Ringscheuern, merkwürdige Kammern, unterkellerte Flüchtlingsräume oder ganz einfach: Lienzinger Gaden, das Markenzeichen

Die Gaden dien(t)en als Vorratskammern (2020)

Zunächst irritiert die Passage im Protokoll der Lienzinger Gemeinderatssitzung am Vorabend des Heiligabends anno 1957. „Erneuerung der Ringscheuern um die Dorfkirche“, lautet der zweite Punkt der Tagesordnung. Doch rasch wird klar, dass damit die Gaden rund um die Peterskirche gemeint sind. Ob die vorweihnachtliche Stimmung die Bescherung beförderte oder die Überzeugung, ein „kultur- und heimatgeschichtlich wertvolles Baudenkmal“ zu sichern, sei dahingestellt. Möglicherweise kam beides zusammen. Jedenfalls beschlossen die Räte, dass sich die Kommune an den Baukosten der Instandsetzung der Ringscheuern maßgeblich beteiligen werde und beauftragten Bürgermeister Richard Allmendinger, die Verhandlungen fortzusetzen.

Ringscheuern, Gaden oder „merkwürdige Kammern auf dem Kirchhof“, wie sie Friedrich Wißmann im „Ortsbuch von Lienzingen“ (1970, Walter-Verlag, Ludwigsburg, S. 34ff) nannte, oder "unterkellerte Flüchtlingsräume" als "eine besondere Merkwürdigkeit dieser (Kirchenburg-)Anlage", so Dr. R.W. Schmidt, Konservator beim Württembergischen Landesamt für Denkmalpflege in Stuttgart, in "Lienzingen, ein Dorfbild im Unterland" (in: Schwäbisches Heimatbuch, Stuttgart, 1927, S. 112-126): Die eineinhalb Dutzend Gaden stammen aus dem 15. Jahrhundert.

Sie seien, heißt es in dem Ratsprotokoll von 1957, in einem so bedenklichen Zustand, dass eine möglichst baldige Erneuerung nicht zu vermeiden sei. Das Landratsamt Vaihingen an der Enz startete deshalb eine Initiative beim Landesamt für Denkmalpflege, das einen eventuellen Zuschuss von 3000 Mark in Aussicht stellte. Auch der Landkreis wolle sich an den Kosten beteiligen, wenn dies die damals 1100 Einwohner zählende Gemeinde auch tue.

Eigentümer fragen

Kreisbaumeister Vogelmann sagte zu, so ist der Sitzungsniederschrift zu entnehmen, einen Kostenvoranschlag zu fertigen. Doch: Zunächst wäre festzustellen, inwieweit sich die beteiligten Eigentümer der 17 Gaden entschließen, die erforderlichen Instandsetzungsarbeiten an ihren Anteilen durchführen zu lassen.  -(Stadtarchiv Mühlacker, Li B 325,  S. 181)

Das Modell der Lienzinger Kirchenburg steht im Heimatmuseum Mühlacker, Kelterplatz

Über einen Erfolg der Bemühungen von Bürgermeister Allmendinger in dieser Sache ist nichts bekannt. Trotzdem endete das Projekt erfolgreich, wenn auch unter veränderten politischen Rahmenbedingungen und durchaus verspätet - zwölf Jahre nach der Anfang Juli 1975 erfolgten Eingemeindung nach Mühlacker, vom Staatsgerichtshof Baden-Württemberg im Mai 1975 durchgewunken. Letztlich ist die Gadensanierung ein Vorhaben der gesamten Stadt geworden. Lienzingen brachte dieses Juwel in die größere Kommune ein.

Kirchenburg im Denkmalbuch

Die Kirchenburg mit ihren Gaden ist Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung gemäß § 2 in Verbindung mit § 12 des Landesdenkmalschutzgesetzes, eingetragen ins Denkmalbuch.  Höchster Schutzstatus also. Am 20. März 1979 hatte ich in einer Gemeinderatsanfrage (Nr. 43/79) auf den „teilweise erbärmlichen Zustand“ der Gaden hingewiesen und auf bei Reparaturen verwendetes Material, das absolut nicht zur Anlage passe. Ich regte an, die Stadtverwaltung solle „entweder über Land oder Kreis oder selbst nach Wegen suchen, um eine Erhaltung zu erreichen“. In der Antwort schrieb die Verwaltung am 28. Mai 1979, sie habe schon vor einiger Zeit Kontakt mit den Eigentümern aufgenommen, doch als diesen die relativ hohen Baukosten bekannt geworden seien, sei keiner mehr bereit gewesen, mitzuarbeiten,  sie nähmen die Reparaturen in eigener Regie vor. Ein Rückzug, den auch das baden-württembergische Innenministerium in einer Antwort vom 5. August 1982 (V 746 Mühlacker/1)  auf ein Schreiben von mir als Stadtrat bedauerte hatte.

 

Weihnachtsmarkt in den Gaden (2015)

Vorbereitungen beginnen

Trotzdem ging es voran. 1983 vereinbarte die Stadt Mühlacker mit dem Denkmalamt, eine Bestandsaufnahme der     Kirchengaden fertigen zu lassen, die auch im selben Jahr noch vorlag. Im November 1984 beriet der Gemeinderat von Mühlacker über die Vorlage 60/44/84 und stimmte zu, dass die Stadt sich „grundsätzlich“ bereit erklärte zu einer Beteiligung an den Instandsetzungskosten der Gaden. Schon die Gemeinde Lienzingen habe sich darum bemüht. Daraus lasse sich zwar nicht ableiten, dass die Stadt nun verpflichtet sei, „irgendwelche Kosten für Reparaturarbeiten“ zu übernehmen, dies sei jedoch bei Denkmalen üblich.  Die Gaden seien an eine Wehrmauer mit Bossen-Quadern angebaut. Als geschätzte Gesamtkosten nannte das Fachamt 466.000 Mark. Dann waren erst noch Zuschussanträge unter anderem bei Land und Kreis zu stellen.

Erste Arbeiten vergeben

Am 5. Mai 1986 vergab der Technische Ausschuss des Gemeinderates Mühlacker die ersten Handwerkerarbeiten für die Instandsetzung der Gaden mit einem Volumen von 466.000 Mark, zusammen mit den von der Verwaltung in eigener Zuständigkeit beauftragten Firmen - die meisten aus Mühlacker - waren es rund 545.000 Mark. Gleichzeitig hatte das Bauamt eine schlechte Nachricht parat: Statt ursprünglich, schon nach oben angepasster Prognose mit 531.000 Mark kostete das Projekt nun 643.000 Mark. Das Landesdenkmalamt übernahm davon gut 200.000 Mark, der Enzkreis 100.000 Mark, die Denkmalstiftung Baden-Württemberg 50.000 Mark, der Eigenanteil der Gadenbesitzer betrug 24.500 Mark, der der Kirchengemeinde 40.000 Mark. Abzüglich eines Zuschusses des Landes speziell für die Holzbrücke mit 45.000 Mark blieben an der Stadt 175.000 Mark hängen (Vorlage für den Gemeinderat 60/49/86).

Auf- oder Abstieg, je nachdem (2020)

Monetäres Argument

Letztlich abgerechnet wurde das Projekt 1989 mit 701.732,01 Mark. Land, Enzkreis, Kirchengemeinde und Stadt bezahlten zusätzlich jeweils zwischen 10.000 und 26.000 Euro mehr. Für die Eigentümer änderte sich nichts. (GR-Vorlage 60/54/89)

Apropos Eigentümer. Der Technische Ausschuss beauftragte die Verwaltung am 4. November 1985, möglichst viele Gaden in das Eigentum der Stadt zu bringen - eine Strategie, die nicht aufging, zumal im Juli zuvor im TA entschieden worden war, die Eigentümer kleinerer Gaden nur mit 1000 Mark, die größerer mit 2500 Mark pauschal am Gesamtaufwand zu beteiligen. Halb geschenkt, so Volkes Stimme, sei ihnen die Sanierung worden. Immerhin überzeugte das monetäre Argument und so stimmten alle zu. Als Planer beauftragte die Stadt den Dürrmenzer Architekten Günther Weingärtner, der sich bei der Restaurierung denkmalgeschützter Gebäude im Lienzinger historischen Ortskern schon Meriten erworben hatte.

Erstes Kirchenburgfest

Ende August 1987, somit dreißig Jahre nach dem Beschluss des Gemeinderats der selbstständigen Gemeinde Lienzingen, in der vorweihnachtlichen Sitzung 1957 gefasst, feierten die Lienzinger den Abschluss der Sanierungsarbeiten an den Kirchengaden mit dem ersten Kirchenburgfest. Die Arbeiten hatten im Mai 1986 begonnen. Und zur Einweihung 1987 kamen viele Gäste, unter ihnen auch

Beliebt: Laientheater beim Kirchenburgfest (2013)

Herzog Carl von Württemberg als Vorsitzender der Denkmalstiftung Baden-Württemberg, die Geld  für das Projekt gegeben hatte.

„Hasaställ gehörat abgrissa!“

Dabei war die Sache im Gemeinderat Mühlacker, der seit Mitte 1975 auch für Lienzingen zuständig ist, nicht unumstritten. Zwei Kollegen - Bernhard Braun (SPD) und Joseph Mayer (CDU) - riefen empört aus, als sie die Zahlen sahen: „Dia Hasaställ gehörat abgrissa!“ Doch die Mehrheit des Gemeinderats beschloss - auch mit meiner Stimme - die Sanierung der alten Vorratskammern. Bei der Einweihung am 27. August bezeichnete der spätere Landrat Werner Burckhart die Anlage als herausragendes Baudenkmal im Enzkreis, durchaus vergleichbar mit dem – wenn auch ein bisschen größeren – Kloster Maulbronn und der Tiefenbronner Kirche.

Lyrischer Richtspruch

Kirchenburgfest 2013

Sogar einen lyrischen Richtspruch gab es, vorgetragen von Zimmermeister Ulrich Heinzelmann. Elf Verse sind es. -(Jahrbuch 1987/88, Landratsamt Enzkreis, S. 32f)  Ein Auszug:

Erscht wenn’s freigelegt isch, ko mer kalkuliera/

Was des alles koscht, des Saniera./

Mir Handwerker hend ons schier müassa verrenka/

Zwischa Denkmalschutz und Koschtadenka./

Ond mancher Gadab’sitzer hat sich net scheniert/

„I will was Rechts’s, do wird net bloß repariert!“/

Mit Omsicht ond Gschpür, um Ehr und Lohn/

Henn se gschafft, Kälberer Großvadder, Vadder ond Sohn/

Maurer, Gipser, Dachdecker, Flaschner und Schreiner/

G’faulenzt hat ganz sicher koiner./

So kann i mit Stolz saga:/

Onser Gschäft kann sich seha lassa!

Ond die fascht unvermeidbare Verteuerung

Muß jo net obedingt nomol en d‘Zeitung:

Des brengt doch d‘Stadt net im: heiligs Blechle

Des wird au zahlt, dafür sorgt scho d‘Stadtrat Bächle.

Allerdings fügte er auch hinzu:

„S’Gada saniera isch a Ehr,/

Aber s’macht d’r Beutel leer.“

Serenade des MGV "Freundschaft" Lienzingen zwischen Peterskirche und Gaden (2016)

Doch ohne dieses „Gschäft, das sich seha lassa“ kann, hätte Lienzingen wohl weder das Kirchenburgfest noch die Gaden-Weihnacht. Beide haben sie sich zu einem Markenzeichen entwickelt. In der Sprache des Marketings würde man sagen: Ein Alleinstellungsmerkmal, das Mühlacker Ende vorigen Jahres mit dem Christbaumständer-Museum im alten Rathaus an der Friedensstraße unterstrich.

Kirchenburgbrücke

Zurück zu den Lienzinger Gemeinderatsprotokollen. Die Fundamente der Kirchenburgbrücke seien schadhaft und sollten baldmöglichst instandgesetzt werden, sagte der Schultes am 24. April 1959 im Ortsparlament. Zuvor schaute sich den Zustand vor Ort an. Das Gremium vergab die Arbeiten an Maurer Ernst Schmidt zu dessen Angebotspreis von 1200 Mark. (STAM, Li B 325,  S. 263). Im August 1962 stand die Brücke wieder auf der Tagesordnung, denn bei der Herstellung des Hofraumes der Peterskirche wurde die mit Dielen belegte Brücke so stark beschädigt, dass neue Dielen verlegt werden mussten. Für den Schaden von 711 Mark und 44 Pfennige müsse die Baufirma Otto Ezel in Illingen geradestehen, beschloss der Gemeinderat. (STAM, Li B 326, S. 163)

Anerkennung für Sanierungen

Belohnt hatte die Gemeinde alle, die ihr Fachwerkhaus richten ließen, mit kleinen Prämien. Am 4. Oktober 1963 bewilligte die Bürgervertretung 60 Mark für die Außenrenovierung des Hauses Kirchgasse 100 (Schreinermeister Paul Kälber). (STAM, Li B 326, S. 229). Dagegen erhielt Eugen Kontzi für die Außenrenovierung seines unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes Hauptstraße 31 mit Beschluss vom 16. Juni 1959 einen Zuschuss von 150 Mark. (STAM, Li B 325, S. 272) Kreisbaumeister Vogelmann schlug jeweils einen Betrag vor, den der Lienzinger Gemeinderat meist unterschritt. Bei Kontzi hatte er zu 180 Mark geraten. Ein bisschen knausrig waren sie schon, die Lienzinger Ratsmitglieder.

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