Die muntere Frage bleibt: Was gehört in welche Tonne?

Wer hat’s erfunden? Nein, nicht die Schweizer. Es war ein Schwabe aus Poppenweiler, flink mit der Zunge und sprudelnd vor immer neuen Ideen. Eine davon führte vor gut 30 Jahren zu einem neuen alltäglichen Frage- und Antworten-Spiel in Haushaltungen und Betrieben des Kreises Ludwigsburg und auch des Enzkreises: Was ist flach, was ist rund? Namenserfinder Klaus Marbach, vormals Verwaltungschef der Kreiskrankenhäuser, dann Kämmerer des Landkreises Ludwigsburg, schließlich von 1989 an Geschäftsführer der neuen Landkreis-Tochter Abfallverwertungsgesellschaft (AVL) – der Mann für alle Zwecke, treuer Eckart des seinerzeitigen Ludwigsburger Landrats Ulrich Hartmann und Duz-Freund vieler Kreisräte. Ein politisches und persönliches Umfeld, das ihn stützte, seinen Ideen bereitwillig und häufig auch kritiklos den Ludwigsburger Weg bereitete. Ein Teil dieses Pfades: das Wertstoff-Sammelsystem „Flach und rund“. Den Enzkreis-Weg indessen gab es nicht, aber Elemente des Ludwigsburger Wegs schwappten in den Westen über.

Start Anfang 1992. Doch der erste Protest hatte sich da schon gelegt, denn der erhob sich bereits zwei Jahre zuvor. Damals krempelte der Kreistag das für viele bequeme System mit einer Mülltonne um. Sortieren und Trennen hieß nun das Motto. Deshalb beschloss das Gremium 1989, die Grünen Tonnen einzuführen. Alle zwei Wochen holten die Müllkutscher den Inhalt ab: An einem bestimmten Tag Papier, Pappe, Kartonagen (PPK), am folgenden das Glas. Ursprünglich bekam jeder Haushalt grundsätzlich nur ein Gefäß. Dann hieß es: Zwei Wochen lang Altglas in der Tonne sammeln, das PPK-Material derweilen zwischen zu lagern und dann umzufüllen, wenn das Behältnis leer ist, auf dass es am folgenden Tag abgeholt werden kann. Die Freude daran hielt sich in Grenzen. Wer Platz hatte, bestellte sich nach dem Abschluss der flächendeckenden Einführung im Sommer 1990 eine zweite Grüne Tonne. Wir haben inzwischen drei – so viele wie unser Familie nach der Umstellung 2021 haben werden. Schon allein deshalb schreckt mich diese nicht.

Die Anzahl der Grünen Tonnen im Enzkreis in Problem, da diese in der Vergangenheit nicht registriert wurden. Es handelt sich daher um Schätzwerte, so das Landratsamt: Wir gehen von rund 93.000 Anschlusseinheiten/Haushalte aus, heißt es im Landratsamt in Pforzheim. Mindestens ein Drittel bis die Hälfte der 240-Liter-"Flach"-Behälter Nutzer hat auch eine separate Tonne "Rund". Die Nutzer der großen 4-Radbehälter von "Flach" haben ebenfalls noch 240-Liter-"Rund" Behälter (Rund wird nur in 240 Liter Gefäßen gesammelt). Wir schätzen hier zirka 30.000 Behälter als "Solo-Rund-Tonne". Dies bedeutet, dass annährend 100.000 Grüne Tonnen Flach und Rund vor Ort im Kreis verteilt sind.

Da aber jede Anschlusseinheit eine gelbe Tonne erhalten wird, schätzt die Kreisverwaltung daher die rund 70.000 Behälter adäquat der aktuell 68.000 sich im Umlauf befindlichen 240-Tonnen "Flach".

Die Philosophie, dass Abfälle eigentlich Wertstoffe sind, die wieder in den Kreislauf zurückgeführt werden sollten, stand hinter der Aktion Grüne Tonnen. Der Gesetzgeber machte Druck. Doch der Recycel-Gedanken und das Platzproblem in einem verdichteten Landkreis wie Ludwigsburg, ja selbst in einem eher ländlich geprägten Raum wie dem Enzkreis vertrugen sich nach der Meinung vieler Menschen nicht. Sie beschäftigte viel stärker die große Frage: Wo stellen wir die Tonnen hin? Da kam Ärger auf, ja des Volkes Zorn kochte hoch. Die Proteste füllten die Leserbriefspalten. Kreisräte mussten sich am Telefon oder auf der Straße Standpauken anhören. Das alte System mit der schwarzen und einzigen Tonne habe sich doch bewährt. Mehr sei nicht notwendig.

Eineinhalb Jahre später kam „flach und rund“ hinzu. Sozusagen als Garnierung des Ökosystems der Abfallwirtschaft. Dass dies 2021 zum Hit erklärt werden würde, hatte damals niemand gedacht. Denn die Resonanz war alles andere als freundlich. Heute werden Lobesworte für das bewährte System gefunden, das unbedingt verteidigt, das neue abgewehrt werden müssen.

Drei Jahrzehnte danach, in diesen Tagen, bereitet die Kreispolitik den Abschied von diesem Sondersammelsystem vor. Aus flach und rund wird gelb und blau. Plötzlich ist das Trennen recycelbarer Wertstoffe in Grünen Tonnen so beliebt wie noch nie. Und die eine entscheidende Frage wiederholt sich: Wohin mit der zusätzlichen Tonne?

All dies erhöhte nicht gerade die Akzeptanz. Als Anfang der 90er Jahren die Verpackungsverordnung in Kraft trat, wollte der Landkreis den Menschen nicht eine erneute Umstellung zumuten. Hersteller mussten das Material, mit dem ihre Waren verpackt wurden, zurücknehmen. Der Gesetzgeber schuf aber eine Ausstiegsklausel: Die Pflicht entfiel, wenn ein System die Verkaufsverpackungen einsammelte, sortierte und verwertete. Das war die Stunde des Dualen Systems Deutschland (DSD) und als Kennung des auf die Verpackungen gedruckten Grünen Punktes. Ein System, das die Wirtschaft einfädelte. DSD verlangte für die Verwendung des Grünen Punktes eine Lizenzgebühr von den Produzenten der Waren und finanzierte damit die Entsorgung des Materials. Haushaltsnahe Erfassung von Verkaufsverpackungen nannte der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU), was er in Gesetzesform goss. Obwohl alles privatwirtschaftlich organisiert war, gilt Töpfer als Erfinder des Gelben Sacks vor allem für das Entsorgen von Leichtverpackungen.

Gelber Sack, nein danke! Die Ablehnung des dünnen, gelblichen und durchsichtigen Kunststoffsacks löste die Suche nach einer Alternative aus. Der Kreis Ludwigsburg wollte ihn schon vor knapp 30 Jahren nicht und fand im benachbarten Enzkreis einen Juniorpartner, mit dem ihn eines verband: Die grünen Tonnen, kostenlos aufgestellt vom Knittlinger Entsorgungsunternehmen Pfitzenmeier und Rau (später Sita, jetzt Suez). Darauf wollten beide Landkreise nicht verzichten, sie passten ihr System an, Klaus Marbach erfand dafür die eingängige Bezeichnung „flach und rund“, zu beträchtlichem Teil finanziert von der DSD. Doch so einfach war es nicht. Der AVL-Chef antichambrierte mehrmals in der Zentrale des Dualen Systems in Bonn, bis er den Sondervertrag in der Tasche hatte.

Die Sonderrolle, die sich Ludwigsburg und der Enzkreis sicherten, passte den Herrschern über die Grünen-Punkt-Milliarden nicht. Immer wieder wollten sie aussteigen, zumal dann, wenn bei DSD finanzielle Engpässe entstanden – nicht zuletzt, weil Konkurrenten im gleichen Teich fischten. Mehrmals drohte das Ende des Ludwigsburger(Sonder-)Wegs. Letztlich gelang es immer wieder, die Krise beizulegen. Doch wie 1993 sorgte jetzt ein neues Gesetz für ein neues System: Das Verpackungsgesetz mit strengeren Maßstäben für das Recyceln von Wertstoffen.

Viele meinen, die gesamte Entsorgung liege in Landkreis-Regie. Ein Irrtum. Just der erschwert auch den auf Jahresende 2021 geplanten Abschied vom bisherigen System. Für die künftige blaue Tonne und des Leere-Flaschen-Körbchen (alternativ Altglas-Tonne) sind die inzwischen zehn eigenständigen privatwirtschaftlichen Unternehmen unter dem Label DSD allein zuständig, die jedem Vertrag mit Stadt- und Landkreisen mit Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen müssen. Damit nicht nebeneinander mehrere lokale Systeme mit unterschiedlichen Ansprechpartnern den Menschen auf die Nerven gehen, versuchten die Kreispolitiker erneut, alles zu einem System zu verflechten. Jetzt wie vor knapp 30 Jahren. Für sie spricht der Kreistag das letzte Wort.

Wie seinerzeit braten die DSD-Firmen den beiden Landkreisen wieder eine Extrawurst: kein gelber Sack, weiterhin das Abholen von Altglas an den Haustüren und – erstmals - freie Wahl zwischen Glas-Körbchen und Glas-Container. Altpapier wandert weiterhin in die einzig verbleibende grüne Tonne. Und weil manches Material mit dem gelben Punkt im (kommunalen) Altpapierbehälter landet, überweist DSD von 2022 an erstmals dem Landkreis dafür Geld. Nutznießer: Haushalte und Betriebe, weil damit die jährlichen Müllgebühren gedrückt werden können. Das Duale System setzt in den anderen Land- und Stadtkreisen nicht nur weiterhin auf den gelben Sack, sondern auch auf große Container an zentralen Plätzen, zu denen Altglas gebracht werden soll, um es dort farbenrein zu trennen. Ein Bringsystem, unter dem das jeweilige Ortsbild leidet, auch weil die Flaschen wegen Überfüllung nicht im Behälter, sondern davor ihren Platz finden.

Was neu ist, wird kritisch beäugt. Doch die Kernstücke der Abfallwirtschaft bleiben auch nach der neuerlichen Umstellung 2022 unverändert: Grüne Tonne, Recyclinghöfe, grüner Punkt, Rest- und Biomüll, Verpackungsgesetz. Feste Posten auf der Haben-Seite. Die zentrale Frage bleibt: Was gehört wohin?

(Auf den Enzkreis angepasste Fassung meines Beitrags in der Ludwigsburger Kreiszeitung vom 10. März 2021)

 

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