Heute Denk-Tag: Elsi Ascher-Schütz und Charlotte Kussbach, die ersten Gemeinderätinnen

Elsi Ascher-Schütz, 1946 bei der Gemeinderatswahl als erste Frau in Mühlacker erfolgreich

Stadtjubiläen stehen im Mittelpunkt, Jahrestage wie die Erinnerung an die Verabschiedung des Grundgesetzes auch, 100. oder 200. Geburtstag von Komponisten und Politikern sowieso, aber wer weiß schon, wie die Frauenrechtlerin, feministische Schriftstellerin und badische Landtagsabgeordnete hieß? Wer der Engel von Schönau war?

Oder Elsi Ascher-Schütz (1895–1976), am 30. Januar 1946 als erste und einzige Frau in den Gemeinderat von Mühlacker gewählt - gleichzeitig erste Gemeinderätin im heutigen Enzkreis? Heute ist der Denk-Tag an diesen Wahltag, als erstmals seit Einführung des Frauenwahlrechts 1919 in Mühlacker vier Frauen kandidierten. Elsi Ascher-Schütz von der Parteilosen Stadtgruppe wurde als einzige gewählt.

Was hat Elsi Ascher-Schütz gemeinsam mit Charlotte Kussbach aus Lienzingen? Sie war in der Geschichte der bis 1975 selbstständigen Kommune seit 1919 die erste Frau im Ortsparlament (1962 bis 1964) - aber sie blieb auch die einzige. Und Erika Gerlach, Ruth Schlegel und Elisabeth Brändle-Zeile?

Charlotte Kussbach (aus: Ortsbuch Lienzingen, 2016)

Sie zählen auch zur ersten Garnitur der Stadträtinnen in Mühlacker - in einer Zeit, in der Frauen im Stadtparlament noch rarer waren als heutzutage.  Eines haben sie auch sonst gemeinsam: Marlis Lippik zeichnete ihre Lebensgeschichte und die politische Arbeit einfühlsam, faktenreich und freundschaftlich nach, soweit dies (noch) möglich war, nach persönlichen Gesprächen, auf jeden Fall nach intensivem Studium des im Mühlacker Rathaus gesammelten Archivguts.

Frauen & Geschichte Baden-Württemberg e.V. - Erfinderin des Denk-Tags - ist ein landesweit agierender gemeinnütziger Verein. Er wurde 1994 mit dem Ziel gegründet, die Partizipation von Frauen in der Geschichtswissenschaft und -vermittlung zu stärken und der Kategorie „Geschlecht“ in der Forschung Gewicht zu verleihen, ist auf der Internetseite als ihr Anliegen zu lesen. Er öffnete in der Rubrik Denk-Tage einen virtuellen Raum für die Erinnerung an Frauen in Baden und Württemberg, an Ereignisse, Kämpfe und Siege mit Bedeutung für weibliche Lebensbedingungen und Handlungsspielräume.

Ohne Unterschied des Geschlechts heißt ein anderes Projekt, das der Staatsrätin für Bürgerbeteiligung und Zivilgesellschaft und dem Haus der Geschichte Baden-Württembergs Auch nach 100 Jahren sind Frauen in der Politik unterrepräsentiert. Deshalb werden auf der Website www.ohne-unterschied.de die Portraits von Gemeinderätinnen in den Mittelpunkt. Bei beiden Projekten dabei: Marlis Lippik, Leiterin des Stadtarchivs Mühlacker. Sie sitzt im Vorstand von Frauen und Geschichte.

Und so sind die Portraits von Elsi Ascher-Schütz und Charlotte Kussbach nicht die einzigen aus dem heutigen Mühlacker. Weitere hat die Stadtarchivarin auch verfasst über
Erika Gerlach, CDU (1973 bis 2014)
Ruth Schlegel, SPD (1975 bis 1999)
Elisabeth Brändle-Zeile, Grüne (1984 bis 1989)
auf www.ohne-unterschied.de.  

Doris Seidel, zweite Stadträtin (1971-1975)

Vielleicht bringt sie auch noch die Geschichte der inzwischen verstorbenen Pfarrersfrau Doris Seidel zu Papier? Nach Elsi Schütz-Ascher, 1946 und 1947 im Rat, war Doris Seidel (CDU) aus dem neuen Stadtteil Lomersheim die zweite Frau, die 25 Jahre nach Elsi Schütz-Ascher in den Rat der Senderstadt einzog, die Wiederkehr aber 1975 verpasste.  

Enttäuschend: Trotz aller Aktionen für mehr Frauen in den Kommunalparlament bleibt der nachhaltige Aufwärtstrend zumindest in Mühlacker aus. Seit 1999 ist der Anteil weiblicher Mitglieder des Gemeinderats, neutral ausgedrückt, schwankend, blieb aber immer hinter dem Anteil der Frauen an der Bevölkerung zurück.

Kein einziges Mal über 40 Prozent, aber einmal unter 30: Im Jahr 1999 stellten Stadträtinnen immerhin 34,3 Prozent aller Ratsmitglieder, der bisherige Spitzenwert war fünf Jahre später mit 38,9 Prozent erreicht. Eine Berg- und Talfahrt folgte. 2009: 30,6 Prozent, 2014: 28,1 Prozent, 2019 bei der Wahl 30,8 Prozent, mit abnehmender Tendenz. Inzwischen - im zweiten Amtsjahr - schmolz der Anteil durch Mandatswechsel auf gerade einmal 20 Prozent. Frauenpolitisch gesehen der Tiefpunkt.

Und bei der CDU in Mühlacker, eine bei mir nahliegende Betrachtung? Sie hatte in unserem für Kandidatinnen besten Wahljahr 2004 exakt 38,5 Prozent Stadträtinnen in der Fraktion. Fünf Jahre zuvor machten Ratsfrauen 20 Prozent aller Gemeinderatsmitglieder der Union aus, fünf Jahre später immerhin noch 33,3 Prozent, aber dann 2014 kam der erste herbe Rückschlag - es reichte lediglich zu 11,1 Prozent.

Doch schlimmer kommt's (manchmal) leider (fast) immer. Erstmals seit mehr als einem halben Jahrhundert steht die CDU ohne eine einzige Frau im Gemeinderat da - trotz einem Drittel Kandidatinnen auf der Liste. Mich erschütterte das, hätte das nie für möglich gehalten. Die drei ersten Nachrücker sind Frauen. Ein schwacher Trost.

Autorin und Archivarin Marlis Lippik

Ohne Unterschied des Geschlechts, dürfen die Bürger und Bürgerinnen im deutschen Südwesten seit 1919 ihre Gemeindevertretung wählen. So steht es wörtlich in der neuen badischen und württembergischen Gemeindeordnung. Wieviele Frauen gehen seither den Schritt in die kommunalen Parlamente? Und wer sind sie? Eine interessante Frage, der die Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung im Staatsministerium Baden-Württemberg Gisela Erler und das Haus der Geschichte Baden-Württemberg nachgehen.

Mühlacker kann sich sehen lassen in dieser kommunalen Frauen-Galerie.

Eine Website mit Biografien und Erfahrungsberichte von Kommunalpolitikerinnen von 1919 bis heute. Wir wollen die Frauen in den Mittelpunkt rücken, mit ihren Erfahrungen, ihren politischen Zielen und allem, was sie erreicht und verändert haben. Dadurch entsteht ein facettenreiches Bild, so die selbstgestellte Aufgabe der Galerie-Macherinnen.

Als Werbefeldzug? Bei den nächsten Koommunalwahlen werden wir es sehen.

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