Die Geschichte hinter der Geschichte: Fotovoltaik, kommunaler Wärmeplan und Neustart von Grün-Schwarz

Über den Gartenzaun zu schauen, schadet auch in der Politik nicht. Das ist besser, als in der eigenen Blase zu leben. Und so entsteht auch schon einmal ein Antrag durch einen Anstoß quasi aus der Nachbarschaft. In diesem Fall durch ein gut einstündiges Gespräch im typischen Kommunikationsformat der Corona-Zeit mit Dr. Jann Binder vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW). Er warb im digitalen Kaffeekränzchen für den Ausbau von Fotovoltaikanlagen, speziell mit intelligenten Lösungen auf freien Flächen, die die weitere Nutzung der Fläche unter den Voltaik-Modulen erlauben. Daraus entstand ein Antrag der CDU-Fraktion im Mühlacker Gemeinderat, den das Gremium jetzt in einer Videokonferenz mit 20 von 25 Stimmen annahm. Nur FDP und Freie Wähler taten sich mit der Idee etwas schwer. Erwachsen ist aus dieser Initiative eine aufschlussreiche Vorlage des Leiters des Baurechts- und Planungsamtes der Senderstadt, Armin Dauner, für Gemeinderat und Öffentlichkeit. Eine gute Bestandsaufnahme: Photovoltaik_Flaechen_Sitzung-Gemeinderat-vom-30.03.2021-11.pdf

 

Fotovoltaik aufgeständert. Foto: Pixabay

Digitales Kaffeekränzchen? Hört sich putzig an, ist es aber nicht. Corona mag uns physisch trennen - aber der politische Diskurs soll und muss weitergehen, sagte sich die Landtagskandidatin der Grünen im Wahlkreis Waiblingen, Swantje  Sperling, und bittet seit dem 23. März 2020 zu Swantjes Digitales Kaffeekränzchen, inzwischen als Landtagsabgeordnete. Eine überparteiliche und interdisziplinäre Debatte mit wechselnden  Expert(inn)en zu verschiedensten Themen. Sperling kenne ich noch aus meiner Ressortleiter-Zeit bei der Ludwigsburger Kreiszeitung, als sie zuerst in den Gemeinderat von Remseck und dann in den Ludwigsburger Kreistag einzog, jedoch als Landtagskandidatin im Sommer in ihren Wahlkreis wechselte und deshalb die Kommunalmandate abgab.

Gute Konkurrenz belebt die Sache. Man solle sich immer überlegen, ob sich aus dem, was andere tun, für sich Honig saugen lässt, lautete einer der klugen Ratschläge fürs Leben meines LKZ-Verlegers Konrad Ulmer. Swantje Sperling war bisher Büroleiterin der Enzkreis-Abgeordneten Stefanie Seemann und als solche organisierten wir die gemeinsame CDU- und Grünen-(Koalitions-)Veranstaltung Anfang 2020 in Mühlhausen an der Enz mit Landesumweltminister Franz Untersteller.

Der Auftrag des Gemeinderats Mühlacker aufgrund des CDU-Antrags: Die Stadtverwaltung wird das Potenzial für Freiflächen-Solaranlagen erheben und Vorschläge zu deren Nutzung sowie staatlicher Fördermöglichkeiten ausarbeiten. Dafür soll der Fachverstand der Wissenschaftler des ZSW mit Sitz in Stuttgart und Ulm genutzt werden - eine vom Land zusammen mit Universitäten, Forschungseinrichtungen und Unternehmen 1988 unter dem christdemokratischen Umweltminister Erwin Vetter gegründete gemeinnützige Stiftung. Ministerpräsident Lothar Späth (CDU) war es, der 1987 mit Vetter den ersten „reinen“ Umweltminister berief, nachdem der Bereich Umwelt zuvor beim Landwirtschaftsminister  ressortierte. Das wieder mehr ins Blickfeld zu rücken, täte der Union auch wegen des Klimaschutz-Schwerpunktes  gut, auf den sich die Schwarzen mit den Grünen im Land einlassen wollen. Die Schöpfung bewahren – ein urkonservatives Ziel. 3-6068d11b30226.pdf

Zurück zum Beschluss des Mühlacker Gemeinderats. Es sei nach intelligenten Lösungen zu suchen, die die weitere Nutzung der Fläche unter den Voltaik-Modulen erlauben. Dies soll ein Kapitel des künftigen kommunalen Wärmeplans sein. Solche Wärmepläne gehören auch zu den Maßnahmen, die die Grün-Schwarze-Landesregierung für den Klimaschutz ausdrücklich fordert. Wir wollen den Beitrag unserer Stadt zur Energiewende und somit zum Klimaschutz verstärken. Die Stadtverwaltung nahm die Initiative positiv auf. Die Potenziale solarer Energie seien prinzipiell unbegrenzt, schreibt der Amtsleiter in der Stellungnahme der Verwaltung.

Mit der Novelle des Klimaschutzgesetzes im Jahr 2020 wurden, so Dauner,  verschiedene Aufgaben definiert, die der Erhöhung des Versorgungsgrads mit erneuerbaren Energien dienen. Hierzu zählen unter anderem eine Photovoltaikpflicht auf Dächern von Nichtwohngebäuden und Parkplätzen vom 1. Januar 2022 an sowie die für Kommunen mit mehr als 20.000 Einwohnern verpflichtende Aufstellung eines kommunalen Wärmeplans bis Ende 2023. 

Der Kommunale Wärmeplan soll aufzeigen, wie es der Stadt Mühlacker gelingen wird, bis zum Jahr 2050 - mit Zwischenziel 2030 - die Wärmeversorgung der gesamten Stadt zu dekarbonisieren. Im Zuge dessen seien alle Verbraucher sowie alle nutzbaren Wärmequellen zu erfassen und es sei auf dieser Basis eine Strategie zu erarbeiten, wie die Umstellung der Wärmeversorgung auf erneuerbare Energien bis 2050 schrittweise erfolgen soll. Hierbei seien alle Formen der Energieerzeugung, -verteilung und –speicherung zu beleuchten.

Aus Sicht der Verwaltung bietet der Kommunale Wärmeplan eine geeignete Plattform, um die Nutzung und Bilanzierung erneuerbarer Energien auf der Gemarkung strukturiert zu prüfen und unterschiedliche Nutzungen, gegebenenfalls auch Nutzungskonkurrenzen untereinander abzuwägen. Hierbei könne auch eine Einbeziehung nicht unmittelbar wärmebezogener erneuerbarer Energien wie aus Fotovoltaik-Anlagen erfolgen. Sie sollte aus Sicht der Verwaltung sogar in diesem Zusammenhang erfolgen, weil zum Beispiel eine direkte Flächen-Konkurrenz von Fotovoltaik- und thermischen Solaranlagen bestehe, die sachlich fundiert gelöst und nicht nach dem Windhundprinzip entschieden werden sollte.

Mit Agri-Photovoltaik (APV), also über landwirtschaftlichen Nutzflächen aufgeständerten PV-Modulen, lassen sich Landwirtschaft und Photovoltaik prinzipiell sehr effizient miteinander kombinieren, meint auch Dauner: Eine ganze Reihe von Nutzpflanzen zeige nach neueren Forschungen keine Ertragseinbußen bei reduzierter Sonneneinstrahlung, andere profitierten sogar davon – zum Beispiel durch Vermeidung von Hagel-, Kälte- und Dürreschäden. Betrachte man die Anbauflächen dieser beiden Pflanzenklassen als grundsätzliches Potenzial für eine Kombination von Photovoltaik und Landwirtschaft, dann böten diese Flächen in Deutschland ein enormes Potenzial. Hinzu komme die Möglichkeit, vom heutigen Anbau von Energiepflanzen auf eine Kombination von Lebensmittelerzeugung und PV umzusteigen.

Blick in die Zukunft. Auf dem Weg zur Solarfabrik (Quelle: ZSW)

Nehme man dieser Argumentation folgend die heute für den Anbau von Energiepflanzen genutzten Flächen hinzu – das sind 14 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche, zum Vergleich: für die Produktion pflanzlicher Lebensmittel werden 22 Prozent genutzt - liege die potenzielle Leistung noch höher. Die Leistung eines durchschnittlichen Kernkraftwerks liege also bei einem 1.700stel bzw. 2.400stel der auf diesen Flächen ohne landwirtschaftliche Ertragseinbußen erzeugbaren elektrischen Leistung. Denkbar sei also nicht nur eine Kombination von Fotovoltaik mit extensiven Formen der landwirtschaftlichen Nutzung wie Beweidung.

Die praktische Problematik aus Betreibersicht besteht laut Dauner eher in der restriktiven Gesetzgebung zu zulässigen Suchräumen für Freiflächen-Fotovoltaik. So dürfen Freiflächen-Fotovoltaik-Anlagen nur unter eng begrenzten Bedingungen an der Ausschreibung des Bundes für die Einspeisung von Solarstrom teilnehmen. Dies sollen sicherstellen, dass auf landwirtschaftlichen Flächen im Regelfall keine Freiflächensolaranlagen errichtet werden. Ausnahmen gelten für sogenannte benachteiligte Gebiete und für 200-Meter-Streifen entlang von Bundesautobahnen und Schienensträngen. Aber laut Energieatlas könnten mehrere Mühlacker Teilgemarkungen erleichtert an Freiflächen-PV-Ausschreibungen auch unter Inanspruchnahme landwirtschaftlicher Flächen teilnehmen: Die Gemarkung von Großglattbach gilt vollständig, die Gemarkungen von Enzberg, Lomersheim und Mühlhausen gelten teilweise als benachteiligte Gebiete nach dem Energie-Einspeisegesetz (EEG).

Das liegt voll auf Kurs der geplanten Vereinbarung der neuen Grün-Schwarzen-Koalition in Baden-Württemberg. Darin wird ausdrücklich der Einsatz für den Ausbau von Freiflächen-Photovoltaik beispielsweise entlang von Autobahnen, Zugstrecken oder auf Baggerseen betont. Zudem wird die Agri-Photovoltaik fest etabliert sowie die Potentiale auf privaten Dächern über die Erstellung von Solaratlassen sichtbar gemacht und damit neue Anreize setzen für den privaten Ausbau geschaffen.

Armin Dauner zitiert das Fraunhofer ISE. Im Jahr 2020 deckte die Fotovoltaik nach ersten Hochrechnungen mit einer Stromerzeugung 9,3 Prozent des Brutto-Stromverbrauchs in Deutschland, alle Erneuerbaren Energien (EE) kamen zusammen auf 46 Prozent. Der Brutto-Stromverbrauch schließe Netz-, Speicher- und Eigenverbrauchsverluste ein. An sonnigen Tagen kann Strom aus Fotovoltaik zeitweise über zwei Drittel unseres momentanen Stromverbrauchs decken. Die Kosten für private Kleinanlagen zum Beispiel auf Dachflächen mit wenigen Kilowatt-Nennleistung lägen bei etwa zehn Cent je Kilowattstunde.  Die Kosten größerer Freiflächenanlagen mit mehreren Megawatt-Leistung beziffert er auf 3,5 bis fünf Cent pro Kilowattstunde und seien damit am Markt voll konkurrenzfähig unter der Voraussetzung, dass der Strom auch voll abgenommen werden könne. Zum Vergleich: Die Grenzkosten – also noch ohne Fixkostenanteil für Investition und Kapitalverzinsung - für Kohlestrom bewege sich bei drei bis sieben Cent, für Gasstrom bei sechs bis neun Cent je Kilowattstunde. 

Quelle: Pixabay

Für die Versorgungssicherheit gewinnen, so die Stadtverwaltung weiter, Möglichkeiten der Speicherung erneuerbar erzeugten Stroms an Bedeutung - bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die so gewonnene Energie benötigt wird - ob in Pumpspeichern, Batterien, Wärmepumpen, thermischen Speichern, Power-to-X . . .

Mühlackers Kommunalpolitik setzte schon frühzeitig auf erneuerbare Energie: Wasserkraft dank Enz, Biogasanlage in den Waldäckern … Die Bilanz 2019 der Stadtwerke : 60 Prozent der Gesamtstromlieferungen des Unternehmens aus erneuerbarer Energie. Zum Vergleich: 40 Prozent bei der Stromerzeugung in Deutschland. Wir sind also auf einem guten Weg. Was in Stuttgart nun als Klimaschutz-Paket geschnürt wird, sollte uns also nicht schrecken. Im Gegenteil.

Ein bisschen können auch digitale Kaffeekränzchen der Konkurrenz helfen. Nicht nur das: Sperling zeigte, dass Wahlkampf in Pandemiezeiten nicht Stillstand bedeutet und auch keine Ausrede fürs Nichtstun ist. Sondern ein Zeichen, ob ein Kandidat oder eine Kandidatin Ideen hat. Aber das wiederum ist eine andere Geschichte.

Da war nun auch die Geschichte hinter der Geschichte.

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