Wolf im Schafspelz: Die Lienzinger mochten ihn - Der Fall Hermann Oppenländer

Aufstellen zum Umzug beim Kinderfest anlässlich der Heimattage Lienzingen Anfang Juli 1958 mt Lehrer Hermann Oppenländer (helle Kopfbedeckung). Foto: Smlg. Roland Straub

Als Erst- und Zweitklässler hatten wir in der Volksschule Lienzingen einen Lehrer, den wohl alle mochten: Hermann Oppenländer. Nicht nur wir Sieben- oder Achtjährige erlebten ihn als freundlich, gingen gerne zu ihm in den Unterricht. Selbst bei der Aufsicht  in der großen Pause auf der Straße vor der Schule, bei  der sich die Mädchen und Jungen austobten, behielt er die Ruhe, wenn ein Auto oder ein Fuhrwerk diesen ungewöhnlichen Pausenhof passieren wollte. Denn unsere Schule an der heutigen Kirchenburggasse fehlte ein eigenes Pausengelände. Ein hochgewachsen, leicht beleibter, jovialer Mensch vom Typ Familienvater. Der 56-Jährige wohnte in der Bannholz-Siedlung in Mühlacker. Sein Auto – ich meine, ein DKW – parkte er während des Unterrichts im Hof schräg gegenüber vor einer Scheune.


Lienzinger Geschichte(n) mit einem Beitrag über Hermann Oppenländer, der von 1956 bis 1959 dritter von drei Lehrern an der Volksschule in Lienzingen war. Auf einer Stelle, die das Obeschulamt 1955 streichen wollte, wogegen sich der Lienzinger Gemeinderat heftig und letztlich erfolgreich wehrte. Wegen seiner NS-Vergangenheit entwickelte sich Oppenländer zu einem Fall der Landespolitik. Somit reicht der Beitrag zur Blog-Serie über unser Dorf hinaus - ein beklemmendes Stück auch lokaler Nachkriegsgeschichte


Doch von einem Tag auf den anderen blieb Hermann Oppenländer weg. Wir konnten uns keinen Reim darauf machen, weshalb er fortan die Volksschule in Lienzingen meiden werde. Keiner sagte zunächst, offen und ehrlich, was Sache ist. Aber die Fakten hätten wir wohl in diesem Alter in der ganzen Dimension nicht voll begriffen. Heute noch gilt der Vorgang bei jenen, die sich erinnern können, als rätselhaft. Dabei gab Oppenländer eigentlich keine Rätsel auf all jenen, die sich informieren wollten. Der Lehrer trug eine schwere persönliche Last: Er war vor 1945 eine regionale Nazi-Größe mit nun allen für ihn zurecht beschwerlichen Folgen, die er aber partout nicht akzeptieren wollte. Er sah sich ohne persönliche Schuld.

  • Dienstunfähig nach Nervenzusammenbruch 

Er sei krank und werde auch nicht wieder kommen. So kurz und bündig die dann doch offizielle Absage eines weiteren Gastspiels ihres Kollegen durch die beiden verbliebenen Lehrer, Wilhelm Wagner und Karl Kießling. Diese Botschaft haftet heute noch in meinem Gedächtnis. Jedoch hält sich hartnäckig das Gerücht, Oppenländer (Jahrgang 1900) sei während des Unterrichts in der Klasse verhaftet worden wegen nicht näher benannter Straftaten zu Zeiten der Nazi-Diktatur. Die Wahrheit: Er erlitt im Herbst 1959 durch den Stress um seine Person einen Nervenzusammenbruch. Sein Mühlacker Hausarzt  schrieb ihn daraufhin dienstunfähig. Da aber war zumindest für ihn klar, dass seine Zeit an der Lienzinger Schule endgültig abgelaufen war. Denn er wusste um die Strippen, die andere wegen seiner Arbeitsstelle an der Lienzinger Bildungseinrichtung zogen: Der Fall Oppenländer drohte zum Zündstoff für die baden-württembergische Landespolitik zu werden. Zwei Minister waren bereits damit befasst: der für Justiz und sein Kollege vom Kultusbereich.

  • Kultusministerium auf Schadensbegrenzung aus

All das wussten wir Lienzinger Erst- und Zweitklässler nicht. Kinder, denen die Verbrechen in der Nazi-Zeit noch wenig sagten. Und wohl die wenigsten Eltern lasen seinerzeit eine der Stuttgarter Tageszeitungen, in denen der Fall schon seit einigen Monaten des Jahres 1959 für Aufregung sorgte – der Fall des Hermann Oppenländer aus Mühlacker, aufgewachsen in Dürrmenz, ehemaliger hauptamtlicher NSDAP-Kreisleiter in Schwäbisch Gmünd, von der Spruchkammer als Hauptbelasteter eingestuft, zwölf Jahre Zuchthausstrafe (von denen er nur drei Jahre abzusitzen hatte), weil er mit einem anderen Verantwortlichen einen Tag vor dem Einmarsch der US-Truppen in Gmünd zwei Männer erschießen ließ, da sie auf der Straße lautstark  – und betrunken – Parolen gegen Hitler schrieen. Und jener Oppenländer unterrichtete nun wieder - wie ein Wolf im Schafspelz - Kinder wie vor 1937, diesmal an der Volksschule Lienzingen. Das rief Widerspruch hervor. Nicht in Lienzingen. Doch es sprach sich bis nach Stuttgart herum und drohte, hohe Wellen zu schlagen. Schadensbegrenzung lautete das Ziel der Schulbehörden bis hinauf ins Ministerium. 

  • Heimatfest Juli 1958: Der Lehrer lief als Begleiter beim Umzug mit 
Hermann Oppenländer (rechts) auch beim Umzug 1958. Foto; Smlg. Roland Straub

Offen bleibt im Rückblick für mich, was Eltern und Kollegen im Dorf von der Oppenländer-Welt wussten. Uns Schulanfängern war das Thema noch weitgehend unbekannt. Einzig das Gerücht, da sei etwas im „Dritten Reich“ mit Oppenländer vorgefallen, waberte durch den Ort.  So blieb es zunächst – und Oppenländer versank allmählich in der Vergessenheit. Er hatte nur drei Jahre an der Lienzinger Schule unterrichtet. Sein Name taucht jedoch sporadisch auf vor allem bei jenen, die bei ihm – wie ich - die Schulbank drückten. So bei einem Fotonachmittag in der vollbesetzten Gemeindehalle des Ortes am 6. Januar 2016 und damit zu Beginn des Jubiläumsjahres 1250 Jahre Lienzingen. Dabei zeigte der örtliche Historien-Mann Roland Straub – auch einer der Schüler von Oppenländer - vor mehr als 300 Besuchern alte Aufnahmen vom Leben früher im heute 2100 Einwohner zählenden Ort, seit 1975 Stadtteil von Mühlacker. Darunter Fotos vom Kinderumzug beim Heimatfest Anfang Juli 1958 mit Hermann Oppenländer, wie er neben Schülergruppen lief. Oppenländer sei, so Straub, im Klassenzimmer festgenommen worden, als gerade die Zweitklässler unterrichtet habe. Wir waren schockiert. Danach haben wir ihn nicht mehr gesehen. Doch: Die Aktenlage spricht nicht dafür. Auch in der Personalakte beim Oberschulamt Nordwürttemberg steht nichts von einer Verhaftung.

Was wussten die Lienzinger über Oppenländer? Angeblich nicht viel oder sie redeten nicht gerne darüber. Doch der gelernte Lehrer, geboren in Mühlacker als Sohn eines Lokomotivführers aus Dürrmenz, war von 1934 bis 1937 nebenamtlich Chef der NSDAP im damaligen Kreis Vaihingen. Und die Rolle des Kreisleiters spielte er sicherlich nicht im Geheimen. Wer was wusste, nicht wusste oder nicht wissen wollte? Fragen blieben bis jetzt ohne Antworten.

Kirchenburggasse als Pausenhof bis 1960, aufgenommen 1927. (Quelle: Stadtarchiv Mühlacker=STAM, Smlg. Roland Straub)
  • Beim Stichwort Lienzingen auch die Personalakte des Herrmann Oppenländer aus Mühlacker

Eher der Meister Zufall brachte mich auf die richtige Spur. Auf der Suche nach ergänzendem Material zur  Lienzinger Nachkriegsgeschichte im Bestand des Staatsarchivs Ludwigsburg stieß ich bei einem elektronischen Suchlauf mit dem Stichwort Lienzingen auf die seinerzeit beim Oberschulamt Stuttgart geführte Personalakte Hermann Oppenländer mit der Signatur EL 204 I Bü 2777. Da machte es Klick in meinem Kopf. Oppenländer? Da war doch was! Die Neugier meldete sich: Was ich schon immer wissen wollte. Nun gab es durch die Kopie der Akte seitenweise Antworten. Keine erbauliche Literatur, die mir das Staatsarchiv zugeschickt hatte. Ratlos, entsetzt und überrascht blieb ich jetzt nach dem Lesen zurück. Das meiste war mir unbekannt, obwohl durch die Digitalisierung die Recherche-Möglichkeiten enorm gewachsen sind und online unter anderem sein Tagebuch zugänglich ist. Rund um die Uhr zu lesen.

Bittere Erkenntnis: Mein erster Lehrer war ein strammer Nazi - Bereute er?

Inzwischen suchte ich nach weiterem Material, gerade aus Schwäbisch Gmünd. Eine beklemmende Lektüre. Nun weiß ich nach mehr als 60 Jahren: Mein erster Lehrer war ein überzeugter Nazi. Das ist bitter. Ob er bereute? So gesehen ist der Fall Oppenländer keine speziell Lienzinger Geschichte, aber auch eine Lienzinger Geschichte, die gut drei Jahre währte. Der Fall handelt von einem Sohn der Stadt Mühlacker – bisher ist er lokal nicht so recht wahrgenommen worden. Marlis Lippik, Leiterin des Stadtarchivs, schrieb mir dieser Tage, die Oppenländer-Geschichte sei auch für die Stadtgeschichte von Mühlacker in der NS-Zeit höchst interessant. 

  • Beim Bezirksschulamt in der Uhlandstraße den Eid abgelegt 
Bis 1960 Schulgebäude in der heutigen Kirchenburggasse, Nummer 15. Jetzt Wohnhaus. Foto: Antonia Bächle

Hätte das Kultusministerium nicht noch kurz vor der Zusage an den Ex-Kreisleiter eine weitere Runde für Informationen und Bewertungen gedreht, wäre Oppenländer nicht der Volksschule Lienzingen zugewiesen worden. Beinahe hätte der dann angestellte Lehrer -  verheiratet, Vater dreier Kinder  - nach Iptingen oder Sternenfels pendeln müssen. Aber das Kultusministerium zögerte noch, machte erst am 4. August 1956 den Weg frei für eine Wiederverwendung als Lehrer im Vertragsverhältnis. Am 27. August 1956 bestellte das Oberschulamt den nun 56-Jährigen als Stellvertreter von Inge Hartmann zum Lehrer an der Volksschule Lienzingen. Er übernahm am 1. September, seinem Geburtstag,  eine Klasse: Schuljahre 1 und 2, elf Knaben und sechs Mädchen. Gegen seine Verwendung im Schuldienst bestünden keine gesundheitlichen Bedenken, hatte der Arzt am Gesundheitsamt Mühlacker am 14. August 1956 begutachtet. Der Antrag von Oppenländer auf Kostenersatz für die drei Kilometer Fahrt zur neuen Arbeitsstelle wurde von der Behörde zwar abgelehnt, dagegen die Nebentätigkeit als Dirigent des Gesangvereines Zaisersweiher im Februar 1957 und später des Männergesangvereins Lienzingen genehmigt. Am 7. November 1956 legte er in den Räumen des Bezirksschulamtes  Mühlacker in der Uhlandstraße den Eid auf die Verfassung ab. 

  • Auf einer Stelle, die es nach dem Willen des Schulamtes gar nicht mehr hätte geben dürfen
Der Stellvertreter; von 1956 bis 1959 war Oppenländer (im Hintergrund) Lehrer zur Anstellung an der Volksschule Lienzingen. Foto aus der Smlg, Roland Straub

Die dritte Lehrerstelle an der Volksschule Lienzingen – von drei - hatte sich inzwischen zu einem kommunalen Politikum entwickelt. Das Oberschulamt  in Stuttgart ordnete am 16. April 1955 die Streichung an, worauf der Gemeinderat am 6. Mai 1955 ein Gegenangebot beschloss: Die dritte Stelle nicht aufzuheben, sondern zunächst unbesetzt zu lassen, sie somit beim Schulstellen-Beitrag nicht zu berücksichtigen (Stadtarchiv Mühlacker=STAM, Li B 325, S. 25).  Die dritte Lehrerstelle blieb zunächst, doch im Frühjahr 1958 erlebte die Auseinandersetzung darüber eine Neuauflage. Denn das Oberschulamt unternahm erneut einen Anlauf, die Stelle zu kassieren, was in der Ratssitzung am 28. März aufs Neue Widerstand auslöste. Die Belastung für den Lehrer der unteren vier Klassen sei zu groß und die Belegung des in Frage kommenden Klassenzimmers durch eine so hohe Zahl von Kindern unverantwortlich, argumentierten die Räte. In der Unterstufe waren es 57 Schüler, darunter 15 ABC-Schützen. 

  • In den Lienzinger Ratsprotokollen taucht der Name Oppenländer nicht auf

In keinem Protokoll der Gemeinderatssitzungen taucht der Name des Inhabers dieser Stelle auf. Ob Bürgermeister Richard Allmendinger ob der Brisanz dieser Personalien wusste und lieber bei den namenlosen Zahlen blieb, lässt sich nicht mehr klären. Tatsächlich machte sich der Gemeinderat in der Ära Allmendinger immer wieder für die Sicherung oder Aufstockung von Lehrerstellen an seiner Volks- und späteren Grundschule stark. Das war gesetzt. Da die Zahl der Schüler von derzeit 122 auf 170 im Jahr 1970 anwachsen werde, beantragte die Kommune am 21. August 1964 eine vierte Lehrerstelle. Rektor Kießling legte dar, die Schularbeit werde durch die anwachsende Erziehungsschwierigkeit immer mehr gefährdet – bei Kindern, die geringe Nestwärme erlebten, dafür aber mehr Reizüberflutung (STAM, Li B 327, S. 283). Der Bürgermeister informierte in der Ratssitzung am 5. März 1965 über die Bewilligung des Antrags, wobei der Termin der Besetzung noch offen sei (STAM, Li B 328, S. 9). 

  • Bürgermeister und Pfarrer gleichermaßen für Oppenländer als dritten Lehrer
Kultusminister Gerhard Storz (CDU) suchte einen Job ohne Schüler und Öffentlichkeit für den Lehrer Oppenländer. Foto: Landesarchiv

Ergo: Das Interesse der zunächst acht, seit 1956 zehn Gemeinderäte und des Bürgermeisters an Arbeit und Erfolg ihrer Volksschule war groß. Als der Streit in der Landespolitik um 1959 über den Fall Oppenländer, seinerzeit dritte Lehrkraft an eben dieser Bildungseinrichtung, sich zuspitzte und dessen Entlassung drohte, machten sich Bürgermeister und Pfarrer gleichermaßen für die weitere Verwendung als Lehrer speziell in Lienzingen stark. Den im Staatsarchiv Ludwigsburg aufbewahrten Akten ist zu entnehmen, dass eine Rückfrage des Oberschulamtes Ende Juli 1959 beim Mühlacker Schulrat Friedrich Wißmann nichts Nachteiliges über Oppenländer ergeben habe. Wißmann führte als Pluspunkt an, der Lehrer leite den Chor des Gesangvereines Lienzingen. Und er verwies auf Aussagen von Bürgermeister Allmendinger, der sich lobend über Oppenländer geäußert habe. Dieser sei in der ganzen Gemeinde geachtet, so der Schultes, die Kinder gingen gerne zu ihm in die Schule. Oppenländer  habe den Gesangverein auf eine beachtliche Höhe gebracht, was sich auch bei festlichen Veranstaltungen im Ort vorteilhaft zeige. Die Gemeinde schätze Oppenländer und würde sich wehren, wenn man ihr diesen guten und beliebten Lehrer nehmen würde.

Gerhard Schwab, evangelischer Pfarrer in Lienzingen, gab Ähnliches am 7. August 1959 beim Bezirksschulamt in Mühlacker zu Protokoll: Oppenländer sei ein guter Lehrer, die Eltern seien zufrieden, mit seinen Kollegen an der Schule komme er gut aus. Er hätte nichts  Nachteiliges sgegen ihn vorzubringen. Das Kultusministerium hatte die Stellungnahme des Ortsgeistlichen ausdrücklich angefordert.

Dass Schultes und Pfarrer dem ins Visier der Landespolitik geratenen ehemaligen Kreisleiter der NSDAP und jetzigen Lehrer ein gutes Zeugnis ausstellten, um die bedrohte dritte Lehrkraft an der Volksschule Lienzingen zu sichern, lässt sich nicht belegen. Eher spricht dafür, dass beide wirklich von seinen pädagogischen Leistungen überzeugt waren. Meine Kindheitserinnerung passt in dieses Bild. Aber nicht nur die: Die Unterrichtsbewertungen fielen genauso positiv aus.

  • Schulbesuch vermittelte recht erfreuliches Bild vom Lehrer und seiner Kinder 

In der Personalakte heißt es zu einer Unterrichtsbesichtigung des Lehrers i.A. durch das Bezirksschulamt Mühlacker (Unterschrift unleserlich) am 3. Dezember 1956 über Oppenländer: Er bemühe sich, es recht zu tun. In seinem Unterricht und seiner Methode berücksichtige er die Eigenwelt seiner Schulanfänger und sorge dafür, dass auch dem Bewegungsbedürfnis der Kinder entsprochen werde. Allerdings berge sie die Gefahr einer allzu lockeren Disziplin. Das Verhalten des Lehrers im Dienste und außerhalb des Dienstes, insbesondere seine Haltung, gäben keinen Anlass zu Klagen. 

Noch einen Tick positiver schreibt Schulrat Wißmann über seine Eindrücke am 7. Mai 1958: Der Schulbesuch vermittle ein recht erfreuliches Bild vom Lehrer und seiner Kinder, schrieb er. Der Lehrer habe eine gute Haltung vor seiner Klasse, er stehe sicher da. Die Erziehung sei mit gut zu bewerten. Das Verhältnis zu den Kindern sei vertrauensvoll und gut. Die Schüler seien eifrig bei der Sache: Die Leistungen derselben dürften als nahezu gut bezeichnet werden, wozu neben der Eingabe und dem Fleiß des Lehrers auch sein Lehrgeschick beigetragen habe.

  • SPD-Landtagsabgeordneter brachte den Stein 1959 ins Rollen
Fritz Helmstädter, Landtagsabgeordneter der SPD in Stuttgart, kämpfte dagegen, Lienzinger Kinder durch einen Ex-Kreisleiter der Nazis und Lehrer unterrichten zu lassen. Foto: Landtag

Doch am 23. April 1959 löste der Stuttgarter Landtagsabgeordnete Fritz Helmstädter (SPD) mit einem Brief an das Kultusministerium und der Frage, ob der frühere Kreisleiter der NSDAP, 1948 zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt, wirklich wieder im Schuldienst sei, gehörige Hektik bei der Kultusbürokratie aus. Der Parlamentarier bezog sich auf Informationen in einem Brief, der ihn erreicht habe. Helmstädter brachte so den Stein ins Rollen. Das Ministerium forderte die Personal- und Strafakten von Oppenländer an. In einem Aktenvermerk des Oberschulamtes Stuttgart an das Kultusministerium vom 4. August 1959 – Betreff. Wiedereinstellung des früheren Kreisleiters Hermann Oppenländer - heißt es: Durch das Gesetz zur einheitlichen Beendigung der politischen Säuberung vom 13. Juli 1953 sei die 1948 auf zehn Jahre von der Spruchkammer ausgesprochenen Berufs- und Tätigkeitsbeschränkung auch für Oppenländer aufgehoben worden. Aber wegen der Zuchthausstrafe sei ihm weiterhin die Wiedereinstellung verwehrt worden – bis zu einem Gnadenerlass des baden-württembergischen Justizministers für Oppenländer auf dessen Antrag hin im Jahr 1956. 

  • Oberschulamt: Er verurteile die Geschehnisse in der NS-Zeit und bedaure sie tief

Schon damals, so weiter im Aktenvermerk, habe Lehrermangel geherrscht und auch im Kreis Vaihingen seien einige Stellen unbesetzt gewesen. Trotzdem habe des Kultusministerium noch gewisse Bedenken wegen einer Wiedereinstellung von Oppenländer gehabt. Doch Erkundigungen vor Ort seien aber positiv ausgefallen, zudem leide die fünfköpfige Familie unter schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen. Oppenländer habe sich selbst allergrößte Zurückhaltung auferlegt und gezeigt, dass er etwas gelernt und sich gewandelt habe, die Geschehnisse in der NS-Zeit verurteile und tief bedaure, selbst in sie verwickelt gewesen zu sein. Dabei stützte sich der Schreiber des Aktenvermerks auf längere Aussprachen Oppenländers mit dem Schulrat und dem Leiter der Volksschulabteilung im Oberschulamt. Die Anstellung sei auf Probe erfolgt, der Lehrer könne deshalb jederzeit wieder entlassen werden.

  • Dienstweg eines Attestes - Volksschule, Bezirksschulamt, Oberschulamt 

Mitte Oktober 1959 kam Oppenländer bekanntlich von einem Tag auf den anderen nicht mehr in die Lienzinger Volksschule. Ein Mühlacker Arzt attestierte ihm am 12. Oktober 1959 – zunächst bis 15. November 1959 – die Dienstunfähigkeit wegen Nervenzusammenbruchs. Rektor Karl Kießling reichte das Papier an das Bezirksschulamt, dieses an das Oberschulamt weiter. Ein Blick in die Personalakte beim Oberschulamt Nordwürttemberg lässt angesichts des Ablaufs den Schluss zu, dass es zumindest ein zwischen der Kultusbehörde und dem gelernten Lehrer abgestimmtes Verfahren war.

  • Lienzingen sollte einen guten Ersatz erhalten, versicherte der Minister

Freilich, entlassen wurde er nicht. In den Medien hieß es, der Betroffene habe selbst um seine Entlassung in Lienzingen gebeten, und das ging als Mitteilung des Ministeriums an den Landtag. Kultusminister Gerhard Storz (CDU) ordnete am 2. Dezember 1959 an, Oppenländer mit sofortiger Wirkung vom Schuldienst an der Volksschule in Lienzingen zu entbinden und bis zur Klärung der Weiterführung des Dienstverhältnisses ihn interne Hilfsarbeiten beim Bezirksschulamt  Mühlacker erledigen zu lassen. Doch Oppenländer musste formal auf einer Lehrerstelle weitergeführt werden, Lienzingen sollte einen guten Ersatz erhalten, versicherte der Minister. 

Am 4. Januar 1960 meldete sich Oppenländer gesund, nahm den neuen Dienst beim Bezirksschulamt in seiner Heimatstadt auf - geführt zunächst auf einer Lehrerstelle in Hohenhaslach, die damit blockiert war. In der Öffentlichkeit sollte nicht erneut Beunruhigung um die Beschäftigung des Ex-Kreisleiters von Vaihingen und Schwäbisch Gmünd entstehen. Um nun nicht auch Ärger in Hohenhaslach zu riskieren, wanderte der Angestellte formal relativ zügig hintereinander auf gerade freie Lehrerposten im Kreis Vaihingen und in Stuttgart, ohne jemals in einer der Schulen zum Unterricht erschienen zu sein. So wollte es das Ministerium. Er durfte keine Kinder mehr unterrichten.

  • Der Minister schrieb höchstpersönlich an Oppenländer 
Justizminister Dr. Wolfgang Haußmann (FDP/DVP) unterschrieb 1956 doch noch das Gnadengesuch von Oppenländer. Foto: Landesarchiv Baden-Württemberg

Unter dem Datum vom 22. Oktober 1959 schrieb Minister Storz höchstpersönlich einen Brief  an Oppenländer in Mühlacker, Im Bannholz 7. Er verwies auf massive Steigerungen der  Angriffe in den Stuttgarter Nachrichten. Den Entschluss von Oppenländer lobte das Regierungsmitglied als  ebenso ehrenhaft wie klug.  Ebenso sehr zu Ihren Gunsten wie zu meiner Verteidigung. Die Entpflichtung vom Lehramt verändere das Dienstverhältnis zum Kultusministerium, dieses werde aber nicht beendet. Der Pädagoge werde im Bereich der Kultusverwaltung an geeigneter Stelle eingesetzt. 

Das Bezirksschulamt Mühlacker hatte Arbeit für ihn und legte 1960 dem Oberschulamt einen Zwischenbericht über die konkreten Tätigkeiten Oppenländers zu. Er kümmere sich um die Umsetzung des Personalvertretungsgesetzes, vervielfältige und versende Rundschreiben, lege eine Kartei der Lehrkräfte des Schulbezirks an. Schulrat Wißmann lobte ihn als pünktlich und gewissenhaft. 

  • Der Abgeordnete Helmstädter hielt den Stein am Rollen

Das Kapitel Oppenländer an der Volksschule Lienzingen war damit abgeschlossen, das Gastspiel der Lienzinger in der Landespolitik beendet. Doch Storz misslang der Versuch, den Fall irgendwie abzuräumen, in der Allparteienkoalition aus CDU, SPD, FDP/DVP und BHE nur schwerlich. So machte der Minister weitere Zugeständnisse, zumal der Abgeordnete Helmstädter den Stein am Rollen hielt. Bei einer Besprechung am 13. Juli 1960 im Kultusministerium sagte Helmstädter laut Personalakten, Oppenländer müsse selbstverständlich sein Brot verdienen, doch habe er nach seiner Meinung nichts mehr im Staatsdienst verloren. Er drohte, den Fall sofort vor den Landtag zu bringen. Bald darauf tüftelte das Ministerium an einer neuen Lösung, wieder im Einvernehmen mit  dem Betroffenen, wie schriftlich festgehalten wurde: Am 14. September kam die Idee auf, ihn in der Landesbibliothek zu beschäftigen. 

  • Zuletzt im ehemaligen Zeughaus und Schloss Ludwigsburg im Magazin

Der Ablauf war ähnlich wie 1959. Krankmeldung am 18. Oktober 1960, wenn auch nur für zwei bis drei Wochen. In dieser Zeit ordnete das Kultusministerium – Unterschrift: In Vertretung Gantert -  den Lehrer im Angestelltenverhältnis beim Bezirksschulamt Mühlacker am 26. Oktober 1960 unter Zurücklassung seiner Dienstbezüge zur Württembergischen Landesbibliothek ab, teilte ihn deren Ausweichmagazin im ehemaligen Zeughaus und Schloss in Ludwigsburg zu. Am 2. November 1960 trat Oppenländer seinen Dienst an. Die Bezüge Oppenländers – Vergütungsgruppe Vb TO.A - bezahlte nun die Landesbibliothek, somit trotzdem der Staat. Hier war er bis zu seiner Pensionierung 1964 tätig. Die Nachversicherung in die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ging zwar zäh vonstatten, wie sein Rechtsvertreter aus Schwäbisch Gmünd mehrmals in Briefen an Behörden beklagte, doch mit dem Antrag kam er letztlich zum Zuge. Er verstarb am 23. September 1973 in Pforzheim.

  • Der überzeugte Nazi aus Mühlacker als regionale Nummer 1 in Schwäbisch Gmünd

Drei Jahre Hermann Oppenländer und die Volksschule in Lienzingen, drei Jahre Unterricht bei dem stets freundlichen Lehrer. Doch dieses Kapitel in der Nachkriegsgeschichte der damals rund 1100 Einwohner zählenden Gemeinde hätte es so ohne die  andere, die eigentliche Geschichte des Mannes aus Dürrmenz niemals gegeben. Beide Stücke gehören zusammen berichtet. Der überzeugte Nazi aus Mühlacker als regionale Nummer 1 in Schwäbisch Gmünd. Das ist weitaus mehr als eine Vorgeschichte zum auf der Zeitschiene relativ kurzen Teil Lienzingen. Zentrale Frage für mich trotz der guten Erinnerungen: Hatte er bereut, aufrichtig und glaubhaft, der unmenschlichen Lehre, die unter Hitler Staatsdoktrin war, abgeschworen? Die Verbrechen des Nazi-Regimes an Millionen Menschen verdammt? Wie hielt er es mit der Sühne?

Noch als nebenamtlicher Kreisleiter der NSDAP in Vaihingen mit seinen Getreuen

Die  klarste Distanzierung vom Nationalsozialismus und seinen Verbrechen steht in der Personalakte in dem besagten Aktenvermerk des Oberschulamtes Stuttgart an das Kultusministerium vom 4. August 1959. Doch er wird darin nur zitiert, das Dokument hat er nicht unterzeichnet.

  • Oppenländer: Schon früh zur NSDAP gestoßen

Aber es existiert in seiner Personalakte ein handschriftlicher Lebenslauf vom 31. August 1956, einen Tag vor Beginn seiner drei Lienzingen-Jahre und darin liest sich das nicht so eindeutig, wie im Aktenvermerk. Oppenländer schreibt:

Da ich schon früh zur NSDAP gestoßen war, wurde ich im Oktober 1937 unter Beurlaubung vom Schuldienst in den hauptamtlichen Parteidienst berufen. Durch die Tätigkeit auf politischem Gebiet hat mein Leben leider eine Wendung genommen, die ich heute sehr bedaure. So konnte ich nach meiner Heimkehr im Dezember 1951 nicht mehr sofort als Lehrer tätig sein und hatte einen schweren wirtschaftlichen Kampf zu führen. Meiner Militärpflicht genügte ich in beiden Weltkriegen. (Letzter Dienstgrad: Oberleutnant). Mit meiner Wiederverwendung als Lehrer ab 1.9.1956 stehe ich vor einem neuen Anfang, den ich hoffentlich zu einem glückhaften Ende führen kann.

Soweit Oppenländer im Original. Tief gehende Reue liest sich anders. Eher entsteht der Eindruck, als hadere er mit dem Nationalsozialismus deshalb, weil dieser ihm nach der Niederlage 1945 nur wirtschaftliche Nachteile gebracht habe. Im April 1954 beklagte, nein, beschwerte er sich fast schon:  Als Kriegsverbrecher, jedoch ohne persönliche Schuld, sei er nach 1945 sechs Jahre lang in 22 Lagern und Gefängnissen gesessen, formulierte er in einer eineinhalbseitigen Anlage zum Antrag auf Wiederverwendung im Schuldienst vom 8. Juli 1954 ans Oberschulamt Nordwürttemberg. Sollte das heißen, nicht die Nazis und ihr gescheitertes mörderisches Regime trügen Schuld an seinem Schicksal, sondern jene, die über die Verbrechen zu Gericht saßen? Eine Antwort wird nicht gegeben. Doch seine Lebensstationen beweisen: Der Eisenbahnersohn aus Mühlacker war ein in der Wolle gefärbter Anhänger der NS-Bewegung des Adolf Hitler. 

  • Als Nazi-Kreisleiter den Beamtenstatus aufgegeben 

Seine Zeit als Lehrer dauerte – inklusive den drei Jahren in Lienzingen - 20 Jahre. 1920 legte er die erste, 1922 die zweite Dienstprüfung ab. Seit 1920 unterrichtete Oppenländer: zuerst in Beilstein, dann in Gschwend. Schließlich kam er 1921 nach Dörzbach, Oberamt Künzelsau, zuerst 1921 als Unterlehrer, 1928 als Hauptlehrer und somit erstmals in der Gehaltsgruppe 8 a. Danach wechselte er nach Vaihingen an der Enz: 1934 Rektor der dortigen evangelischen Volksschule, zuvor dort seit 1933 auf einer ständigen Lehrerstelle an der Volksschule, bis er 1937 als hauptamtlicher Kreisleiter der NSDAP nach Schwäbisch Gmünd wechselte, 1944 gab er selbst den Beamtenstatus auf.

  • Zuerst Parteichef im Kreis Vaihingen an der Enz

Wie ein Magnet wirkte die NSDAP auf Oppenländer, die Partei war ihm letztlich wichtiger geworden als sein angestammter Beruf. In Dörzbach trat er am 12. Juni 1926 der NSDAP (Mitgliedsnummer 38.416) bei, gründete eine Ortsgruppe der Partei, wurde zudem Obertruppführer der SA (Quelle: Online-Lexikon Wikipedia), 1932 Schulungsleiter beim Württembergischen Jungbauernbund, 1933 Kreisredner, 1934 bis 1937 nebenamtlicher Kreisleiter der Nazi-Partei in Vaihingen an der Enz, 1937 bis 1945 hauptamtlicher im Kreis Schwäbisch Gmünd (Quelle: Sein von ihm ausgefüllter Personalbogen vom 14. August 1956). Zum Amtsbeginn sagte er vor dem Gemeinderat in Schwäbisch Gmünd am 7. Oktober 1937: Meine Aufgabe wird es sein, die junge Pflanze zu pflegen und das Unkraut zu jäten. 

  • Schulrektor in Vaihingen und gleichzeitig NS-Kreisleiter

Wie stark Berufs- und Parteifunktionen schon miteinander verwoben waren, zeigte sich bei der Karriere von Oppenländer, der es relativ schnell zum Schulrektor schaffte. So der Historiker Dr. Manfred Scheck, der die Machtübernahme und Gleichschaltung in der Oberamtsstadt Vaihingen 1932/33 recherchiert hat. Zum 1. Juli 1933 war die Leiterstelle an der Volksschule neu zu besetzen. Dafür brachte Bürgermeister Hermann Linkenheil den Lehrer Geyer als Nachfolger ins Gespräch, scheiterte damit aber am Widerstand der Nazis im Gemeinderat. Scheck schreibt weiter, stattdessen sei der alte Kämpfer Oppenländer mit der Stelle versorgt worden, was gleichzeitig den willkommenen Nebeneffekt gehabt habe, dass mit dem Mann aus der Nachbarstadt Mühlacker auch das virulente Problem der Besetzung der Kreisleiterstelle habe gelöst werden können. Oppenländer versah - parallel - den Rektorenposten haupt- und die Stelle des NS-Kreisleiters nebenamtlich. Doch die Parteifunktion nahm wohl so viel seiner Zeit in Anspruch, dass er durch die Einstellung eines weiteren Lehrers von seinen Unterrichtungsverpflichtungen entlastet wurde. Scheck zitiert den Ortsgruppenleiter Franz Meyer, der sich selbst Hoffnungen gemacht hatte, Kreisleiter zu werden, bei der Begrüßung Oppenländers auf dem Reichsbahnhof (in Kleinglattbach, später Nordbahnhof) Anfang Februar 1934 offen, man habe das Glück, einen neuen Schulvorstand und die Partei ihren neuen Kreisleiter zu begrüßen.

  • Strammer Parteigenosse als Bürgermeister: Karl Schmid aus Illingen

Die Vaihinger NSDAP-Ortsgruppe war – so der Historiker - zerstritten, stand aber zusammen, um den ungeliebten Bürgermeister Hermann Linkenheil (von 1926 bis 1936 im Amt) abzuschießen und mit dem Illinger Ortsoberhaupt Karl Schmid (von 1937 bis 1945 im Amt, vom 2. bis 6. April 1945 gleichzeitig Bürgermeister in Mühlacker) einen strammen Parteigenossen in dieses Amt zu hieven – der entsprechende Vorstoß bei der Stuttgarter Ministerialbürokratie lief über den neuen Kreisleiter Oppenländer, der nach Schecks Beschreibung ansonsten übereinstimmend als zurückhaltend geschildert worden sei (Manfred Scheck, Machtübernahme und Gleichschaltung – Die Oberamtsstadt Vaihingen an der Enz 1932/33, in: Schriftenreihe der Stadt Vaihingen, Band 4, 1985, Seiten 50 ff).

Welche Macht hielt ein Kreisparteichef in den Händen? Der Kreisleiter war es, der letztlich für alle Bereiche in seinem Gebiet zuständig war, in der Bedeutung und politischen Macht höher angesiedelt als der Landrat und die Bürgermeister/ Oberbürgermeister. Seine Aufgabe war es, alle Lebensbereiche im Sinne der NSDAP zu durchdringen – und dazu waren den Kreisleitern alle Mittel recht, so ordnet Franz Merkle die Aufgabenstellung ein (in: Proske, Wolfgang (Hg.), Täter. Helfer. Trittbrettfahrer. NS-Belastete aus dem Norden des heutigen Baden-Württemberg, Bd. 8, Gerstetten 2018, S. 279 –294).

  • Oppenländer an Bürgermeister: Judenherrschaft ein Ende bereiten

In Vaihingen gab es zwar keine jüdische Gemeinde, aber jüdische Händler auf den Krämermärkten und Viehmärkten. Die Viehhändler hatten in der Oberamteigasse einen großen Stall, den Judenstall gemietet. 1933 hieß es auf einem Plakat, im Auftrag von Oppenländer auf dem Marktplatz aufgehängt: Juden werden zum Markt nicht zugelassen. Doch die Händler – vor allem aus Freudental – waren als seriöse und angesehene Geschäftspartner respektiert (Scheck). Im Juni 1936 hetzte das NS-Blättle Flammenzeichen aus Leonberg gegen das Judenparadies Vaihingen. Parallel dazu startete Oppenländer eine Aktion. Er forderte Bürgermeister Linkenheil im September 1936 schriftlich auf, endlich der Judenherrschaft in Vaihingen ein Ende zu machen und die  jüdischen Viehhändler auf einen gesonderten Platz zu verweisen, was dann auch erfolgte. Ein arischer Viehhändler übernahm den Stall (Manfred Scheck, Schriftenreihe der Stadt Vaihingen, Bd. 9, S.150 ff).

Dem Beitrag mit den Forschungsergebnissen des Historikers Manfred Scheck sind kernige Sprüche von Oppenländer zu entnehmen. In einer Grundsatzrede im Juli 1936 drückte er aus, was Erziehung durch die Lehrer sein sollte: Bewusster Willensausdruck einer völkischen Weltanschauung. Es gelte, die Heranwachsenden mit neuen Lehrplänen und neuen Schulbüchern an das nationalsozialistische Gedankengut heranzuführen  (S.155). Bei den Entlass-Feiern der Schulen redete auch der Kreisleiter. 1935 sprach er von einer gewaltigen Erneuerung des Vaterlandes und setzte diese mit den Augusttagen des Jahres 1914 gleich – seinerzeit brach der Erste Weltkrieg aus (S. 158).

  • NS-Gauleiter zum Ehrenbürger von Vaihingen ernannt

Schon 1935 organisierte Oppenländer einen Kreiskongress der NSDAP, zu dem auch Gauleiter und Reichsstatthalter Wilhelm Murr und Württembergs Innenminister Dr. Jonathan Schmid in die Stadt unterm Kaltenstein reisten.  An diesem 23. Juni gab es nicht nur den Aufmarsch der Nazi-Prominenz: Der Kreisleiter überreichte dem Gauleiter die Ehrenbürgerurkunde der Stadt Vaihingen, die damals etwa 6000 Einwohner zählte. Sowohl Murr als auch Christian Mergenthaler, Ministerpräsident und Kultusminister von Württemberg, zu Ehrenbürgern zu ernennen, hatte der Gemeinderat schon am 7. September 1933 entschieden und sie als Vorkämpfer der nationalsozialistischen Idee im Reich, im Lande und in der Gemeinde gewürdigt.

Die Dominanz der Rechten im Gemeinderat machte die Entscheidung möglich. Denn seit der Wahl im Mai 1933 gehörten dem Gremium sieben Vertreter der gemeinsamen Liste von NSDAP, Bauern- und Weingärtnerbund sowie Zentrum an, drei des  gemeinsamen Wahlvorschlags von Kampffront Schwarz-Weiß-Rot (Deutschnationale Volkspartei und Stahlhelm), Deutsche Demokratische Partei sowie Christlicher Volksdienst. Die KPD durfte keine Kandidaten benennen, während SPD, Bauernpartei und DVP überhaupt nicht mehr antraten. Übrigens: Der Ehrenbürgerbrief an Mergenthaler wurde nie überreicht. Am 12. März 1946 kassierte der Gemeinderat auf Anordnung des Landratsamtes Vaihingen beide Ehrungen wieder ein (Lothar Behr, Die Ehrenbürger der Stadt Vaihingen an der Enz, in: Schriftenreihe der Stadt Vaihingen, Bd. 8, 1993, Seiten 9 - 20).

  • Tagebuch als Band 1 der Reihe Digitale Editionen des Stadtarchivs Schwäbisch Gmünd

Ob der Vaihinger Statthalter des Gauleiters durch seine Arbeit als besonders durchsetzungsfähig bei Wilhelm Murr galt, der im für die Nazis schwierigen Schwäbisch Gmünd am wirkungsvollsten den Führungsanspruch der NSDAP würde durchsetzen können? Jedenfalls wurde er, eher wider Willens, neuer Kreisleiter in Gmünd. Dort führte Oppenländer Tagebuch, das mit seinem Dienstantritt am 1. Oktober 1937 beginnt und im November 1940 abrupt abbricht, obwohl die Seiten erst zur Hälfte beschrieben waren. 2019  legte das Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd eine vollständige Edition der Tagebucheinträge vor als Band 1 seiner Reihe Digitale Editionen, bearbeitet von Archivleiter Dr. David Schnur. Auf welchem Weg das Stadtarchiv in den Besitz dieses Tagebuches gelangte, könne heute bedauerlicherweise nicht mehr rekonstruiert werden, schreibt  Schnur. Es stehe jedoch fest, dass es nicht Oppenländer selbst gewesen sei (…) Vielmehr sei das Tagebuch zu einem unbekannten Zeitpunkt aus dem Privatbesitz Oppenländers entwendet und erst nachmals an das Stadtarchiv übergeben worden (Schnur, David (Bearb.): Das Diensttagebuch des NSDAP-Kreisleiters Hermann Oppenländer in Schwäbisch Gmünd (1937-1940) (=Quellen aus dem Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd. Digitale Editionen 1), Schwäbisch Gmünd 2019.

  • Auch bei SA und SS sowie weiteren NS-Verbänden
Aus dem Diensttagebuch von Hermann Oppenländer, das er zu schreiben begann, als er im Herbst 1937 als hauptamtlicher NS-Kreisleiter im Kreis Schwäbisch Gmünd aufzog. Repro; Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd

Ein Protokoll verschiedener Aktivitäten und Banalitäten, die der Verfasser – ohne Rücksicht auf ihre Relevanz – stichpunktartig notierte. Und doch ist dieses Tagebuch eng mit der Geschichte der Stadt während des „Dritten Reichs“ verbunden. So Bertram Hoffmann und Benjamin Preiß, die die Tagebücher auf der Webseite des Stadtarchivs Schwäbisch Gmünd einordnen und bewerten. Sie listen zudem auf, wie stark Oppenländer in dem NS-System verankert war. Von 1933 bis 1945 war er – mit kurzer Unterbrechung zwischen 1935 und 1938 – Mitglied der SA. In der SS erlangte er 1938 den Dienstgrad eines Sturmbannführers. Darüber hinaus war Oppenländer Mitglied im Nationalsozialistischen Fliegerkorps (KSFK), in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) sowie im Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB).

Der Konflikt zwischen Partei und katholischer Kirche in Gmünd zieht sich wie ein roter Faden durch das Tagebuch, erfasste auch das Private, nachdem die Verlobung einer nahen Verwandten – Maria - mit dem Katholiken Paul zu scheitern drohte. Im katholischen Gmünd stieß Oppenländer auf deutliche Ablehnung. Das führte auch zu Dauer-Konflikten mit Oberbürgermeister Franz Konrad (der Kreisleiter über den OB. Er ist katzenfreundlich. Echter Jesuit!), dem der Nazi-Boss dermaßen in seine Verwaltung hinein reagierte, obwohl Konrad selbst überzeugter Nationalsozialist war, dass Stuttgart in einem Fall korrigierend eingreifen musste. Aber auch die Tagebuchnotizen über den Landrat (Hoss ist ein Kaspar und an anderer Stelle Er ist eigensinnig und will nicht mitgehen) fielen für diesen nicht schmeichelnd aus. Oppenländer nannte die Katholiken die Schwarzen (…) eine richtige Saubande. Ein Streit unter Nazi-Bonzen: Oppenländer, Konrad, Hoss.

Hermann Oppenländer, evangelisch, war ein Katholiken-Hasser, ausdrücklich ins katholische Gmünd geschickt. Beim Sturm aufs katholische Pfarrhaus hatte am 11. April 1938 ein von den Nazis aufgehetzter Mob das Gebäude verwüstet. Statt einzugreifen, nahm die örtliche Polizei die Geistlichen in Schutzhaft. Oppenländer wurde das Ziel heftiger Angriffe, die bis hin zu Todesdrohungen reichten (dazu seineTagebucheinträge vom 11. April und 30. Mai 1938). Der Kreisleiter ließ 1940/41 katholische Einrichtungen beschlagnahmen, darunter St. Ludwig, St. Elisabeth, St. Josef, St. Bernhard und das Canisiushaus, in welchen Buchländer und andere Ostsiedler untergebracht werden sollten.  

  • Oppenländer war ein Katholiken-Hasser

Einige Beispiele der Tagebuchnotizen, die auch bis nach Mühlacker spielten:

21. Oktober 1937:

Eltern nach Mühlacker gebracht. In Leonberg beim Wehrmeldeamt abgemeldet. Rückkehr mit Frau und Kindern gegen 7:00 Uhr. 8:00 Uhr Wehrmachtsbegrüßung im Stadtgarten. Begrüßungsworte gesprochen. Oberstleutnant Koch macht guten Eindruck. General Lupin ist ein Trottel. Gesellschaft steif, Handküsse. Eingebildete junge Offiziere.

29. November 1937:

Arbeitstagung, etwa 800 Leute. Stimmung und Aufnahme gut, auch nachträgliche Stimmen gut. Die Leute wollen eine starke, bewusste Führung. Das sollen sie haben.

11. April 1938:

Dyck kehrt abends zurück. Kameradschaftsabend angesetzt. Plötzlich Alarm.69 Es gibt Exzesse. Pfarrer Treiber in Waldstetten, Grossmann und Schmid in Gmünd in Schutzhaft. Ekelhafte Sache, Gestapo eingesetzt.

15. April 1938:

Ich habe den Mut und den Glauben und den Willen, alles recht zu machen. Der unendlich schwere politische Kampf hat mich in 6 Monaten innerlich sehr viel mehr reifen lassen. Ob wir mit diesem Gegner Kirche fertig werden?

9. Aril 1938:

Großkundgebung auf dem Marktplatz, etwa 10.000 Menschen anwesend. Alles tadellos geklappt.

16. April 1938 bis Montag, den 18. April 1938:

Osterfahrt nach Mühlacker und Vaihingen. War ganz nett.

30. Mai 1938:

Der Neubau geht trotz des schlechten Wetters vorwärts. Auf der katholischen Seite mehren sich die Fälle, dass ich anonym gewarnt werde. Todesdrohungen sind nicht selten. Ich arbeite aber unentwegt weiter.

17. Februar 1939:

Erste Schwierigkeiten zwischen Maria und Paul. Letzterer will offenbar nicht mehr. Ist es falsch? Oder Eigensinn? Auf alle Fälle scheint Vorsicht geboten. Er ist eben doch Katholik und damit zur Charakterlosigkeit erzogen. Am 14.2. sind wir aus der Kirche ausgetreten. In unserem Neubau, den wir seit 25.Oktober 1938 bewohnen, fühlen wir uns wohl (…)

26. Februar 1939:

Versammlung in Horrheim. Etwa 150-200 Personen. Franz, Krayl und Gottlieb anwesend. Weigand erzählt mir, warum seine Frau sich scheiden lassen will. Wieler alt mit Frau ist auch da. Vorher Besuch in Mühlacker bei Eltern und Willi, dann Vesper bei Rauh und bei Krayl. In Stuttgart Martha mitgenommen. Um 10:30 Uhr zuhause.

20. November 1939:

Abfahrt zur Front mit Sieger, Hössle. Maria und Karlheinz fahren mit nach Mühlacker. Netter Empfang im Bunker.

7. Dezember 1939:

Die ganze Bande soll der Teufel holen. Wenn ich nur dieses Gmünd nie gesehen hätte! Wie schön war es doch in dem alten Dörzbach und wie heimelig in Vaihingen bei den ehrlichen Menschen.

11. Februar 1940:

8:00 Uhr Appell mit SA-Wehrmannschaften, 1/2 Stunde gesprochen – 1.000 Männer! 10:00 Uhr Morgenfeier DAF5. Ich spreche über »Volk«, 3/4 Stunde – 600-700 Menschen. 3:00 Uhr HJ-Veranstaltung zu Gunsten der Soldaten, sehr gut besucht – 1.500 Personen – Soldaten und Soldatenfrauen. Ich spreche 5 Minuten. Die Sache klappt tadellos! 

28. April 1940:

Jugendversammlung in Maulbronn. Gut besucht. Stimmung gut. Maria, Karlheinz und Kreb dabei.

Der Eintrag vom 7.  Dezember 1939, in dem er schwärmte, wie heimelig es in Vaihingen gewesen sei bei den ehrlichen Menschen, verrät etwas von seinem Gemütszustand.  Denn Oppenländer mochtenicht nach Schwäbisch Gmünd, wie sowohl Merkle als auch Schick anmerken. Zwischen Freudenstadt, Böblingen und Schwäbisch Gmünd durfte er 1937 wählen, aber nur dem Papier nach, wie sich letztlich zeigte. Übertragen wurde ihm dann die Stelle in Gmünd, obwohl er diese abgelehnt hatte, da er evangelisch sei und nicht in diese fast überwiegend katholische Stadt (und den Kreis) wolle (Merkle, S. 282). Er wäre gerne Kreisleiter in Vaihingen geblieben, fiel aber einer Gebietsreform zum Opfer.

  • Einer war nun zu viel.  Der hieß Hermann Oppenländer

Im Jahr 1938 entstanden im Gau Württemberg-Hohenzollern 36 Landkreise aus 62 Oberämtern – eine staatliche Gebietsreform trat in Kraft, die den zum 1. Juli 1937 vollzogenen Neuzuschnitt der NSDAP-Parteikreise übernahm. Die beiden Oberämter Vaihingen und Maulbronn bildeten nun den Kreis Vaihingen an der Enz. Der Landrat hatte seinen Sitz in Vaihingen, der NS-Kreisleiter in Mühlacker. Der Maulbronner Kreisleiter Adolf Bauer gewann den Zweikampf. Einer war nun zu viel.  Der hieß Hermann Oppenländer, der allzu gerne den größeren Parteikreis übernommen hätte,  aber das Feld dann doch für Bauer räumen musste (Manfred Scheck, Die Stadt Vaihingen im Dritten Reich, in: Band 9 der Schriftenreihe der Stadt Vaihingen, 1995, S. 192 ff).

Er ist das, was früher die große Mehrzahl der protestantischen Lehrer war, ein Fanatiker. Dieser  Kommentar des Gmünder  Stadtarchivars Albert Deibele über Hermann Oppenländer fiel eindeutig aus. Deibele machte seine eigenen Erfahrungen mit dem Kreisleiter: Da kam der Fronleichnamstag 1938. Ich beteiligte mich an der Prozession. Daraufhin verlangte der Kreisleiter Oppenländer vom Oberbürgermeister, dass er mich sofort meines Amtes als Städtischer Archivar entlasse. Der Oberbürgermeister verlangte wenigstens die Angabe von Gründen für meine Entlassung. Da berichtete der Kreisleiter, dass es wohl Grund genug sei, wenn jemand sich an der Fronleichnamsprozession beteilige.

Oppenländer, so Deibele weiter, sei ein Mann, der sich in alles mische. Er habe die Absicht, jeden auszuscheiden und alles von sich aus zu leiten und abhängig zu machen. In einer Rede habe er einmal gesagt, dass jeder Lehrer draußen auf dem Lande der Pfarrer sein müsse, und diesen Grundsatz habe  er für sich in Gmünd angewandt. Seine Morgenfeiern, die er alle zwei bis vier Wochen im Stadtgartensaale abhalte, seien als Ersatz für den Gottesdienst gedacht (Schnur, David (Bearb.): Tagebücher eine Stadtarchivars. Die Schwäbisch Gmünd Kriegschronik von Albert Deibele (1939-1945) (Quellen aus dem Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd. Digitale Editionen 2), Schwäbisch Gmünd 2020.

  • Je zwölf Jahre Zuchthaus wegen Schießbefehls kurz vor Kriegsende

Wenige Tage vor Kriegsende – vom 19. auf den 20. April 1945 wurden vor den Toren der Stadt die beiden Zivilisten Robert Haidner (31) und Heinrich Propst (38), die am 13. April 1945 angetrunken öffentlich Hitler verrecke! Es lebe Oberst Stauffenberg! Es lebe die Freiheit! gerufen hatten, ohne Standgericht und wohl auf direkten Befehl Oppenländers von einem Kommando der Polizei hingerichtet. Doch Oppenländer handelte nicht allein, wie in Wikipedia dargestellt, beteiligt war auch Kampfkommandant Max Hössle. Beide sollten Gmünd vor den anrückenden Befreiern verteidigen. Wie Ernst Lämmlein in seinem Geschichtsbuch schreibt, sei nicht unbedingt falsch, in Höss die treibende Kraft zu sehen, doch das Landgericht Ellwangen sei zur Überzeugung gelangt, dass beide gleichermaßen den Schießbefehl gegeben hatten und verurteilte sie am 1. Dezember 1947 zu jeweils zwölf Jahren Zuchthaus, von denen sie jedoch nur einen Teil absitzen mussten (Lämmle, Ernst: Vom Kaiserreich über die Zeit der Weltkriege bis zur demokratischen Republik, in: Geschichte der Stadt Schwäbisch Gmünd, Stuttgart 1984, S. 366-554, online zugänglich via dieser  Homepage.

Mit dem Gauleiter von Württemberg, Wilhelm Murr. Aus: Smlg Roland Straub

Nur wenige Stunden vor der Einnahme Schwäbisch Gmünds durch die US-Armee am 20. April 1945 setzte sich Oppenländer mit weiteren Parteigenossen ab. Dabei war überall in der Stadt die Parole aufgemalt: Wir halten durch!  Dies galt nicht für die NS-Kreisleitung selbst. Generalstabsmäßig hatte sie ihre Flucht vorbereitet: ein Lastwagen der Milchwerke wurde beschlagnahmt, vollbeladen mit Milchprodukten, Vorräte aus dem Lager der SS im Stadtgarten geholt, sechs Schweine aufgeladen, beschreibt Franz Merkle die Kluft zwischen Parolen und Wirklichkeit (S. 291). Die NS-Deserteure wurden schließlich in Vorarlberg, ein Teil auch in Hindelang und Wangen von den Alliierten festgenommen.

Für Hermann Oppenländer folgten Kriegsgefangenschaft, Internierung, Haft. Die 14. Spruchkammer in Schwäbisch Gmünd reihte Oppenländer am 5. März 1948 – so die Mitteilung vom 9. März 1948, die in der Personalakte beim Oberschulamt liegt - in die Gruppe der Hauptschuldigen ein. Rechtskräftig wurde die Entscheidung am 13. April 1948. Die Strafen: Sieben Jahre Arbeitslager, Einzug des Vermögens bis auf 8700 Mark,  Verlust der Rentenansprüche aus dem öffentlichen Dienst. Zehn Jahre lang durfte er weder ein öffentliches Amt noch das Wahlrecht ausüben (so auch das kurze Schreiben der Vollstreckungsbehörde der Zentralspruchkammer Nordwürttemberg in der ehemaligen Frommankaserne in Ludwigsburg an das Kultministerium vom 11. März 1949, Aktenzeichen E/Ga/Will/II/43). Diese Sühnemaßnahmen wurden bei Oppenländer überlagert durch die Haftstrafe von zwölf Jahren im Zuchthaus Schwäbisch Hall vom Dezember 1947 wegen Landfriedensbruch u.a. aufgrund der Liquidierung von Haidner und Propst in Gmünd. 

  • In seinem Personalbogen schreibt der Ex-Kreisleiter noch 1956 von politischer Haft

Die persönliche Zukunft sah für Oppenländer zunächst düster aus:  Erst vom 8. Mai 1957 an sollte er wieder als Lehrer tätig sein dürfen, bis Mai 1960 sollte er in Haft bleiben. Oppenländer bestritt immer seine Verantwortung für die Erschießung, schob diese der Polizei zu und schrieb in allen Personalbögen immer nur politische Haft, selbst noch in dem am 14. August 1956 von ihm ausgefertigten Personalbogen.

  • Wo blieb die Reue? 

Doch es kam anders, für ihn besser als gedacht. Die Welle der Entnazifizierung ebbte bald ab. Die Sühnemaßnahmen, groß angekündigt, reduzierten die Politiker der jungen Bundesrepublik auf den Umfang längerer Fußnoten der Geschichte. Im Dezember 1951 konnte Oppenländer das Zuchthaus „im Wege der Gnade“ verlassen, der größte Teil der Strafe wurde auf Bewährung ausgesetzt. Er zog zu seiner Familie nach Mühlacker, verdingte sich von 1952 bis März 1956 als Handelsvertreter. Dann kündigte er, allerdings zu früh, weil er mit einer Stelle an der Schule in Iptingen zum 1. Juli 1956 gerechnet hatte, so dass er bis zum Dienstantritt in Lienzingen am 1. September 1956 arbeitslos war. Noch eine Hürde verschwand. Durch das Bundesgesetz zur einheitlichen Beendigung der politischen Säuberung vom 13. Juli 1953 fiel die zehnjährige Berufs- und Tätigkeitsbeschränkung auch für Oppenländer weg. Aber wegen der Zuchthausstrafe blieb ihm weiterhin die Wiedereinstellung verwehrt.

Wie die Personalakte belegt, startete er nun eine konzertierte Aktion auf Wiederverwendung als Lehrer, kombiniert mit Anträgen auf Gnadenerlass wegen seiner Haftstrafe. Er ließ nicht locker, stieß zumindest bei Teilen der Ministerialbürokratie immerhin auf freundliche Aufnahme und Verständnis. Und wo blieb die Reue?

Hermann Oppenländer schrieb am 5. Oktober 1952 zuerst einen Brief an Ministerialrat Zielfleisch vom Kultusministerium. Ein Herr Knabe in Heubach habe ihm mitgeteilt, für ihn komme in absehbarer Zeit möglicherweise eine privatrechtliche Anstellung im Schuldienst in Frage. Er wolle fragen, ob der Ministerialrat bereit sei, ihn in seiner Sache anzuhören, was Zielfleisch zusicherte. Durch einen neu aufgetauchten Zeugen sei seine Sache in ein neues Stadium eingetreten, so dass er mit vollkommener Rehabilitierung rechnen könne, so der ehemalige Nazi-Kreisleiter.

Dieser neue Zeuge war kein Unbekannter: Dr. Wilhelm Hartmann saß der Spruchkammer vor, die Oppenländer 1948 als Hauptbeteiligter einstufte. Nun schrieb derselbe Hartmann dem Ex-NSDAP-Chef im Kreis Gmünd am 15. November 1953 ein Unbedenklichkeitszeugnis. In seinem Briefkopf wies er sich als Richter am Arbeitsgericht sowie Oberfeldrichter und Oberstleutnant der Reserve aus.  Oppenländer sei ein überaus lauterer Charakter mit edler Gesinnung, habe sich der NSDAP aus reiner und selbstloser Überzeugung angeschlossen. Er sei der Prototyp des biederen schwäbischen Volksschullehrers mit großem Wissen: offen, ehrlich, unerschrocken. Ein doch überraschender so genannter Persilschein, der auf die (unerfüllt gebliebene) Forderung Hartmanns hinauslief, sowohl das Verfahren vor der 14. Spruchkammer als auch das vor dem Landgericht Ellwangen zu überprüfen.

Am 29. Dezember 1953 schickte Oppenländer seinen Melde- und Personalbogen ans Landratsamt Vaihingen (Personenkreis des § 63 des Gesetzes zu Artikel 131 GG). Die Kreisbehörde erteilte keine Meldebestätigung, Landrat Dr. Friedrich Kuhnle leitete das Schriftstück ans Oberschulamt weiter, das den Antrag am 3. März 1954 bestätigte. Das bedeutete: Die betreffende Person hat sich bei ihrer Dienststelle zurückgemeldet, kann also wieder im öffentlichen Dienst eingesetzt, geleichzeitig Versorgungsansprüche geltend gemacht werden können. 

  • Erste Gnadenanträge abgeschmettert 

Oppenländer setzte konsequent von 1953 an ebenso auf Gnade. So beantragte er 1953, ihm auf dem Gnadenweg die Hürde wegen der Zuchthausstrafe abzuräumen. Dann war es ein Antrag auf Unterhaltsbeihilfe auf dem Gnadenweg, beide Mal erhielt er jedoch abschlägige Bescheide. Aus einer Begründung für das Nein zitiert Franz Merkle in einer Veröffentlichung 2016: Oppenländer sei einer der gewalttätigsten Kreisleiter gewesen, der sich in alle Angelegenheiten  mit Drohung eingemischt habe.  Alle Begründung und Entlastung, die er vorbringe, verblasse gegen die Schwere seiner Schuld, steht in der Begründung zur Ablehnung am 23. Februar 1954. Oppenländer habe freiwillig seine Versorgungsansprüche aufgegeben. Zudem sei er 54 Jahre alt und nicht arbeitsunfähig. Im Jahr zuvor war ein Gnadengesuch mit der Begründung abgeschmettert worden, angesichts der schweren Belastung könne ihm nicht die Möglichkeit gegeben werden, auf dem Gnadenweg wieder im Lehrerberuf tätig zu sein (Merkle, Franz: Hermann Oppenländer – Gmünder Kreisleiter wieder im Schuldienst, in: Einhorn-Jahrbuch 2016, S. 267–272).

Oppenländer setzte nach. Am 8. Juli 1954 schickte er unter Hinweis auf die beigefügten Daten einen schriftlichen Antrag auf Wiederverwendung ans Oberschulamt. Die Behörde antwortete am 20. Oktober 1954 mit einer Ablehnung. Solange die Rechtsfolgen der seinerzeitigen Verurteilung noch nicht aufgehoben seien, könne dem Gesuch nicht willfahrt (!) werden. 

  • Ein Tipp, der sicherlich nicht von ungefähr kam: Karl Philipp MdL

Adressat einer seiner weiteren zahlreichen Vorstöße, in einem persönlichen Ton gehalten, war  nun Oberregierungsrat Dr. Dietz vom Oberschulamt: Er bat Dietz, ihm in seiner bedrängten Lage beizustehen, damit er als Lehrer wiederverwendet oder pensioniert werde. Dietz antwortete am 11. März 1955, er sei gerne bereit zu helfen, soweit es möglich sei und verwies an Ministerialrat Schröter vom Justizministerium. Oppenländer solle über diesen erneut versuchen, dass das Berufsverbot aufgehoben werde. Interessant indessen war  ebenfalls der Hinweis von Dietz, möglicherweise könne auch der Landtagsabgeordnete Philipp helfen. Ein Tip, der sicherlich nicht von ungefähr kam: Karl Philipp, Landtagsabgeordneter und Landwirt aus dem Wahlkreis Crailsheim, jetzt CDU, vor 1945 NSDAP. 

Gerade der Tipp, den Abgeordneten Philipp anzusprechen, führt zur Frage nach den Netzwerken und Seilschaften. Auffällig ist, dass Oppenländer gezielt ihm offenbar bekannte Beamte der Ministerialbürokratie des noch jungen Bundeslandes anschrieb, die nicht zur ersten Garnitur zählten. Eine Antwort lässt sich im Aufsatz von Franz Merkle finden: Nach dem Krieg, und das galt auch für Oppenländer, konnten die ehemaligen Kreisleiter weitgehend mit einer Wiederverwendung rechnen; dafür sorgten die Seilschaften in den dafür zuständigen Ministerien. Meist konnte ihnen individuelle Schuld nicht nachgewiesen werden- oder man wollte sie auch nicht zu genau nachweisen. Strafrechtlich war es deshalb schwierig, individuelle Schuld nachzuweisen. Anders bei Oppenländer (S. 281). Ihn belastete die Zuchthausstrafe.

Über das Bürgermeisteramt Mühlacker reichte Oppenländer im November 1955 erneut ein Gnadengesuch beim Justizminister ein, doch der Gnadenausschuss des Ministeriums lehnte ab. Daraufhin riet Dietz ihm am 23. Dezember 1955 zum Gnadenweg über den Ministerpräsidenten oder dem Gnadenausschuss des Landtags. Das Oberschulamt ist bereit, für Sie zu tun was möglich ist, aber nur im Rahmen der geltenden gesetzlichen Bestimmungen. 

Das Bezirksschulamt Mühlacker drängte ebenfalls und schrieb am 28. November 1955 an das Oberschulamt in Stuttgart, an zwei Stellen herrsche dringender Bedarf an Krankheitsvertretungen, in Iptingen und Sternenfels. Oppenländer habe hier wiederholt vorgesprochen, Berufs- und Tätigkeitsbeschränkungen für Hauptbeschuldigte und Belastete seien doch aufgehoben.

  • Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter im Wege der Gnade wieder verliehen

Das ersehnte Ziel erreichte der Mühlacker Bürger dann doch. Denn am  19. März 1956 unterschrieb, wie schon erwähnt, der baden-württembergische Justizminister Dr. Wolfgang Haußmann  (FDP) einen für den gelernten Lehrer folgenschweren Satz: Der Verurteilte Hermann Oppenländer wird die durch die Zuchthausstrafe aus dem Urteil der Strafkammer Ellwangen vom 28.9.1948 verlorengegangene Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter im Wege der Gnade wieder verliehen. Beglaubigte Abschriften erhielten die Staatsanwaltschaft Ellwangen sowie das Kultusministerium, Letzteres mit der Aufforderung zu entscheiden, ob Oppenländer wieder in den Schuldienst als Lehrer eingestellt werden dürfe.

  • Kurs des Ministeriums: Oppenländer wird einfach versteckt

Er durfte. Zuerst in Lienzingen. Mit den bekannten Folgen. Man könne Oppenländer nach dreijähriger zufriedenstellender Tätigkeit in Lienzingen nicht Knall auf Fall auf die Straße setzen, schrieb Oberregierungsrat Karl Wäschle, späterer Oberbürgermeister von Ravensburg, im Dezember 1959 dem Mühlacker Schulrat Wißmann nach den Protesten aus Landtag und Medien. Er hatte die Idee entwickelt, den Lehrer von den Schülern fernzuhalten und nur verwaltungsintern ohne Kontakte mit der Öffentlichkeit einzusetzen, ihm somit ein Auskommen zu  sichern. Wäschle reiste im Auftrag von Minister Storz im Dezember überraschend für einen Tag nach Mühlacker, plauderte vormittags im Bannholz mit Oppenländer, wollte am Nachmittag, ohne avisiert zu sein, beim Bezirksschulamt in der Uhlandstraße vorbei schauen, traf jedoch Schulrat Wißmann nicht an.

Aber die Wäschle-Idee wurde zum offiziellen Kurs des Ministeriums: Oppenländer wird einfach versteckt. Dabei liebte er doch als Kreisleiter der Nazis den großen Auftritt. Eine ausreichende Sühne? Endlich habe ich eine recht beschwerliche Lebensperiode abgeschlossen – dieser merkwürdige Satz lässt tief blicken. Der steht in einem Schreiben an den Kämmerer der Stadt Schwäbisch Gmünd von 1956, mit dem er beantragte, seine Berufsbezeichnung in der Geburtsurkunde eines seiner Kinder von Kreisleiter in Volksschullehrer abzuändern. Er dachte wohl, auf leichtem Weg seine Vergangenheit retuschieren zu können..


Quellen: Der Beitrag zur Serie Lienzinger Geschichten stützt sich, soweit nichts anderes vermerkt, auf die Personalakte des Oberschulamtes Nordwürttemberg in Stuttgart, die im Staatsarchiv Ludwigsburg verwahrt ist und die Signatur EL 204 I Bü 2777 trägt, sowie auf persönliche Erinnerungen des Autors vor allem als Schüler der Volksschule Lienzingen.

Bei den alten Schulakten aus Lienzingen besteht das Problem, dass diese vor diversen Jahren von der Schule selbst an den Leiter des Schulmuseums in Kornwestheim abgegeben wurden, dort aber nach dessen Tod nicht wieder auffindbar waren. Deshalb findet sich zu dem Fall Oppenländer und Lienzingen nichts im Stadtarchiv Mühlacker (STAM).

Zu Hermann Oppenländer gibt es zahlreiche Veröffentlichungen. Hier die von Dr. David Schnur, Leiter des Archivs der Stadt Schwäbisch Gmünd zusammengestellte Literaturliste, für die ich herzlich danke:

- Lämmle, Ernst: Vom Kaiserreich über die Zeit der Weltkriege bis zur demokratischen Republik, in: Geschichte der Stadt Schwäbisch Gmünd, Stuttgart 1984, S. 366-554, online zugänglich via 

- Merkle, Franz: Hermann Oppenländer – Gmünder Kreisleiter wieder im Schuldienst, in: Einhorn-Jahrbuch 2016, S. 267–272

- Merkle, Franz: Hermann Oppenländer: »Er versteht sich wunderbar auf die Politik mit dem Hammer«, in: Proske, Wolfgang (Hg.), Täter.      Helfer. Trittbrettfahrer. NS-Belastete aus dem Norden des heutigen Baden-Württemberg, Bd. 8, Gerstetten 2018, S. 279 –294

- Müller, Ulrich:  Zur Geschichte der Gmünder   NSDAP, in: Gmünder Studien 8, 2010, S. 187–216

- Müller, Ulrich: Schwäbisch Gmünd im »Dritten Reich«, in: Einhorn-Jahrbuch 2013, S.105 –114

- Müller, Ulrich: Schwäbisch Gmünd unterm Hakenkreuz, Schwäbisch Gmünd 2017, 2. Aufl. 2019, 3. Aufl. voraussichtlich 2020

Zum Thema auch die beiden nachfolgenden Bände, die bereits etwas älter sind:

- Deibele, Albert: Krieg und Kriegsende in Schwäbisch Gmünd (Gmünder Hefte 4), Schwäbisch Gmünd 1954

- Deibele, Albert: Das Kriegsende 1945 im Kreis Schwäbisch Gmünd (Gmünder Hefte 6), Schwäbisch Gmünd 1966

Im Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd ist zudem das Diensttagebuch von Hermann Oppenländer  überliefert, das 2019 als kritische Edition online veröffentlicht wurde:

- Schnur, David (Bearb.): Das Diensttagebuch des NSDAP-Kreisleiters Hermann Oppenländer in Schwäbisch Gmünd (1937-1940) (Quellen aus dem Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd. Digitale Editionen 1), Schwäbisch Gmünd 2019

Darüber hinaus wird Oppenländer regelmäßig in der erst kürzlich edierten Gmünder Kriegschronik des früheren Stadtarchivars Albert Deibele ge

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