Lienzinger Geschichte(n) um die neue B10: Zuerst keine Einwände, dann doch ein hartnäckiger Abwehrkampf

Die Hart, unversehrte Landschaft südlich der B35, weil die einstigen Pläne für eine neue B10 scheiterten. Jetzt sichert der Regionalplan den Freiraum. Trotzdem werfen Planer gerne ein Auge drauf. (Fotos: Günter Bächle)

Die Hart zieht Planer magisch an. Die 30 Hektar große Fläche im Süden von Lienzingen, sich zwischen Bundesstraße 35 und Wald erstreckend, hätten aktuell manche gerne als neues Gewerbegebiet für Mühlacker. Wie übrigens schon in den neunziger Jahren. Nicht zum ersten Mal werfen Planer ein Auge darauf. Denn wären 1962 vorgelegte Pläne des Straßenbauamtes Besigheim, einer Landesbehörde, verwirklicht worden, würde heute die Bundesstraße 10 die flache Talmulde durchschneiden - als Nordumgehung von Mühlacker. Und  ergänzt mit einem prägnanten Kreuzungsbauwerk nördlich des Heidenwäldles an der Landesstraße 1134 Mühlacker-Lienzingen. Mehr als ein halbes Jahrhundert lang  geisterte das Projekt durch die politische Landschaft. Verwirklicht wurde es nie. In jedem neuen Bundesverkehrswegeplan (BVWPl) stand die Tangente auf einem der hinteren Plätze der Liste des weiteren Bedarfs.  Bis sie mit dem 2016 aufgestellten, jetzt noch gültigen  BVWPl beerdigt wurde und darin nicht einmal mehr als Fußnote auftaucht.


Lienzinger Geschichte(n) heute von einer Straße, die geplant war, die aber nie gebaut wurde. Die neue Bundesstraße 10 als Nordumgehung von Mühlacker ab Illinger Eck zusammen mit der B35 bis Lienzingen, dann weg durch die Hart, das Schönenberger Tal, den Stöckach bis zur alten B10 beim Steinbruch Fegert kurz vor Enzberg. Für 33 Millionen Euro. "Mit kollegialem Gruß" dem "lieben Erich" die Meinung gesagt. Lienzingen im Abwehrkampf. Dazu in Akten und Ratsprotokollen geblättert (Serie)


Das sah am 13. Juli 1962 noch anders aus, als der Gemeinderat von Lienzingen in seiner regulären Sitzung erstmals über den zweibahnigen Ausbau der Bundesstraßen 10 und 35 informiert wurde. Bis 1970 stand das Thema mehr als ein halbes Dutzend Mal auf der Tagesordnung  der Bürgervertretung der 1500 Einwohner zählenden  Kommune. Allerdings schwankte die Haltung der Räte zwischen halber Zustimmung, verbunden mit kleineren Änderungswünschen auf der eigenen Markung, und strikter Ablehnung, wobei das Nein sich letztlich durchsetzte.

Südöstlich von Lienzingen: Nach dem beidseitig der Bundesstraße stehenden Wald sollten B35 und B10 wieder geteilt werden. Die B10 wäre nach Süden in die Hart abgeschwenkt, die B35, teilweise auf einer neuen Trasse, weiter geradeaus geführt worden. Das alte Stück der B35 wäre für einen geplanten Verbindungsweg zwischen Lienzingen und Illingen (gelb) verwendet worden. (Quelle: STAM, Li A 847)

In ein paar Jahren vierspuriger Verkehr durch den Kreis Vaihingen, lautete der Titel über einem Zeitungsartikel, undatiert (wahrscheinlich Februar 1965) und ohne Angabe über die Zeitung, in der der Text erschien. Er findet sich in den Akten der früheren Gemeinde Lienzingen, die nun im Stadtarchiv Mühlacker aufbewahrt werden. Zum Zeitplan heißt es in dem Bericht: Aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte der Ausbau in den Jahren 1971 bis 1973 erfolgen. Das sollte die Nordumfahrung von Mühlacker werden. Die bestehende Bundesstraße 10 zwischen Illinger Eck und Mühlacker-Kernstadt einschließlich der innerstädtischen Pforzheimer Straße und Stuttgarter Straße in Mühlacker hätten die staatlichen Behörden danach vom jetzigen Status einer Bundesstraße abgestuft zur Landes- oder Kreisstraße. Der überörtliche Durchgangsverkehr wäre nicht mehr durch Mühlacker gerollt, sondern an Lienzingen, Heidenwäldle, Ulmer Schanz, Ötisheim und Stöckach vorbei.

Die Planer sahen vor, die B10 von Illingen bis Lienzingen zusammen mit der B35 - quasi im Paket - zu führen, sie am Ende des Waldrandes südöstlich von Lienzingen abzutrennen und auszuleiten über die Hart und den Stöckach bis zum Steinbruch Fegert kurz vor Enzberg, um sie dort in die alte B10 einfädeln zu lassen. Zum Projekt Vierspurigkeit gehörte auch der vierspurige Ausbau der Enzweihinger Steige im Zuge der  B10 und einer in zeitlicher Ferne zu bauenden Umgehungsstraße für Enzweihingen - der jetzige Vaihinger Stadtteil wartet heute noch darauf, auch wenn es inzwischen konkrete Planungen gibt (Stadtarchiv Mühlacker=STAM, Li A 847).

Gegen zweite Trasse keine besonderen Einwände

Das Teilstück nach Illingen in Richtung Lienzingen: An die vorhandene B35 sollte die B10 bis Lienzingen angedockt werden. Der Vorentwurf aus dem Jahr 1962, der fünf Jahre später vom Regierungspräsidium Nordwürttemberg - auch gegen den Widerstand von Illingen und Lienzingen - genehmigt wurde.(Quelle: STAM, Li A 847)

Bei der ersten Beratung im Lienzinger Gemeinderat am 13. Juli 1962 berichtete Bürgermeister Richard Allmendinger über Feinheiten der beiden Vorentwürfe des Straßenbauamtes Besigheim zum zweibahnigen Ausbau von B35 und B10: Vom Illinger Eck in gerader Linie in westlicher Richtung, im Tal zwischen Lienzingen und Illingen in einer weiteren Schleife durch die Wiesen, dann durch den Hartwald. Überraschend freundlich fiel die Aufnahme der Pläne bei den Bürgervertretern aus, denn der Zustand der beiden Bundesstraßen entspreche nicht mehr der wachsenden Motorisierung, weshalb gegen die zweite Trasse keine besonderen Einwände erhoben würden. Zwei Vorschläge gab es zum Detail: Die neue B10 solle so frühzeitig von der B35 getrennt werden, dass die Straße durch den östlich der Markung Lienzingen angrenzenden Staatswald verlaufen würde. Wiederum die B35 sei beim Schmiebach so weit anzuheben, damit dort eine Unterführung gebaut werden könne, damit das Feldwegenetz besser zu erreichen sei (STAM, Li B 326, S. 157 f).

Kehrtwende innerhalb von sechs Wochen

Bereits am 31. August 1962 beschäftigte sich der Gemeinderat wieder mit den Plänen, schwenkte nun aber auf den Kurs der Ablehnung ein. Der Bürgermeister, so der Beschluss, solle mit den zuständigen Stellen verhandeln, um die Markung Lienzingen vor der B10 zu verschonen. Die Räte beklagten die Verlegung zweier Bundesstraßen auf eine Markung als eine unzumutbare Härte, die in gar keinem Falle hingenommen werden dürfe. Lienzingen würde eine sehr einschneidende Waldeinbuße erleiden, da die B10 durch den Hart- und Schelmenwald geführt werden solle. Der Schultes gab das Ziel aus: Das Vorhaben muss zum Scheitern gebracht werden. Erstmals deutete Allmendinger einen Alternativvorschlag für die neue B10 an. Sie solle hart entlang der Bahnlinie Illingen-Mühlacker gebaut werden, weiter an der Ortsettergrenze Mühlacker in einer Schleife entlang der Markungsgrenze Lienzingen-Mühlacker, vorbei an der Firma Behr, auf das Markungsgebiet Ötisheim (STAM, Li B 326, S. 163).

Das vorhandene Kreuzungsbauwerk vor Lienzingen wäre nach der Struktur geblieben mit Auf- und Abfahrten Richtung Illingen und Richtung Maulbronn. (Quelle: STAM, Li A 847)
Lienzingen hält mit drei Varianten dagegen

Die Lienzinger Kommunalpolitik sagte nicht nur Nein, sondern präsentierte in einem Schreiben vom 7. September 1962  an das Straßenbauamt Besigheim gleich drei Varianten zum Ausbau von B35 und  B10 und legte dem Brief eine von Hand gezeichnete Plan-Skizze bei. Die drei Trassenvorschläge:

  1. Variante 1. Die neue B10 ab Illinger Eck parallel zur B35 bis zum kreuzungsfreien Teil westlich von Schmie zu bauen, dort die B10 abzutrennen und sie in westlicher Richtung zur B 294 nördlich von Pforzheim  zu führen. Durch den Bau einer Parallelstraße zur Autobahn zwischen den Anschlussstellen Pforzheim West und Ost solle eine Anbindung an die alte B10 bei Niefern erreicht werden.
  2. Variante 2. Die neue B10 westlich Illingen auf einer Trasse direkt neben der Bahnstrecke Mühlacker-Illingen bis zum Eckenweiher führen, sodann hart an der Markungsgrenze Mühlacker in westlicher Richtung durch die Markungen Ötisheim und Enzberg nach Niefern zur vorhandenen B10.
  3. Variante 3. Eine Trasse 500 Meter westlich von Illingen, die in südwestlicher Richtung durch die Markungen Mühlhausen und Lomersheim verläuft, dann über die Enz nach Niefern zur alten B10.  

Die Variante 1 sei finanziell günstiger, weil der Bau eines kostspieligen Tunnels zwischen Enzberg und Ötisheim verzichtbar wäre, argumentierten die Hobby-Straßenplaner im Lienzinger Rathaus. Eine B10 parallel zur Autobahn zwischen den Anschlussstellen Pforzheim West und Ost wäre gleichzeitig, so Allmendinger in seinem Brief, die für Pforzheim sicher notwendig werdende nördliche Umgehung (STAM, Li A 847).

Wie von Hand gemalt: Die im September 1962 vorgelegten drei Varianten für eine neue B10 (rot), entwickelt im Lienzinger Rathaus, festgehalten auf Papier und abgelehnt vom Regierungspäsidium Nordwürttemberg in Stuttgart (Quelle: STAM, Li A 847).

Dann ruhte zunächst für einige Monate die Debatte. Im Vorfeld einer Einladung des Landratsamtes Vaihingen auf 31. Juli 1963 versuchte Bürgermeister Allmendinger, die Stadt Mühlacker als Bündnispartner zu gewinnen. Am 22. Juli schrieb er seinem Kollegen Erich Fuchslocher. Er bezog sich auf eine Fotomontage in den Stuttgarter Nachrichten, auf der zweifelsfrei zu erkennen sei, dass mitten durch den Gemeindewald von Lienzingen die neue B10 geführt werden solle.

Mühlacker als Bündnispartner gewünscht

Inzwischen gab es eine neue Lage und Allmendinger versuchte, zwei Themen miteinander zu verknüpfen: Es liefen seit kurzem Gespräche zwischen beiden Kommunen über einen Markungstausch und einen gleichzeitigen Verkauf von mehr als acht Hektar Wald, um Mühlacker zu ermöglichen, die Pläne für die neue Siedlung Heidenwäldle zu verwirklichen. Lienzingen würde also doppelt Waldflächen verlieren. Wenn die Gemeinde gezwungen werde, die B10-Umgehung durch ihren Forst zu dulden, so werde es sehr schwer werden, den Gemeinderat zum Verkauf des Waldteils an die Stadt Mühlacker zu bewegen. Er forderte von der Stadt, seinen Vorschlag zu unterstützen, die neue B10 erst westlich von Schmie von der B35 abzweigen zu lassen. Fuchslocher hatte zusätzlich Einfluss, war er doch auch Vorsitzender der Planungsgemeinschaft Württemberg-Mitte, einem der Vorläufer der Regionalverbände (STAM, Li A 847).

Regierungspräsidium lehnt alle Lienzinger Varianten ab

Das Nein von Lienzingen zu einem so großen Verlust von Gemeindewald erfolge aus wirtschaftlichen Gründen, aber auch mit befürchteten nachteiligen Folgen für den Wasserhaushalt. Tatsächlich hat der heutige Stadtteil nach der Kernstadt die größte Waldfläche. Doch aller Widerstand half nichts. Am 6. Oktober 1964 schickte das Regierungspräsidium Nordwürttemberg in Stuttgart via Straßenbauamt die Antwort zu den Vorschlägen der Gemeinden Lienzingen und Ötisheim. Die Varianten 1 und 3 (Abzweig der B10 hinter Schmie oder Abzweig westlich Illingen über Mühlhausen und Lomersheim) würden dem zu erwartenden Verkehrsaufkommen nicht gerecht, die Variante 2 (B10 entlang der Bahnlinie Illingen-Mühlacker) lasse sich auch aus topografischen Gründen so nicht verwirklichen, begründete die Behörde ihre Ablehnung. Ötisheim hatte die Vorschläge von Lienzingen übernommen. Der Lienzinger Gemeinderat entschied sich am 13. November 1964, vorläufig keine weiteren Schritte zu unternehmen, denn mit der Ablehnung all seiner Variantenvorschläge durch das Regierungspräsidium gelte dessen Vorentwurf vom 11. Juli 1962 als genehmigt (STAM, Li B 326, S. 303). Er begnügte sich damit, eine Unterführung beim Schmiebach und an der Kohlplatte zu fordern, die aber auch nie geschaffen wurden.

"Mit kollegialem Gruß" dem "lieben Erich"

Von der Hart aus: Der Blick auf die Lienzinger Frauenkirche.

Mit dem Artikel In ein paar Jahren vierspuriger Verkehr durch den Kreis Vaihingen - vermutlich im Februar 1965 - kam wieder Bewegung in die Diskussion. Allmendinger ärgerte sich und schrieb seinem Mühlacker Kollegen Fuchslocher - auch in dessen Funktion als Vorsitzender der Planungsgemeinschaft Württemberg-Mitte - einen Brief, in dem er dem lieben Erich mitteilte, diese Veröffentlichung dient unseren gegenseitigen Planungsabsichten ganz und garnicht, sondern habe in seiner Gemeinde eine starke Beunruhigung hervorgerufen, namentlich bei den Waldarbeitern, von denen einer dem Gemeinderat angehöre. Er bekräftigte mit kollegialem Gruß die Ablehnung der B10-Planung wegen des zu großen Eingriffs in den Lienzinger Gemeindewald und verlangte vom Staat, notfalls die Kommune mit der Zuteilung der gleichen Forstfläche zu entschädigen, was durchaus möglich sei. Gleichzeitig drohte Allmendinger mit der Blockade der Heidenwäldle-Verhandlungen: Er persönlich habe auch nicht vor, den Vertrag über den Waldverkauf an die Stadt Mühlacker zu unterschreiben, bevor nicht diese Frage geklärt sei (STAM, Li A 847).

1967: Straßenbauamt hält an Trasse fest

Einen überarbeiteten Vorentwurf für den Ausbau von B35 und B10 legte das Straßenbauamt Besigheim Anfang Juni 1967 vor, aber machte darin keinerlei Abstriche an der Führung der neuen B10. Diese Trasse verlaufe wieder parallel zur B35 von  Illingen bis kurz vor dem Ende des Mühlhäuser Wäldchens südöstlich von Lienzingen - die Markung von Mühlhausen reicht über die B35 und das isolierte Waldstück rechts der B35 bis zum Schmiebach. Sie schwenke dort über die Hart ab und ziehe sich in einem weiten südlichen Bogen an der Stadtrandgrenze Mühlackers vorbei Richtung Ötisheim, beschrieb Allmendinger in einer Aktennotiz die Trasse. Mühlacker habe durch den Wegfall der B10-Ortsdurchfahrt den größten Nutzen, Lienzingen fordere deshalb eine Gegenleistung für den erheblichen Waldverlust.  Gleichzeitig nahm er zufrieden zur Kenntnis, dass die B35-Zufahrt in Lienzingen auf Höhe Frauenkirche Richtung Maulbronn bestehen bleibe und auf Vorschlag der Gemeinde nun eine Unterführung der B35 beim Schmiebach gebaut werde. Letztere steht bis heute nur auf dem Papier (STAM, Li A 847).

Waldstreifen vor Heidenwäldle gefährdet

Das Thema taucht im Lienzinger Gemeinderat erst am 21. Juni 1968 wieder auf, als die Stellungnahme zum Entwurf des Landesentwicklungsplanes auf der Tagesordnung stand. Das Ortsparlament verlangte erneut eine günstigere Lösung. Die Trasse solle nicht entlang der Markungsgrenzen geführt werden, sondern der gesamte Landschaftsraum sei hier zu berücksichtigen. Der Gemeinderat rückte zudem die Querung der Landesstraße 1134  Lienzingen-Mühlacker durch die neue B10 in den Vordergrund. Der Entwurf sehe einen kreuzungsfreien Ausbau, also Auf- und Abfahrtsrampen, nördlich der inzwischen entstandenen Siedlung Heidenwäldle vor und das koste viel Wald (STAM, Li B 327, S. 222). Dadurch aber bliebe von dem 350 Meter breiten Waldstreifen nördlich des Heidenwäldle praktisch nichts mehr übrig, warnte das Staatliche Forstamt Lienzingen in einem Schreiben vom 13. März 1970 an das örtliche Bürgermeisteramt (STAM, Li A 847) und schlug vor, das Kreuzungsbauwerk 500 Meter nach Norden an den Waldrand zu verschieben, was insgesamt die Eingriffe in den Forst reduziere. Der Gemeinderat nahm in seinem Treffen am 24. Juli 1970 den Punkt in seine Stellungnahme zum Entwurf des Regionalplanes der Planungsgemeinschaft Württemberg-Mitte auf (STAM, Li B 327, § 15). Um den Flächennutzungsplan drehte sich die Diskussion in der Ratssitzung am 11. Dezember 1970. Da rechneten Lienzingens Bürgervertreter noch mit einer absehbaren Verwirklichung der Pläne für B10 und B35 auf ihrer Markung und wollten dann wenigstens die Fläche südlich der B35 bis zur B10-Nordtangente von Mühlacker entlang des Waldes ordnen: Sie beauftragten den Maulbronner Architekten Schwilk, einen Bebauungsplanentwurf für ein Industriegebiet in der Hart zu erarbeiten. Das hatte auch Auswirkungen auf das geplante Wohngebiet Gaiern-Neuwiesen nördlich der B35 unter anderem bezüglich Abstand und Einstufung als Mischgebiet (STAM, Li B 327, S. 67 f).

Neue Linie im Mühlacker Gemeinderat

Das Talwäldle nördlich der B35 wäre teilweise dem neuen Verlauf der Bundesstraße 35 plus der neuen Bundesstraße 10 zum Opfer gefallen. Das Waldstück gehört zur Markung von Mühlhausen/Enz, weshalb es auch Mühlhäuser Wäldle genannt wird, zum Beispiel in Schreiben der Gemeinde Lienzingen zur Straßenplanung.

Freilich, die neue Bundesstraße 10 und damit die Nordumfahrung von Mühlacker kam über den überarbeiteten Vorentwurf vom Juni 1967 nie hinaus. Zumal der Gemeinderat von Mühlacker zwar nicht von seiner Forderung nach einer Nordumgehung abwich, aber 1968 gleichzeitig dem Ausbau des innerstädtischen B10-Abschnitts im Zusammenhang mit der Entwicklung einer neuen Stadtmitte zu Beginn der siebziger Jahre den Vorrang einräumte. Es war klar, dass der Bund nicht eine neue Ortsdurchfahrt und bald darauf die Nordumgehung finanzieren würde (Stadt Mühlacker, Ein schöner Tag, 1990, Herausgeber Stadt Mühlacker, S. 29). Und Lienzingen kämpfte von 1972 an gegen die Zwangseingemeindung, hatte somit neue und größere Sorgen. Im Mai 1975 verlor die Kommune ihren Kampf vor dem Staatsgerichtshof.

Veto der Gemeinde Ötisheim

Allerdings bestand Mühlacker auf der Aufnahme der Nordumfahrung in den Bundesverkehrswegeplan, in dem die Trasse allerdings nie über den Status weiterer Bedarf hinauskam. So im Bundesverkehrswegeplan von 1985 mit dem Hinweis Planung nach 1995. Dabei wurden für die vier Kilometer lange Strecke zwischen dem Steinbruch Fegert an der B 10 bei Enzberg und der B35 bei Lienzingen Kosten von 62 Millionen Mark genannt. Jedoch war seinerzeit schon klar, dass die Nachbargemeinde Ötisheim ihr Veto gegen eine Trasse durchs Schönenberger Tal einlegen würde. Schon bei der Aufstellung des neuen gemeinsamen Flächennutzungsplanes (FNP) Ende der siebziger/Anfang der achtziger Jahre blockierte Ötisheim das Vorhaben der Stadt Mühlacker, die neue B10 wenigstens als Linie darzustellen. Der Kompromiss: Die Pläne wurden nur im Textteil des FNP nachrichtlich erwähnt.

Hohes ökologisches Risiko, sagt der Bund

Gleichzeitig rutschte das Projekt auf der Liste des Bundes, der die Straße hätte finanzieren müssen, noch weiter nach hinten. Im Bundesverkehrswegeplan von 2003 hatte die Maßnahme  B10 Mühlacker-Lienzingen die laufende Nummer 304  und zählte zur Kategorie Neue Vorhaben mit festgestelltem hohen ökologischen Risiko. Als Kosten wurden 33,2 Millionen Euro genannt (in: Deutscher Bundestag, Drucksache 15/2050). Mit dieser Einstufung war die Botschaft verbunden: Kommt nicht! Im aktuellen Bundesverkehrswegeplan 2016 ist sie  nicht einmal mehr als Fußnote zu finden. Im Mühlacker Gemeinderat gäbe es dafür wohl - nach meiner Einschätzung - keine Mehrheit, der Widerstand aus der Bevölkerung wäre vorprogrammiert. Letztlich erwies sich die B10-Planung als ein Phantom, das aber jahrelang bei Land und Kommunen Zeit kostete und Kapazitäten band, unterm Strich auch nichts brachte. Gleichzeitig änderte sich das Bewusstsein in der Gesellschaft: Neue Straßen sind kaum ohne Protest zu realisieren.

Somit blieb die Hart straßenfrei - für Lienzingen, seit Juli 1975 Stadtteil von Mühlacker, arbeitete die Zeit. Seit der Genehmigung des Regionalplans 2015 des Regionalverbandes Nordschwarzwald am 3. März 2005 durch die oberste Landesplanungsbehörde verfügt das Areal über einen Schutz vor Bebauung: Die Region legte einen so genannten regionalen Grünzug darüber, um es als Freiraum zu sichern.

Und die aktuelle Qualität der Hart?

Eine Bestandsaufnahme aus den Bewertungen der einzelnen Gewerbegebietsstandorte durch die Stadtverwaltung: Der namenlose Bach/Graben quert die Fläche von Westen nach Osten und mündet weiter östlich in den Schmiebach. Das Gelände fällt von Norden und Süden zum Bach leicht ab. Acker- und Wiesenflur mit einzelnen Strukturelementen: Feldhecken entlang der B 35, Entwässerungsgräben, kurzer Auengehölzstreifen und einzelne Bachgehölze, Streuobstparzellen, großes Gartengrundstück entlang der L 1134. Biotope entlang des Grabens.

Die Hart im morgendlichen Nebel (Foto: Günter Pötsch)

Der Bereich zwischen B35 und den an das Gebiet angrenzenden Waldflächen ist bis jetzt nur durch die am Waldrand und entlang der L 1134 gelegenen Kleingärten in Teilen beeinträchtigt. Abwechslungsreiche, kleinflächige landwirtschaftliche Nutzungen prägen diesen Landschaftsteil. Bedingt durch die Tallage des feuchten Standorts werden die Auswirkungen einer Bebauung auf die kleinklimatischen Verhältnisse als hoch eingestuft. Der Kaltluftabfluss erfolgt nach Osten, deshalb keine bis geringe kleinklimatischen Auswirkungen auf Siedlungen.  Die Feuchtwiesen sind stark CO2-bindend. Die Auswirkungen auf das Klima sind diesbezüglich hoch (aus: Gemeinderatsdrucksache 006/2016, Stadt Mühlacker, insbesondere Anlage 1 Gewerbegebietsplanung, Vergleich der Standortvarianten „Hart“, „Lug-Fuchsensteige/ Biegeläcker“, „Hartwald-Osttangente“, „Hochberg“. Darstellung artenschutzrechtlicher Konflikte und Maßnahmenbedarf, aufgestellt von der Gruppe für ökologische Gutachten, Stuttgart).

Wiesen und Bach bilden einen sehr wertvollen Biotopkomplex (Feuchtgebiet). Diese Flächen sind nach §30  BNatSchG gesetzlich geschützte Biotope - Biotope mit den laufenden Nummern 199, 200 und 201. Hier wurden unter anderem der Große Feuerfalter, die Zweigestreifte Quelljungfer und der Schildehrenpreis beobachtet. Auf den Ackerflächen des Gebietes entdeckte man mehrere Brutpaare der Feldlerche  (aus: Gemeinderatsdrucksache 050/2014, Stadt Mühlacker, Bewertung alternativer Gewerbebauflächen, S. 6  ff).

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