„Unmögliche Geschichte" und die Sicht darauf

"Mühlacker" gleich unter "Straßburg" - seltene Skala mit dem Namen Mühlacker.
Der Deutschen Presseagentur war er immerhin eine längere Meldung wert: der gerettete Mühlacker Sender. Zudem gibt es freundliche Grüße und Glückwünsche aus Sachsen - mit dem Foto eines Körting R110 WL, welcher von 1933 an verkauft wurde. Wer genau hinschaut, entdeckt "Mühlacker" auf der schmalen Skala, gleich unter "Straßburg". Eine Rarität nicht nur für Lokalpatrioten. Und die Radio-Kenner aus dem Freistaat wissen, dass nach der Frequenzumstellung Anfang 1935 nicht mehr  üblich war, Mühlacker auf die Skalen zu schreiben,  sondern Stuttgart. Wolfgang Lill aus Pirna in Sachsen ist Redakteur bei www.radiomuseum.org und verfolgte in meinem Blog die Geschichte des stillgelegten Mittelwellen-Senders Mühlacker: Fällt er oder fällt er nicht? Auf der Internetseite meldete er dann gestern: Sprengung Sendemast Mühlacker verhindert und ergänzte mit meinem Blog-Beitrag zum Meinungsumschwung beim SWR.

Sender Mühlacker bleibt erhalten, titelt Lill in einem weiteren Beitrag und steigt so ein, wie es nur Radio-Kenner tun können: Am 21.November 1930 wurde der erste deutsche Großsender mit einer Sendeleistung von 60KW in Mühlacker in Probebetrieb genommen. Um diese Leistung zu erreichen, mussten nach damaligem Stand der Technik bei dem Telefunken-Sender 18 wassergekühlte 20-KW Röhren der Type RS255 eingesetzt werden. Ein interessanter Beitrag.

Die Nachrichten aus der schwäbischen Senderstadt gab Auftrieb jenen, die den sächsischen Sender retten wollen. Endlich mal eine positive Nachricht.  Diese Meldung mal an den Innenminister, den Landrat und den Bürgermeister geschickt, wäre doch eine echte Nachdenkhilfe, mailte ihm ein Mitstreiter für den Erhalt des Senders Wilsdruff.

Er ist zwar nicht so hoch wie die lange Nadel in Mühlacker, aber zumindest farblich ist er dem ehemaligen MW-Sender des SWR ähnlich. Er soll abgerissen werden. Auch sonst gibt es Ähnlichkeiten: 2019 gründete sich ein  Förderverein " Funkturm Wilsdruff", der sich dafür einsetzt, das noch unter Denkmalschutz stehende Gesamtensemble einschließlich dem aus dem Denkmalschutz  herausgelösten Funkturm zu erhalten. Der Eigentümer die Media Broadcast ist im Besitz einer Zusage des Denkmalschutzamtes des Landkreises "Sächsische Schweiz". - Ja, das kennen wir doch auch...

Inzwischen organisiert sich zunehmend Widerstand gegen diese Entscheidung, nicht nur die Petition mit  4323 Unterschriften sondern auch  nach wenigen Tagen hatte der Verein schon 26 Mitglieder. Es gibt nicht nur eine Konzeption zum Aufbau eines Mittelwellenschülerrundfunks auf der historischen Frequenz 1044 KHz sondern auch weitere Überlegungen.

Der Standort: A4 in Richtung Dresden, das Dreieck Nossen hinter sich lassend oder von Dresden in westlicher Richtung, sieht man unweit der Autobahn schon von Weitem den 153 Meter hohen, rot-weißen Rohrmast, der zum Sender Wilsdruff gehört. Errichtet wurde hier in den Jahren 1952/53 vom Funkwerk Köpenick ein frei durchstimmbarer 250KW MW-Sender des Typs SM4. Nach Aussagen kompetenter Fachleute handelt es sich heute bei diesem Sender um den Einzigen, welcher noch an seinem Originalstandort erhalten ist. 1954 ging er mit dem Programm des Landesstudios Dresden auf 1043KHz in Betrieb.

Doch ihnen fehle die politische Unterstützung, aber auch die des amtlichen Denkmalschutzes, beklagt Wolfgang Lill. So schauen sie etwas neidisch nach Mühlacker und hoffen auf den Erhalt. Nicht anders war es bei uns. Bleiben wir  in Kontakt.

Radiomuseum.org (RMorg) wird von einer Stiftung getragen. Übrigens: Auch eine interessante Adresse für alle, die sich für Radio-Geschichte interessieren, aber auch für Radio-Sammler.

Schnitt!

Jan Büttner ist Verwaltungsdirektor des SWR und als solcher schrieb er jetzt dem Verwaltungsrat der öffentlich-rechtlichen Anstalt über den Verkauf des Mittelwellensenders Mühlacker an fünf Bürger der Stadt um Thomas Knapp. Schön formulierte Spitzen in aller Offenheit:

Im jahrelangen Hin- und Her um die Zukunft des Senderareals in Mühlacker gibt es endlich eine glückliche Wendung. Gestern Abend konnte ich bereits den SWR Verwaltungsrat darüber informieren, dass wir das Gelände mit dem seit acht Jahren nicht mehr genutzten Sendemast nun doch verkaufen werden. Nicht wie ursprünglich einmal angedacht an die Stadt Mühlacker, sondern an eine Gruppe privater Investoren aus Mühlacker. Ein Abriss des Masts kann somit in letzter Minute verhindert werden.

Der SWR habe sich auf Bitten der Stadt Mühlacker bereit erklärt, den Abbruch des funktionslos gewordenen Masts bis nach der Gartenschau 2015 in Mühlacker zu verschieben. Dieses Entgegenkommen wurde nicht honoriert, im Gegenteil: Die Stadt habe Im Anschluss an diese Veranstaltung gegen den vom SWR beabsichtigten Abbruch aut einmal den Denkmalschutz ins Feld geführt. Der SWR habe Widerspruch eingelegt. Die Sache sei zum Wirtschaftsministerium gegangen, die als zuständige oberste Landesdenkmalbehörde eine langwierige Prüfung eingeleitet habe. Dabei spielte die Zeit immer gegen uns.

Büttner arbeitet die Geschichte aus seiner Sicht auf. Im September 2019 habe der SWR der Stadt ein großzügiges Verkaufsangebot unterbreitet.  Doch dafür gab es nach monatelangen Verhandlungen mit der Stadt am Ende im Gemeinderat von Mühlacker keine Mehrheit. Somit blieb eigentlich nur der Abbruch. (...) Die Sprengung war bereits terminiert. Auch eine im Landtag von Baden-Württemberg zwischenzeitlich noch eingegangene Petition der „Senderretter" hätte uns nach dem einstimmigen Votum des SWR-Verwaltungsrats daran nicht mehr hindern können.

Der ganze Vorgang habe enorm viel Kraft gekostet. Immer neue Schriftsätze und Gutachten haben wir erstellen müssen, ganze Regalmeter von Akten wurden gefüllt und  bis zuletzt gab es kaum einen Pressespiegel ohne Stimmen aus Mühlacker. Büttner spricht von einer unmöglichen Geschichte. Doch nun heiße es Ende gut, alles gut. Für den SWR sei dies eine optimale Lösung, denn mit dem Abriss,  zumal während des gegenwärtigen Ausnahmezustandes, hätte sich der SWR seiner Meinung nach nicht nur Freunde gemacht.

Die letzte Wendung in einem beispiellosen Konflikt um einen Sendemast, so Büttner, und das Ende einer  unmöglichen Geschichte nennt er das Angebot der privaten Investoren zum Kauf der Anlage. Ich hätte das nicht für möglich gehalten, aber Herrr Knapp hat binnen weniger Tage geschafft, woran Stadt und Gemeinderat in einer monatelangen Hängepartie immer wieder gescheitert waren: Eine saubere Lösung zu finden, die den SWR mit aofortiger Wirkung aus der Verantwortung für ein marodes Industriedenkmal entlässt und zugleich den Sender für Mühlacker als Wahrzeichen erhält.

Kaum Widerspruch, Euer Ehren!

 

 

 

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