Die großen Geheimnisse des Lienzinger Herzahäusles

Die Südseite des Herzenhäusles mit Fachwerk (2021)

So unscheinbar das Gebäude Friedenstraße 26/1 ist, so sehr beschäftigt das die Lienzinger. Das Herzenhäusle birgt aber auch mehr Geheimnisse als ursprünglich gedacht. Es dürfte früher errichtet worden sein als das in meinem ersten Blogbeitrag genannte Baujahr 1867. Denn Mühlackers Stadtarchivarin Marlis Lippik stieß in den alten Listen der Feuerversicherung auf weitere, überraschende Spuren. Eine Fortsetzungsgeschichte über ein Heuhaus, eine Brennhütte und ein Wohngebäude, das seit Jahren leer steht.

Das älteste Dokument über Friedenstraße 26/1 aus 1848 (Repro Stadtarchiv Mühlacker)

Hier passen zwei interessante Reaktionen auf meiner Facebookseite, auf der ich den Text in der Reihe Lienzinger Geschichten angerissen hatte:  Bei uns als direkte Anwohner heißt das nicht nur „Herze-Häusle“…, sondern der Weg auch „Herze-Gässle“... und das war schon als Kind immer spannend - so die Erinnerung von Katja Aichele. Und Jenny Mannhardt, Chefin der Gärtnerei, ergänzte: Ich glaube, da hat jede/r einen eigenen Namen. Bei uns heißt es s Wegle, ich habe auch schon Gärtnerweg gehört. Ich habe als Kind auch immer Hexahäusle verstanden, bis ich dann genauer zugehört und auch die Herza Marie herausgehört habe, die ihr Geld immer in den Socken mit sich herumgetragen hat.

Marie Herz - nach der letzten Bewohnerin heißt das marode Gebäude am Bachweg im Volksmund Herzenhäusle.  Jetzt soll es im Laufe des Jahres 2021 abgebrochen werden, steht in der Antwort der Stadtverwaltung auf meine Anfrage im Gemeinderat. Die Vorbereitung zur Angebotseinholung läuft, so das Fachamt. Im Lichte der neuen Erkenntnisse versprach OB Frank Schneider inzwischen, dass es zunächst stehen bleibt – zwecks Dokumentation. Mittelalterarchäologe Tillmann Marstaller, mit der Lienzinger Historie in besonderem Maße vertraut, brachte in einem Telefonat mit mir die Möglichkeit ins Gespräch, mit seinen Studenten von der Universität Tübingen im Sommer 2022 das Herzahäusle zum Mittelpunkt einer Lehrveranstaltung zu machen. Dazu gehört, in Text, Bild und Zeichnung das Gebäude für künftige Generationen zu erfassen, bevor es der Spitzhacke zum Opfer fällt. Ein schöner Zug!

Das älteste Dokument über das Gebäude stammt nachgewiesen von 1842 – da ist es neu eingeschätzt worden. Da hatte das Haus die laufende Nummer 111 A in den Listen der Feuerversicherung, danach die Nummer 111 B und schließlich die Nummer 127, so die Bezeichnung als Wohngebäude seit 1863.

 Auf Spurensuche begab sich Stadtarchivarin Lippik. Denn weder die bei der Stadtverwaltung lagernde Bauakte ließ mich fündig werden (in ihr finden sich nur jüngere Dokumente) noch das Grundbuch, das im Jahr 1900 einsetzt und einen Schlüssel dazu liefert, in anderen Unterlagen anhand der laufenden Nummern zurückzuverfolgen und so möglicherweise fündig zu werden. Vom zentralen Grundbuchamt Maulbronn gab es zwar keinen Auszug aus dem Grundbuch, aber zumindest den Hinweis, dass sich darin keine Angaben zum Baujahr befänden.

Li Friedenstr 26-1 (Herzenhäusle) (1a) - Li B 166 Bl 418+425_Güterb Bd18 mit Transkription (STAM)

Aber bereits in der Ur-Karte des Ortskerns von Lienzingen aus dem Jahr 1835 ward dort ein Gebäude eingezeichnet – mit quadratischer Grundfläche und nicht, wie jetzt, einer rechteckigen. Daten zu der Immobilie finden sich im Brandschadens-Versicherungskataster. Ein besonders stehendes Heuhauß nächst dem Orte am 16. Septbr 1842 neu eingeschätzt als bisher nach auff gelaufenem Einsch Prot Bl 48: 1848 als zu einer Brennhütte gerichtet, gestrichen. [am 16. September 1842 … Einschätzungsprotokoll Blatt 48].

Jedenfalls stand zumindest schon 1842 dort ein Gebäude, genutzt als Heuhaus, das Albrecht Conradt Schray gehörte, der es 1846 dem Hafner Jakob Kilian verkaufte, einem Töpfer, der darin 1848 eine Brennhütte einrichtete. An anderer Stelle heißt es in der Rubrik Beschreibung des Gebäudes oder Grundstückes auf dem Blatt Kilian, Jakob, Hafner: eine einstocke [einstöckige] Hafnerbrennhütte hinter dem Haus. Hofraum dabei. (Quelle: STAM Li B 220b, Bl. 184 Brandschadenskataster 1807-1860; Li B 146, S. 90, Gebäude- und Gewerbekataster 1824-1857).

Der Blick vom Schmiebach her

Ein Heuhaus? Wer das für eine Scheune hält, liegt nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig. Während eine Scheune unterschiedlichen Zwecken diene, so Marstaller, sei anzunehmen, dass das Heuhaus eben für die Lagerung von Heu gedacht sei, das bekanntlich gut belüftet werden müsse, damit sich keine Flammen entwickeln. Heuhäuser seien vor allem aus Klosteranlagen bekannt.

STAM: Li Friedenstr 26-1 (Herzenhäusle) (2b) - Li_B 246_S 53_Kaufbuch 1866-70 Transkription

1858 gehörte es der Witwe von Jakob Kilian. Anno 1863 kauften Rosine und Louise Dautel das Anwesen aus der Verlassenschaftsmasse des Jakob Kilian – mit dem Wiesenplatze. Alles Drum und Dran bezahlten die Dautels 390 Gulden für das gesamte Flurstück mit der Nummer 182/2 einschließlich Bauten. Ein Gulden war von 1753 bis 1899 etwa zehn Euro wert. Knapp vor der Jahrhundertwende bekam man für einen Gulden zehn Kilogramm  Brot oder zwei Kilogramm Rindfleisch.

Im Kaufbuch (das ist das allgemeine Verzeichnis aller Kaufverträge, das in der Gemeinde geführt wurde), Seite 53, wird fürs Jahr 1867 vermerkt, dass Rosine Dautel die Hälfte an Luise (ledig) verkaufte. Laut Güterbuch, Band 18, Seite 425 vererbte Rosine 1881 die Hälfte an Luise und Christine. Zwar steht Christine im Kaufbuch, hat aber den Kauvertrag nicht unterschrieben. Da im Folgenden immer die Hälfte vererbt oder verkauft wird, hält es Archivarin Marlis Lippik für fraglich, ob sie tatsächlich beteiligt war und wie dann ihr Anteil aussah. Leicht verwirrend.

Irgendwie kommt man nicht dahinter, in welchem Verwandtschaftsverhältnis die Beteiligten an dem Haus stehen. Beim Kaufvertrag sind es Schwestern, doch die späteren Aktionen können sich auch auf deren Kinder beziehen, vermutet die Archivarin.  Dies werde klarer durch die Namen der Ehemänner, die später zum Teil als Eigentümer genannt werden wie zum Beispiel Münzinger. Bemerkenswert hält sie, dass alle Kinder unehelich waren.

Seit 1863 als Wohnhaus genutzt

Jedenfalls ist es seit 1863 als Wohnhaus genutzt worden. So wird es beschrieben: Gebäude – Ein einstoke Wohnhaus an dem Schmie-Bach. Es ist wohl 250 Gulden wert. Unklar bleibt, was mit dem Zusatz gemeint sein könnte: Hofraum im Pfällengräble, neben Christian Görzner und den Wiesen. In der Rubrik Zeit und Art der Erwerbung sind die Grundstücksgeschäfte registriert. Immerhin ab es zwischen 1891 und 1909 vier Eigentümerwechsel. 1891 von Luise zu Christine Dautel, 1892 Christian Münzinger, 1902 Dürr – Christinas Kinder. 1909 Tagelöhner Wilhelm Zeeb.  Es blieb nicht der letzte Eigentümerwechsel (Quellen: STAM, Li B 161, Seite. 175, Güterbuch Dautel 1863 und Li B 220b, Seite 184, Brandschadenskataster 1807-1860).

Im 19. Jahrhundert auch Heuhaus

Nachdem in Lienzingen in den ersten Jahren nach 1945 mehr als 250 Vertriebene ankamen, denen ein Dach überm Kopf verschafft werden musste, wohnten dort nacheinander Familien, die ihre Heimat hatten verlassen müssen, bis sie in eine bessere Unterkunft umziehen konnten. Der örtliche Architekt Raimund Gottwald listete in einem Brief vom 23. Juli 2003 an die Stadt Mühlacker nach Befragungen die Namen der zeitweiligen Bewohner auf: Hinrich, Kolb, Maletz, Napolitano und das Ehepaar Herz.

Maria Herz, inzwischen Witwe, starb 1968. Sie war die letzte Bewohnerin. Seitdem steht das einfach gebaute Häusle leer, an dem allerdings der Zahn der Zeit immer weiter nagt.

Der seinerzeitige, im Hessischen wohnhafte Eigentümer wollte vor knapp 20 Jahren auf dem Grundstück ein neues kleines Wohngebäude anstelle des alten errichten. Dies war in einer Sitzung des zuständigen Gemeinderatsausschusses am 7. Oktober 2003 heftig umstritten, fand aber nach einem Ortstermin dann doch eine Mehrheit. Ich stimmte damals für den Neubau. Die Baugenehmigung ließ der Eigentümer zwar ein- oder zweimal verlängern. Doch letztlich verfiel sie, da sie doch nicht in Anspruch genommen worden war. In der Bauvoranfrage von 2003 findet sich für den Gemeinderat, vom damals planenden Architekt Raimund Gottwald zusammengestellt, eine Fotodokumentation der Inneneinrichtung. Das Haus war jedenfalls damals noch, wenn auch eher ärmlich, möbliert. Der Eigentümer wollte damit belegen, dass auf nämlichem Flurstück noch Baurecht liegt, die Verwaltung hielt es für erloschen und sah in der Fläche einen nicht zu bebauenden Außenbereich.

Die Stadt Mühlacker ist seit Mai 2018 Eigentümerin des Areals, seit sie für das rund 900 Quadratmeter große Grundstück damals ihr Vorkaufsrecht ausübte. Das Anwesen auf den Flurstücken 182/7 und 181 erstreckt sich zwischen Bachweg (Lienzingern auch geläufig unter der Bezeichnung Wette) und Schmiebach. Der Bachweg erinnert an den Bach, der dort verläuft, der aber Mitte der 1960er Jahre bei der Kanalisierung des Dorfes zugeschüttet wurde.Das Hausgrundstück 182/7 liegt im Sanierungsgebiet Ortskern Lienzingen.

Zweiter Blick auf die Ostfassade

Das Gebäude sei in einem sehr schlechten Zustand und damit abrissreif, steht in der seinerzeitigen Vorlage der Verwaltung. Das unbebaute Flurstück 181 grenzt direkt an. Zur Umsetzung des Hochwasserschutzkonzeptes werden diese beiden Flurstücke für den Bau einer geplanten Hochwasserschutzwand beziehungsweise eines Deichs benötigt, so seinerzeit die Nachricht aus dem Rathaus weiter. Wann der errichtet wird, steht noch nicht verbindlich fest.

Bis jetzt unbekannt war das Baujahr des Herzenhäusle. Es sei auf jeden Fall vor dem Zweiten Weltkrieg errichtet worden, wird erzählt. Das aber ist ein weiter Begriff. Der Mittelalter-Archäologe Tillmann Marstaller bestimmte vor gut zehn Jahren das Alter der Häuser im Ortskern. Er macht zwar keine Angaben zu Friedenstraße 26/1, jedoch zum Wohnhaus Friedenstraße 26 nebenan und nennt als Baujahr um 1700. Dendrochronologie heißt diese Technik, bei der man die verschieden dicken Jahresringe eines Baumstamm-Querschnitts mit denen in einem mehr als 10.000 Jahre zurückreichenden Archiv vergleicht. Das könnte bei 26/1 nun nachgeholt werden im Rahmen der Dokumentation.

Da stecken rund 180 Jahre Geschichte drin

Eines dürfte es nicht gewesen sein: das frühere Armenhaus der bis 1975 selbstständigen Gemeinde Lienzingen. Denn dies war einen Steinwurf entfernt (Hauptstraße 66, heute Friedenstraße 24). Der Lienzinger Gemeinderat ließ 1951 bei erwarteten Baukosten von 18.000 Mark das frühere Armenhaus aufstocken. Zwei zusätzliche Wohnungen entstanden. 1959 kaufte einer der Mieter das Haus der Gemeinde ab: Schuhmachermeister Fritz Schaufelberger, der eine Schusterwerkstatt im Erdgeschoss betrieb.

Das Herzahäusle, zum Bachweg hin, weist an der rückwärtigen Fassade teilweise Fachwerk auf. Zum Grundstück gehört östlich zur Friedenstraße 26 (Link) ein kleines Stück Garten, die nach Süden ausgerichtete Freifläche ist weitaus größer. Dort grasen Ziegen, die der aktuelle Pächter hält. So gesehen: Ein Ziegenstall fehlte bisher in der mindestens 180-jährigen Geschichte des kleinen Hauses.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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