Fundstücke aus der Kiste

Der Wehrpass (1969)

Noch 'n Fundstück aus der Kiste im Keller. Gibt es den heute noch? Den Wehrpass. In düsterem Grau mit martialisch klingender Bezeichnung. Meiner wurde bei der Musterung 1969 vom Kreiswehrersatzamt in Ludwigsburg ausgestellt. Das Foto musste vorher noch schnell im Automaten im Bahnhof Ludwigsburg geschossen werden. Sieht man ihm an. Der Wehrpass, bis 1918 Militärpass, ein Ausweisdokument für Wehrpflichtige, ist somit auch Geschichte. Inzwischen gibt es sogar einen Markt für den Handel mit Wehrpässen, werden welche bei eBay versteigert. Sachen gibt's...

Meine Musterung war am 2. Oktober 1969, doch schon am 1. April 1969 hatte ich mein Volontariat bei der Pforzheimer Zeitung und ihrer Bezirksausgabe Württembergisches Abendblatt (WAB) im Untergeschoss eines Hauses am Marktplatz in Vaihingen an der Enz begonnen. Auf meinen Antrag hin stellte mich die Musterungskommission  zurück:  wegen laufender Ausbildung. Bei der Untersuchung reichte es  eh nur zur Ersatzreserve II. Köstlich war, wie der Vorsitzende der Musterungskommission sagte, der in meinem Zurückstellungsantrag genannte Beruf „Redaktionsvolontär“ sei in seiner amtlichen Berufsliste nicht vorgesehen, aber da finde sich „Hilfsredakteur“ und diese Bezeichnung nehme er nun. Eigentlich war Hilfsredakteur für einen Stift so falsch nicht...

Später interessierte sich die Bundeswehr nicht mehr für mich. Ich gehörte auch einem großen Jahrgang an. Da brauchte man nicht jeden. Aber der Wehrpass blieb mir. Seit Aussetzen der Wehrpflicht 2012 gehören Wehrpässe und Kreiswehrersatzämter der Vergangenheit an. Dafür nennen sich die Nachfolge-

Mit Automaten-Schnell-Foto

Einrichtungen Karrierecenter der Bundeswehr.

Ein Stück der Geschichte, meiner Geschichte. Da schließt sich auch an das Foto eines Pfeifen rauchenden Volontärs, der die Bezirksredaktion der PZ in Vaihingen von Mai 1969 bis Ende März 1971 allein schmiss - in weißem Hemd, mit Schlips und Anzug. Und mit Erika, der stabilen, aber doch erkennbar strapazierten Schreibmaschine. Fotgografieren gehörte zu den Aufgaben, die Filme mussten im (abdunkelbaren) Klo entwickelt werden. Anfangs drückte ich beim Fotografieren einfach drauf, bis der Chef vom Dienst im Pforzheimer Verlagshaus, Augenstein, einmal trocken meinte, nachdem er das Bild vom Neubaugebiet in Häfnerhaslach betrachtet  hatte: "Ein Vordergrund täte dem auch gut."

Er war es, durch dessen Hände das vom "Volo" bearbeitete Material aus Vaihingen täglich zur Kontrolle ging. Die erste große Lieferung Material ging montags bis freitags zur Mittagszeit auf Reise. In einem Karton verpackt und verschnürt, musste es vom Marktplatz zum Linienbus in die Grabenstraße geschafft werden, der es zum Nordbahnhof brachte: Von dort ging es im Zug zum Bahnhof nach Pforzheim, wo ein PZ-Bote das Päckchen abholte. Die Schriftsetzer - es war noch die Bleizeit - warteten schon darauf. Den Rest brachte der Herr Volontär am späten Nachmittag.

Als Volontär 1969/71 in der Vaihinger Ausgabe der PZ, dem WAB

Seinerzeit existierte noch der Kreis Vaihingen mit etwa 90.000 Einwohnern, der zum 1. Januar 1973 im Rahmen der Verwaltungsreform des Landes auf die neuen beziehungsweise größeren Landkreise Ludwigsburg, Enz und Karlsruhe (im letzteren Fall nur Oberderdingen) aufgeteilt wurde. Die PZ-Bezirksredaktion siedelte dann nach Mühlacker um, legte den antiquarischen Namen WAB ab, ist nun die "Mühlacker Zeitung" der PZ und residiert in weitaus hübscheren Räumen in der mittleren Bahnhofstraße vor allem mit weitaus mehr Mitarbeitern.

Ich aber machte erst etwa im Frühjahr 1970 den Führerschein, war zuvor zwischen Vaihingen, Lienzingen und dem Verlagssitz Pforzheim täglich umweltfreundlich mit Bus und Bahn unterwegs, schrieb über die Sitzungen des Vaihinger Kreistages, der Gemeinderäte in Vaihingen und Mühlacker, über heiße Debatten zu umstrittenen Eingemeindungen und der nicht minder bekämpften Kreisreform, berichtete von der Unterzeichnung der Eingemeindungsverträge von Lomersheim mit Mühlacker und von Schmie mit Maulbronn (hier in Anwesenheit des damaligen sozialdemokratischen Landesinnenministers Walter Krause), rapportierte ziemlich frech über den offiziellen Start des Lionsclubs Mühlacker im Laienrefektorium des Klosters Maulbronn mit Bundestagsvizepräsident Carlo Schmid von den Sozialdemokarten (was mir ordentlich Ärger mit dem damaligen Mühlacker Bürgermeister Gerhard Knapp als einer der Club-Macher eintrug) und schwang mich als Zwanzigjähriger dazu auf, ein Telefonat mit dem Vaihinger Bürgermeister Gerhard Palm aus Verärgerung abrupt zu schließen und ohne weiteren Gruß anzukündigen, "ich betrachte das Gespräch als beendet", worauf ich beherzt den Hörer auf die Gabel warf - selbst erschrocken über meine Chuzpe. Vor der Zeit im WAB in Vaihingen und danach arbeitete ich in der Pforzheimer Mutterredaktion, schließlich vom 1. Juli 1971 an - für 45 Jahre - bei der Ludwigsburger Kreiszeitung.

1969: PZ-Haus-Ausweis

Was noch zu erwähnen wäre: Als der Hausausweis der PZ mit der Unterschrift des Verlegers Jakob Esslinger ausgestellt wurde, galt noch die alte Regelung der Volljährigkeit mit 21 Jahren (meinen Arbeitsvertrag mit der LKZ unterschrieb neben mir noch meine Mutter Emilie) und volljährig wurde ich am 4. November 1971. Mit dem Führerschein erhielt ich auch einen Dienstwagen, wahrscheinlich der seltene Fall, dass man einem Volontär das zugestand. Aber um ein entsprechendes Fahrzeug handelte es sich auch, mit dem ich dann für einige Monate im Kreis Vaihingen für das WAB unterwegs war: ein Goggomobil, Baujahr so um 1961, lange Zeit im Hof des Pforzheimer Verlagshauses ungenutzt herumstehend, wahrscheinlich mit zirka 24 PS, maximal 80 km/h erreichend. Ich durfte es mit nach Hause nehmen und parkte ihn vor unserem Wohngebäude in der Herzenbühlgasse - er war immerhin kein Schwergewicht, so dass irgendwelche Burschen ihn in der Nacht zum 1. Mai einige Häuser weiter trugen.

So ranken sich um das Foto mit Erika und Pfeife und den Hausausweis der PZ viele Geschichten und Anekdoten. Je länger ich darüber schreibe, um so mehr Erinnerungen tauchen auf. Da liegen in der Kruschtel-Kiste auch zwei Zeitungsberichtete, beide aber noch von mir geschrieben. 1971 und 2019, die Themen ähneln sich: Finanzen und Frauenanteil in den Räten. Mit Doris Seidel (CDU) aus Lomersheim sei die erste Frau in den Gemeinderat von Mühlacker eingezogen, steht da zu lesen - erst Jahre später war dank der Recherchen der Mühlacker Stadtarchivarin Marlies Lippik klar: Doris Seidel war schon die zweite Stadträtin nach Elsi Ascher-Schütz  1946/47.

Und im zweiten Bericht beklagte der Landkreis Vaihingen seine schlechte Finanzlage. Auch nichts Neues. Neu war, dass ich erstmals mit einem kommunalen Mandat in der Berichterstattung auftauchte - als Mitglied des Jugendwohlfahrtsausschusses des Kreistags Vaihingen, entsandt vom Ring politischer Jugend (RpJ). Als Junge-Union-Kreisvorsitzender hatte ich zusammen mit Eberhard Berg aus Kleinglattbach von den Jungsozialisten und Jörg Dutt aus Vaihingen von den Jungdemokraten den RpJ wieder aktiviert. Berg ist heute noch SPD-Stadtrat in Vaihingen und ich freue mich immer, wenn ich ihn sehe. Ob er mir noch aus RpJ-Zeiten ein Bier schuldet oder ich ihm eines, blieb letztlich bis jetzt strittig.

 

Stadträtin Doris Seidel wird verpflichtet (rechts) und Sorgen um die Finanzen des Kreises Vaihingen

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Kommentare

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Erhardt Stiefel am :

Ein toller Beitrag, den ich mit großem Interesse las. Viele Erinnerungen wurden dabei in mir wach. Als donauschwäbischer Flüchtling 1960 hier ins Schwabenland zurück gekehrt, hier berufliche Erfahrungen gesammelt, hier gemustert worden, hier meine Frau gefunden und schließlich hier im Enzkreis seßhaft geworden. Da gibt es eine Menge Gemeinsamkeiten ... Vielen Dank Herr Bächle. Noch mehr davon würde mich freuen.
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