Fazit der Einsicht in 3600 Seiten Akten

Meine Bewunderung für jene Politiker, die so eine Kreistagssitzung wie heute in der Remchinger Kulturhalle geschäftsmäßig abwickeln können. Mir gelang das nicht. Angespannt, nervös, aufgeregt. Ich bekam meine Emotionen nicht weggedrückt. Musste mich während meines Diskussionsbeitrags selbst ermahnen, doch ruhig zu bleiben. Ich sah es kommen: Als wir in der CDU-Fraktion vor Wochen uns über die ersten Ergebnisse unterhielten, sagte ich, erst nach Vorlage des Abschlussberichts komme das schwierigste Stück des Weges. Zuerst wurde hinter den Kulissen über eine bestimmte Formulierung gestritten, die den Landrat in die Nähe von Menschen rückte, die es mit der Wahrheit nicht ernst nehmen. Gehörte er wirklich dahin? Ich hatte meine Probleme, das zu glauben. Die Indizien sprachen dafür und die Nichtinformation des Kreistags hat er auch nicht bestritten. Weshalb dann sein Verhalten?

Kreistagssitzung heute in der Remchinger Kulturhalle

Einer der Punkte, die der Ausschuss für Akteneinsicht zur Vergabe von Buslinien im westlichen Enzkreis aufgriff. Die sechs Mitglieder - je eines pro Fraktion - legten ihren Abschlussbericht vor. Ich war Mitantragsteller und Mitglied des Ausschusses. Was sich auf mehr als 3600 Blätter alles an Pleiten, Pech und Pannen aufspüren ließ, überraschte, machte auch zornig. Heute war der Bericht im Kreistag diskutiert worden, der Attackierte sitzt einem an der Stirnseite gegenüber. Gleich zu Beginn räumt er Fehler ein, entschuldigt sich dafür. Was bleibt an Kritik? Wie schwer fällt sie dann noch, wenn die Zielscheibe der Vorwürfe derselbe ist, der wenige Minuten zuvor offiziell bereut? Bleiben wir geschäftsmäßig, auf Angriff gebürstet oder nachsichtig? Ich fuhr schon zu angenehmeren Sitzungen. Aber zur Aufgabe des Kreistags gehört Kontrolle der Verwaltung.

Erstmals in der Geschichte des Enzkreises bediente sich der Kreistag dieses Instruments.

Die CDU-Fraktion stimmte den Anträgen in der Vorlage 94/2021 zu einschließlich den Anträgen des Ausschusses für Akteneinsicht.

Wir gehen fest davon aus, dass die entsprechenden Beschlüsse des Kreistags und die Empfehlungen des Ausschusses für Akteneinsicht umgesetzt werden. Wir anerkennen, dass der Landrat ausdrücklich zugesagt hat, in den nächsten Monaten regelmäßig über den jeweiligen Sachstand ihrer Umsetzung in den Gremien zu berichten.

Ein Ausschuss für Akteneinsicht ist kein Untersuchungsausschuss, er sitzt über niemand zu Gericht, sondern wertet Akten aus, bewertet deren Inhalt. Es ermöglicht als das einzige Kontrollinstitut im Kommunalrecht die Selbstunterrichtung der Gemeinderäte und Kreisräte, überprüft direkt durch Einblick in die Akten das Verwaltungshandeln, bestimmt den Umfang der Kontrolle selbst.  Bei den sonstigen Kontrollrechten wie Anträge und Anfragen ist die kommunale Vertretung auf die Verwaltung angewiesen, Fragen zu beantworten oder Sitzungsunterlagen zur Verfügung zu stellen – sie gilt als Fremdunterrichtung.

Weil die Einsichtnahme durch den gesamten Kreistag in die Akten kaum händelbar wäre, bedient sich das Gremium eines Ausschusses als Hilfsorgan des Kreistags. Dass die Vertreter aller sechs Fraktionen in dem heute zu beratenden Fall sich auf einen gemeinsamen Bericht verständigen konnten, gibt dem Bericht zusätzlich starkes Gewicht. Als Mitglied des Ausschusses trage ich den Bericht voll inhaltlich mit.

Jeder von uns hat viele Stunden Arbeit in die Einsichtnahme gesteckt - zusammen etwa 420 Stunden - und dabei wichtige Einsichten gewonnen. Ich habe im Gemeinderat schon solche Ausschüsse erlebt, in dem Teile arbeitsunlustig waren.

Der Text liegt dem Kreistag vor, er wurde inzwischen auch von den lokalen und regionalen Medien aufgegriffen.

Nur vier Punkte möchte ich herausgreifen: 

1. Der Ur-Fehler im ganzen Konstrukt

Die Information des Kreistages über das neue Fahrplankonzept im westlichen Enzkreis erfolgte im Jahr 2016 nur in der Vorlage 32/2016 für den Umwelt- und Verkehrsausschuss des Kreistags (UVA) am 23. Juni 2016 – nicht speziell, sondern allgemein im Rahmen der Darstellung über neue Angebote im Regionalbusverkehr im Enzkreis. Dabei war der Bereich westlicher Enzkreis einer von mehreren Bereichen, die in der Vorlage abgehandelt wurden. Aussagen zu Eckpunkten der Ausschreibungen und Vergabe von Linien fehlten vollständig. Doch bereits im Januar 2016 verständigten sich Aufgabenträger und VPE darauf. Die Ausschreibung sollte in 3 Losen erfolgen. Da von der Fa. Müller der stärkste Widerstand gegen die Neuordnung im westlichen Landkreis erwartet wurde, sollte an sie das Los 1 direkt vergeben werden – zu welchen maximalen Konditionen bleibt in den Akten offen. Kein Wort davon in den beiden genannten Kreistagsvorlagen. Ob die Direktvergabe mit dem Unternehmen kommuniziert wurde, ist den Akten auch nicht zu entnehmen.

Möglicherweise wäre dies der Königsweg gewesen, wenn die Sache nicht so stümperhaft angepackt worden wäre. Nebenbei: der verantwortliche Landrat war damals Karl R. Das verdeutlicht auch: Die Nichtbeteiligung des Kreistags an wichtigen Punkten, das Weichenstellen ohne störende Kreisräte hat Tradition. Deshalb brauchen wir auf der Führungsebene des Landratsamtes, aber auch in manchen Ämtern, ein neues Verwaltungsdenken. Demokratische Entscheidungs- und Beteiligungswege statt obrigkeitsstaatlichem Denken.

2.  Der verschwiegene Brief

Am 11. August 2020 um 18:52 Uhr sandte das von den Aufgabenträgern beauftragte Anwaltsbüro in Bremen eine Mail mit einem angefügten fünfseitigen Vermerk über die Folgen der Niederlage vor der Vergabekammer. Sie ging an den Kreis Calw, an die Stadt Pforzheim und an den Enzkreis. Beim Enzkreis konkret an den Landrat, den Leiter des Amts für nachhaltige Mobilität und einem Mitarbeiter dieses Amtes. In dem Vermerk wägen die Anwälte die Chancen ab, vor dem OLG in der Sache doch zu siegen.  Er endete mit der Empfehlung, das OLG nicht anzurufen und unterbreitete einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen. Doch die Anwälte brachten auch ihre Unzufriedenheit mit der Entscheidung der Vergabekammer zum Ausdruck. Ich zitiere: Diverse Ausführungen der VK (erscheinen) aus unserer Sicht rechtlich fragwürdig und könnte insoweit isoliert betrachtet in der Rechtsmittelinstanz unsers Erachtens durchaus mit Erfolgsaussichten angegriffen werden. Zitatende.

Im selben Satz wird dann ausgeführt, die Nutzung des Rechtsmittels wäre mit einem nicht unerheblichen Risiko verbunden.

In der Abwägung wäre auch ich wahrscheinlich zum Ergebnis gekommen, das OLG anzurufen, um Klarheit zu schaffen. Nur – entscheidend ist in unserem Zusammenhang, dass dieses Schreiben dem Kreistag nicht vorgelegt wurde, auch nicht den Fraktionsvorsitzenden, obwohl der Landrat diese am 18. August 2020 vor seiner Eilentscheidung in Vorlage 70/2020 angehört hatte, in der er den Weg vor das OLG frei machte. Ohne Akteneinsicht hätten wir nie davon erfahren. Was ich nicht nachvollziehen kann, weil nach dem Schreiben der Anwälte als Seite 2683 ein handschriftlicher Vermerk in den Akten ist, ohne dass sich dem entnehmen lässt, wer ihn geschrieben hat. Da steht unter anderem: „aus unserer Sicht Eilentscheidung oder reine Mitteilung. Abklären mit Stadt“ und schließt mit dem Punkt „Info Fraktionsvorsitzende“. Das wurde dann aber offenbar vergessen. Absicht will ich nicht unterstellen. Doch das ändert am Ergebnis und somit an den kritischen Feststellungen des Ausschusses für Akteneinsicht nichts.

3. Scharfmacher als Mitspieler

Zur differenzierten Betrachtung des Vorgangs gehört jedoch auch, dass Herr M. als Leiter des Eigenbetriebs Pforzheimer Verkehrsbetriebe den Scharfmacher spielte und die Anrufung des OLG forderte. Seine Mail vom 12.8.2020, Seite 2685: Für die Fa. Müller steige das Prozesskostenrisiko, das OLG sei eher bemüht um einen Vergleich als die Vergabekammer, das OLG-Urteil sei politisch besser zur verkaufen, wollten Antworten auf konkrete Fragen.

Weshalb die Akteneinsicht des Ausschusses des Gemeinderats der Stadt Pforzheim, parallel zu unserer, so sang- und klanglos endete, verwundert bei solchen Ausführungen schon (es sei denn, diese Mail lag dort nicht vor). Zumal nach dem Antrag auf Eigenwirtschaftlichkeit durch das Unternehmen Müller weder der Eigenbetrieb der Stadt noch das Landratsamt effizient die Frage untersuchten und beantworteten, ob dieser eigenwirtschaftliche Antrag auskömmlich ist. Den Akten entnehme ich, dass der Antrag eigentlich nicht als auskömmlich angesehen wurde, wobei die einzeln angeführten Minusbeträge schwankten, die angeblich zur Auskömmlichkeit fehlten, und zudem durchweg Unsicherheiten bei den künftigen Paragraph-40a-Mittel gesehen wurden. Zwar entschied das Regierungspräsidium, doch nach Anhörung der Aufgabenträger. Und diese gingen stümperhaft vor. Falsch war es, vor diesem Hintergrund gegenüber dem RP die Auskömmlichkeit bescheinigt zu haben. Als alles schiefgelaufen war, hatten sie es jetzt alle miteinander besser gewusst. Verantwortung sieht anders aus. Wenn die Aufgabenträger ihre Bedenken gegenüber dem Regierungspräsidium vorher deutlich gemacht hätten, wären uns möglicherweise viel Zeit und Geld, uns und den Fahrgästen viel Unsicherheit erspart geblieben. Natürlich trifft die Auffassung zu, dass beim eigenwirtschaftlichen Antrag das Risiko beim Antragsteller liegt. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.

Wenn ein eigenwirtschaftlicher Betrieb nicht durchgehalten werden kann, fällt das auch Aufgabenträgern und Fahrgästen vor die Füße - ein Fehler im System. Stamokap lässt grüßen.

Auch hier: Was sagt dazu der Ausschuss für Akteneinsicht des Gemeinderats der Stadt Pforzheim? Fehlanzeige. Dabei muss man immer wieder daran erinnern, dass die Buslinienvergaben nicht allein Sache des Landratsamts Enzkreis waren und sind. In gleichem Umfang ist auch der Eigenbetrieb Verkehr der Stadt Pforzheim beteiligt. Und dass der keine Fehler gemacht hat und nur das Landratsamt, ist in meinen Augen höchst unwahrscheinlich. Nicht nur der Enzkreis muss die vom Landrat zugesagten Folgerungen daraus ziehen. Überall kräftig mitzureden, dann aber nur die Verwaltung des Landkreises und den Landrat die Suppe auslöffeln zu lassen, ist auch nicht die feine Art.

4. Der Herz-lose

Noch ein Blick auf die Blätter 2227 und 2228 des Konvoluts. Da schrieb am 23. April 2020 um 18.31 ein Wolfgang H. an Dirk B. eine Mail folgenden Inhalts: Lohnt sich das - ich hätte nicht übel Lust das einfach zu ignorieren, denn wir stehen nur cc im Verteiler (was nämlich ein Versehen war, aber…) Das sind die letzten Zuckungen eines am Boden liegenden Unternehmers, der leider gar nichts versteht. Ich möchte vor allem nicht, dass diese Nachhutgefechte dann wieder in den öffentlichen Raum getragen werden. M.E. reicht es völlig aus, wenn der VPE der Form halber reagiert, inhaltlich kann ich mit den Forderungen nichts anfangen. Selbstverständlich bin ich solidarisch dabei, wenn Du reagieren möchtest…“

Ausgangspunkt war ein Termin auf Einladung des Verkehrsverbundes Pforzheim/Enzkreis (VPE) am 23. April um 9 Uhr im Rathaus der Stadt mit Vertretern von Omnibusunternehmen und VPE, Stadt und Kreis über die Folgen von Corona. Die Vertreter der Firma Müller waren mit den Ergebnissen nicht zufrieden und drückten dies in einer Mail noch am 23. April um 17.37 Uhr aus (Blatt 2224 und 2225). Darauf dann die herz-lose Mail an Dirk B. Die Unmenschlichkeit eines Spitzenbeamten in diesem Fall. Überheblichkeit und Kaltschnäuzigkeit gegenüber einem Unternehmen, die im Widerspruch stehen zu den Sonntagsreden über die Bedeutung mittelständischer Unternehmen.

Weil ich mich hier mehrfach auf meine Aufzeichnungen während der stundenlangen Einsichtnahme in die Akten beziehe, gab ich diese Aufzeichnungen zu Protokoll.

In meinem beruflichen und politischen Leben – fast ein halbes Jahrhundert lang - traf ich auf manchen Verwaltungschef, darunter ein früherer, inzwischen verstorbener Landrat von Ludwigsburg, der sich selbst noch reinwusch, als gemachte Fehler klar und eindeutig waren und feststand, dass Haushalte und Betriebe für viele Millionen Verluste geradestehen mussten. Fehler einzugestehen und um Entschuldigung zu bitten, fällt vielen schwer.

Umso mehr würdigen ich und die CDU-Fraktion, dass Landrat Rosenau die Stärke zur Entschuldigung hat für Fehler, die gemacht worden sind in diesem Fall der Buslinienvergaben im westlichen Enzkreis. Wir anerkennen dies auch als gute Grundlage gemeinsamer Arbeit in den nächsten Jahren.

Wobei auch wir anerkennen, dass die Fehler personell zugeordnet werden können und müssen. Wir stellen nicht die gesamte Kreisverwaltung unter Fehler-General-Verdacht. Diese Feststellung ist mir wichtig. Genauso wichtig wie die Feststellung, dass sich solche Fehler nicht wiederholen dürfen. Dann hätte sich der Ausschuss für Akteneinsicht gelohnt.

Abschlussbericht Anlage_1_-_Abschlussbericht_des_Akteneinsichtsausschusses_-AEA-.pdf

Anlage_2_-_Zusatzinformationen_zum_Abschlussbericht_des_AEA.pdf

Trackbacks

Trackback-URL für diesen Eintrag

Kommentare

Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Kommentare werden erst nach redaktioneller Prüfung freigeschaltet!


Um maschinelle und automatische Übertragung von Spamkommentaren zu verhindern, bitte die Zeichenfolge im dargestellten Bild in der Eingabemaske eintragen. Nur wenn die Zeichenfolge richtig eingegeben wurde, kann der Kommentar angenommen werden. Bitte beachten Sie, dass Ihr Browser Cookies unterstützen muss, um dieses Verfahren anzuwenden.
CAPTCHA

Umschließende Sterne heben ein Wort hervor (*wort*), per _wort_ kann ein Wort unterstrichen werden.
Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.