Sie blieben der Traum des Lienzinger Schultes: Industriegebiet und Flurbereinigung

Im hinteren Brühl 1960 gebaut: Lienzinger Werk des Mühlacker Unternehmens Geissel, Präzisionsdrehteile, Fertigungshalle in der Brühlstraße. Da standen noch keine Wohnhäuser gegenüber (STAM, 07-148 [1960] Li Smlg Fa Geissel).

Immer wieder unternahm der Bürgermeister neue Anläufe, um steuerzahlendes Gewerbe ins Dorf zu holen. So klammerte er sich an jeden Strohhalm. Das zeigte sich in der Sitzung am 9. November 1951. Da informierte Allmendinger den Gemeinderat über einen Vorstoß das Landesplanungsamtes via Landratsamt Vaihingen. Der westlich von Stuttgart liegende Landkreis Vaihingen solle Gelände fürs Wohnen, aber auch fürs Arbeiten suchen. Diese Behörde des damaligen Landes Württemberg-Baden bot an, Möglichkeiten mit den einzelnen Kommunen zu sondieren und sie in puncto Erschließung zu beraten. Lienzingen erhoffte sich davon wertvolle, für die Kommune förderliche Maßnahmen. Denn der Schultes verwies auf die Schwierigkeiten bei der Standortsuche, aber auch bei der Planung insbesondere eines Industriegebietes, das Ortsbild nicht zu stören. Geprägt werde dieses Ortsbild von  der unter Denkmalschutz stehenden Frauenkirche und durch gleichermaßen geschützte alte Fachwerkhäuser, die ein Ensemble bilden. Hier eine Lösung zu finden, sei nicht einfach (STAM Li B 324, S. 103).


Lienzinger Geschichte(n), aus der  Zeit, als das Dorf noch selbstständig war (und auch mal daüber hinaus). Heute über eine Kommune, die auf ansiedlungswillige Betriebe setzte. Ein Schultes, der um die Konflikte mit dem historischen Ortsbild wusste. Und die Landwirtschschaft? Sie wollten partout keine Flurbereinigung. Und dann bringt sie ein bayerischer Käfer um mehrere Hektar. In Protokollen des Gemeinderats von Lienzingen geblättert. Fortsetzungsgeschichten.


Bei einer Ortsbesichtigung legten Vertreter des Landesplanungsamtes ihre Ideen für eine Industrieansiedlung vor. Am 4. August 1952 informierte darüber der Schultes in der Ratssitzung die acht Bürgervertreter. Der  Inhalt der Vorschläge wird in der achtzeiligen Protokollnotiz nicht  erwähnt. Sie endet mit dem lapidaren Satz: Diese Vorschläge fanden allerdings nicht die

Das wusste der Lienzinger Bürgermeister Richard Allmendinger genau: Das Ortsbild - unter anderem mit der Frauenkirche - darf durch ein Industriegebiet nicht gestört werden. Das erschwerte die Suche nach einem Standort.

Zustimmmung des Gemeinderates (STAM, Li B 324, S. 130). In den Gemeindeakten findet sich ein Schreiben des Landratsamtes Vaihingen an das Bürgermeisteramt Lienzingen. Streng auf dem Dienstweg übermittelte das Landesplanungsamt in einem Aktenvermerk seine Vorschläge am 14. Juli und somit eine Woche nach dem Lokaltermin. Zu teuer in der Erschließung und deshalb nicht mehr weiterzuverfolgen sei die Idee des Bürgermeisters, zwischen Brühl und Dauerwiesen beidseits der Bundesstraße 35 ein Industriegebiet zu schaffen. Statt im Westen der Gemeinde empfehle des Landesplanungsamt einen Standort im Südosten, und zwar in den neuen Wiesen auf einem Areal, das die Kommune schon für Festveranstaltungen gepachtet habe. Dort würden sich die Gebäude gut in die Landschaft eingliedern, während dies beim westlichen Standort nicht der Fall wäre. In den neuen Wiesen wurde tatsächlich gebaut - mehr als 20 Jahre später, jedoch Wohnhäuser (STAM, Li A 72).

  • Lienzingen schaltet Werbeanzeige in Stuttgart

Schon im Herbst 1948 warb die Gemeinde um ansiedlungswillige Betriebe. Sie schaltete deshalb eine Annoce in den Stuttgarter Nachrichten. Tatsächlich meldete sich eine größere Anzahl von Interessenten, wie der Bürgermeister in der Ratssitzung am 2. Februar 1948 berichtete. Zusammen mit den sechs anwesenden Ratsmitgliedern sortierte er die Offerten und erhielt den Auftrag, mit den ausgewählten Firmen zunächst unverbindliche Fühlung aufzunehmen. (STAM, Li B 323, S. 60).

Der große Wurf gelang zunächst nicht. Lienzingens gewerbliche Entwicklung ging nur in kleinen Schritten voran. Am 12. August 1949 stimmten die Bürgervertreter zu, dem Gärtner Mannhardt aus Illingen neben der gerade errichteten Gemeindewohnbaracke eine Fläche für zwei Mark pro Ar zunächst zu verpachten, um darauf ein Gewächshaus zu erstellen. Später entwickelte sich dort, zwischen Schelmenwaldstraße und Ortsrandweg an der Wette, ein solider Gartenbaubetrieb. Ein Glücksfall für das Dorf bis heute! (STAM, Li B 323, S. 182).

Gewinn in doppelter Hinsicht für Lienzingen: Firma Wilhem Geissel ließ sich 1960 im hinteren Brühl nieder Geissel Präzisionsdrehteile Brühlstraße 28 Produktionsgebäude von 1960 Luftbild (STAM, 07-148 [1969-06] LI Foto: Erich Tschoepe)

Immerhin dauerte es noch gut zehn Jahre, bis sich die Mühlacker Firma Wilhelm Geissel mit ihrem Filialwerk an der Ecke Brühlstraße/Schelmenwaldstraße baute. Es war die erste Ansiedlung, die über einen Handwerksbetrieb hinausging. Die Metallwarenfabrik erwarb für Industriezwecke auf den Parzellen Nummern 194 und 195 im hinteren Brühl von der Gemeinde ein Grundstück von zusammen 35 Ar und 82 Quadratmetern um den Kaufpreis von 10.700 Mark, protokollierte Bürgermeister Richard Allmendinger nach der Ratssitzung vom 26. Februar 1960.

Ausschlaggebend für die Ansiedlung sei gewesen, dass es in Lienzingen wohl leichter sei, Arbeitskräfte zu gewinnen, nachdem sich in Mühlacker ein größerer Industriebetrieb niederlassen wollte (vermutlich war damit Behr gemeint). Im wirtschaftlichen Sinne bedeute die Entscheidung der Firma Geissel für Lienzingen einen doppelten Erfolg für die Kommune. Einmal mache sie mit den Grundstücken zwischen Auf- und Verkauf einen Gewinn von 5000 Mark, andererseits bringe die Firma einen nicht unbedeutenden Gewerbesteuerertrag. Es sei also wieder einmal erwiesen, dass die Gemeinde stets darnach trachte, ein genügend großes Bauland zu halten. Der Gemeinderat stimmte dem Grundstücksgeschäft zu. Das Unternehmen wolle möglicherweise noch im selben Jahr die Fabrikation in dem Werk Lienzingen aufnehmen, ist dem Protokoll weiter zu entnehmen (STAM Li B 326, S. 10). Vollauf einverstanden zeigte sich der Gemeinderat bei seiner Zusammenkunft am 6. Mai 1960 im Rathaus mit den Plänen für den Bau einer Werkhalle. Allerdings zeichnete sich da schon ab, dass der Bau etwas teuerer wird wegen erhöhter Erschließungskosten Diesen Mehrpreis glich die Kommune dadurch aus, so die Zusage, dass Geissel bei einem späteren Erwerb eines Grundstücks zur Erweiterung einen entsprechenden Nachlass gewährt werden sollte, wie die Räte beschlossen (STAM Li B 326, S. 34 f).

Das 1920 gegründete Unternehmen verlegte 1980 seine ganze Produktion und die Verwaltung von der Industriestraße in Mühlacker in einen Neubau in Lienzingen mit einer Produktionsfläche von über 7500 Quadratmeter und bezog hier die schon stehende Werkhalle ein. Kleinere Betriebe waren es, die sich im Gewerbegebiet Westlicher Brühl ansiedelten. So erwarb der Lienzinger Industriemeister Hans Lepple ein Grundstück von 800 Quadrameter Fläche. Feucht sei der Baugrund, steht im Protokoll der Ratssitzung vom 15. Februar 1974, weshalb die Ratsmitglieder ihrem (befangenen) Kollegen zehn Mark pro Quadratmeter berechneten. Eingekauft hatte die Kommune die Fläche für 11 beziehungsweise 15 Mark je Quadratmeter. Das Baugesuch war erst wenige Tage zuvor genehmigt worden (STAM, Li B 328, S. 282).

Aus den Plänen für einen Ableger des Schlepperherstellers Lanz in Lienzingen wurde nichts. (Foto: Smlg. Bürgermuseum Aulendorf)

Im Jahr 1956 suchte Lanz ein Gewerbegrundstück in Lienzingen: Ausgeguckter Standort: Neben der Dreschhalle am Ende der Brühlstraße.

Die Gärtnerei Mannhardt war die erste Betriebsansiedlung in den Nachkriegsjahren. Nicht alle Anfragen endeten für die Gemeinde positiv, auch wenn den Ratsprotokollen zu entnehmen ist, wie intensiv sich besonders Bürgermeister Allmendinger um zusätzliche Arbeitsplätze und weitere Gewerbesteuer bemühte. Aber 1956 platzten Pläne der Schlepperfabrik Lanz in Aulendorf, am Ende der Brühlstraße eine Verkaufs- und Lagerhalle zu bauen. Dabei hatte die Kommune neben dem Standort der geplanten Dreschhalle (heute Baugeschäft Straub) einzelne Grundstücke erworben und konnte Lanz nun am Stück 45 Ar anbieten (STAM, Li B 325, S.97 f).

Vier Jahre, nachdem der Baustoffgroßhändler Oskar Ruff einen Betrieb in Lienzingen eröffnete, beantragte er 1960, zur Erweiterung zwei Ar und 36 Quadratmeter Gemeindebauland im Brühl zu kaufen. In der Ratssitzung vom 30. August 1960 stieß dies grundsätzlich auf ungeteilte Zustimmung, strittig blieb bis zuletzt aber der Preis. Der Schultes beantragte drei Mark je Quadratmeter und verband dies mit dem Hinweis, Ruff habe von 1956 bis 1958 mit zusammen 15.000 Mark eine ansehnliche Summe Gewerbesteuer überwiesen. Zudem hatte die Firma Geissel ebenfalls drei Mark pro Quadratmeter bezahlt. Doch das wollte ein Teil des Gemeinderats nicht gelten lassen. Ruff sei doch nicht unvermögend und könne durchaus mehr bezahlen. Eine gute Gewerbesteuer sei nicht so sehr entscheidend. In geheimer Abstimmung sprach sich eine knappe Mehrheit für 3,50 Mark je Quadratmeter aus (STAM, Li B 326, S. 53).

Drei Anfragen im Gepäck

Gleich für drei Unternehmen suchte 1962 der Stuttgarter Makler Burgbacher eine größere Fläche: Drei Hektar für den Holz- und Messebauer Hugo Knödler aus Fellbach, 50 Ar für die Tapetenfabrik Meissner KG aus Stuttgart und ein Hektar für Adolf Werner, mechanische Werkstätten in Mühlacker. In den Fokus rückte bei Burgbacher ein Gelände östlich des Dorfes im Gaiern, nicht der von der Kommune favorisierte Standort im Westen. Vor dem Gemeinderat sagte der Bürgermeister am 29. Mai 1962, die örtliche Firma Geissel sei keineswegs von der Ansiedlung weiterer Betriebe erbaut, außerdem hätte diese auch Folgelasten für die Gemeinde. Nichtsdestotrotz: Das Ortsparlament beschloss, keine Bedenken zu äußern gegen die Ansiedlung weiterer Industrie. Die Interessenten müssten schriftlich ihre Absichten darlegen und sich verpflichten, mit ihren Bauvorhaben auch zu beginnen. Doch dazu kam es in allen drei Fällen nicht. Letztlich auch nicht zum Tragen kamen Pläne, die der Schultes dem Rat am 7. Juni 1963 vorstellte. Der Maschinen- und Apparatebauer Stork interessierte sich für einen Bauplatz, wenn in Lienzingen genügend Arbeitskräfte, vor allem Schlosser, zur Verfügung stünden. An dem mangelnden Verkaufswillen der Grundstückseigentümer scheiterte die Suche des Maulbronner Autolackierermeisters Eberlein (STAM, Li B 326, S. 152 f und 213).

Lanzl, Hergarden, Jäger, Weixler ...

Doch dann hatte die Kommune doch noch Erfolg: die Metallgießerei Ewald Lanzl aus Ötisheim (1967), die Metallschleiferei Hergarden aus Mühlacker (1968), Maschinenbau Jäger und die Chemische Reinigung Karl Weixler ließen sich im westlichen Teil der Brühlstraße nieder und kauften bald darauf Flächen für die Erweiterung im Jahr 1968 beziehungsweise 1972 der Gemeinde ab (STAM, Li B 327, S. 244 f).

Doch nicht alle Nachfrager lösten Begeisterung im Gemeinderat aus. Der Mühlacker Baustoffgroßhändler und Güterbeförderer Paul Fass wollte 20 Ar. Das Unternehmen komme nur dann in Frage, so der Tenor in der Sitzung des Gemeinderats am 2. Oktober 1970, wenn es die Erschließungskosten selbst trage, denn es belaste die Ortsstraßen stärker als ein Industriebetrieb (STAM, Li B 328, S. 51). Mit der Ansiedlung der Firma Hergarden waren die ausgewiesenen Gewerbeflächen von Lienzingen ausgeschöpft. Bei den Beratungen der Bürgervertreter vom 19. April 1968 zeigte sich eine Kehrtwende ab. Der Bürgermeister empfahl anhand eines Lageplans, im Osten des Ortes – Gaiern-Neuwiesen – Bauland sowohl für Wohnen als auch für Gewerbe auszuweisen. Die Planverfahren würde eine sehr lange Zeit in Anspruch nehmen, weshalb es dringend sei zu entscheiden – die Mehrheit der zehn Räte folgte ihm. Im Protokoll vermerkte Allmendinger eine sehr hitzige Debatte. Emil Hafner wandte sich mit Vehemenz gegen die Erschließung von Bauland, Josef Windpassinger lehnte ebenfalls ab (STAM, Li B 327, S. 213).

425.572 Mark Etatvolumen 1958

Dass Lienzingen zusätzliche Gewerbesteuer gut gebrauchen konnte, zeigten die jährlichen Budgetvolumen. Nicht nur in diesem einen Jahr verabschiedete das Lienzinger Ortsparlament erst neun Monate nach Beginn des Haushaltsjahres 1958 den Etat just für dieses Jahr. Heutzutage unvorstellbar, denn das Budget soll eigentlich vor Beginn des Haushaltsjahres den Rat passiert haben. Das seinerzeitige Volumen betrug 425.572 Mark (1952: 124.300 Mark), davon 196.572 Mark im so genannten ordentlichen Haushaltsplan, in dem die laufenden Einnahmen gelistet waren. Die Steuersätze (in Klammern die aktuellen von Mühlacker): Grundsteuer für landwirtschaftliche Grundstücke A 160 Prozent (340), Grundsteuer B für andere Grundstücke 150 (390) und Gewerbesteuer 300 Prozent (370) (STAM, Li B 325, S. 222). Holzverkauf brachte mehr als die eigene Gewerbesteuer.

Welche Geldquellen sprudelten? Beantworten lässt sich dies beispielhaft an den Haushaltsplänen von 1955 und 1960. 1960 bringen die Grundsteuer A für landwirtschaftliche Grundstücke 22.575 Mark, Grundsteuer B für andere Grundstücke 8257 Mark sowie die Gewerbesteuer der örtlichen Betriebe und der Gewerbesteuerausgleich vom Land zusammen 24.565 Mark. Aber der Gemeindewald scheffelte 22.000 Mark Überschuss in die Gemeindekasse. Die Zahlen von 1955: Grundsteuer A 16.157 Mark, Grundsteuer B 4589 Mark, Gewerbesteuer 4000 Mark und Gewerbesteuerausgleich 8800 Mark. Das Plus beim Wald: 17.000 Mark. Damit wird deutlich, weshalb die örtliche Kommunalpolitik auf Betriebsansiedlungen setzte und gleichzeitig den Gemeindewald verteidigte, weil er die grüne Sparkasse von Lienzingen war. Zum Sprung über die Bundesstraße 35 im Westen von Lienzingen kam es nicht. Dabei hatte Bürgermeister Allmendinger davon in der Nachkriegszeit geträumt. Die Kommune tat sich schwer, einen Standort für Industriegebiete auszuweisen (Fotos: Günter Bächle)

Abbaustätte, Erdzwischendeponie und dann Naturschutzgebiet: Stationen einer einstmals landwirtschaftlichen Fläche im Ziegelhäule
  • Lienzingen hofft auf Betriebsstätte der Ziegelwerke Mühlacker

Die Ziegelwerke Mühlacker wollten in Lienzingen eine Betriebsstätte errichten. Hintergrund: Bei Bohrversuchen in den Gewannen Waldstücklen und Röhrach stießen sie auf Lehm bester Qualität. Sie planten deshalb zunächst in den Waldstücklen Grundstücke aufzukaufen und eine Betriebsstätte zu etablieren. Das wiederum war Thema unter Tagesordnungspunkt 15 in der Ratssitzung vom 15. Januar 1960. Bürgermeister Allmendinger ließ sich ein Verhandlungsmandat geben. Seine Strategie: Einige Grundstücke durch die Kommune selbst zu erwerben, damit sie immer ein Wort mitsprechen könne. Er war nicht gegen diesen Ableger der Ziegelwerke, sah jedoch offene Fragen: Zu prüfen sei, ob es sich um eine lästige Anlage handelt, die auf Dauer bestehe. Bei Bildung eines Wasserlochs könne unter Umständen eine Befreiung von der Grundsteuer notwendig werden - also: Einnahmeausfall für die Gemeindekasse.

Zum Forderungskatalog zählte auch, nach der Ausbeute des Lehms das Gelände sofort wieder aufzufüllen und zwar von oben nach unten bis zu einer Tiefe von einem Meter mit Mutterboden, die Festlegung des Tiefbaues sowie eine Vereinbarung mit der Stadt Mühlacker über den Anteil an der Gewerbesteuer des Unternehmens. Letztlich sicherte sich Lienzingen im Vorfeld des Markungsaustauschs mit und des Waldverkaufs an die Stadt für die geplante Wohnsiedlung "Heidenwäldle" 1963 die Gewerbesteuer-Zerlegung bei den Ziegelwerken: Lienzingen sollte von einschließlich 1963 an jährlich 2000 Mark erhalten, die das Unternehmen der Gemeinde überwies (STAM, Li B 326, S. 6).

Aber zunächst waren die Grunderwerbsverhandlungen ins Stocken geraten, obwohl die Stadt Mühlacker und die Ziegelwerke sich bereit erklärten, die Forderungen von Lienzingen zu erfüllen. Die in Frage kommenden Grundstücksbesitzer zeigten wenig Neigung zum Verkauf der notwendigen Flächen, sagte Allmendinger in der Sitzung vom 5. Februar 1960. Deshalb wolle Mühlackers Bürgermeister Erich Fuchslocher persönlich hierher auf Verhandlung mit den Besitzern kommen. Offensichtlich mit Erfolg, denn in der Sitzung drei Wochen später erfuhren die Lienzinger Bürgervertreter, der Stadt Mühlacker sei es gelungen, ein 3,5 Hektar großes Gelände in den Waldstücklen auf Markung Lienzingen für 91.707,50 Mark zu kaufen, das sie dem Ziegelwerk im Tausch zur Lehmausbeute überlasse (STAM, Li B 326, S. 15 und 17).

Die Abbaupläne blieben aktuell. Die Einladung des Ziegelwerks Mühlacker an den Lienzinger Gemeinderat, den Betrieb in Mühlacker zu besichtigen, nahm das Gremium verhalten auf. Dass damit ein gewisser Zweck verfolgt wird, ist natürlich einhellig, protokollierte der Bürgermeister über die Sitzung des Ortsparlaments am 18. Februar 1966. Schließlich wolle das Unternehmen weitere Grundstücke östlich der Mühlackerstraße kaufen. Ein solches Ausweiten der Ziegelwerke solle möglichst vermieden werden, so der Tenor der Diskussion im Rat. Lieber sei ihm, eine Abbaumöglichkeiten westlich ihrer Grundstücke in Richtung Schelmenwald anzubieten, die das Unternehmen pachten könne (STAM, Li B 327, S.  ).

  • Deutscher Sandlaufkäfer: Der Kerl machte sich aus dem Staub

Das gute Lehmvorkommen und das immerwährende Bemühen der Ziegelwerke (später Baustoffwerke), Material rechtzeitig zu bunkern, beschäftigte auch noch

Deutscher Sandlaufkäfer (Fotos: Günter Bächle)

Jahre danach Lienzingen. Jahrelang sicherte der Regionalverband Nordschwarzwald die  passend dazu Ziegelhäule genannte Fläche als Abbaugebiet für Rohstoffe in seinem Regionalplan. Dazu baute das Unternehmen zunächst nicht ab, sondern ging in die Höhe, denn es ließ auf dem Areal Erdmaterial zwischenlagern, das beim Bau der Neubaustrecke Mannheim-Stuttgart der Bahn anfiel. Diese Produktionsreserve lag für die Firma nun in Lienzingen. 

Die Zustimmung des Gemeinderats - inzwischen Mühlacker - zur Zwischendeponie im Jahr 1983 ebenso wie die Genehmigung des Enzkreises sahen vor, nach dem Abbau des gewaltigen Erdhaufens die Fläche zu rekultivieren und den Landwirten zurückzugeben. Doch dazu kam es nicht, weil der Deutsche Sandlaufkäfer, Ureinwohner Bayerns, dort plötzlich auftauchte und als seltene Art die ursprünglich vorgesehene Rekultivierung blockierte. Die Stadt kaufte das fünf Hektar große Areal, verabschiedete sich von ihren Zusagen den Bauern gegenüber, das Regierungspräsidium Karlsruhe stellte dieses Gebiet unter vorläufigen und 2017 unter endgültigen Schutz. Mit elf Hektar ist die Fläche des Naturschutzgebietes "Ziegelhäule" mehr als

Keine Erddeponie mehr, kein Lehmabbau: Die Natur entwickelt ihr Gebiet in der "Ziegelhäule", 2015

doppelt so groß wie ursprünglich geplant.

Und der besagte Deutsche Sandlaufkäfer? Der Kerl machte sich aus dem Staub. Im Gutachten hieß es: Der vom Aussterben bedrohte und streng geschützte Deutsche Sandlaufkäfer (Cylindera germanica) trat bislang nur sporadisch im Naturschutzgebiet auf und konnte im Jahr 2014 auch nicht mehr bestätigt werden [Würdigung des Naturschutzgebietes „Ziegelhäule“ der Großen Kreisstadt Mühlacker, Gemarkung Lienzingen (Enzkreis), Regierungspräsidium Karlsruhe, Abteilung 5 - Umwelt, S. 15]. Aber dafür gab es Geldbauchunken & Co. - Anno 2009 legten die Baustoffwerke ihre Produktion in Mühlacker still.

Immerhin: Viele der Häuser, die in Lienzingen nach 1945 wie Pilze aus der Erde schossen, trugen Mühlacker Ziegel als Dachbedeckung. Ein lokales Produkt. Und manchem Lienzinger gab das Traditionsunternehmen Lohn und Brot.

  • Nicht erfolgreich: Landwirte gegen Flurbereinigung

Größter Wirtschaftsfaktor in Lienzingen war lange die Landwirtschaft. 1961 gab es noch 101 Agrar-Betriebe. Doch sie erwiesen sich nicht als sonderlich reformfreudig, denn die geplante Flurbereinigung kam nicht zustande. Trotz mehrfacher Bemühungen der Kommunalpolitik. Auf der Tagesordnung der Gemeinderatssitzung vom  19. Januar 1955 stand der Punkt:

Einstige Abbaufläche

Felderzusammenlegung. Dabei ging Bürgermeister Allmendinger auf die Bauernversammlung im Herbst zuvor ein, bei der die Ergebnisse der Bodenschätzung vorgelegt worden seien. Diplom-Landwirt Gamlich habe dabei auf die in Lienzingen herrschende große Besitzzersplitterung  und die vielfach unglaubliche Parzellenführung hingewiesen und eine Zusammenlegung der Grundstücke empfohlen. Wenn die Landwirtschaft konkurrenzfähig  bleiben wolle, müsse eine solche Flurbereinigung zwangsläufig früher oder später doch In der anschließenden Aussprache zeigte sich, so der Schultes, doch bald, dass die Landwirte daran sehr wenig Interesse hätten und das Projekt heftigen Widerstand auslösen würde. Somit bleibt dieses Vorhaben zunächst unbearbeitet (STAM, Li B 325, S. 4).

Trotzdem wagte der Gemeinderat einen neuen Anlauf. Er beschloss am 24. Februar 1956, beim Land eine Flurbereinigung zu beantragen. Für diese vordringliche agrarpolitische Maßnahme, so begründete der Schultes seinen Vorstoß, stelle der Staat hohe Zuschüsse bereit. Das Landwirtschaftsministerium bereite derzeit Arbeitspläne für seine  Flurbereinigungsämter vor, wobei den Kommunen empfohlen werde, die Sache positiv zu entscheiden, wenn sie nicht nach Urväter Sitte ihre Fluren weiter bebauen lassen wollten. Auch wenn eine Versammlung der örtlichen Bauern eine solche Maßnahme im Herbst 1954 abgelehnt habe, solle sich der Gemeinderat in seiner Entscheidung nicht entmutigen lassen, was dieser auch nicht tat. In geheimer Abstimmung votierten sieben Räte für den Antrag, einer schrieb Nein auf den Zettel (STAM, Li B 326, S. 75 f).

  • Doch wieder verstrichen danach  Jahre, in denen sich nichts tat

Die letztlich nie realisierte Flurbereinigung entwickelte sich fast zur unendlichen Geschichte. Bürgermeister Allmendinger war sie ein Anliegen, weshalb er 1965 einen erneuten Vorstoß wagte. Ende März lud er erneut zu einer Informationsveranstaltung ein, bei der auch Vertreter der Flurbereinigungsverwaltung des Landes Rede und Antwort standen. Anschließend erklärten 19 Landwirte mit einer bewirtschafteten Fläche von 104 Hektar ihren Willen zur Beteiligung. Bei einer Gesamtfläche von 500 Hektar demnach ein Fünftel. Als der Bürgermeister am 30. Juli 1965 im Gemeinderat darüber berichtete, zeigte er sich überzeugt, dass das Interesse sogar höher sei. Einige hätten nicht den Mut, sich offen dazu zu bekennen oder seien andererseits finanziell so gebunden, dass sie glaubten, eine zusätzliche Belastung nicht auf sich nehmen zu können. Auch familiäre Gründe würden in manchen Fällen einen positiven Beschluss nicht reifen lassen.

Weil aber ein Flurbereinigungsverfahren schon im Vorfeld zeitraubend sei, zudem die zuständigen Stellen des Landes überlastet seien, empfehle er, rasch einen Antrag zu stellen, wohlwissend erst in einigen Jahren an die Reihe zu kommen. Bis dann werde die Kommune die durch den Verkauf des 8,6 Hektar großen Waldstückes Heidenwäldle an die Stadt Mühlacker möglich gewordenen größeren Bauaufgaben erledigt haben. Es stehe also dann nur die Flurbereinigung als Aufgabe an, für die die gesamte Finanzkraft eingesetzt werden könne.  Seinem Appell folgte das Ortsparlament und beschloss mit acht gegen drei Stimmen, eine Flurbereinigung für die Feldmarkung Lienzingen zu beantragen (STAM, Li B 326, S. 35).

  • Projekt 1968 zunächst abgeblasen wegen Arbeitsüberlastung der Gemeindeverwaltung
Schrumpfend: die Landwirtschaft

Doch wieder verstrichen Jahre, in denen sich nichts tat. Der Schultes griff das Thema am 19. Dezember 1968 wieder auf. Bei der Ratssitzung erklärte er, der 1956 gestellte Antrag sei anscheinend wegen der starken Belastung des Flurbereinigungsamtes liegen geblieben. Er erinnerte an den erneuten Antrag von 1965. Pech für die Beteiligten: Als die Flurbereiniger 1967 starten wollten, musste das Projekt wieder abgeblasen werden, weil die Gemeindeverwaltung dies neben anderen großen Baumaßnahmen – Ortskanalisation, Sammelkläranlage und Turnhalle – nicht auch noch habe stemmen können. Weiter sagte der Bürgermeister laut Ratsprotokoll, die Hauptfeldwege seien ausgebaut, es müssten lediglich schadhafte Gefällstellen wieder ausgebessert werden. Für den Ausbau nichtbefestigter Wege sollten in den folgenden Jahren erhebliche Mittel bereitgestellt werden. Das setze aber voraus die Neueinteilung der Feldmarkung unter gleichzeitiger Zusammenlegung des stark zersplitterten Grundbesitzes, um Fehlinvestitionen zu vermeiden. Die Bewirtschaftung der Flächen lasse sich erleichtern, sowie Landwirte aussiedeln, deren Betrieb im Dorf zu eingeengt seien.

Die Gemeinderäte Fritz Geißler, Albert Straub und Richard Zink verwiesen auf die günstige Ausgangslage für eine Flurbereinigung, nachdem das Land bis zu 60 Prozent der Kosten übernehme. Geißler plädierte dafür, den weiteren Ausbau der Feldwege so lange zurückzustellen, bis das Verfahren einigermaßen gediehen sei. Skeptisch äußerte sich Ratsmitglied Werner Metzger. Trotzdem beschloss der Gemeinderat wiederum einmütig, die Flurbereinigung einzuleiten (STAM, Li B 327, S.246).

  • Fritz Geißler: Landwirtschaft will nicht vegetieren, sondern existieren

Danach findet sich das Thema Flurbereinigung nur noch einmal im Protokoll der Sitzungen des Lienzinger Gemeinderats: Am 10. April 1970 berichtete Bürgermeister Allmendinger, dem Auftrag der Gemeinde entsprechend habe das Flurbereinigungsamt Besigheim einen Flächennutzungsplan für die Flurbereinigung auf der Markung aufgestellt. Darin werde betont, dass eine zweckmäßige Ordnung des Wegenetzes die Grundlage für die Erleichterung der Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Grundstücke, für wirtschaftliche Grundstücksformen und die Beseitigung der Zersplitterung darstelle. Zweckmäßig geführte Feldwege seien immer eine gute Vorstufe für spätere Ortswege, Erschließungsstraßen und Nachbarschaftswege. Der Wegeplan bilde die Grundlage für die Neugestaltung des Flurbereinigungsgebietes. Neben den bestehend bleibenden müssten neue Hauptwirtschaftswege festgelegt werden, die die größeren Fluren erschließen sollen. Sie sollen zügig verlaufen mit akzeptablen Steigungen.

Der Gemeinderat diskutierte wiederum kontrovers. Gemeinderat Fritz Geißler als Fürsprecher der Maßnahme sagte, die Landwirtschaft wolle nicht vegetieren, sondern existieren. Sein Kollege Richard Zink ergänzte, wenn die Flurbereinigung nicht realisiert werde, gebe es in zehn Jahren höchstens noch drei Bauern in Lienzingen – seine Prognose sollte sich als zutreffend erweisen. Dagegen meinten die Gemeinderäte Werner Metzger und Eberhard Pfullinger, hinsichtlich der wirtschaftlich schlechten Lage der Landwirtschaft sei eine Flurbereinigung augenblicklich nicht möglich. Das Gremium einigte sich dann darauf, in Nussdorf die Ergebnisse einer erfolgreichen Flurbereinigung anzuschauen und danach wieder zu beraten.

Allerdings lässt sich den Sitzungsniederschriften nicht entnehmen, ob es zur Besichtigung in Nussdorf kam. Der Punkt tauchte nicht mehr in den späteren Protokollen auf und bis heute gibt es keine neu zugeschnittene Fluren (STAM, Li B 327,  S. 19 f). 

 

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