Lokale schwarz-grüne Kooperation macht Minister-Auftritt möglich

Umweltminister Franz Untersteller (3. v. li.) vor den Rull up (v. li.): Klemens Köberle, Sprecher LMU-Fraktion, Christiane Ginschel, Vorsitzende Grünen-Ortsverband Mühlacker, Landtagsabgeordnete Stefanie Seemann, Dr. Peter Napiwotzky, Vorsitzender CDU-Ortsverband, Günter Bächle, Fraktionschef im Gemeinderat, Oberbürgermeister Frank Schneider und Stadtrat Wolfgang Schreiber.

Wie sich die Zeiten ändern. Vor 40 Jahren unvorstellbar: Christdemokraten und Grüne gemeinsam vor ihren Roll-ups. Unverkrampft und ohne Scheu. So geschehen am Donnerstagabend in der Gemeindehalle des Mühlacker Stadtteils Mühlhausen an der Enz mit 200 Besuchern als Zuschauer. Gemeinsam hatten die Gemeinderatsfraktionen von CDU und Liste Mensch und Umwelt (LMU), jeweils sechs Mandate im 26-köpfigen Rat, sowie die Stadtverbände von Union und Grünen, zu einer Veranstaltung mit Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) zu Weinbau und Naturschutz. Gemeinsam? Niemand regt sich auf, kein Gemotze von oben. So ändern sich die Zeiten. Eine gute Entwicklung!

Ungewöhnliche Kooperation
Anlass gab ein nicht minder gemeinsames Eckpunktepapier zum Artenschutz, ausgearbeitet just von Untersteller und seinem Kollegen im Ministerium Ländlicher Raum, dem CDU-Mann Peter Hauk. Quasi zur Abwehr eines Volksentscheides der Aktion „Rettet die Bienen“. Abgesegnet von den beiden Regierungsfraktionen im Landtag und deshalb ist es ein grün-schwarzes Projekt. Weshalb das nicht auch gemeinsam vor Ort vertreten?

Eine „ungewöhnliche Kooperation“ sei diese Veranstaltung nur auf den ersten Blick, sagte  denn auch die Landtagsabgeordnete Stefanie Seemann (Grüne) in ihrer Begrüßung. Gut, dass diese Kooperation möglich wurde. Dazu gehört aber auch ein Minister, der sich an der Sache orientiert und nicht ideologische Nahkämpfe führt. Gemeinsam zu agieren am konkreten Projekt heißt nicht, einen politischen Eierkuchen zu backen.

"Keine CDU- oder SPD-Minister"
„Es gibt keine CDU- oder SPD-Minister, das sind Minister des Landes und nicht einer Partei.“ Ich habe mir das dick hinter die Ohren geschrieben, was mir vor mehr als vier Jahrzehnten mein erster Chefredakteur bei der Ludwigsburger Kreiszeitung, Karl Krafft sagte, bevor er diese Kürzel-Wort-Kombination dem Jungredakteur aus dem Manuskript strich. Und der hat es verinnerlicht. Weil  es stimmt. Es sind Minister eines Landes, die eben einer Partei angehören (oder auch nicht).

Dann kommt noch schwäbische Sparsamkeit dazu: Die Gehälter der Regierungsmitglieder werden von allen Steuerzahlern finanziert, egal was sie gewählt haben. Also sind sie „unser aller“ Minister. Und als solchen sehe ich auch Franz Untersteller, den ich zudem persönlich schätze und den ich mir erlaube auch für einen Ressortchef Umwelt zu halten.

Alarmstimmung im Enztal
Deshalb war er gefordert. Denn sein von ihm mitverfolgtes Eckpunktepapier löste Alarmstimmung bei den Weingärtnern im Enztal aus. Sie befürchten, die Landesregierung übertreibe es mit dem Artenschutz. Fakt ist: Vom 1. Januar 2022 sollen Pflanzenschutzmittel in Naturschutzgebieten verboten werden. Eben diese Felsengärten Mühlhausen sind seit 2012 ein Naturschutzgebiet. Gibt es dann dort bald keinen Rebenanbau mehr, nehmen die Brachen zu? Zurecht gestellte Fragen, auf die am besten der für den Naturschutz zuständige Minister Antworten geben sollte.

So bekam zuerst mein Gemeinderats- und Fraktionskollege Wolfgang Schreiber, selbst Hobby-Wengerter, einen Hilferuf des Vorstandsvorsitzenden der Lembergerland-Kellerei Roßwag-Mühlhausen, Rolf Allmendinger - ich dann einen meines Kollegen, der mit dem Hinweis begann: „Du kenscht doch den Untersteller, kann der net in nächster Zeit komma?“

Schwarz-grünes Lokalprojekt
Der konnte und sagte gleich zu. Dass spätestens an diesem Punkt die örtliche Landtagsabgeordnete der Grünen mit ins Boot geholt werden musste, war klar. Und zudem - nachdem kommunale Anliegen, wie die Erhaltung der Steillagen betroffen sind - auch die Gemeinderatsfraktion der LMU. Stefanie Seemann und mein Kollege Klemens Köberle zogen sofort mit und ermöglichten dieses klar abgegrenzte schwarz-grüne Lokalprojekt mit dem Minister. Fair war die Zusammenarbeit, auf Augenhöhe, gemeinsam auf- und abgestuhlt. Kurzum: Harmonie, die ein Dankeschön verdient. Sicherlich, gemeinsame Veranstaltungen sind nicht die Regel und sollen sie auch nicht werden. Schließlich bleiben wir Konkurrenten oder, wie das gemeinhin in korrekter Sprache heißt: Mitbewerber. Aber das schließt sinnvolle Kooperationen nicht aus.

 

Klare Ansage gleich zu Beginn
Der Abend hat sich gelohnt. Unterstellers klare Ansage gleich zu Beginn ließ Luft raus: Geplant sei, dass Ausnahmen vom Verbot von Pflanzenschutzmitteln in Naturschutzgebieten gemacht werden könnten, wenn die Bewirtschaftung für den Erhalt des Charakters des Naturschutzgebiets erforderlich sei. Und das sei in den Felsengärten oberhalb der Enz definitiv der Fall. Hier sei das Naturschutzgebiet sogar explizit eingerichtet worden, um den Landschaftscharakter – Steillagenweinbau und Trockenmauern – zu erhalten, womit in seinem Beitrag zum Abend auch Schreiber argumentierte. Alles, was die Wengerter künftig machen müssten, sei, eine Ausnahmegenehmigung zu beantragen, die ihnen erlaube, Pflanzenschutzmittel einzusetzen. Das müsse nicht jeder einzelne, das könne gesammelt die Genossenschaft tun, was spürbare Erleichterung auslöste.

Fast 200 Besucher bei der schwarz-grünen Gemeinschaftsveranstaltung in der Gemeindehalle Mühlhausen

Natürlich wäre ihm lieber, so Kellerei-Chef Allmendinger, wenn man gar keine Anträge bräuchte. Worauf der Minister an den Ausgangspunkt erinnerte, das Volksbegehren „Pro Biene“, das ein striktes Spritzverbot gebracht hätte. Mit dem Eckpunktepapier sei erreicht worden, dass das Volksbegehren von den Initiatoren nicht mehr aktiv betrieben werde. Er halte es nicht für ausgeschlossen, dass der Gesetzentwurf eine Mehrheit bekommen hätte wie in Bayern, wenn „Rettet die Biene“ in der Überschrift steht. Wer will schon die Bienen nicht retten gerade in einer Zeit der dramatisch abnehmenden Insektenwelt?

Gegen den Strich
Die Debatte zeigte, das Thema in diesem Zusammenhang zu sehen, fällt nicht allen leicht - vor allem jenen nicht, denen die Freiheit, ein solches Volksbegehren anzustoßen, gegen den Strich geht und die dies auch offen sagen. Untersteller erwehrt sich den Forderungen der Initiatoren des Volksbegehrens, die eigentlich fest im Grünen-Lager stehen wie der BUND. Aber die Lager öffnen sich.

Dazu eine interessante Bewertung, die dieser Tage in einer Mail an mich zu lesen stand. Die  Eckpunkte der Landesregierung halte ich für das Momentum, für das es genau diese Koalition gebraucht hat (ähnlich wie die Agenda 2010 oder den Kosovoeinsatz mit Rot-Grün). Waren die Grünen in der Opposition, hätten sie sich vermutlich vorbehaltlos hinter das Volksbegehren gestellt und es weitergetrieben. Wäre andersherum die CDU in der Opposition, hätte sie über die ihr verbundenen Verbände versucht jede Einigung zu torpedieren, weil es ja sonst ein Erfolg der Landesregierung gewesen wäre. Abgesehen davon hat Peter Hauks Gewicht bei den Landnutzerverbänden zu einer konstruktiven Haltung geführt, ebenso wie die Verbindungen der Grünen zu den relevanten Umweltverbänden, die seit der Einigung keine Unterschriften mehr für das Volksbegehren sammeln.

Der grüne Minister wird in Mühlhausen nicht müde, darauf hinzuweisen, dass es sich bei den Eckpunkten um eine Gemeinschaftsarbeit mit seinem schwarzen Kollegen Hauk handelt. In diesem Projekt passe, so die Botschaft, nicht einmal ein Stück Papier zwischen ihm und Hauk. Es gilt denn auch als Meisterstück politischen Handelns in einer Koalition. Deutlich wird: Artenschutz ist wichtig, aber nicht in der Rigorosität der Initiatoren von „Pro Biene“.

Das Kabinettsmitglied will sich quasi politisch nicht stechen lassen, doch nicht alle können das so nachvollziehen, denn dazu waren die mitgebrachten Befürchtungen schon zu ausgeprägt, als dass sie sich schnell entsorgen ließen. Untersteller lässt durch seinen Tonfall erkennen, dass ihn nervt, Punkte mehrmals sagen zu müssen,  obwohl er ihr eigentlich den Boden entzogen hatte, nur weil einzelne Kritiker entweder das nicht hören wollen oder nicht glauben.

Auf Gesetzentwürfe kommt es an
Schließlich sagte der Ressortchef offen, wie die Eckpunkte ausgestaltet werden sollen, was noch nicht in dem Papier steh, denn Eckpunkte  tragen zunächst ein Gerüst, der eigentliche Ausbau folgt in diesem Fall in Gesetzen. Wichtig wird sein, die Gesetzentwürfe rechtzeitig zu studieren - und notfalls wieder Alarm zu schlagen, wenn sie nicht wie nach diesem Abend zu erwarten ausfallen. Untersteller macht deutlich, auf ihn sei Verlass. Im Übrigen wird später die Handhabung der Paragrafen im Alltag entscheiden über Zufriedenheit oder Dauer-Ärger.

Mein Kollege Schreiber sagte jedenfalls, nach den Untersteller-Worten könne er wieder ruhig schlafen. Ausgerechnet ein grünes Urgestein im Enzkreis, Hobby-Winzer Walter Appenzeller aus Keltern, klopfte mit am heftigsten gegen den Minister, natürlich nur rein rhetorisch. Ein anderer kommentierte: Man spürt, dass sie sich um gute Lösungen bemühen.

Wird nicht zum Dauerzustand
So haben sich die Zeiten geändert. Deshalb stellen sich Grüne und Christdemokraten schon einmal gemeinsam zum "Familienfoto"  vor ihren Roll-ups. Aber das wird nicht zum Dauerzustand. Bei der nächsten Debatte über Gewerbegebiete stehen sich CDU-Mehrheit und LMU wieder konträr gegenüber. Garantiert. Das schließt aber dort gemeinsames Tun nicht aus, wo man sich einig ist oder das Gefühl hat, dass den Menschen ein Forum für Diskussion und Information geboten werden muss wie jetzt in Mühlhausen. Ohne dass jemand zu kurz kommt.

Man muss nur verstehen, sich zu verstehen.

 

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