Lienzinger Gemeinderäte ihrer Zeit voraus: Schon 1954 vom Radweg nach Mühlacker geträumt

Seit 1985 gibt es den kombinierten Rad- und Gehweg zwischen Lienzingen und Mühlacker, überwiegend finanziert vom Land Baden-Württemberg

Die neue Umgehungsstraße von Lienzingen im Zuge der B35 konnte Anfang November 1951 befahren werden. Aber noch beschäftigten schleppende Entschädigungen des Bundes für Grundstücksbesitzer den Lienzinger Bürgermeister Richard Allmendinger und seine Gemeinderäte. Trotzdem nahmen sie schon eine andere Straße ins Visier: Die Kommune forderte in einem Beschluss am 13. Januar 1954 die Verbreiterung der Landstraße II. Ordnung zwischen Lienzingen und Mühlacker (heutige Landesstraße 1134).


Lienzinger Geschichte(n) fortgesetzt: Als die Gemeinde noch selbstständig war. Und ein bisschen danach. Von Aufreisserstunden mit Walze für 23 Mark und 50 Pfennig, einem Lastzüge organisierenden Bürgermeister, der Klage über eine schlechte Landesstraße und von den Lienzinger Gemeinderäten als erste Rufer nach einem Radweg, als diese noch nicht chic waren. Aus Ratsprotokollen und Gemeindeakten.


Das Gremium sah Gefahr für die Verkehrssicherheit, insbesondere für den Berufsverkehr. Die Straße sei für die Belastung einfach viel zu schmal und zum anderen weise sie durch die fortwährende Flickarbeit Buckel und Mulden auf, die bald jedes Fahrzeug zum Spielball machten. Viele Arbeiter und Arbeiterinnen seien auf dieser Straße mit dem Fahrrad unterwegs. Sie wie auch die Fußgänger fühlten sich auf dieser Straße besonders gefährdet, weil es für sie keine ausreichenden Ausweichmöglichkeiten gebe. Auf dieser Strecke verkehrten vier Kraftpostlinien. Die Gemeinde sandte den Bittbrief an den Kreistag, doch das Landratsamt in Vaihingen an der Enz retournierte ihn und verwies auf den richtigen Adressaten: das Land Baden-Württemberg (Stadtarchiv Mühlacker=STAM, Li B 324, S. 196).

Das Postulat des Gemeinderates: Die Straße zu verbreitern und gleichzeitig einen Fahrradweg anzulegen. Es dürfte einer der ersten Forderungen nach einem Radweg gewesen sein. Dazu eine Portion Historie: Die ersten nur für Radler  befahrbaren Wege entstanden ohne einheitliche vom Staat vorgegebene Richtlinien in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. In den Städten Hamburg, Bremen und Lüneburg waren dies zunächst nur für Radfahrer verbesserte Fahrdammteile, da die Fahrbahn meistens aus grobem Kopfsteinpflaster bestand - übrigens wie noch einige Zeit nach Kriegsende auch teilweise auf der Ortsdurchfahrt Lienzingen.

Gut zwei Kilometer ist der Radweg lang. Wer putzt die Schilder? (Fotos: Antonia Bächle)

Doch die Forderung nach einem Ausbau der Landstraße II. Ordnung führte nicht dazu, als Kommune großzügig zu sein beim Verkauf für das Projekt notwendiger Flächen. Konsequent auf ihre eigene Art konnten die Lienzinger Bürgervertreter schon sein. Das zeigte sich in der Ratssitzung vom 3. März 1961, als unter § 8 über den Verkauf von 50 Ar Gemeindewald - die Parzellen Nummer 4762, 4764 und 492 - an das Land Baden-Württemberg für den Ausbau der Landesstraße zwischen Mühlacker und Lienzingen debattiert wurde.

  • Hartnäckige Gemeinderäte

Die Gemeinde forderte 100 Mark für das Ar, das Land wollte nur 70 Mark bezahlen. Den Kaufvertrag schloss Allmendinger, wohl eher widerwillig, am 23. Januar 1961 ab, allerdings musste diesem noch der Gemeinderat zustimmen, was jener jedoch ablehnte. Denn der Schultes hatte zwischenzeitlich erfahren, dass die Forstdirektion des Landes von der Stadt Mühlacker für Baurohland 1200 Mark je Ar gefordert habe. Was wiederum Allmendinger zum Fazit brachte, bei der Forstdirektion sei man wirklich schlecht beraten  (STAM, Li B 326, S. 81). Hartnäckigkeit zahlte sich aus: In der Ratssitzung am 11. August 1961 teilte der Bürgermeister mit, die Straßenbauverwaltung des Landes bezahle nun die verlangten 100 Mark pro Ar (STAM, Li B 326, S. 101).

Der Radweg Lienzingen-Mühlacker baute 1985 das Land

Während die Straße anfangs der sechziger Jahren vom Land ausgebaut wurde, verhallte die Forderung nach einem Radweg zunächst ungehört. Das ist eines der Projekte, die nach der Eingemeindung aufs Tapet kamen. Zwar nicht gleich, aber Ende der siebziger Jahre. In einer Bürgerversammlung im Januar 1980 in Lienzingen spielte das Thema auch eine Rolle. Angeregt wurde ein beidseitiger kombinierte Geh- und Radweg. Klar war, dass das Land Baden-Württemberg bauen müsste, da es sich um einen Weg außerorts parallel zur Landesstraße 1134 handelt. Im Februar 1980 erkundigte ich mich in einer Anfrage an die Stadtverwaltung nach dem Stand der Verhandlungen mit dem Land – ein konkretes Ergebnis liege noch nicht vor, lautete die Antwort aus dem Rathaus (Anfrage 9/1980, 6. März 1980). Auf eine erneute Anfrage am 13. Mai 1980 zog sich die Verwaltung auf die Position zurück, zuerst müsse eine Planung vorliegen (Anfrage 27/1980).

  • Februar 1983: Straßenbauamt Calw vergab Planungsauftrag

Der Technische Ausschuss des Gemeinderats Mühlacker beschloss am 23. Juni 1981, einen Antrag auf Planung ans Straßenbauamt Calw zu stellen und sich dabei auf die Ergebnisse einer Verkehrszählung zu stützen. In der Zeit von 6 bis 8 Uhr sowie von 16 bis 18 Uhr wurden stündlich zwischen 21 und 28 Radfahrer gezählt sowie zwischen 529 und 827 Kraftfahrzeuge (Antwort Stadtverwaltung vom 26. Januar 1982 auf Anfrage StR Bächle). Im Februar 1983 antwortete mir das Regierungspräsidium (RP) Karlsruhe, das Straßenbauamt Calw habe einen Planungsauftrag vergeben, die Ergebnisse seien für März 1983 zu erwarten (AZ: 44cl/6 – L 1134 Mühlacker-Lienzingen). Sobald dem RP der Entwurf vorliege, werde die Behörde die Möglichkeiten der Realisierung prüfen.

Ungeduldig fasste ich in der Fragestunde der Gemeinderatssitzung am 15. Juni 1982 nach und erhielt die Auskunft, ein erster Termin von Stadtverwaltung und planendem Büro werde am 25. Juni stattfinden. Nachdem klar war, dass das Land den größten Teil der Kosten übernehmen muss, wollte die CDU-Gemeinderatsfraktion in einem Schreiben vom 13. September 1982 an Wirtschaftsminister Dr. Rudolf Eberle (CDU) erfahren, wie die zeitliche Realisierung dieses Radweges aussieht. Nachdem dieses Projekt jahrelang immer weitergeschoben wird, liegt uns eine rasche Verwirklichung der Pläne sehr am Herzen.  Mehr als ein Jahr dauerte es noch, bis das Straßenbauamt die Planung im Technischen Ausschuss des Gemeinderats Mühlacker vorstellte. Das war am 22. November 1983 der Fall (Vorlage 61/22/83 der Stadt Mühlacker). Der Entwurf sah einen beidseitigen Radweg vor bei Reduzierung der Fahrbahnbreite von 7 auf 6,50 Meter. Für Fußgänger und Radfahrer sollten jeweils 1,25 Meter zur Verfügung stehen. Der Vertreter des Straßenbauamtes, Bernklau, sagte, man liege schwach über dem Minimum, das für einen Radweg gebraucht werde. Die Kosten wurden mit 405.000 Mark angegeben. Davon sollte die Stadt 87.000 Mark übernehmen. Schließlich stimmte der Ausschuss einstimmig zu (TA-Protokoll, S. 152 f).

Über eine gute Nachricht aus Stuttgart berichtete das Mühlacker Tagblatt am 8. September 1984, Seite 17: Der Staatssekretär im Innenministerium Baden-Württemberg, Alfons Maurer (CDU) antwortete auf meinen Brief, der 2,1 Kilometer lange Radweg Lienzingen-Mühlacker werde 1985 gebaut. Nachdem der Grunderwerb durch die Kommune – zusammen mit dem RP – für den östlichen Radweg Mitte Mai 1985 vor dem Abschluss stand, wie mir Bürgermeister Adolf Dumitsch am 14. Mai antwortete, schrieb das Straßenbauamt die Arbeiten aus. Submission war 17. September 1985, die Arbeiten konnten somit beginnen.  Diese Radwegverbindung außerhalb Ortsetters von Mühlacker und Lienzingen müsse selbstverständlich ihre innerörtliche Fortsetzung erhalten, hatte Dumitsch unterstrichen. . .

Von den Eisenfelder Steinwerken für die Gemeinde Lienzingen

31 Jahre nach der Forderung des Lienzinger Gemeinderats gab es ihn nun, den Radweg entlang der Landesstraße – dass aber trotzdem Leute – vor allem jene mit schmalen Reifen - lieber weiterhin auf der Straße radelten, verwunderte und ließ die Straßenverkehrsbehörde der Stadt Mühlacker besorgt sein, weshalb sie in der Antwort auf eine Anfrage der Stadträte Lore Hornung und Günter Bächle vom 31. März 1987 zusicherte, in den Amtlichen Bekanntmachungen auf die Benutzungspflicht der Radwege hinzuweisen (Anfrage 23/1987).

Freilich: Kein Verfechter dieses Radwegeprojekt dürfte von der Forderung des Gemeinderats Lienzingen im Jahr 1954 gewusst oder sich erinnert haben. Ich jedenfalls stieß darauf auch erst jetzt beim Stöbern in den Lienzinger Ratsprotokollen für die Serie Lienzinger Geschichte(n) und war überrascht ob so viel Fortschrittlichkeit in einer Zeit, als das Auto  immer stärker gefragt wurde.

Traditionsreiche heimische Firma Karl Heinrich mit einem Angebot ans Bürgermeisteramt Lienzingen im Jahr 1952 (STAM, Li A 102)

Nicht minder lokal: Steinbruch Artur Gräf in Freudental

Ansonsten schlug sich die kleine Lienzinger Verwaltung - ohne Fachämter - mit den alltäglichen Straßen- und Tiefbauproblemen herum. Langweilig wurde es dem Team Allmendinger nicht. 1953 antwortete das Straßenbauamt Besigheim auf eine Eingabe des Bürgermeisters, für die Ausbesserung der gepflasterten Kandel entlang der Ortsdurchfahrt der Landesstraße stünden keine Haushaltsmittel zur Verfügung, der Wunsch werde aber für 1954 notiert.

  • Bürgermeister musste Lastzüge organisieren

So ein Schultes musste das sein, was heutzutage Allrounder genannt wird. So war er in einem besonderen Fall gefordert, musste sich notgedrungen selbst darum kümmern. Es galt, 20 Tonnen Kleinpflastersteine mit Lastzügen vom Melaphyrwerk Baumrech AG Eiserfelder Steinwerke im rheinpfälzischen Bedesbach-Patersbach abholen zu lassen, da das Unternehmen am 4. April 1952 mitteilte, die bestellten Steine zwar vorrätig zu haben, doch die Bemühungen, einen entsprechenden Lastzug für den Antransport zu bekommen, sind bisher ohne Erfolg geblieben. Der Lieferant wollte vom Bürgermeisteramt Lienzingen wissen, ob wir nicht die Steine per Eisenbahnwaggon verschicken können. Fünf Tage später hatte Allmendinger Lastzüge organisiert, die die Steine abholten (STAM, Li A 102).

  • Allrounder oder Mädchen für alles

In der Akte sammelte Allmendinger die Korrespondenz zu den Straßen. So ging es 1952 auch um den Bedarf der Gemeinde an jeweils zehn Tonnen Granit-Groß- und -Kleinpflaster sowohl 1. und als auch 2. Klasse, von der Oberpfälzer Steinindustrie Flossenbürg für 1889 Mark offeriert, zu bezahlen innerhalb zehn Tagen mit zwei Prozent Skonto oder nach 30 Tagen rein netto Kasse, wie es im Angebot der Firma hieß.  Mit dem Steinmetzbetrieb mit Steinbruch Arthur Gräf in Freudental machte die Gemeinde auch Geschäfte. Gräf bot im September 1949 Vorlag-, Markungs- und Kellersteine sowie Steine für Grabdenkmäler an. Ein Besuch unseres Lagers überzeugt jeden von der Schönheit des Freudentaler Natursteins, warb das Familienunternehmen, das auch äußerst billige Preise für Grabsteine und Denkmale als einer seiner Pluspunkte nannte.  Markungssteine für 1,30 Mark, Kellersteine pro Kubikmeter 12,80 Mark ab Bruch.

In den Akten finden sich unter anderem auch Offerten der Firma Karl Heinrich aus Maulbronn. So vom 30. Juni 1952 für Walzarbeiten in Lienzingen innerhalb des Ortsetters. Eine Stunde Einsatz einer 12-Tonnen-Walze mit Wasserberieselung 9,50 Mark, eine Aufreisserstunde mit Walze 23,50 Mark, einmalige Teerung mit 2,2 Kilogramm Teer pro Quadratmeter mit Einwalzen 1,08 Mark – Bürgermeister und Fronmeister, aber auch Gemeinderäten mussten Fachleute für vieles sein. Was half, war aber auch ein gesunder Menschenverstand. Der Schultes jedenfalls konnte nur wenig delegieren - weil die Rathaus-Mannschaft zahlenmäßig schmal aufgestellt war und es zu wenige gab, auf die delegiert werden konnte (STAM, Li A 102).

Trackbacks

Trackback-URL für diesen Eintrag

Kommentare

Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Kommentare werden erst nach redaktioneller Prüfung freigeschaltet!


Um maschinelle und automatische Übertragung von Spamkommentaren zu verhindern, bitte die Zeichenfolge im dargestellten Bild in der Eingabemaske eintragen. Nur wenn die Zeichenfolge richtig eingegeben wurde, kann der Kommentar angenommen werden. Bitte beachten Sie, dass Ihr Browser Cookies unterstützen muss, um dieses Verfahren anzuwenden.
CAPTCHA

Umschließende Sterne heben ein Wort hervor (*wort*), per _wort_ kann ein Wort unterstrichen werden.
Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.