Es ist jedesmal wie neu, dieses alte Kemper - Aus dem Bretonen-Land (12)

Die Gassen führen auf die Kathedrale zu

Notizen aus der Bretagne finden sich in diesem Blog, entstanden vor einem Jahr, gesplittet in zehn Teile. Diesmal angereichert mit der Gemeinde, die die Straßenleuchten ausknipsen lässt, wenn es Nacht wird. Heute liefere ich Spezielles zu Quimper, dessen Altstadt mit der Kathedrale im Zentrum wie ein Magnet wirkt und alltäglich viele Besucher, Betrachter, Kunden anzieht. Da ist Leben in der City, heimelig wirkende Einkaufsläden, von Leerständen fast keine Spur, Cafés, Gastronomie. Menschen, viele Menschen. Urbanität. In jedem Urlaub steht eine Fahrt dorthin meist mehrmals auf dem Urlaubsprogramm. 

Heimelige Ladengeschäfte

Die eigenen kleinen Schrulligkeiten sind es, die dazu gehören. Zum Beispiel: Der Hutladen meines Vertrauens, in einem der kleinen Gassen. Jedesmal die Suche nach einer Kopfdeckung in passender (Groß-)Größe, jedesmal nach intensiver Suche augenzwinkernd fündig geworden. Diesmal wieder ein Versuch – obwohl ich eigentlich über genügend Mützen und Hüte verfüge. Pech für den ewig selben Verkäufer: Diesmal passte nix. So zog ich ohne neue Kappe wieder ab. Zu großkopfet. Beim nächsten Mal neuer Anlauf.

Hut an Hut und nichts hat gepasst

In Quimpers Zentrum pulsiert das Stadt-Leben. Da fallen mir Diskussionen in deutschen Klein- und Mittelstädte über tröge und leere Fußgängerzonen ein. Freilich, alles Übel kommt aus dem Vergleich. Schließlich steht nicht in allen Stadtzentren ein mächtiges, altes und historisch bedeutsames Gebäude wie die Kathedrale Saint-Corentin. 1239 erbaut, ist sie die Kathedrale des römisch-katholischen  Bistums Quimper. Gegenüber im Café zu sitzen, vor sich hin zu träumen, die vorbei schlendernden oder eilenden Menschen zu beobachten, selbst seine Ruhe zu genießen – das ist wieder ein Stück dieser Attraktivität, die Lebensfreude ausstrahlt. Sehr schöne Stadt steht auf der Whats-App des Pastors der FEG in Mühlacker, der erstmals mit seiner Familie in der Bretagne urlaubte  und auch Quimper besuchte. Ein Lob mit drei Ausrufezeichen!

Musiker gehören zum Straßenbild

Der Steckbrief der Stadt: Quimper, bretonisch Kemper, Sitz der Präfektur des Départements Finistère. Einwohner werden auf französisch quimpérois und auf bretonisch kemperiz genannt. Das weiß Wikipedia. Und die kommunale Webseite ergänzt mit Superlativen und dem Motto der Stadt: unanimet e vimp kreñv (vereint werden wir stark sein). Sowie weitere Daten: 48 Bauernhöfe.  63.405 (2016) Bevölkerungsdichte: 752,1 Einwohner / km² (2014), Fläche: 84 km², Anzahl Sonnenstunden / Jahr: 1634 (zum Vergleich: Mühlacker 1749,5 Stunden), Anzahl Niederschlagstage: 154, durchschnittliche Mindesttemperatur: 8,1 ° C  und durchschnittliche Höchsttemperatur: 15 ° C.

Ländliche Idylle in der Stadt

Als Hauptstadt von Cornouaille - eine historische Landschaft, die im Mittelalter ein Königreich war - reicht der Einfluss von Quimper über seinen Status als mittelgroße Stadt hinaus. Von der historischen Cornouaille bis zur wirtschaftlichen Cornouaille zeichnet sich dieses riesige Gebiet im Süden von Finistère durch seine Dynamik und seinen Initiativgeist aus. So lobt sich die Kommune ganz in der Art der Bretonen, in allem irgendwie einzigartig zu sein. Kultur, Gemeinschaftsleben, Freizeit, Umwelt, Wirtschaft - die Quimper-Agglomeration sei ein attraktives Aktivitätszentrum. 15 Kilometer von der Atlantikküste entfernt.

Cafés zum Träumen und Schauen

Auch diesmal kann ich es nicht lassen – den kleinen Ausflug in die Kommunalpolitik. Über den Gartenzaun zu schauen nach dem, was andere tun. Ist zwar nicht unbedingt Zweck eines Urlaubs, doch Hauptsache es macht Freude und bringt hoffentlich Erkenntnisse. Schließlich leben wir alle im selben Europa, hält die EU für ganze Lebensbereiche einen einheitlichen Rahmen parat. Da bin ich ganz Kommunaler und will es auch sein. Deshalb heute eine kleine Exkursion zu Quimper und seine Stadtentwicklung. Eine Recherche, voran dank guter Webseite der Stadt und dem Google-Übersetzer nichts, was einen scheitern ließe. 

Kathedralen-Detail

Beim Streifzug durch die Welt der Informationen zeigt sich schnell trotz allem Positiven: Quimpers Einwohnerzahl schrumpft seit Jahren. 2006 noch 64.902, gibt Wikipedia sie für 2017 mit 62.905 an. Trendwende als Vorgabe für die Politik. Das Motto heißt seit 2017: Die Stadt muss sich weiterentwickeln - neue Einwohner anziehen, Wohnungen bauen, die Gründung von Unternehmen ermöglichen ... Kommt mir irgendwie von zuhause bekannt vor. Die Antwort auf die selbstgestellte Frage: Wie kann man all dies stimulieren und organisieren? Der Local Urban Plan (PLU), der als grundlegendes Dokument für die Zukunft des Territoriums bezeichnet wird, gilt als taugliches Instrument, das 2016 vorgelegt und nach einer öffentlichen Debatte am 16. März 2017 während einer außerordentlichen Gemeinderatssitzung endgültig verabschiedet wurde. Übrigens: Ratssitzungen sind als Video im Netz abrufbar.

Anziehungspunkt für die Gläubigen in der Kathedrale

Ein Satz bei der PLU-Debatte gefiel mir ausgesprochen gut: Die Konsultation der Bevölkerung ist auch ein Garant für den Erfolg. Miteinander schwätzen, salopp gesagt. Frühzeitige Bürgerbeteiligung an Planverfahren, heißt das bei uns. Frühzeitig scheint aber ein dehnbarer Begriff zu sein. 

Mobile Händler gefragt

Neue Wohnungen für die Stadterneuerung zu schaffen, insbesondere in Industriegebieten, die diese Funktionen nicht mehr erfüllen, das liest sich zunächst überraschend, aber eine der Säulen des Stadtplanungs- und Entwicklungsprojekt von Quimper. Ziel ist es, von 2017 an gerechnet, in den nächsten 14 Jahren 7.000 neue Wohneinheiten, das heißt 500 Wohneinheiten pro Jahr, auf den Markt zu bringen. Als ich das lese, bin ich fasziniert und denke ganz vorsichtig an unser Gelände alte Ziegelei mit 544 Wohneinheiten, rücke dann aber geistig die Größenordnungen sofort wieder zurecht. 

Feine Ladengeschäfte. Kommerz ...

Mit mehreren Hebeln setzt die bretonische Stadt an: die Entwicklung eines diversifizierten, breiten und vielfältigen Wohnungsangebots zwecks Bevölkerungszuwachses, die Realisierung eines Landangebots für die wirtschaftliche Entwicklung in all ihren Komponenten (Industrie, Tertiär, Handel, Landwirtschaft ... ) sowie die Förderung der Qualität seiner Einrichtungen und seines Lebensumfelds. Ein Maßnahmen-Bündel. Denn wer mehr Menschen in die Stadt holt, braucht mehr Schulen, Kindertagesstätten …. Wie halten wir das eigentlich bei der Ziegelei? Eine Kindertagesstätte ist eingeplant, ein Seniorenzentrum auch, aber wie sieht es mit mehr Schule

... und Kathedrale ziehen Besucher an

Die bei uns so beliebte Bezeichnung Innenentwicklung steht für das, was in Quimper so heißt: Operation "Quimper Cœur de Ville" zur Verbesserung von Wohnen und Stadterneuerung (OPAH-RU) für den Zeitraum 2016-2021. Ein Sanierungsprogramm. Die eine Seite des Stadtkerns ist quasi die Schokoladenseite, die wir als Besucher so anziehend und faszinierend finden. Aber es gibt auch die andere Seite, die nicht süß schmeckt und nicht anziehend wirkt.

Bretonen lieben Wappen (hier in der Kathedrale)

Die Stadtverwaltung schreibt von einem Deskilling-Prozess, der die Lebensqualität, Attraktivität und Wohnverhältnisse in der Innenstadt belastet. Die Kennzahlen: Neun Prozent weniger Einwohner in der Innenstadt von Quimper in 10 Jahren (1999-2009). 25 Prozent der mehr als 3.200 Gebäude, darunter 800 Eigentumswohnungen, seien marode und würden Arbeit erfordern, wie so schön formuliert wird. 14 Prozent der 7.500 im weiteren Umkreis enthaltenen Wohneinheiten stünden leer, ein Viertel der Eigentumswohnungen weise Anzeichen von Verschlechterung und Zerbrechlichkeit auf. Akuten Handlungsbedarf sieht die Kommune, die die Sanierung finanziell kräftig unterstützt. Und zwar in einem erweiterten Stadtzentrum: historisches Herz und durchdringende Alleen. 

Kleinere Lokale in der Fußgängerzone setzen auf viel Information über Speisen, Wifi und anderes

Dies ein klitzekleiner Ausflug der anderen Art mit den Augen eines Kommunalen. Der auch auf die städtische App verweist: Quimper, Hauptstadt. Sie zeigt die schönen Seiten, lebt auch von der Geschichte und anderen Hot-Spots in der weiteren Umgebung  (wenn sie störungsfrei läuft).

Das Café Finistère gegenüber von Kathedrale und Bischofspalast

Kemper (heißt: Zusammenfluss) liegt am Zusammenfluss von Steir und Odet. König Gradlon, der aus der überfluteten Stadt Ys floh, soll die Stadt zur Hauptstadt von Cornouaille gemacht haben. Ein Stoff, den die Menschen lieben. Eine Stadt der Kunst und der Geschichte, nennt sich Quimper. Die Altstadt mit Kathedrale, Gässchen, herausgeputzten Fachwerk- und Erkerhäusern, Museen und Plätzen ist das, was wir lieben. Harter Alltag bei der Bewältigung der Zukunftsaufgaben herrscht dagegen im Rathaus unter der Adresse 44, Platz Saint-Corentin vor, immerhin im Schatten der Kathedrale – wir, die Besucher erleben dafür ein einladendes Schaufenster der Hauptstadt der bretonischen Kultur. Niemand sollte es sich entgehen lassen – es ist jedesmal wie neu, dieses alte Kemper.

Einfach schmuck (Fotos: Günter Bächle)

 

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