Schwieriges Gelände

Im bretonischen Goulien

Heute las ich im „Geo“ (Ausgabe 08/2019, Seite 44 ff) eine kritische Auseinandersetzung mit der Windkraft. Titel: „Gut fürs Klima, schlecht für die Natur?“. Der Text von Johanna Romberg, festgemacht an der angeblichen Gefährdung des Rotmilans, ließ mich als Windkraft-Befürworter etwas ratlos und irritiert zurück. „Jedes Jahr sterben Hunderttausende Vögel und Fledermäuse sowie Milliarden von Insekten beim Zusammenstoß mit den Rotoren“, schreibt sie. Die Zahlen pro Anlage seien nicht hoch, die Gesamtzahl von 30518 Anlagen bundesweit summiere diese jedoch zu „bedrohlichen Gesamtwerten“. Hinzu komme eine Dunkelziffer. Sie wirft die Frage auf: „Wie viele Windkraftanlagen verträgt die Umwelt?“ Die Antwort bleibt die Autorin des Buches „Federnlesen. Vom Glück, Vögel zu beobachten“ schuldig.

Ein lesenswerter Text ist der in „Geo“ allemal. Man muss sich dieser Debatte stellen. Doch wer den Alltag der Standortsuche als Mitglied der Gremien der Regionalplanung kennt, wundert sich. Denn viele windreiche Standorte in unserer Region sind für Windmühlen wegen Auerhahn, Rotmilan & Co - KO-Kriterium - gleich gestrichen worden. Die Autorin gibt zu, als Naturschützerin keine neutrale Beobachterin des Konflikts zwischen Gruppen zu sein, die eigentlich die gleichen Ziele hätten: Schutz der Umwelt und Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. Und sie bekennt:  Ohne Windkraft keine Energiewende, keinen Klimaschutz.Verstärkt werde nach Mitteln und Wegen gesucht, den Schutz der Biodiversität mit dem Ziel des Ausbaus erneuerbarer Energie zu versöhnen. Immerhin: In Berlin arbeitet das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende.

Da sind wir längst dabei. Und was sagt das Stuttgarter Umweltministerium zu solchen Positionen? Gefahren für windkraftempfindliche Vogel- und Fledermausarten könnten in der Regel durch eine sorgfältige Standortwahl vermieden werden. Für Fledermäuse könne das Kollisionsrisiko zudem durch zeitweise Abschaltung der Windenergieanlagen wirksam vermindert werden. Die Vereinbarkeit zwischen der Windenergienutzung und dem Artenschutz stellten Planungs- und Genehmigungsverfahren sicher.  Insgesamt werde durch die Berücksichtigung der Vorgaben des Bundesnaturschutzgesetzes sichergestellt, dass der Ausbau der Windenergie an naturschutzverträglichen Standorten erfolge.  Auch die Naturschutzverbände BUND und NABU in Baden-Württemberg beispielsweise befürworten einen naturverträglichen Ausbau der Windenergie. Bei der Festlegung von Standorten im Wege der Bauleitplanung ebenso wie im Genehmigungsverfahren werde. durch eine spezielle artenschutzrechtliche Prüfung sichergestellt, dass die Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes eingehalten werden.

Franzosen bauen mehr Windmühlen 

Inzwischen verfangen wir uns im Gestrüpp der Bürokratie. Unser Nachbar Frankreich baute im ersten Halbjahr 2019 mehr zusätzliche Windräder als Deutschland. Zum Beispiel die Bretagne zeigt, dass Windkraft kein Schreckgespenst sein muss. Etwa in  Goulien. Im Ort ein hoher Wasserturm, vor dem Ort direkt an der Landstraße der Windpark éolien mit 8 Anlagen. Und immer wieder rücken weitere Windmühlen ins Blickfeld des Touristen.  Ziel sei es weiterhin, den Anteil der Kernenergie in Frankreich bis 2035 auf 50 Prozent zu senken, wobei die erneuerbaren Energien und insbesondere die Offshore-Windenergie massiv ausgebaut werden sollen, erklärte die Regierung in Paris. Die Schließung französischer Kohlekraftwerke ist bis 2022 geplant. Deutschland dagegen wird sich 2022 von den letzten Atommeilern verabschieden, der Ausstieg aus der Kernkraft wäre dann erreicht. 2038 sollen die letzten Kohlekraftwerke vom Netz - manchen ist dies vor dem Hintergrund des Schutzes vor Treibhausgasen viel zu spät.

Gleichzeitig wird fast allerorten gebremst - vom Bau zusätzlicher Nord-Süd-Stromtrassen für den im Norden in Windmühlen auf See erzeugten Strom.

Nur eine neue Anlage

Die Energiewende mit dem Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energie stottert. In Baden-Württemberg, war zu lesen, wurde 2018 nur eine neue Anlage gebaut. Die anderen Bauanträge stecken in juristisch schwierigem Gelände fest, vor allem des Artenschutzes wegen. Vor Monaten noch brachte der Regionalverband Nordschwarzwald das Verfahren zum Teilregionalplan Windkraft mit zwei Dutzend Standort-Vorschlägen zügig voran - legte es dann aber aufs Eis, weil das baden-württembergische Umweltministerium plötzlich  geänderte Kriterien für die Standort-Suche präsentierte. Seit Mitte Mai 2019 ist der neue Windatlas fertig, doch still ruht das Verfahren weiterhin. Als Regionalräte warten wir noch auf ihn - oder holen den neuen Windatlas aus dem Netz:

Aufgrund methodischer und technologischer Fortschritte und der gesammelten Erfahrung mit Windenergieanlagen hat das Umweltministerium im Mai 2019 einen neuen Windatlas veröffentlicht, der den Windatlas aus dem Jahr 2011 ersetzt, heißt es auf der Website des Ministeriums.

 

Neue Orientierungswerte

Der Windatlas beinhaltet Karten für unterschiedliche Kenngrößen, die jeweils für die Berechnungshöhen 100 Meter, 140 Meter, 160 Meter, 180 Meter und 200 Meter ermittelt wurden. Mit dem Windatlas Baden-Württemberg 2019 führt das Umweltministerium eigenen Aussagen zufolge einen neuen Orientierungswert ein, ab dem ein Standort für eine Windenergienutzung als ausreichend windhöffig angesehen werden kann. Das größte Ausbaupotenzial bei den erneuerbaren Energien biete die Windkraft. Zudem sieht die Landesregierung Potenziale bei der Photovoltaik. Bei der Biomasse erscheine ein Anteil von 8 Prozent realistisch.

Neben der großen Wasserkraft und großen Photovoltaikfreiflächenanlagen ist die Windenergie an Land („onshore”) unter den erneuerbaren Energien die kostengünstigste Technologie zur Bereitstellung von Strom, betont das Umweltministerium.  Außerdem lägen ihre Treibhausgasemissionen über den gesamten Produktlebenszyklus in einer Größenordnung von lediglich 11 Gramm je Kilowattstunde. Im Vergleich: Ein mit Erdgas betriebenes Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk stoße 400 Gramm, ein Steinkohlekraftwerk 870 und ein Braunkohlekraftwerk über 1.000 Gramm pro Kilowattstunde aus.

Nordschwarzwald günstig mit Abschlägen

Windatlas vom Mai 2019

Was steht im neuen 64-seitigen Windatlas zum Nordschwarzwald?  (Originaltext von S. 42): Das  Windangebot erreicht in den von der Anströmung her günstig gelegenen Höhenlagen recht durchgängig ein sehr hohes Potenzial von über 500 W/m2, teilweise werden 600 W/m2 überschritten. Anzumerken ist aber auch – dies gilt auch für die übrigen Teile des Schwarzwaldes – dass die Höhenlage allein noch kein Garant für ein ausreichendes Windangebot ist. Ungünstig gelegene Höhenzüge verfügen teilweise über ein deutlich schlechteres Windangebot. Dies gilt selbstverständlich erst recht für die Tallagen.

Fazit (Seite 41): Nordschwarzwald und Südschwarzwald verfügen in den Höhenlagen über die besten Windverhältnisse des Bundeslandes Baden-Württemberg. Gleichzeitig ist, bedingt durch die hochkomplexe Landschaftsstruktur, auch das Windangebot entsprechend komplex, erhebliche Unterschiede im Windangebot auf kurze Entfernungen sind die Regel.

Kraichgau windarm 

Zum Kraichgau (S. 41): Die Hügellandschaft des Kraichgau liegt im nordwestlichen Baden-Württemberg und schließt sich südlich an den Odenwald an. Westlich grenzt das Kraichgau an den Rheingraben, südlich schließt sich der Schwarzwald an. Nach Osten markiert etwa die Linie Neckartal – Leintal – Eppingen - Mühlacker die Grenze des Landschaftsraums. (...) Die Lage, eingefasst von deutlich höheren Mittelgebirgen im Norden und Süden, lässt keine hohen Windgeschwindigkeiten erwarten. Einzig die nach der Hauptwindrichtung Westen hin zum Rheingraben geöffnete Geländesituation wirkt sich leicht begünstigend aus. Es findet sich recht großräumig ein Windangebot um 250 W/m2. Ein Windangebot mit mehr als 300 W/m2 ist nur ganz vereinzelt vorzufinden.

Windkraft in Baden-Württemberg - ein Kapitel, an dem noch geschrieben wird. Wie dick es werden wird, ist offen. Ob es gelingt, an Tempo zuzulegen? Zweifel sind erlaubt. Aber etwas geht immer und das dürfte sich gut mit der Biodiversität vertragen.

Endbericht_Windatlas_BW_2019.pdf

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Kommentare

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Erhardt Stiefel am :

Ein sehr aufschlussreicher Beitrag. Danke.
Der Absatz "Neue Orientierungswerte" hat mich besonders beeindruckt.
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