem Jugendzentrum.

Trotz des Uhlandbaues, noch heute als Konzertsaal gerühmt, herrschte in der Kultur- und Vereinsszene der Stadt eine besondere Art der Unzufriedenheit, so dass sich schließlich jene durchsetzen, den Mühlehof mit einem größeren Saal zu bauen. Um die Spielstätte an der Uhland- und Schillerstraße wurde es ruhig. Zwar stimmte der Gemeinderat zu Beginn der 2000er Jahre für eine Sanierung in weiten Teilen, für die auch staatliche Gelder flossen. Unter der Regie von Ewald Müller, dem Mann für den Hochbau im Rathaus, polierten Handwerker vor allem den Saal auf. Aber als die Stadträte nach Ende der Arbeiten zur Besichtigung anrückten, staunte ich beim Blick in den Saal nicht schlecht. Er hatte nun so etwas Nobles an sich. Schien einem zuzuzwinkern nach dem Motto Gell, da glotzt, wie die Schönheitskur bei mir wirkte.

Als Stadtrat hatte ich immer wieder mit der Immobilie zu tun. So bei der Entscheidung, dort die Mensa für die benachbarte Schillerschule einzurichten. Lokaltermin! Der Uhlandbau als Multifunktionsbau. So allmählich entdeckten auch die Vereine ihre alte Liebe zum Uhlandbau wieder. Immer schwerer fiel es manchen, den großen, nicht abteilbaren großen Saal des Kupferbaus im Stadtzentrum zu füllen. Auch Einwohnerversammlungen, Pflichtprogramm für Gemeinderäte, ließen wieder mehr Schritte in seine Richtung lenken.

Während Corona: zeitweise Ratssaal

Dann der Abbruch des Mühlehofs, der Uhlandbau schlüpfte wieder in seine alte Rolle eines konkurrenzlosen Kulturtempels. Die städtische Volkshochschule macht dort wieder Theater (erstmals jetzt ein Abo), Mühlacker Klassik schwört auf diesen Konzertsaal, Vereine und Schule sind dort regelmäßig zu Gast. Und dann wieder Wahlversammlungen wie einst, unter anderem mit Ursula von der Leyen, damals deutsche Verteidigungsministerin.

19. September 2017: Die Bundesministerin für Verteidigung, Ursula von der Leyen. Heute Präsidentin der Kommission der Europäischen Union. Neben ihr OB Frank Schneider mit dem Goldenen Buch der Stadt

Im Uhlandbau ist gut sein, sagten sich auch OB und Gemeinderat, als die Pandemie tobte und bei Sitzungen mindestens eineinhalb Meter Abstand zwischen den Personen vorgeschrieben waren. Nun war der Uhlandbau für einige Monate nach 99 Jahren in einer Rolle – als Ratssaal. Und dann verstanden wir uns doch bald besser – mit Mikrophonen.

Der Uhlandbau und die Familie Emrich. Die Stadt gedenkt ihrer in Dankbarkeit, steht auf der Gedenktafel am nördlichen Eingang. Bis sie in Auftrag gegeben wurde, dauerte es allerdings fast zu lange.

Emrich, der Uhlandbau und Auschwitz. Beim Besuch im ehemaligen KZ Auschwitz vor gut zwei Jahren dachte ich beim Rundgang an die Emrichs. Welchen Weg in den Tod mussten sie gehen, angetrieben von den Nazi-Schergen? Der Schmuckfabrikant Alfred Emrich war verheiratet mit Laura geborene Horkheimer (* 5. April 1885 in Frankfurt am Main; † 11. September 1942). Der Ehe entstammte die Tochter Marianne Emrich (1915-1942). Über die Kontakte von seiner Frau kamen hochrangige Künstler zu Gastspielen nach Mühlacker. Doch die Nazis enteigneten 1938 den jüdischen Unternehmer, der seinen Betrieb in der Goldshalde (später Firma Schuler) hatte und in der Villa am Berg wohnte (heute Kindertagesstätte).

Plötzlich das Gefühl der Nähe. Die Suche nach Spuren der eigenen Landsleute. Ende August 1939 floh er mit Frau und Tochter Marianne über Paris nach Le Mans. Im August 1942 wurde die Familie dort verhaftet. Frau und Tochter im September 1942 nach Auschwitz deportiert, Alfred Emrich folgte im Juni 1943. Alle sind sie im KZ ermordet worden.

27. Mai 2009: Erinnerung an die Familie Emrich. Stolpersteine vor der Villa Emrich in der Goldshalde (heute Kindertagesstätte)

In Mühlacker heißt nach ihm eine Straße im ehemaligen Firmenareal von Alfred Emrich. Lange hat es gedauert, am Ende wartete der Gemeinderat, bis sich zwischen Hindenburgstraße, Schillerstraße und Goldshaldenstraße die Gelegenheit dazu gerade in diesem Quartier bot. Am Abend des 18. November um 19 Uhr im Rathaus veranstaltet der Historisch-Archäologische Verein einen Vortragsabend über den so verdienstvollen ehemaligen Mühlacker Mitbürger, den Stifters des Uhlandbaus.

Nach dem Abbruch des Mühlehofs: Neujahrskonzert der Stadt im Uhlandbau

Lisa Fitz und Autogrammjäger (2020)

Warten auf die Besucher

Geht auch: Lichterschau auf der Bühne

Mal so gesehen...

28. Oktober 2021: Erinnerung an die Eröffnung am 28. Oktober 1921. Festakt mit OB und vorgezogener Start der Ausstellung dazu, die vom 31. Oktober an in der historischen Kelter zu sehen ist. Umwerfend das Zwiegespräch vor Publikum auf der Bühne zwischen den Leiterinnen von Museum und Stadtarchiv, Martina Terp-Schunter und Marlis Lippik (rechts). Vergnügen beim Publikum

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